Читать книгу Die Sternbuben in der Großstadt - Siebe Josephine - Страница 4
Zweites Kapitel.
Eine Reise, die keine Reise ist.
ОглавлениеAm nächsten Morgen hing den Sternbuben der Himmel voller Geigen. Es bekümmerte sie kein bißchen, daß es draußen regnete, plitsch, platsch, immerzu. Sie merkten auch nichts davon, daß unter den Geigen am Himmel etliche dicke, brummige Baßgeigen waren, bereit, ihnen mit Gebrumme und Gesumme auf den Kopf zu fallen. Beim Aufstehen schwätzten sie, als müßten sie an diesem Tage eine Million Wörter und etliche darüber verbrauchen, und sie merkten gar nicht Minas Jammermiene, als die in das Zimmer trat. Gleich ein Dutzend Fragen auf einmal purzelten Mina entgegen, doch die gab darauf keine Antwort, sondern sagte knurrig: „Seid still, schreit net so, Gundele ist krank. Der Hals tut ihr weh, das kommt von dem dummen Herumgestehe auf dem Gäßle.“
Plumps! da lag die erste Brummgeige am Boden.
Gundele krank! Ja, das ging doch gar nicht an! Die Buben mußten doch auf dem Schulweg mit der sanften Schwester von der Reise reden; dies war doch das Allerwichtigste auf der ganzen Welt!
Just in diesem Augenblick krabbelte dem Peter ein Nieser ins Näslein, und er nieste laut und vernehmlich: haizih! „Ich bin auch krank, ich muß zu Hause bleiben!“ schrie er.
„Haizih, haizih!“ antwortete Mathes. Bei dem klangen die Nieser etwas sonderbar, aber er schrie doch gewaltig: „Ich bin auch krank, ich kann net in die Schule gehen.“
„Wir unterhalten Gundele!“ schlug Peter vor.
Aber so ein paar Nieser machten auf Mina keinen Eindruck. Die sagte kaltblütig: „Wer krank ist, muß ins Bett und Süpple essen, nur Süpple. Na, und mit der Reise wird es dann wohl nichts werden.“
Haizih! Peter nieste vor Schreck gleich noch einmal, aber er rief doch sehr flink: „Ich bin net krank, pah, ein Schnüpfle ist net schlimm!“
„Na denn marsch in die Schule! Gundele laßt ihr jetzt in Ruh, die soll noch schlafen!“
Die Buben seufzten schwer, aber sie wagten kein Widerwort, denn mit Mina war schlecht verhandeln an diesem Morgen. Dies merkten sie schon. Ein paar Minuten später trabten sie der Schule zu, und sie hielten dabei Ausschau nach den Kameraden. Auch nach Herrn Häferleins Laden schielten sie hinüber, vielleicht stand der freundliche Kaufmann an der Türe und war zu einem Schwätzlein bereit. Doch niemand ließ sich blicken. Nicht einmal Bäckers Esel ging heute auf der Gasse spazieren, es sah auch niemand zu einem Fenster heraus. Weil nun die Sternbuben nicht mit jemand anderm von ihrer Reise reden konnten, redeten sie mitsammen. Sie taten dies so eifrig, als hätten sie sich tausend und einen Tag nicht gesehen, und darüber vergaßen sie ihren Schulweg.
Bumbum! hub da plötzlich die große Uhr der Marktkirche zu schlagen an. Lieber Himmel, schon so spät! Der Schreck fuhr den Sternbuben gewaltig in die Beine, sie begannen zu rennen und rasten mit gesenkten Köpfen vorwärts, weil sie meinten, es ginge so schneller. Auf einmal stießen sie aber dabei auf ein unerwartetes Hindernis. Jemand stellte sich ihnen entgegen, breitete die Arme aus und sagte gemütlich: „Euch laß ich net vorbei, ihr rennt sonst noch das Kirchtürmle um.“
Die Butterfrau Greinle, die allwöchentlich die Butter in den Silbernen Stern brachte, war es, die die Buben aufhielt. Sie wollte ein Späßle machen und dachte nicht an die Schule. Und weil Frau Greinle ein bißchen schwerhörig war, verstand sie auch nicht gleich, was Mathes und Peter ihr zuriefen. Die große, dicke Frau hielt die zappelnden Büblein fest und sagte neckend: „Euch nehm ich mit, euch kann ich gut zur Kartoffelernte brauchen.“
„Schule!“ schrie Mathes, und Peter kreischte: „Wir müssen rein, wir müssen rein!“
„Lieber Himmel, Frau Greinle, was machen Sie denn da!“ klang’s von der Schultreppe her. „Lassen Sie doch die Buben los, es hat ja schon angefangen!“ Der Schuldiener Hupp rief das sehr laut, und diesmal verstand es Frau Greinle, und sie gab erschrocken die Buben frei, die heulend die Treppe emporhasteten. Oben blieben sie aber stehen und klagten: „Jetzt kriegen wir ’n Strichle, huhuuuh!“
Schuldiener Hupp, der viel zu gut zu allen unnützen Buben und Mädeln war, tröstete die beiden Schelme. „Ich sag’s eurem Lehrer, nun geht nur!“
„Ich werd’s sagen!“ Trapp, trapp, kam die große, dicke Butterfrau die Treppe empor, und da rannten die Buben erschrocken hinein, denn der Gedanke, von Frau Greinle begleitet in die Klasse zu treten, war ihnen sehr unangenehm. Sie ahnten schon, sie würden ausgelacht werden, und sie wurden wirklich ausgelacht. Ihren Kameraden erschien die Geschichte sehr spaßhaft, selbst der Lehrer lächelte ein wenig, er meinte aber doch: „Etwas spät scheint ihr aber doch gekommen zu sein.“
Mathes und Peter sahen sich an, eigentlich war’s doch gut gewesen, daß Frau Greinle sie aufgehalten hatte, denn nun kamen sie ohne Strich oder Nachsitzen über das Zuspätkommen hinweg.
Aber ach, von den dicken Brummgeigen am Himmel purzelten an diesem Tage doch noch etliche auf der Sternbuben Köpfe. Sie hatten über der Reise vergessen, ihre Ranzen richtig zu packen, das Lesebuch fehlte, und Peters Schreibheft war nicht zu finden, auch hatten beide ein falsches Gedicht gelernt, und dies konnten sie noch nicht einmal, und in der Geographiestunde warfen sie beide die Länder, Meere, Städte und Flüsse durcheinander wie Nüsse in einem Säcklein. Lobstriche gab es darum nicht an diesem Tage, und Mathes und Peter rutschten gerade noch so knapp am Nachbleiben vorbei, und sie zogen nach der Schule recht bedrückt heim.
Der Regen hatte nachgelassen, aber Gundel lag immer noch im Bett. Sie war zwar nicht sehr krank, aber die Mutter gebot doch: „Ihr Buben bleibt draußen, Gundel muß Ruhe haben.“
Dies war sehr betrüblich, denn die Buben hätten himmelgern mit der Schwester geschwätzt und hätten mit ihr Reisepläne geschmiedet, auch machten ihnen die Schularbeiten wenig Spaß ohne Gundels Hilfe. Sie wollten schon das Arbeiten vergessen, als ihnen noch zur rechten Zeit einfiel, nur wenn sie bis zuletzt fleißig waren, durften sie reisen. Darum setzten sie sich gleich nach dem Mittagessen hin und arbeiteten ganz brav und emsig. Mina, die es sah, sagte zu Käthle: „Wirklich, unsere Buben sind jetzt arg fleißig, an solchen Tagen haben sie sonst immer ein Dummheitle gemacht, und heute hört man sie kaum.“
An Dummheiten dachten die Sternbuben auch wirklich nicht; wenn sie mal ihre Nasen von den Büchern aufhoben, lachten sie sich an, und Mathes wußte, Peter denkt an die Reise, und Peter wußte dies ebenso von Mathes. Und kaum waren sie fertig, da redeten sie auch von der Reise. Und da jemand, der reisen will, einen Koffer haben muß, dachten die Buben auch an den Koffer. Sie hätten gern einen gehabt, der funkelnagelneu und blitzeblank gewesen wäre, doch ihre Mutter meinte, zwei Büble wie sie brauchten keinen neuen Koffer, oben auf dem Boden würde schon noch ein Köfferlein stehen, das gut genug für sie wäre.
Mina solle den Koffer herunterholen, verlangten die Buben. Doch Mina hatte keine Zeit, auch sagte sie: „Das hat noch gute Wege; ehe ihr reist, rinnt noch viel Wasser vom Berge, und der Koffer kann noch ein paar Tage auf dem Boden bleiben.“
Mina, die nie reiste, wußte eben nicht, was Reiseungeduld ist. Sie sah ihre Gurken an, die sie einlegen wollte, und ließ die Buben stehen. Doch die dachten, pah, ein Köfferle können wir uns allein vom Boden holen! Und weil gerade niemand auf das Schlüsselbrett achtete, an dem alle die großen, dicken Schlüssel des Hauses hingen, nahm Mathes flugs das rechte Bund, und beide erstiegen tatenlustig die Bodentreppe.
Das Sternenhaus war weitläufig gebaut. Es hatte viele Zimmer, Ecken und Winkel, und neben dem riesengroßen Wäscheboden gab es noch allerlei geheimnisvolle Kammern, in denen die Kinder gern etwas herumkramten. Urväterhausrat war da aufgehoben, Wertvolles und Wertloses stand da untereinander, und Staub gab es auch genug. Der focht die Buben nicht weiter an, sie stülpten alles durcheinander, guckten in alle Schränke und Kästen hinein und entdeckten endlich ein braunes Köfferlein und eine große, buntgestickte Reisetasche. Beides gefiel ihnen ungemein; namentlich die Tasche, auf der ein Haus, eine Kuh, Bäume und Rosen gestickt waren, fanden sie sehr schön, und sie beschlossen, Köfferlein und Tasche zu wählen. Es sah sie aber auch niemand ein Weilchen später mit Köfferlein und Tasche das Haus verlassen und das Löwengäßle entlang streichen.
Der Regen hatte aufgehört, der Himmel war wieder hell geworden, und in der Löwengasse tat sich eine Tür nach der andern auf, und große und kleine Leute spazierten aus den Häusern heraus. Mathes und Peter fanden bald ihre Kameraden. Alette Amhag und Trinle Grill kamen zuerst; die wollten Gundel besuchen und waren sehr betrübt zu hören, dies sei verboten. Sie lachten beide sehr über der Sternbuben Reisegepäck; das Köfferlein fanden sie schäbig, die Tasche altmodisch. Auch Veit und Steffen Grill, die sich bald dazu gesellten, lachten und sagten, schön wären Tasche und Koffer freilich nicht, aber sie reisten lieber damit als gar nicht.
„Sternbuben, wo soll’s denn hingehen?“ Vor den Kindern blieb ein kleines, schmales Frauchen stehen. Es war die Schwester vom Bäckermeister Hering, in der ganzen Nachbarschaft wurde sie das Bäckerfräulein genannt. Alle Kinder liebten sie sehr, und alle Kinder neckten sie, weil das Bäckerfräulein auf jeden Spaß hereinfiel und dann selbst so herzhaft darüber lachen konnte.
„Nach Leipzig fahren wir,“ schrien die Sternbuben stolz.
„Jemine, jetzt gleich?“
„Ja freilich, jetzt gleich!“
„In einer halben Stunde geht der Zug!“ rief Veit.
„Jemine, da müßt ihr euch aber eilen!“
Die Kinder lachten, und das Bäckerfräulein regte sich auf. Es gehörte nämlich zu den Menschen, die immer Angst haben, sie könnten zu spät auf die Bahn kommen. „Geht nur, geht, eilt euch! Jemine, und so allein sollt ihr fahren?“ Das Bäckerfräulein sah so ängstlich drein, daß den Kindern ihre Neckerei leid zu werden begann. Aber dann war es doch wieder sehr lustig, so auf der Löwengasse einen herzbewegenden Abschied zu nehmen, mit dem heimlichen Gedanken, wir gehen nachher in den Laden und erzählen alles.
„Sputet euch nur, sputet euch nur!“
Die Kinder rannten wirklich die Löwengasse hinab, und das Bäckerfräulein winkte und nickte ihnen noch zu, wünschte glückliche Reise, eine gute Heimkehr, und dabei wuchs der Sternbuben Reiselust noch mehr. „Wir wollen auf den Bahnhof gehen,“ riefen sie.
„Ha, fein!“ Die andern Kinder waren damit einverstanden, und alle sechs marschierten nun miteinander nach dem kleinen Bahnhof. Das war ein Spaß! Sie wurden unterwegs ein paarmal gefragt, wohin die Reise gehen sollte, und jedesmal antworteten Mathes und Peter keck: „Wir reisen nach Leipzig, jetzt gleich!“
Breitenwert hatte nur einen kleinen Bahnhof. Viele Züge hielten da nicht, und die großen Schnellzüge fuhren immer sehr hochmütig an dem Städtchen vorbei, und nur die Bummelzüge ruhten sich behaglich ein Weilchen aus, ehe sie weiterdampften. Und just als die sechs Löwengäßler auf dem Bahnhof anlangten, stand so ein gemächliches Zügle da, und seine Lokomotive pustete, als wollte sie sagen: „Kommt mit, liebe Leute, kommt, kommt!“
O die Glücklichen, die dem Ruf folgen konnten! Sehnsüchtig sahen die Kinder auf den Bahnsteig hinaus, sie wären gern alle miteinander in den Zug gestiegen, nur mal hinein und wieder hinaus!
„Macht doch, daß ihr hier wegkommt!“ brummte der Beamte an der Sperre. „Kinder haben hier nichts zu suchen.“
Oho, wenn man in sieben Tagen nach Leipzig reisen will, da kann man sich den Bahnhof doch genau ansehen! Die Sternbuben sahen aus wie der leibhaftige Widerspruch, und Peter krabbelte in seiner Hosentasche herum, vielleicht fand sich doch ein Gröschle, um eine Bahnsteigkarte zu lösen. Doch das Gröschle — es war längst ausgegeben — fand sich nicht, auch die Grills hatten kein Geld, und sie brummten auch: „Mal so raus könnte uns der Schaffner doch lassen!“
Alette Amhag sah die Sehnsucht ihrer Freunde, und sie konnte helfen. Sie hatte von ihrem Vater Geld bekommen, um ihrer Puppe ein neues Kleid zu kaufen. Doch Puppen müssen nicht so eitel sein und immer neue Kleider haben wollen, dachte sie und zog ihr Geldbeutelchen heraus. Vier Groschen waren drin und eine blanke Mark, vier Groschen — damit kamen vier Buben auf den Bahnsteig. Sie flüsterte Trinle ihren Plan zu, und obgleich Trinle auch gern hinausgegangen wäre, sagte sie doch: „Ja, die Buben sollen gehen.“
Und ein paar Augenblicke später marschierten vier Buben stolz durch die Sperre an dem erstaunten Beamten vorbei. Mathes und Veit trugen den Koffer, Peter die bunte Tasche, und Steffen sagte hochmütig: „Ich werde Plätze suchen.“
Sie kletterten auch wirklich alle vier in ein Abteil zweiter Klasse hinein, klapp! flog die Türe zu, und Trinle und Alette bekamen Grüße zugewinkt. Sie nickten wieder und riefen: „Gute Reise!“ bis sie sahen, wie der Schaffner am Zuge entlang lief und die Türen schloß. Da erschraken sie. „Kommt raus, kommt raus!“ schrieen sie laut.
Doch die Buben hatten auch gemerkt, es geht fort, und sie wollten eiligst aussteigen. Steffen suchte die Türe zu öffnen, es ging nicht. Veit versuchte sein Heil, Mathes half, Peter half, pffpffpff, tat da die Lokomotive und — fort ging der Zug.
Die beiden Mädels schrieen verzweifelt: „Sie fahren weg, sie fahren weg!“
„Brüllt doch net so!“ rief der Mann an der Sperre unwirsch.
„Was fehlt euch denn?“ fragte der Bahnvorsteher milder.
Da erzählten Alette und Trinle, und der Beamte runzelte die Stirn und sagte, die Buben müßten Strafe zahlen, viel.
„Aber sie sind doch gar nicht da!“ jammerte Alette.
„In Himmelsberg hält der Zug schon, bis dahin ist’s ein halbes Stündle, da werden sie schon wiederkommen! Aber nachher müssen sie zahlen, sonst werden sie eingesperrt.“
Das war ein schlechter Trost.
„Aber wenn sie nun immer weiter fahren?“ rief Trinle weinend.
„Dürfen sie gar nicht. In Himmelsberg werden sie aus dem Zug geholt; ich bestelle das gleich mit dem Fernsprecher! Und nun geht heim, Kinder haben auf ’nem Bahnhof nichts zu tun. Den Buben ist Strafe gesund.“
Die Mädel seufzten und weinten, weinten und seufzten, das Heimgehen ohne die Buben machte ihnen wenig Spaß. Sie beschrieben allerlei Umwege und gingen um die Löwengasse herum wie die Katzen um einen heißen Hirsebrei, sie fürchteten die Frage: Wo sind die Buben?
Diese fuhren unterdessen ein Stücklein in das Land hinein, ohne gerade viel Vergnügen von der Fahrt zu haben. Daß der Zug in Himmelsberg hielt, wußten Veit und Steffen wohl, aber wie sollten sie dort ohne Fahrkarten vom Bahnhof herunterkommen? Und Geld hatten sie alle vier nicht, um die Fahrkarten zu bezahlen, darum ahnten sie alle vier, es würde bös werden.
Es wurde auch bös. In Himmelsberg öffnete der Herr Bahnvorsteher den vieren selbst das Abteil, er ließ ein kräftiges Donnerwetter auf die vier Schelme niedersausen, und dann verlangte er Geld, viel Geld. Die vier dachten an ihre schlecht gefütterten Spartöpflein, o weh, wenn sie die bis auf den Grund leerten, so viel war nicht drin!
Was war da zu tun?
„Geht einstweilen hinaus, nachher reden wir noch zusammen.“ Des Herrn Bahnvorstehers Stimme grollte, er sah bitterböse aus, dabei war aber doch so ein heimliches Blinken in seinen Augen, daß Steffen, der es sah, ein wenig Hoffnung schöpfte. Er ging aber auch neben den andern wie ein begossenes Pudelchen durch die Sperre, trapp, trapp, und dann waren sie draußen, niemand sah nach ihnen, niemand fragte sie.
Ein Weilchen standen die vier beisammen, bis sie begriffen, daß, wenn sie jetzt recht liefen, sie in einer halben Stunde in Breitenwert sein konnten. Würde man sie nicht zurückhalten?
Kein Mensch ließ sich blicken. Der Zug fuhr fort, und da machten es die vier ihm nach, sie rannten auch fort. Fünf Minuten lang rannten sie und redeten kein Wörtchen, bis endlich Peter den Mund auftat und rief: „Ich hab’ das Täschle liegen lassen!“
Die schöne, buntgestickte Tasche fuhr mit dem Zug in die weite Welt. —
Alette Amhag und Trinle Grill bogen gerade beim Obermarkt in die Löwengasse ein, als vom Untermarkt her die vier Buben angerast kamen. Heil und unversehrt, nur etwas niedergeschlagen wegen der verlorenen Tasche.
„Und der Koffer, wo ist denn der?“ fragte Trinle emsig.
„Veit hat ihn!“
„Nein, du hast ihn, Mathes!“
„Ich net!“
„Ich auch net!“
Ja, wo war er? Auf dem Bahnhof in Himmelsberg hatten die Buben das Köfferle noch gehabt, später auch noch, als sie sich ausgeruht hatten, aber dann war Mathes davongelaufen und Peter davongelaufen, und weil der Koffer keine Beine hatte, war er stehengeblieben.
Tasche weg, Koffer weg, was würde die Mutter dazu sagen!
„Ihr dürft vielleicht net reisen!“ Trinle sah äußerst bekümmert drein, Alette weinte ein bißchen vor Mitleid, die Buben stöhnten, und der Abschied von der Löwengasse fiel nicht so vergnügt aus wie die Begrüßung. Die Sternbübles ließen die Nasen hängen, als sie den Silbernen Stern betraten, und Mathes tuschelte Peter zu: „Wir sagen’s morgen Gundele, und vielleicht sagt’s Gundele der Mutter und vielleicht —“
„Wer hat denn heute den Bodenschlüssel gehabt?“ Die Frage dröhnte den beiden entgegen wie ein Kanonenschuß. Mina stand im Hausflur und sah sehr grimmig drein. „Na, raus mit der Sprache, wer ist auf dem Boden gewesen?“
Nun kam alles heraus.
„Die dürfen net reisen!“ rief Mina entrüstet. „Das schöne, bunte Täschle haben sie verschleppt und ’s Köfferle von ihrem Großvater dazu. Die müssen daheimbleiben.“
Ganz so streng sprach die Mutter nicht, aber sie redete auch von Zuhausebleiben, wenn die Buben in den nächsten Tagen noch ein Dummheitle machten.
„Dann müssen die gerade alle sieben Tage im Bett bleiben,“ schalt Mina. „Frau Hinz, lassen sie die net reisen, die stellen ganz Leipzig auf den Kopf, zwei solche Unnützle, wie die sind.“
Mathes und Peter gelobten wieder einmal der Mutter reumütig, sie würden schrecklich brav sein, und kein Bube legte sich in Breitenwert an diesem Abend mit besseren Vorsätzen in das Bett, als es Mathes und Peter Hinz taten. Lobstriche wollten sie noch in der Schule bekommen, sich nicht einmal mehr die Hösle zerreißen, ganz wunderbar sollte es werden. Und dann schliefen sie ein und träumten seltsame Dinge: dem Peter fuhr eine Lokomotive ins Bett hinein, und das Bäckerfräulein war Lokomotivführer, und Mathes saß mit der bunten Reisetasche irgendwo mutterseelenallein in der Welt, und er schrie vor Angst laut nach der Mutter. Er schrie und schrie, bis er der Mutter Stimme hörte, die beruhigend an sein Ohr klang: „Buben, aufstehen, es ist Zeit!“
Hurra, wieder eine Nacht vorbei!
„In sechs Tagen reisen wir!“ schrieen die Buben.
„Wenn ihr brav seid und keine Dummheitles macht,“ sagte Mina von der Türe her.
„Pah, wir sind nie —“
Mehr sagten die Buben nicht, sie steckten die Köpfe in die Waschschüsseln; Mina machte so ein sonderbares Gesicht, das war recht unbehaglich.
„In sechs Tagen reisen wir!“ Die Buben riefen es Gundele zu, der es wieder besser ging. „In sechs Tagen!“
„Wenn — wenn ...!“ echote da Mina wieder.