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Hirschbrunft

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Ja, die Hirschbrunft, das ist so eine Sache. Mein erstes Erlebnis damit hatte ich als ziemlich kleiner Bub. Infiziert vom jagdlichen Fieber war ich ja von Anfang an. Mein Großvater war Jäger, mein Vater war Jäger und mein Onkel auch, und alle Männer, so kam es mir damals jedenfalls vor, die in unserem Haus aus und ein gingen, waren ebenfalls Jäger. Sobald ich so halbwegs auf eigenen Beinen stand und „Hirsch“ und „Gams“ sagen konnte, nahm mich mein Vater schon mit auf die Pirsch, da gab es also kein Entrinnen. Und meine Mutter, so sehr sie auch um mein Wohl bemüht war, hatte dem nichts entgegenzusetzen.

Im Alter von sechs oder sieben Jahren war ich jagdlich bereits voll ausgerüstet. Ich besaß ein zünftiges Jagahütl, Knickerbocker und Bergschuhe, einen Rucksack, einen Bergstecken, einen Gucker und ein aus Lärchenholz geschnitztes Gewehr. Damit ging ich auch schon einmal alleine jagern, ich entwickelte großen Ehrgeiz darin, meinen Vater und meinen Onkel nachzuahmen. Die Erwachsenen fanden das damals natürlich zum Lachen komisch, mir war es aber bitterer Ernst. Ich erlegte auch manchmal ein Stück Wild mit meinem Holzgewehr, der Hirsch oder der Rehbock war dann halt eine abgebrochene Grastasche, die ich mit großer Sorgfalt nach Hause brachte und in unsere Fleischkammer hängte. Meist hing sie, bis die Nadeln abfielen. Mein Vater wagte es jedenfalls nicht, sie einfach wegzuwerfen.

Im Sommer verbrachte ich die meiste Zeit auf dem Bauernhof meines Onkels. Das war paradiesisch für mich. Ich liebte alles dort, die Menschen, die Tiere, den Geruch, den rauen Umgangston, den fetten Speck und das grobe Brot, die deftige Suppe zum Mittagessen und vor allem die goldgelbe Butter, die meine Großmutter im hölzernen Butterfassl gerührt hat und von der ich dann immer ein „Butterkugerl“ bekommen habe, welches ich mit großem Genuss und ohne Brot verzehrt habe. Und natürlich faszinierte mich auch die harte Arbeit im Stall und auf dem Feld, wenn ich auch ohne Zweifel mehr im Weg herumgekugelt bin, als dass ich helfen hätte können.

Bei der Feldarbeit im Sommer, also beim „Mahn und Heign“, halfen auch mein Vater und noch ein paar andere kräftige Männer mit, denn damals bedurfte es noch vieler fleißiger Hände, um das Heu trocken in die Scheune zu bringen. Ich erinnere mich noch gut ans „Hiefl mochn“ und ans „Schwedenreitern“, an den Leiterwagen, der von Moni, der alten, gutmütigen Stute gezogen wurde. Mein Großvater turnte darauf herum, musste das Heu, das die starken Männer hinaufreichten, fassen und mit dem „Bindbam“ niederbinden. Turmhoch waren manchmal die Fuhren, und die Männer hatten ihre Gaudi, wenn der Großvater wieder einmal herunterpurzelte.

An einem sonnigen Septembertag waren wieder einmal alle auf dem Feld, um die „Groamahd“ einzubringen. Da ich immer noch keine große Hilfe für die Bauersleute war, meinte Harald, mein Onkel, ich könne doch ein bisschen jagern gehen, oben im Wald. Vielleicht bekäme ich einen Fuchs zu sehen oder einen Rehbock. Ich ließ es mir nicht zweimal sagen, holte meine Jagasachen aus dem Haus und stapfte Richtung Hochwald. „Aber pass auf die Hirschn auf, hiaz faungt die Brunft aun, und do kunnts gfährlich wern!“, riefen mir die Jäger nach.


Natürlich hatte ich großen Respekt vor dem König des Waldes, aber dass mir hier gleich neben dem Feld ein Hirsch begegnen würde, hielt ich doch für sehr unwahrscheinlich. Ich ahmte den Gang meines Vaters nach und strebte mit ernster Miene dem Walde zu. Die Bauersleute mögen hinter mir gelacht haben, das war mir egal. Sehr weit wagte ich mich freilich nicht hinein in die Düsternis, aber immerhin, so fünfzig Meter war ich schon entfernt vom Waldrand, als auf einmal in der dicht stehenden Fichtenkultur ein paar Äste knackten und ein gewaltiger Brunftschrei erschallte, der mir durch Mark und Bein fuhr. Und gleich noch einer, und noch ein drittes Mal dröhnte es in meinen Ohren. Der Hirsch musste ganz in der Nähe sein, wahrscheinlich gleich hinter den nächsten Bäumen. Da rutschte das Herzerl des kleinen Jägersmannes aber ordentlich in die Hose, ich begann um mein Leben zu laufen, über Stock und Stein, fiel auf die Nase, schlug mir beide Knie auf, verlor Hut und Stecken, stolperte, raffte mich wieder auf und rannte hinaus auf die rettende Wiese. Die Bauersleute erzählten später, dass ich vor Angst geschrien hätte. Mein Vater fing mich auf in seinen starken Armen und bemühte sich sehr, mich wieder zu beruhigen. Ich glaube, den Rest dieses Tages schlotterte ich am ganzen Körper und war kaum fähig, das Erlebte zu erzählen. Dass gleich nach mir mein Onkel Harald am Waldrand auftauchte und gemächlich schmunzelnd wieder seiner Arbeit nachging, verwunderte mich zwar einigermaßen, einen Zusammenhang mit dem Röhren des Hirsches sah ich damals aber nicht. Erst viel später haben mir die Halunken einmal gebeichtet, dass natürlich Harald der „Hirsch“ war, und am Stammtisch der Jäger sorgte die Geschichte noch einige Zeit für Erheiterung, auf Kosten eines kleinen, ernsthaften Jägersmannes!

Viele Jahre später, als ich mein Holzgewehr längst gegen ein richtiges getauscht hatte, versöhnte ich mich aber mit der Hirschbrunft. In meinem kleinen Bergrevier hatte sich Mitte September ein kleines Rudel Hochwild eingestellt, und es begann sehr bald ein reger Brunftbetrieb. Ich beobachtete das Treiben einige Tage und erlegte am Ende einen kapitalen 16-Ender, den besten Hirsch meines Lebens. Die Hirschbrunft hatte ihren Schrecken verloren, und meine Jägerehre war wieder hergestellt.

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