Читать книгу Tauben am Fenster und andere Geschichten - Sigrid Dobat - Страница 10

EIS, WINTER 1947

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Das Mädchen trat aus dem Haus, schloss die Tür hinter sich. Es musste noch einmal nach dem Türgriff fassen, er war ihr unter den Handschuhen entglitten. Sorgsam vergewisserte das Mädchen sich, dass die Tür ins Schloss gefallen war, indem sie mit dem Fuß gegen das Holz der Tür drückte.

Als es die Stufen zum Gehweg hinunter sprang, klirrten die metallenen Schlittschuhe, die es an dünnen Lederriemen trug, heftig aneinander. Das Mädchen schob die Lederriemen über die wollenen Handschuhe in die andere Hand, hob das metallene Bündel Schlittschuhe hoch, versicherte sich, dass der breite Schlüssel, der die Metallkufen an die Schuhe schrauben soll, am Riemen hing.

Dann bog das Kind auf den Gehweg ein an diesem Wintertag. Die Straße still, kalte Feuchtigkeit umschloss das Kind, schloss Geräusche aus, reduzierte auf das Knirschen der kurzen, kleinen Schritte im Schnee. Und das Geräusch des klappernden Metalls.

Das Kind hielt inne, legte die Schlittschuhe ab und versuchte, die grauen Strickstrümpfe über die Knie weiter nach oben zu ziehen. Als es misslang, legte es die Handschuhe auf die Schlittschuhe, sorgsam darauf achtend, dass sie nicht mit dem Schnee in Berührung kamen. Der gefrierende feuchte Atem des Kindes hatte sich weißlich auf dem Mantelstoff abgesetzt. Mit dem bloßen Finger zeichnete das Kind in das Weiße, verlor sich für eine kleine Weile in Linien und Kreisen. Dann zog es die Handschuhe wieder an, griff nach den Lederriemen, an denen die Schlittschuhe hingen, und setzte seinen Weg fort, vorbei an Häusern, in denen schon mittags die Lampen eingeschaltet waren, hinein in einen Tag, an dem es nicht hell werden würde.

Als es sich dem See näherte, drangen Rufe und Lachen in die Welt des Kindes. Es stellte sich an das Ufer, dort, wo die Schlittschuh laufenden Kinder vom Eis auf das Ufer sprangen. Laute Sprünge zurück auf das Eis. Das Kind beobachtete konzentriert, durch die Reiffahnen des Atems sah sie die Tobenden, Lachenden auf der Mitte des Sees. Schwünge, schnelle Bewegung der Körper auf dem Eis. Die Lederriemen mit den metallenen Kufen hielt das Kind an den Körper gepresst.

Das Kind entfernt sich, geht am Ufer entlang, dorthin, wo die Büsche dichter werden, der Schilfgürtel breiter. Es hockt sich, zieht die Handschuhe aus, legt die metallenen Schlittschuhe vor sich. Mit dem Schlüssel lockert es die Schrauben, schiebt die Kufen zusammen, so dass sie unter die Schuhe passen würden. Die Halter seitlich der Kufen schiebt es enger, stellt die Schrauben fest, prüft, stellt einen Fuß hinein, ohne die Kufen an den Schuhen zu befestigen. Unschlüssig schaut das Kind zu der entfernteren Uferstelle, dort wäre sicheres Übergleiten vom Ufer zum Eis. Mit vorsichtigen Schritten tastet es sich durch die Weidenbüsche an den Ufersaum. Einsinkender Schuh, schaumiges Geräusch quellenden Eises. Das Kind tritt erschrocken zurück. Tastet wieder zwischen Schilf und Gebüsch, ahnt die Gefahr dieses gelbgräulichen Sumpfes im Schilf.

Durch das graue Schilf hindurch auf dem Eis sieht das Kind eine bunte Mütze, fröhliche Zöpfe unter einer bunten Mütze. Es hört kratzende Kufen auf hohlem Eis, sieht das Kind mit der bunten Mütze, draußen, vor dem Schilf auf dem Eis. Zöpfe und Arme schwenken in froher Fahrt auf den gelbgräulichen Sumpf im Schilf zu. Das Toben und Lachen der Kinder fern auf dem See frieren zusammen zu einem Klang, der sich um das Kind am Ufer legt, eng, einer Wand gleich, aus der es keinen Schritt hinaus gibt, kein warnendes Rufen hinaus dringt. Nur der Blick geht hinaus, hin zu der bunten Mütze und den fröhlichen Zöpfen, die jetzt in das Schilf hineingleiten. Die Kufen kratzen nicht mehr auf dem Eis, nur der aufquellende Sumpf des Ufereises ist hörbar, dann Stille.

Das Kind steht reglos, starrt in das Schilf. Unbeweglich steht es, den Oberkörper zum See hin geneigt, als wolle es auf das Schilf zugehen. Dann beginnt es unschlüssig auf der Stelle zu treten, unruhige Füße. Heftiger tritt das Kind sich drehend in Schlamm und Eis, verharrt unvermittelt einen Augenblick, bückt sich. Seine Hände greifen nach den grauen Handschuhen, es nimmt sie auf, wendet sich ab und geht mit kurzen, heftigen Schritten fort von Ufer und See zurück in den Tag, der nicht hell werden wird.

Am Ufersaum des Sees liegen Schlittschuhe mit Lederriemen.

Tauben am Fenster und andere Geschichten

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