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Kapitel 1: Der Anruf

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Suche für meinen Ex, 52 Jahre, Nichtraucher, ehrlich und verantwortungsbewusst, eine Frau fürs Leben. Sie sollte zwischen 45 und 55 Jahre alt sein, häuslich und liebevoll. Gerne auch mit Kindern. Bitte nur ernstgemeinte Zuschriften. Jede Zuschrift wird beantwortet.

„Wie teuer ist das?“, frage ich empört.

„Wir berechnen unsere Preise nach Anzahl Wörter beziehungsweise nach Zeichen.“ Die Dame am anderen Ende der Leitung bleibt auch nach meinem Ausbruch gelassen und freundlich. „Ich schlage Ihnen vor, wir kürzen den Text, dann wird es für Sie günstiger.“

Was soll man da kürzen, denke ich. Ich hab schon nur wenig in den Text gepackt, zu wenig, meine ich, aber die Dame spricht unbeirrt weiter.

„Wir können zum Beispiel den Nichtraucher abkürzen, das wird dann immer noch verstanden. Die Adjektive können wir auch kürzen, soll ich mal?“, fragt sie. Ich höre sie auf ihrer Tastatur tippen, und nach wenigen Sekunden sagt sie: „Also: Suche für meinen Ex, 52, Nichtr., ehrl. u. verantwortungsbew., Frau fürs Leben, zw. 45 u. 55, häusl., liebev., gerne m. Kindern. Nur ernstgem. Zuschr., alle werden beantw.. Das sind jetzt noch 172 Zeichen beziehungsweise 27 Wörter, vorher waren das 266 Zeichen und 38 Wörter.“

„Klingt verstümmelt“, sage ich. „Und wie teuer ist das jetzt?“

Sie nennt den Preis, und ich überlege, ob der Text vielleicht nicht doch noch ein bisschen zu lang ist. Schließlich geht mein Ex-Mann Holger auch sehr verantwortungsbewusst mit seinem Geld um, und ich sollte das mit meinem auch tun, denke ich. Mir wird ja schließlich auch kein Euro geschenkt.

„Kann man noch was kürzen?“, frage ich deshalb. Die grundsätzliche Frage, ob er mir das wirklich wert ist, hatte ich für mich bereits vor einigen Tagen mit einem „Ja“ beantwortet, denn es geht ja schließlich nicht nur um sein Wohlbefinden, sondern auch um meines.

„Jaah, mal sehen“, sagt die freundliche Dame geduldig. Sie scheint an Kunden wie mich gewöhnt zu sein. Einen Augenblick später spricht sie: „Suche für meinen Ex, 52, Nichtr., ehrl., verantwortungsbew., Partn. ab 45, häusl., liebev., gerne m. Kind. Nur ernstgem. Zuschr.. 19 Wörter, 128 Zeichen. Ich glaube, kürzer kriegen wir es nicht hin.“

„Wie ist das, schicken die Frauen wohl ein Foto mit?“, möchte ich wissen.

„Das weiß ich nicht. Wir können die Bitte um ein Foto natürlich in den Text aufnehmen.“

„Nein danke, nicht nötig“, sage ich rasch und bestelle die Kontaktanzeige für die Samstagsausgabe unserer örtlichen Tageszeitung.

Ein paar Stunden lang habe ich mich an meiner genialen Idee, für meinen geschiedenen Mann eine neue Frau zu suchen, erfreut. Anders gesagt: Ich bin stolz auf mich, diesen klugen Schritt getan zu haben. Seit ich ihn verlassen habe (und dafür gab es gute Gründe), ist er allein. Es sind nun schon acht Jahre vergangen, aber er scheint überhaupt nichts zu unternehmen, um jemanden neues kennenzulernen. Er geht nicht aus, gönnt sich keine Abwechslung (habe ich von den Kindern gehört, die ihn natürlich besuchen, wenn sie nach Hause kommen).

Ich würde mich für ihn freuen, wenn er jemanden kennenlernt. Allein, das passiert einfach nicht.

Ich habe den Verdacht, dass er mich mit seiner Passivität ärgern will. Die hat etwas Anklagendes, so nach dem Motto: Du hast mich verlassen und hast deinen Spaß, und mir bleibt nichts außer der Arbeit.

Vielleicht bin ich jetzt ungerecht, denn er war schon immer häuslich. Und natürlich hat er das nicht wörtlich gesagt, aber bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen wir uns seit unserer Scheidung begegnet sind, spricht sein Blick Bände. Und der Blick sagt immer das Gleiche und spricht von meiner Schuld.

Mich ärgert das maßlos, denn zu einer gescheiterten Ehe gehören immer zwei (meine ich). Mir hat es gut getan, eigene Wege zu gehen, und ich bin sicher, das Leben hat auch ihm viel zu bieten.

Ich frage mich, wieso ich mich nach all den Jahren immer noch so sehr an seinem vorwurfsvollen Blick störe. Meine Baustelle ist das doch nicht mehr! Aber wenn ich ehrlich bin, also wirklich ganz ehrlich zu mir selbst, dann muss ich sagen: Ja, ich habe ein schlechtes Gewissen. Mir geht es nämlich richtig gut, und wenn es auch ihm richtig gut ginge, dann wäre doch für uns beide alles in Ordnung.

Deshalb die Idee mit der Kontaktanzeige, die er, sparsam und verantwortungsbewusst wie er ist, nie selbst aufgeben würde.

Ich rufe meine beste Freundin Marie an, um ihr von meiner tollen Aktion zu berichten.

„Was hast du gemacht?“ Ihre Stimme klingt entgeistert.

Obwohl ich denke, dass ich das Richtige getan habe, bin ich jetzt ein bisschen verunsichert.

„Sag mal, Ricarda, was denkst du dir eigentlich dabei? Ist doch ein bisschen viel Einmischung in Holgers Leben, meinst du nicht?“

Obwohl ich dachte, dass ich das Richtige getan habe, bin ich jetzt sehr verunsichert. Ich muss schwer schlucken.

„Na ja“, sage ich. „Stimmt schon, aber… Du weißt doch, wie schlecht er immer in die Hufe kommt… Also, ich glaube, die Idee war gut.“

Marie schweigt. Marie schweigt anklagend. Das höre ich durch das Telefon. Dann sagt sie: „Das Beste für Holger und dich ist doch, dass jeder sein Ding macht.“

„Ja aber er macht nicht sein Ding!“

„Das behauptest du! Vielleicht ist das ja sein Ding, so, wie er jetzt lebt. Vielleicht will er es nicht anders. Vielleicht…“

„Ist doch Quatsch!“, unterbreche ich sie. „Wenn das sein Ding wäre, dann wäre er viel zufriedener. Viel ausgeglichener. Entspannter.“

„Vielleicht ist er ja entspannt“, meint Marie, „wenn du nicht da bist. Das kann doch sein. Ich meine, du hast ihn verlassen! Du hast ihn verletzt! Was erwartest du? Dass er dir dafür um den Hals fällt?“

Ich hatte bis jetzt Marie auf meiner Seite geglaubt. Habe ich mich so sehr in ihr getäuscht? Oder noch schlimmer: Habe ich so falsch gehandelt, falsch gedacht, falsch empfunden? Gibt es überhaupt etwas in meinem Leben, das ich richtig gemacht habe? Meine Gedanken laufen komplett aus dem Ruder. Sie laufen Amok!

Ich frage mich: Habe ich der Menschheit Leid zugefügt? Wie kann ich es wieder gut machen? Ich werde in der Hölle schmoren! Ich muss noch einmal schwer schlucken, als mir mein Schicksal bewusst wird. Automatisch gehe ich in den Verteidigungsmodus.

„Jetzt mach aber mal halblang“, sage ich entschiedener, als ich mich fühle. „Die Briefe gehen doch an mich, nicht an ihn. Holger weiß doch gar nichts davon. Es ist doch noch gar nichts passiert.“

„Ja, aber genau das macht mir Sorgen: Dass irgendwas passiert, wenn du dich einmischst“, sagt Marie.

Ich höre, wie sie tief Luft holt.

„Ich meine das nicht böse!“, sagt sie. „Es war richtig, dass ihr euch getrennt habt, aber ich finde, du musst Holger sein Leben leben lassen. Du darfst dich nicht einmischen. Du willst bestimmt auch nicht, dass er das bei dir tut.“

„Ach er mischt doch überhaupt nicht, nicht für sich und nicht für andere“, sage ich.

„Ja, aber das war schon immer so, und deswegen bist du gegangen“, sagt Marie. „Und das war richtig. Aber wenn Holger was anderes machen soll, dann muss er das selbst wollen. Das ist nicht in deiner Verantwortung.“

Ich bin ein bisschen erleichtert, weil es anscheinend doch etwas gibt, das ich richtig gemacht habe. Außerdem war die Annonce gut gemeint, ich will ihm nichts Böses.

Marie versteht das, denn sie sagt: „Ich weiß, du meinst es gut.“

„Ich habe einfach das Gefühl, dass Holger nicht glücklich ist“, sage ich.

„Ja, Ricarda, aber es liegt nicht an dir, ihn glücklich zu machen. Mit deinem schlechten Gewissen, das du hast, musst du anders klarkommen.“ Und sie fügt hinzu: „Du musst kein schlechtes Gewissen haben. Die Dinge sind so, wie sie sind.“

Marie hat Recht, aber dennoch weiß ich (ich weiß es einfach!), dass diese Kontaktanzeige sein muss. Sie wird ein Schritt nach vorne sein, für Holger, und für mich auch, denn ich denke, Holger braucht nur einen kleinen Schubs, und dann kann er endlich sein Glück finden. Vielleicht schafft er es dann sogar, dass er wieder mit mir reden kann.

Als Marie danach fragt, was ich mit den Zuschriften machen werde, sie Holger offiziell überreichen oder sie ihm einfach in den Briefkasten stecken, wird mir klar, dass ich keinen richtigen Plan dazu habe. Bis jetzt hatte ich nur daran gedacht, sie bei der Zeitung abzuholen, und vielleicht auch selbst einen Blick reinzuwerfen.

Zum Glück haben wir die Zusage, jede Zuschrift zu beantworten, gestrichen, denke ich. Die, die sich melden, werden nicht unbedingt mit einer Antwort rechnen. Ach, vielleicht lasse ich es ganz bleiben und werfe die Zuschriften, falls überhaupt welche kommen, gleich in den Müll. Das Ganze läuft über Chiffre, also wird niemand wissen, wer die Anzeige geschaltet hat. Und überhaupt, wahrscheinlich wird sich sowieso niemand melden, wenn eine Frau für ihren Ex eine Anzeige aufgibt.

„Du hältst mich aber auf dem Laufenden“, sagt Marie abschließend. Sie besteht darauf, zu erfahren, wie viele Antworten ich erhalte.

Nanu, denke ich, sie ist aber doch ganz schön neugierig.

„Also, ich muss zugeben, ein bisschen spannend ist das schon“, gibt sie zu.

Eigentlich eine gute Idee

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