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Kapitel 3

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Pepper lief bellend zur Haustür, als ein Auto in der Einfahrt vor dem Haus hielt. Ich stand gerade in der Küche und bereitete mir eine Tasse grünen Tee zu. Beim Blick aus dem Fenster sah ich, dass es Nick war, der mit seinem Wagen von der Arbeit gekommen war. Ich ging den gläsernen Gang, die Verbindung zwischen der Küche und der Diele, entlang und öffnete ihm die Haustür. Die Küche befand sich in einem Nebengebäude des Hauses, das vor einigen Jahren von dem Vorbesitzer komplett saniert und aufwendig umgebaut worden war. Das gesamte Gebäude war ursprünglich ein alter Bauernhof gewesen. Auf Nicks Gesicht erschien ein Lächeln, als er mich im Türrahmen erblickte. Pepper lief ihm schwanzwedelnd entgegen und empfing sein Herrchen voller Freude.

»Hallo, Sweety«, begrüßte Nick mich und gab mir einen Kuss.

»Hallo, Nick! Wie war dein Tag?«, fragte ich und schloss hinter ihm die Tür.

»Ganz normal, keine besonderen Vorkommnisse. Ich konnte endlich mal Papierkram erledigen. Da hatte sich einiges angesammelt. Dazu komme ich sonst kaum während der regulären Arbeitszeit. Aber noch ist es einigermaßen ruhig auf der Insel.«

»Stimmt. Das ändert sich spätestens nächste Woche, wenn die Osterferien in den meisten Bundesländern beginnen. Dann füllt es sich hier schlagartig. Britta hat mir neulich erzählt, dass ihr Hotel über Ostern komplett ausgebucht ist.«

»Kann ich mir gut vorstellen. Aber das bedeutet auch, dass endlich wieder Frühling ist, die Tage länger werden und die Insel Farbe bekommt. Diese kargen, farblosen Bäume und Sträucher kann man langsam nicht mehr sehen. Wie war dein Tag?«, wollte er wissen und hängte seine Jacke an die Garderobe.

Pepper war mittlerweile kurz im Wohnzimmer verschwunden und kam mit einem Hundespielzeug in der Schnauze zurück, das er aus seinem Körbchen unter der Treppe geholt hatte. Er legte es Nick direkt vor die Füße. Nick streichelte den Hund und kickte das Spielzeug mit der Fußspitze weg. Es rutschte einige Meter über die glatten Fliesen. Pepper fand es großartig und jagte sofort hinterher.

»Erfolgreich«, beantwortete ich Nicks Frage. »Komm mit in die Küche. Ich mache mir gerade einen Tee, dann erzähle ich dir alles ausführlich.«

Nick folgte mir in die Küche. Pepper lief uns neugierig hinterher, sein Spielzeug fest in der Schnauze.

»Magst du einen Kaffee?«, fragte ich, während ich den Teefilter aus meiner Tasse entfernte.

Nick hatte für meine Teeleidenschaft nicht viel übrig. Er trank lieber Kaffee. Obwohl er auf Sylt geboren wurde, hatte er fast sein ganzes bisheriges Leben in Kanada verbracht. Sein Vater war Kanadier, seine Mutter eine waschechte Sylterin. Irgendwann hatten seine Eltern beschlossen, Sylt den Rücken zu kehren und nach Kanada zu gehen. Nicks Vater zog es zurück in seine Heimat. Nicks Mutter besaß aber noch ihr Elternhaus auf der Insel, in dem Nicks Schwester Jill lebte. Allerdings arbeitete sie zurzeit für drei Monate auf dem Festland in der Nähe von Flensburg. Nach einem schweren Schicksalsschlag war Nick vor fast drei Jahren aus Kanada auf die Insel Sylt zurückgekehrt und wollte einen Neustart wagen. Er war Polizist und arbeitete auf dem Westerländer Revier.

»Gerne.« Er setzte sich auf einen der Stühle an dem großen Tisch.

Dann lockerte er mit einer Hand die Krawatte und öffnete die obersten Knöpfe seines Uniformhemdes. Ich nahm einen Becher aus dem Küchenschrank über der Spüle, stellte ihn unter den Kaffeeautomaten und drückte die entsprechende Taste. Die Maschine begann mit einem leisen Surren, die Kaffeebohnen zu mahlen. Dann floss der heiße Kaffee langsam in die Tasse und verströmte dabei einen angenehmen Duft. Ich liebte diesen Geruch. Selbst trank ich wenig Kaffee, da ich ihn nicht sehr gut vertrug. Nur ganz selten ließ ich mich dazu hinreißen, einen Espresso zu trinken, beispielsweise nach einem guten und reichhaltigen Essen.

»Jetzt erzähl schon, Anna. Ich bin sehr gespannt. Was war los heute?«, drängte mich Nick und sah mich erwartungsvoll an.

»Ich habe heute meinen ersten Auftrag erhalten! Die komplette Neuanlage eines Gartens. Der Vertrag ist unterschrieben, ich habe ihn vorhin zurückgemailt«, sagte ich stolz und konnte meine Freude darüber nicht zurückhalten.

»Das ist ja super! Ich gratuliere dir! Siehst du, dann hat es gar nicht lange gedauert, bis du deinen ersten Auftrag bekommen hast. Wo und bei wem wirst du den Garten gestalten?«

»Bei einem Ehepaar in Kampen. Die beiden haben dort ein bebautes Grundstück gekauft, das alte Haus abreißen lassen und bauen jetzt neu.«

»Hey, gleich an der teuersten Adresse vor Ort. Respekt! Aber das klingt vielversprechend! Der Trend ist also ungebrochen, dass Grundstücke vererbt und sofort verkauft werden. Die alten Häuser werden meistens abgerissen, um an gleicher Stelle neue zu errichten. Die Grundstücke sind es, die in erster Linie interessant und vor allem sehr wertvoll sind. Auf jeden Fall freue ich mich riesig für dich. Komm her!«

Ich ging mit dem Kaffeebecher in der Hand auf Nick zu, nachdem ich etwas Milch hineingegeben hatte, und stellte ihn vor ihm auf dem Tisch ab. Nick umfasste meine Taille mit beiden Händen und zog mich auf seinen Schoß.

»Ist es ein richtig großer Auftrag?«, wollte er wissen und trank einen Schluck Kaffee.

»Ja, das Grundstück hat knapp 1.500 Quadratmeter. Das ist ganz ordentlich. Vielleicht bekomme ich auch den Auftrag für die andere Hälfte. Darauf soll ein weiteres Haus gebaut werden. Soweit ich weiß, ist dieser Teil aber noch nicht verkauft. Früher war es ein Grundstück mit einer Gesamtfläche von 2.500 Quadratmetern.«

Ich hatte mich als Landschaftsarchitektin selbstständig gemacht und gerade erst vor ein paar Wochen mein eigenes Büro eröffnet. Dabei arbeitete ich eng mit einem ansässigen Gartenbaubetrieb zusammen. Mein Leben hatte sich seit dem vergangenen Winter kurz vor Weihnachten völlig verändert. Damals hatte ich meine beste Freundin Britta Hansen besucht, die seit vielen Jahren mit ihrem Mann Jan und den Zwillingen Tim und Ben in Rantum auf Sylt lebte. Britta und Jan führten auf Sylt ein sehr schönes und beliebtes Hotel, den Syltstern, den Jan von seinen Eltern übernommen hatte. Es lag am Rande von Westerland in Strandnähe. Britta kannte ich seit meinem ersten Schultag. Nach der gemeinsamen Schulzeit hatten sich unsere Wege getrennt, allerdings nur in räumlicher Hinsicht, denn wir blieben weiterhin in engem Kontakt. Letztes Jahr hatte sie mich Anfang Dezember dazu überredet, sie auf Sylt zu besuchen. Da ich zu dieser Zeit sowieso gerade Urlaub hatte, nahm ich ihr Angebot gerne an. Eine Auszeit hatte ich sehr gut gebrauchen können. Gleich nach meiner Ankunft auf der Insel war ich zufällig Nick begegnet und hatte mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Zunächst sah es allerdings so aus, als ob er meine Zuneigung nicht erwidern würde, doch das änderte sich. Insgesamt war es eine aufregende Zeit gewesen, denn ich hatte durch einen Zufall ein Haus auf Sylt geerbt. Doch diese Erbschaft hielt nicht nur angenehme Überraschungen für uns bereit. Ich konnte es manchmal noch immer nicht begreifen, was uns in diesem Zusammenhang alles widerfahren war. Jetzt wohnten Nick und ich seit über drei Monaten in diesem Haus und fühlten uns sehr wohl. Mittlerweile hatten wir einen vierbeinigen Mitbewohner, Pepper, unseren schwarzen Labradormischling mit weißer Pfote, der fester Bestandteil unseres Lebens geworden war. Er war etwas mehr als ein halbes Jahr alt und hatte eine Menge Flausen im Kopf. Jedenfalls konnten wir uns über Langeweile nicht beklagen, denn er hielt uns ordentlich auf Trab.

»Wie bist du überhaupt an den Auftrag gekommen?«, fragte mich Nick und holte mich aus meinen Erinnerungen.

»Bei dem Auftraggeber handelt es sich um einen ehemaligen Patienten von Frank. Er hatte ihm von seinem Vorhaben erzählt, und Frank hat mich gleich weiterempfohlen«, erklärte ich.

»Aha, Frank also«, bemerkte Nick und verzog den Mund.

»Ach, Nick, sei nicht eifersüchtig«, neckte ich ihn, nahm sein Gesicht in meine Hände und küsste ihn zärtlich auf den Mund.

Doktor Frank Gustafson war ein guter Freund von Brittas Mann Jan und arbeitete auf der Insel als leitender Oberarzt im Westerländer Krankenhaus. Ich hatte ihn ebenfalls im vergangenen Jahr bei Britta und Jan kennengelernt und war einmal mit ihm ausgegangen. Zu dieser Zeit war ich allerdings noch nicht mit Nick zusammen. Frank war Porschefahrer, ledig, gut aussehend, erfolgreich und äußerst charmant, wenn es um das weibliche Geschlecht ging. Wie ich fand, trafen einige dieser Attribute ebenso auf Nick zu, doch da war viel mehr, weshalb ich Nick liebte. Frank stellte in keiner Weise eine Konkurrenz dar. Trotzdem freute ich mich jedes Mal, wenn bei Nick ein Funken Eifersucht aufblitzte, wenn von Frank die Rede war. Die beiden Männer waren nicht die engsten Freunde, würden es vermutlich nie werden, begegneten sich aber mit gegenseitigem Respekt. Frank war sich bewusst, dass er bei mir gegen Nick sowieso keine Chance hatte.

»Ich bin nicht eifersüchtig, nur wachsam«, rechtfertigte Nick sich und sah mir tief in die Augen. »So, ich gehe mich duschen und umziehen.«

Er griff nach seiner Tasse und trank den Rest seines Kaffees in einem Zug aus. Dann stand er auf.

»Ich will nachher mit Pepper eine Runde drehen. Begleitest du uns?«, fragte ich ihn, bevor er eine Etage höher im Bad verschwand.

»Ja, klar. Ich habe heute nichts mehr vor.«

Während Nick nach oben ins Schlafzimmer ging, stellte ich unsere benutzten Tassen in den Geschirrspüler und verließ anschließend die Küche, gefolgt von Pepper. Gerade, als ich in der Diele war, klingelte das Telefon im Wohnzimmer. Ich lief dorthin und nahm das Gespräch entgegen.

»Hallo, mein Kind!«, hörte ich meine Mutter sagen, nachdem ich mich gemeldet hatte.

»Hallo, Mama! Wie geht es dir?«

»Mir geht es gut, danke. Ich hoffe, bei euch ist alles in Ordnung?«

»Ja, alles bestens«, beantwortete ich ihre Frage. »Was gibt es Neues?«

Eigentlich hatte meine Mutter erst vor ein paar Tagen angerufen, daher war ich verwundert, dass sie sich nach so kurzer Zeit erneut meldete. Öfter als einmal pro Woche telefonierten wir in der Regel nicht, es sei denn, es gab etwas Dringendes.

»Sieht es bei euch auch schon nach Frühling aus? Hier kommen überall die Tulpen durch. Jetzt fehlen noch ein paar warme Tage, und die ersten Sträucher bekommen Blätter. Das wird aber auch langsam Zeit nach diesem endlosen kalten Winter. Ich kann es kaum erwarten.«

»Ja«, erwiderte ich kurz.

Doch ehe ich mehr sagen konnte, fuhr meine Mutter fort: »Papa war neulich beim Arzt. Heute hat er das Ergebnis der Blutuntersuchung bekommen. Es ist alles in Ordnung. Sein Cholesterinwert ist viel besser geworden. Wir haben doch unsere Ernährung umgestellt, hatte ich dir ja erzählt. Du weißt, die Sache mit dem neuen Kochbuch. Papa wollte mir erst nicht glauben, dass das was bringt. Jetzt hat es sich bestätigt. Und heute Nachmittag haben uns die Schreibers zum Kaffee besucht. Henriette und Günter waren vier Wochen auf den Kanarischen Inseln und sind letztes Wochenende wiedergekommen. Sie haben eine Menge Fotos mitgebracht. Mir schwirrt noch der Kopf. Günter hatte alles auf so einem tragbaren Computer dabei. So einen hast du doch auch, zum Aufklappen.«

»Ja, Mama, einen Laptop.«

»Genau, Günter ist doch so ein Technikfreak. Henriette sagt, er macht nichts mehr ohne dieses Ding. Wir sind da nicht so modern. Jedenfalls hat es ihnen dort sehr gut gefallen. Sie meinten, wir sollten das unbedingt auch in Betracht ziehen. Besonders in dieser trüben Jahreszeit wäre das Balsam für die Seele. Aber du kennst ja deinen Vater, den kriege ich nie lange von Zuhause weg. Außerdem steigt er ungern in ein Flugzeug. Ich hatte übrigens Apfelstrudel gemacht. Den magst du doch auch gerne. Wenn du nicht so weit weg wohnen würdest, hätte ich für dich auch einen gemacht. Henriette hat er jedenfalls sehr gut geschmeckt. Sie wollte sogar das Rezept haben, obwohl sie sehr selten selber backt.«

Meine Mutter war in ihrer Berichterstattung kaum zu bremsen. Ich fragte mich, wie sie so schnell reden konnte, ohne dabei viel Luft holen zu müssen. Und dann diese abrupten Themensprünge. Was kam wohl als Nächstes?

»Ja, Mama, das ist alles sehr interessant, aber du rufst doch nicht an, um mir das alles zu erzählen, oder?«, hakte ich vorsichtig nach. »Das hätte auch Zeit gehabt.«

Ich ahnte, dass meine Mutter mir zwar irgendetwas mitteilen wollte, aber gleichzeitig nicht mit der Sprache herausrücken wollte. Eine böse Vorahnung beschlich mich, vermutlich wurde es gleich unangenehm.

»Stimmt, Anna, das ist nicht der eigentliche Grund meines Anrufes.« Sie räusperte sich. »Heute Mittag hatte ich einen Anruf. Du kommst sicher nicht von alleine drauf. Du wirst bestimmt nicht begeistert sein, wenn ich es dir sage.«

»Mama! Sag endlich bitte, warum du anrufst! So schlimm wird es schon nicht sein.«

Langsam war ich mit meiner Geduld am Ende.

»Marcus hat heute Vormittag bei uns angerufen. Dein Vater war gerade unterwegs zum Arzt und anschließend zur Apotheke«, ließ sie mich wissen und machte eine Pause, um meine Reaktion abzuwarten.

»Marcus?«, wiederholte ich, um ganz sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört hatte. »Und was wollte er?« Ich ahnte nichts Gutes.

Marcus und ich waren lange Zeit ein Paar gewesen, wollten heiraten und eine Familie gründen. Doch eines Tages hatte ich ihn mit einer anderen Frau in unserem Bett überrascht. Daraufhin hatte ich mich sofort von ihm getrennt und war aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Es war nicht das erste und einzige Mal gewesen, dass er mich betrogen hatte, aber das Maß war voll. Ich war nicht mehr gewillt, ihm diese ›Versehen‹, wie er sie nannte, zu verzeihen. Daher wunderte es mich umso mehr, dass er sich ausgerechnet bei meinen Eltern meldete, da ich seit fast zwei Jahren keinen Kontakt zu ihm hatte. Unsere Wege hatten sich endgültig getrennt, und es gab nichts mehr zu sagen. In meinem Leben gab es nicht die kleinste Nische mehr für ihn. Ich hatte lange genug unter der Trennung gelitten und damit abgeschlossen.

»Er wollte dir einige Dinge zukommen lassen, die er beim Aufräumen gefunden hat. Und irgendeine Unterschrift braucht er von dir. Dabei geht es um eine Versicherung, hat er gesagt«, berichtete meine Mutter.

»Hm«, erwiderte ich skeptisch, »ich kann mich nicht erinnern, um welche Versicherung es sich handeln könnte. Wir hatten damals alles gekündigt, was wir zusammen abgeschlossen hatten. Naja, er kann euch die Sachen bei Gelegenheit vorbeibringen. Dann könnt ihr sie mir das nächste Mal mitbringen, wenn ihr nach Sylt kommt.«

»Es schien aber sehr dringend zu sein. Er hat von einer Frist gesprochen, die bald endet. Daher habe ich ihm deine Adresse gegeben, damit er dir das Dokument so schnell wie möglich schicken kann.« Meine Mutter senkte schuldbewusst ihre Stimme.

»Wie bitte? Ach, Mama! Wieso hast du das gemacht? Es geht ihn nichts an, wo ich lebe. Das sollte er gar nicht unbedingt wissen.«

»Es tut mir leid, Anna«, entschuldigte sich meine Mutter kleinlaut. »Ich wollte doch nur, dass du keinen Ärger wegen dieser Frist bekommst. War vielleicht doch keine so gute Idee, oder?«, fügte sie beschämt hinzu.

»Nein, Mama, war es wirklich nicht«, sagte ich leicht verärgert, »aber jetzt ist es sowieso zu spät. Mach dir keine Vorwürfe, er wird schon nicht gleich persönlich vor der Tür stehen. Du hast ihm aber hoffentlich nicht erzählt, dass ich ein riesiges Haus geerbt habe, oder? Mama?«

»Nein, natürlich nicht, was denkst du von mir. Ich habe ihm lediglich erzählt, dass du auf Sylt wohnst und es dir sehr gut geht. Und, dass du einen sehr netten Freund hast. Das ist schließlich kein Geheimnis, oder? Das konnte ich doch ruhig erzählen.«

»Nein, natürlich ist es kein Geheimnis, aber mehr muss er nicht wissen.« Ich seufzte. »Dann kann ich mich wohl darauf einstellen, dass ich demnächst Post von Marcus bekomme. Also, Mama, dann grüß mal Papa von uns und bis bald«, sagte ich und blickte in Richtung der Treppe, die Nick in diesem Moment herunterkam.

Einige der alten Holzstufen knarrten, wenn man sie betrat. Nick hatte seine Polizeiuniform gegen Freizeitkleidung getauscht und war frisch geduscht. Er zog fragend die Augenbrauen hoch, als er mich mit dem Hörer am Ohr sah. Aber ich winkte nur beruhigend ab und schüttelte leicht den Kopf.

»Ja, mein Kind. Grüße auch an Nick und Pepper natürlich. Marcus wird schon nichts Unangenehmes schicken. Mach dir nicht so viele Gedanken.«

Mit diesen Worten legte meine Mutter auf. Ich atmete schwerfällig aus.

»Was ist los?«, wollte Nick wissen und kam auf mich zu. »Ist etwas passiert?«

»Ach, das war meine Mutter. Sie hatte heute einen Anruf von Marcus. Du weißt, mein Exfreund. Sie hat ihm dummerweise unsere Adresse gegeben, weil er angeblich dringend eine Unterschrift in einer Versicherungsangelegenheit von mir benötigt. Keine Ahnung, worum es geht«, erwiderte ich und legte meine Arme um seinen Hals.

Er roch betörend gut nach seinem Duschgel, und sein fast schwarzes Haar war noch nass.

»Versicherung?«, betonte Nick misstrauisch.

»Warten wir es ab. Ich laufe ihm bestimmt nicht nach. So, kommst du mit?«, lenkte ich vom Thema ab und versuchte, mir mein Unbehagen in dieser Angelegenheit nicht anmerken zu lassen.

»Ja. Ich bin startklar. Meinetwegen kann es losgehen.«

Wir zogen uns Schuhe und Jacken an und legten Pepper sein Halsband an. Dann verließen wir alle drei das Haus und liefen einen der schmalen Feldwege entlang, die überall rund um Morsum herum angelegt waren. Der Himmel hatte sich zwischenzeitlich bezogen, und es wehte ein lebendiger Westwind. Wenn man bewusst einatmete, konnte man einen Hauch von Frühling spüren. Die letzten hartnäckigen Schneereste waren aus den Entwässerungsgräben, die rechts und links des Weges verliefen, verschwunden. In zwei Tagen war der 1. April, und Ostern rückte immer näher. Die Zeit war so schnell vergangen, seit ich mit Nick zusammen auf Sylt lebte. Aber ich bereute keine einzige Sekunde. Schon immer hegte ich den Wunsch, eines Tages auf dieser Insel leben zu können. Dass es tatsächlich dazu kommen würde, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Und jetzt kam es mir vor, als wenn ich schon ewig hier leben würde. Man hatte das Gefühl, dass das Biikebrennen am 21. Februar gerade erst hinter uns lag. Dort wurden alljährlich große Haufen aus Zweigen, ausgedienten Weihnachtsbäumen und Stroh aufgeschichtet und anschließend angezündet, um so den Winter zu vertreiben. Früher diente dieser Brauch vor allem dazu, die Seeleute zu verabschieden, die im Frühjahr hinaus aufs Meer fuhren. Heutzutage war es nicht nur ein alljährliches Ritual für die Insulaner, sondern lockte unzählige Touristen an. Im Anschluss an den Besuch der Feuer, die an verschiedenen Plätzen auf der Insel loderten, ging man in eines der vielen Restaurants zum herzhaften Grünkohlessen. Nick und ich hatten uns mit Freunden getroffen und waren ebenfalls in einem Restaurant zum Essen eingekehrt. Ich hatte zuvor noch nie an einem Biikebrennen teilgenommen und war begeistert, denn es war ein rundum schöner Abend gewesen.

»Denkst du oft an Marcus?«, fragte Nick plötzlich, während wir nebeneinander hergingen.

Pepper lief einige Meter vor uns und hielt die Nase dicht über dem Boden, um alles zu beschnüffeln, was ihm in den Weg kam. Manchmal bremste er mitten im Lauf ruckartig und lief einen halben Meter zurück, als ob er etwas übersehen hatte und auch diese Stelle kontrolliert werden musste. Ich konnte meine Überraschung über Nicks Frage nicht verbergen.

»Nein, überhaupt nicht. Wie kommst du darauf?«

»Nur so«, erwiderte Nick und wandte seinen Blick zum Horizont.

Ich blieb stehen, hielt ihn am Ärmel und blickte Nick direkt in seine schönen dunklen Augen, als er mich ansah. Das war es unter anderem damals gewesen, was mich sofort an ihm fasziniert hatte. Diese Augen.

»Marcus gehört der Vergangenheit an und zwar sehr lange. Ich denke nicht an ihn und empfinde nichts mehr für ihn. Beruhigt dich das?«

»Schon gut. Tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten«, betonte Nick. »Ich liebe dich, Anna.«

Dann gab er mir einen Kuss.

»Ich liebe dich auch. Sehr sogar. Schließlich heiraten wir dieses Jahr. So, und nun lass uns umdrehen. Für heute hat Pepper ausreichend Auslauf gehabt. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe Hunger!«

Ich griff nach Nicks Hand, und wir traten den Rückweg an.

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