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B. Verschreiben.

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Inhaltsverzeichnis

1 Auf einem Blatte, welches kurze tägliche Aufzeichnungen meist von geschäftlichem Interesse enthält, finde ich zu meiner Überraschung mitten unter den richtigen Daten des Monats September eingeschlossen das verschriebene Datum »Donnerstag den 20. Okt.«. Es ist nicht schwierig, diese Antizipation aufzuklären, und zwar als Ausdruck eines Wunsches. Ich bin wenige Tage vorher frisch von der Ferienreise zurückgekehrt und fühle mich bereit für ausgiebige ärztliche Beschäftigung, aber die Anzahl der Patienten ist noch gering. Bei meiner Ankunft fand ich einen Brief von einer Kranken vor, die sich für den 20. Oktober ankündigte. Als ich die gleiche Tageszahl im September niederschrieb, kann ich wohl gedacht haben: Die X. sollte doch schon da sein; wie schade um den vollen Monat! und in diesem Gedanken rückte ich das Datum vor. Der störende Gedanke ist in diesem Falle kaum ein anstössiger zu nennen; dafür weiss ich auch sofort die Auflösung des Schreibfehlers, nachdem ich ihn erst bemerkt habe.

2 Ich erhalte die Korrektur meines Beitrags zum Jahresbericht für Neurologie und Psychiatrie und muss natürlich mit besonderer Sorgfalt die Autornamen revidieren, die, weil verschiedenen Nationen angehörig, dem Setzer die grössten Schwierigkeiten zu bereiten pflegen. Manchen fremd klingenden Namen finde ich wirklich noch zu korrigieren, aber einen einzigen Namen hat merkwürdiger Weise der Setzer gegen mein Manuskript verbessert und zwar mit vollem Rechte. Ich hatte nämlich Buckrhard geschrieben, woraus der Setzer Burckhard erriet. Ich hatte die Abhandlung eines Geburtshelfers über den Einfluss der Geburt auf die Entstehung der Kinderlähmungen selbst als verdienstlich gelobt, wüsste auch nichts gegen deren Autor zu sagen, aber den gleichen Namen wie er trägt auch ein Schriftsteller in Wien, der mich durch eine unverständige Kritik über meine »Traumdeutung« geärgert hat. Es ist gerade so, als hätte ich mir bei der Niederschrift des Namen Burckhard, der den Geburtshelfer bezeichnete, etwas Arges über den anderen B., den Schriftsteller, gedacht, denn Namenverdrehen bedeutet häufig genug, wie ich schon beim Versprechen erwähnt habe, Schmähung.

3 Ein anscheinend ernsterer Fall von Verschreiben, den ich vielleicht mit ebensoviel Recht dem »Vergreifen« einordnen könnte: Ich habe die Absicht, mir aus der Postsparkassa die Summe von 300 Kronen kommen zu lassen, die ich einem zum Kurgebrauch abwesenden Verwandten schicken will. Ich bemerke dabei, dass mein Konto auf 4380 Kr. lautet und nehme mir vor, es jetzt auf die runde Summe von 4000 Kr. herunterzusetzen, die in der nächsten Zeit nicht angegriffen werden soll. Nachdem ich den Check ordnungsmässig ausgeschrieben und die der Zahl entsprechenden Ziffern ausgeschnitten habe, merke ich plötzlich, dass ich nicht 380 Kr., wie ich wollte, sondern gerade 438 bestellt habe, und erschrecke über die Unzuverlässigkeit meines Tuns. Den Schreck erkenne ich bald als unberechtigt; ich bin ja jetzt nicht ärmer worden, als ich vorher war. Aber ich muss eine ganze Weile darüber nachsinnen, welcher Einfluss hier meine erste Intention gestört hat, ohne sich meinem Bewusstsein anzukündigen. Ich gerate zuerst auf falsche Wege, will die beiden Zahlen, 380 und 438, von einander abziehen, weiss aber dann nicht, was ich mit der Differenz anfangen soll. Endlich zeigt mir ein plötzlicher Einfall den wahren Zusammenhang. 438 entspricht ja zehn Prozent des ganzen Konto von 4380 Kr.! 10 pCt. Rabatt hat man aber beim Buchhändler! Ich besinne mich, dass ich vor wenigen Tagen eine Anzahl medizinischer Werke, die ihr Interesse für mich verloren haben, ausgesucht, um sie dem Buchhändler gerade für 300 Kronen anzubieten. Er fand die Forderung zu hoch und versprach, in den nächsten Tagen endgiltige Antwort zu sagen. Wenn er mein Angebot annimmt, so hat er mir gerade die Summe ersetzt, welche ich für den Kranken verausgaben soll. Es ist nicht zu verkennen, dass es mir um diese Ausgabe leid tut. Der Affekt bei der Wahrnehmung meines Irrtums lässt sich besser verstehen als Furcht, durch solche Ausgaben arm zu werden. Aber beides, das Bedauern wegen dieser Ausgabe und die an sie geknüpfte Verarmungsangst, sind meinem Bewusstsein völlig fremd; ich habe das Bedauern nicht verspürt, als ich jene Summe zusagte, und fände die Motivierung desselben lächerlich. Ich würde mir eine solche Regung wahrscheinlich gar nicht zutrauen, wenn ich nicht durch die Übung in Psychoanalysen bei Patienten mit dem Verdrängten im Seelenleben ziemlich vertraut wäre, und wenn ich nicht vor einigen Tagen einen Traum gehabt hätte, welcher die nämliche Lösung erforderte.

Wundt gibt eine bemerkenswerte Begründung für die leicht zu bestätigende Tatsache, dass wir uns leichter verschreiben als versprechen ( l. c. p. 374). ›Im Verlaufe der normalen Rede ist fortwährend die Hemmungsfunktion des Willens dahin gerichtet, Vorstellungsverlauf und Artikulationsbewegung mit einander in Einklang zu bringen. Wird die den Vorstellungen folgende Ausdrucksbewegung durch mechanische Ursachen verlangsamt wie beim Schreiben …; so treten daher solche Antizipationen besonders leicht ein.‹

Die Beobachtung der Bedingungen, unter denen das Verlesen auftritt, giebt Anlass zu einem Zweifel, den ich nicht unerwähnt lassen möchte, weil er nach meiner Schätzung der Ausgangspunkt einer fruchtbaren Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie häufig beim Vorlesen die Aufmerksamkeit des Lesenden den Text verlässt und sich eigenen Gedanken zuwendet. Die Folge dieses Abschweifens der Aufmerksamkeit ist nicht selten, dass er überhaupt nicht anzugeben weiss, was er gelesen hat, wenn man ihn im Vorlesen unterbricht und befragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber er hat fast immer richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, dass die Lesefehler sich unter solchen Bedingungen merklich vermehren. Von einer ganzen Reihe von Funktionen sind wir auch gewöhnt, anzunehmen, dass sie automatisch, also von kaum bewusster Aufmerksamkeit begleitet, am exaktesten vollzogen werden. Daraus scheint zu folgen, dass die Aufmerksamkeitsbedingung der Sprech-, Lese-und Schreibfehler anders zu bestimmen ist, als sie bei Wundt lautet (Wegfall oder Nachlass der Aufmerksamkeit). Die Beispiele, die wir der Analyse unterzogen haben, gaben uns eigentlich nicht das Recht, eine quantitative Verminderung der Aufmerksamkeit anzunehmen; wir fanden, was vielleicht nicht ganz dasselbe ist, eine Störung der Aufmerksamkeit durch einen fremden, Anspruch erhebenden Gedanken.

Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe

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