Читать книгу Eine neue Göttin für Myan - Sigrid Jamnig - Страница 6

Kapitel 3

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Ally lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie war vor ungefähr einer Stunde von Myan zurückgekommen. Gerade war sie noch ein ganz normales Mädchen gewesen, und jetzt sollte sie eine Göttin sein. Trotz der Geschehnisse konnte Ally das Gefühl, dass es sich nur um einen Traum handeln konnte, nicht abschütteln. Wie sollte sie nur glauben, dass dies alles tatsächlich passierte?

Draußen wurde es langsam dunkel. Lange Schatten zogen sich über die Zimmerdecke. In der Glastür ihres fünftürigen Kleiderschranks spiegelte und funkelte das Licht der Straßenlaterne. Das Wohnzimmer hatte genau so ausgesehen, wie sie es verlassen hatte. Die Tabletten und der die Flasche Wodka hatten noch an genau derselben Stelle am Couchtisch gestanden. Daraufhin hatte Ally die Sachen wieder zusammengesammelt und zurück in den Schrank gepackt.

Die Schicksalsgöttinnen hatten ihr gesagt, dass die Sammlung sehr schwer zu deuten war. Vielleicht handelte es sich ja um einen Irrtum. Nachdem sie die Sachen zurück in den Kasten gegeben hatte, hatte sie sich in ihrem kleinen Schlafzimmer auf das Bett gelegt. Es hörte sich alles einfach so unglaublich an. Sie sollte Magie anwenden können? Ally setzte sich in ihrem Bett auf. Sie fixierte eine Tür ihres Kleiderschranks, welcher direkt gegenüber von ihrem Bett stand. ‚Geh auf!’ Ally versuchte sich darauf zu konzentrieren, die Tür zu öffnen, aber es fühlte sich genauso an wie all die anderen Versuche, welche jeder irgendwann unternahm, wenn man keine Lust hatte aufzustehen und die Fernbedienung zu holen. Es passierte genauso viel: nämlich gar nichts. Ally konnte sich nicht vorstellen, jemals Magie anzuwenden. ‚Geh auf!!’ Da Ally genug Fantasyromane gelesen hatte, versuchte sie, wie in einigen davon beschrieben, ihren Geist zu leeren und tief in sich hineinzuhören. Aber dennoch rührte sich die Tür nicht. Nicht einmal ein kleines Wackeln.

In diesem Moment klangen die Töne von I'm a survivor durch den Raum. Ihr Wecker! Eigentlich eher eine Erinnerung daran, dass die Probe des Kirchenchors in einer halben Stunde stattfinden würde. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie die Probe heute vielleicht ausfallen lassen sollte, aber dann dachte sie, dass es ihr wahrscheinlich helfen würde, wieder Zugang zur Realität zu erhalten und vielleicht dieses Traumgefühl abzuschütteln. Also stand sie auf und ging ins Bad, wo sie sich das Gesicht wusch und die Haare kämmte. Dann zog sie sich ihre schwarzen Nike-Schuhe an, nahm ihre Jeansjacke und die Handtasche und verließ die Wohnung.

Die Kirche war nur wenige Minuten von ihrer Wohnung entfernt. Ally wusste, dass sie etwas zu früh kommen würde.

Sie konnte die große neugotische Kirche bereits von Weitem sehen. Vorne neben dem Haupteingangstor befanden sich zwei große Türme aus schwarz-rot-braunen Steinen mit hohen abgerundeten Fenstern. In der Mitte gab es eine Kuppel mit einem weiteren Turm und einem grünlichen Dach. Die Kirche umgab ein grau gepflasterter Platz mit dazwischen liegenden Beeten, auf denen Frühlingsblumen wuchsen – passend zu diesem warmen Mai. Auf den zahlreichen Parkbänken saßen mehrere Menschen: ältere Herren, junge Mütter mit Kindern und auch Teenager. Wirkliche Kinderspielgeräte gab es zwar nicht, aber dennoch hatten die Kinder Spaß mit den in den Boden geschraubten sich drehenden Metallkugeln. Ally konnte sich nicht vorstellen, wozu diese Kugeln eigentlich gut waren.

Weiters gab es noch sechs Laubbäume in unterschiedlicher Größe. Welche Art Baum konnte Ally nicht sagen, sie hatte für so etwas einfach kein Auge. Um den größten Baum waren Bänke im Kreis aufgestellt. Der Baum befand sich in der Mitte eines runden sandigen Bereichs ohne Pflastersteine. Die restlichen Bänke standen neben den umzäunten Blumenbeeten auf der anderen Seite der Kirche. Im hinteren Teil der Kirche gab es viele Gebäudeteile mit steilen rötlichen Dächern. Um die Kuppel herum befanden sind noch viele kleinere Türmchen.

Ally umrundete die Kirche und betrat das Gebäude durch den Haupteingang. Es blätterte bereits Holz vom Rahmen ab. An der Tür hingen Plakate, welche auf die Zeiten für die Messen hinwiesen. Im Inneren war ein kleiner Bereich mit einer Glaswand von der restlichen Kirche abgetrennt. Rechts und links führten Türen in die Kirche. Ally betrat die Kirche durch die linke Schleuse, wo ein Tisch mit diversen Prospekten stand, welche die Kirche und humanitäre Aktionen betrafen.

Ganz vorne befanden sich zwei Reihen mit einfachen miteinander verbundenen Holzbänken. Der Hauptaltar war ein einfacher Tisch mit weißem Tuch und mehreren Kerzen in hohen Kerzenständern.

Neben dem Hauptaltar hatten sich bereits die anderen Mitglieder des Kirchenchors versammelt. Der Chor bestand aus zehn Personen und wurde von Teresa Konrad geleitet. Die ältere Frau war mit Herz und Seele bei der Sache. Nach Allys Meinung nahm sie den Chor manchmal auch etwas zu ernst.

Teresa kam auf sie zu. Ihre kurzen dunklen Haare waren von silbernen Strähnen durchzogen.

„Alyssa!“, sagte sie fröhlich, als Ally sich langsam näherte. „Ich möchte dir jemanden vorstellen!“

Erst jetzt fiel ihr auf, dass jemand neues unter den Mitgliedern zu sein schien. Zuerst dachte Ally, dass es sich um einen Neuzugang zum Chor handeln würde, aber dann bemerkte sie den charakteristischen weißen Krageneinsatz am schwarzen Hemd, das der Mann trug. Es musste also der neue Priester sein. Vor Wochen wurde bereits angekündigt, dass ein neuer Priester in diese Gemeinde kommen würde. Der Mann war viel jünger als sein Vorgänger. Er wäre frisch vom Priesterseminar, so hieß es.

„Das ist Christopher Baily!“, sagte Teresa. Herr Baily hat kurze dunkelbraune Haare und ebensolche Augen. Er war attraktiv. ‚Eine Verschwendung an die Kirche’, würde ihre Schwester Sira sagen. Er lächelte, als er sich zu Ally drehte. Instinktiv lächelte sie zurück.

„Hallo, ich heiße Alyssa Sullivan“, stellte sie sich vor. Sie streckte ihre Hand hin. Als er diese ergriff, um sie zu schütteln, trafen sich ihre Augen. Es kribbelte in ihrer Hand. Ally wurde warm, während sie in seine sanften Augen blickte.

„Freut mich, Sie kennenzulernen!“, erwiderte Herr Baily. Dann hatte er ihre Hand auch schon wieder losgelassen. Als nächstes drängte sich bei Ally das Gefühl auf, unbedingt nach Hause gehen zu wollen. Das Gefühl bekam sie immer, wenn sie jemand neues kennenlernte. Vor allem Männer. Ally spürte, etwas sagen zu müssen, wusste aber beim besten Willen nicht, was.

„Singen Sie schon lange beim Chor?“, fragte Herr Baily. Ally hätte diese Frage beinahe nicht mitbekommen.

„Seit ich vor vier Jahren nach Wien gezogen bin!“ Sie hatte das Gefühl, als würde ihre Stimme zittern. „Ich komme ursprünglich aus Kärnten!“ Sie versuchte, diese Gefühle abzuschütteln, aber es schien nicht zu funktionieren.

„Ich war auch schon mal in Kärnten. Woher kommen Sie genau?“

„Völkermarkt, das ist in der Nähe von Klagenfurt!“

Bevor noch jemand etwas sagen konnte, trat Teresa wieder zu ihnen. „Wir sollten mit der Probe anfangen, Alyssa.“ Ally wandte sich zu ihr um. „Ja“, sagte sie schlicht und ging zu den anderen hinüber, um auch sie zu begrüßen. Herr Baily verabschiedete sich von ihnen und entfernte sich, um sich weiter in der Kirche umzusehen. Wahrscheinlich war er erst vor kurzem angekommen.

Teresa kam zu ihnen. „Wir fangen mit ‚Großer Gott, wir loben dich’ an!“

Ally konnte die Gefühle nicht so recht einordnen, aber sie fühlte sich eindeutig zu diesem neuen Priester hingezogen. Diese Gefühle zu haben, war so etwas von falsch, und sie hatte keine Ahnung, wo das hinführen würde.

Eine neue Göttin für Myan

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