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Kapital 3: Ich brauche eine Strategie

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Ich habe die Gardinen meines Schlafzimmerfensters zurückgezogen und stelle fest, dass draußen grauenhaft gutes Wetter ist. Sonne, blauer Himmel, und irgendsoein bescheuerter Vogel trällert sich durch fünf Oktaven.

Ich erinnere mich, dass ich heute nicht zur Arbeit gehen muss. Ist heute Samstag? Oder Sonntag? Habe ich Urlaub? Egal. Auf dem Weg ins Badezimmer frage ich mich, warum mein linkes Bein schmerzt. Muskelkater ist es nicht.

Ich habe unglaublichen Durst, deshalb halte ich mich nicht lange mit der Morgenwäsche auf. Ich gehe in die Küche und setze Wasser für den Tee auf. Heute werde ich die große Kanne nehmen, denn ich habe wirklich unglaublichen (!!) Durst.

Die Küche ist nicht aufgeräumt. Es stehen Gläser auf dem Tisch, ein Stuhl ist umgefallen, und es liegen irgendwelche Papiere auf Tisch und Boden. Ich erinnere mich, dass Marie hier war. Mehr fällt mir zu dem Abend erst mal nicht ein.

Als ich mich bücke, um den Stuhl wieder hinzustellen, spüre ich wieder mein Bein. Muskelkater ist das wirklich nicht. Es fühlt sich komisch an. Und meinen Kopf spüre ich auch. Was ist passiert?

Ich sammele die Papiere auf und stelle fest, dass es Briefe sind. Fünf Frauen (ich kenne keine von ihnen) haben mir geschrieben und wollen meinen Ex-Mann kennenlernen. Den Bruchteil einer Sekunde denke ich: Was wollen die von Holger? Woher kennen die ihn? Was wollen die von mir? Und dann fällt mir ein, dass ich vor ein paar Tagen eine Kontaktanzeige für Holger aufgegeben habe. Und ganz langsam tröpfelt der gestrige Abend mit Marie in meine Erinnerung. Wir haben die Antwortbriefe gelesen.

Erinnern tut meinem Kopf weh, deshalb setze ich mich erst einmal auf den Balkon und trinke einen großen Becher Tee, ehe ich zulasse, dass sich die Details des Geschehens aus meinem Gehirn zurückmelden.

Ja, Marie war hier, und wir haben uns mit diesen Briefen befasst. Und wir haben darüber nachgedacht, welche dieser Frauen wohl am besten zu Holger passen würde. Und dann haben wir darüber gesprochen, dass ich die Frauen treffen soll. Oder nicht? Ich erinnere mich, dass Marie eine Strategie entwickelt hat, wie ich vorgehen kann. Und hatte sie mir nicht noch einen guten Steuerberater genannt? Keine Ahnung. Ich muss sie nachher mal anrufen, denke ich.

Aber wir haben uns nicht nur mit den Briefen beschäftigt. In der Küche finde ich die Flasche Calvados, die Marie mitgebracht hat. Es ist nicht viel drin, stelle ich fest. Ich staune, als ich auf der Arbeitsplatte der Küche die Reste des Verschlusses finde: Marie hatte die Flasche ungeöffnet mitgebracht.

Ich erinnere mich, dass wir, nachdem wir unsere Strategie entwickelt hatten, gemeint hatten, wir bräuchten ein bisschen körperliche Aktivität zum Ausgleich nach der intensiven Denkarbeit. Und jetzt weiß ich wieder, dass ich Marie gezeigt habe, wie gelenkig ich noch bin: Ich habe ihr vorgeführt, dass ich meinen linken großen Zeh noch in den Mund stecken kann. Sie kann das übrigens nicht. Marie hat mir dann eine Yoga-Übung gezeigt, den verknoteten Irgendwas. Und Marie hat mir einen Kopfstand gezeigt, glaube ich. Vielleicht sollte ich mal bei ihr anrufen und mich erkundigen, ob es ihr gut geht.

Ich nehme das Telefon und wähle ihre Nummer. Sie meldet sich nicht, auch nicht nach zwanzigmal klingeln lassen. Ich mache mir Sorgen. Sollte ich beim Krankenhaus in der Notaufnahme anrufen? Oder vielleicht gleich beim Bestatter?

Ich schließe erst mal die Küchentür hinter mir und lege mich für den Rest des Vormittags wieder ins Bett.

Es ist später Nachmittag. So lange es ging, habe ich mich um die unangenehme Arbeit gedrückt: Das Sortieren der Bilder, die nach Maries und meinem nächtlichen Gelage nicht mehr eindeutig den dazugehörigen Briefen zuzuordnen sind. Nun geht es nicht mehr anders, ich muss ran.

Ich fange bei einem Brief an, den eine gewisse G. geschrieben hat. Ich erinnere mich: Da war kein Foto dabei. Der dazugehörige Umschlag ist leicht auszumachen, Brief ins Kuvert, erledigt.

Dann habe ich einen Brief von Ina in der Hand. Grundschullehrerin, wandert gern, ist musikalisch, schreibt sie. Welches Foto passt dazu? Ich krame in den Fotos und finde eines von einer verteufelt hübschen Frau, die ziemlich jung aussieht. Kann das passen? Hat Deutschland so hübsche Lehrerinnen? Ina hat ihr Alter nicht genannt, wie ich feststelle. Ich finde noch ein Foto, die gleiche Frau in einem Sommerkleid. Die Figur lässt bestimmt jedem Mann den Atem stocken. Nein, irgendwas sagt mir, dass das nicht Ina ist. Das gehört zu einem anderen Brief. Ich suche und werde fündig. Svetlana aus der Ukraine. Ich erinnere mich, dass ich die Frau für ungeeignet halte, meinen Ex-Mann glücklich zu machen. Obwohl - Marie hat das gestern irgendwie anders gesehen, glaube ich.

Ich bin jetzt relativ guter Dinge, da ich bereits zwei Briefe dem mitgeschickten Bildmaterial richtig zugeordnet habe. Ich finde ein Bild mit einer unspektakulären Frau so um die fünfzig, warme Augen, sieht nett aus, macht aber nicht viel her. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie die Lehrerin ist.

Ich durchwühle die Fotos zur Sicherheit und finde zwei Bilder einer anderen Frau, eines davon auf einem Berggipfel aufgenommen. Die Frau mit den warmen Augen sieht eigentlich nicht so sportlich aus, wie Ina sich beschreibt, denke ich. Also scheint die Gipfelstürmerin Ina zu sein. Ich kann mich mit ihrem Konterfei nicht anfreunden, und ich erinnere mich an gestern Nachmittag, da war das auch schon so.

Bleiben noch zwei Briefe und zwei Fotos. Ich entscheide, dass die unspektakuläre Frau mit dem warmen Blick Annette ist, die Verwaltungsfachkraft. Und die andere mit dem ordentlichen Haarschnitt, die nichts über einen Beruf schreibt, muss dann Brigitte sein. Sicher eine ordentliche Hausfrau. Die könnte Holger gefallen, mutmaße ich, zumindest ihr Ordnungssinn.

Nun, da ich diese Arbeit erfolgreich abgeschlossen habe, gönne ich mir wieder eine Tasse Tee. Was ist wohl aus Marie geworden, frage ich mich. Ich will gerade zum Hörer greifen, um sie anzurufen, da klingelt das Telefon.

„Na, wie geht es dir? Hast du den Abend überlebt?“, fragt Marie. Sie hat heute lange im Bett gelegen und sie hatte Kopfschmerzen, sagt sie. Aber jetzt geht es wieder, sie fühlt sich besser, sagt sie, obwohl mich der Klang ihrer Stimme nicht ganz davon überzeugen kann. Und dann kommt sie zur Sache: „Hast du dir schon überlegt, was du mit den Briefen machst?“

Ich erkläre ihr, dass ich die Briefe und Bilder sortiert habe, was kein ganz leichtes Unterfangen war, nach dem gestrigen Abend.

„Ja, gut, aber was machst du jetzt damit?“, fragt sie hartnäckig.

Ich habe keine Ahnung. Ich hasse es, wenn Marie mich so unter Druck setzt. Sie fährt fort: „Du wirst dir ja inzwischen was überlegt haben.“

Nein, habe ich nicht, aber das kann ich nicht zugeben. Ich hasse Marie!Warum hat sie keine Kopfschmerzen mehr? Mir geht es noch nicht wieder so gut, als dass ich einen Plan hätte fassen können.

„Ich werde die Frauen anrufen“, behaupte ich einfach, nur um was zu sagen.

„Hast du denn ihre Telefonnummern?“

Ich habe keine Ahnung, ob ich ihre Telefonnummern habe. Ich habe gar nicht drauf geachtet, nicht mal, ob sie ihre Adressen angegeben haben. Obwohl, das wäre cool: Ich stelle mir vor, sie haben die Adressen vergessen, und ich muss die Briefe wegwerfen. Kann ich dann von der Zeitung das Geld für die Anzeige zurückfordern?

„Natürlich habe ich die Telefonnummern“, lüge ich. „Das sind vielleicht keine Traumfrauen, aber blöd sind die nicht.“

„Ja ja, ist ja gut“, sagt Marie. „Reg, dich bloß nicht auf!“

Also, wenn Marie so weitermacht und mich zum Lügen nötigt, dann wird das rabenschwarze Schatten auf unsere Freundschaft werfen.

„Und was willst dann machen, wenn du sie anrufst?“

„Och Mensch, Marie, was drängelst du denn so? Ich weiß das doch jetzt noch nicht. Ich kann ja mal sehen, wie die so am Telefon rüberkommen. Wenn eine Nette dabei ist, dann kann ich mich ja mit ihr treffen.“

Marie schweigt, und ich höre heraus, dass sie sich die Situation irgendwie nicht vorstellen kann.

„Ja, das ist schon ein bisschen komisch, sich mit Frauen zu treffen, an die man den Ex verkuppeln will“, gebe ich zu. „Aber jetzt habe ich mich schon so weit aus dem Fenster gelehnt…“ Ich breche den Satz ab, denn die Vorstellung, was nach dem Herauslehnen kommt, behagt mir nicht.

„Also, was ich sagen will ist eigentlich, jetzt bin ich schon soweit mit der Sache, da wäre das blöd, jetzt aufzuhören.“

Marie schweigt immer noch.

„Bist du noch da?“

„Hmmh“, sagt sie. „Ich weiß nicht, ob die Idee so gut ist.“ Und dann (es klingt etwas gepresst): „Du, sei nicht böse. Mir ging es schon den ganzen Tag nicht so gut, und ich glaube, ich muss jetzt ganz …schnell…auflegen…“

Die Leitung ist tot. Mir drängt sich ein Bild von Marie auf, das ich mit dem Gedanken an rosa Elefanten aus meinem Gehirn zu verbannen versuche.

Und wie gehe ich nun vor?, frage ich mich. Was soll ich machen? Ich kann Holger nicht die geöffneten Briefe geben! Wie sähe das aus?!

Also gut. Ich schaue nach, finde von allen Frauen die Kontaktdaten: Adressen, Telefonnummern, bei G. finde ich eine E-Mail-Adresse. Ganz schön leichtsinnig, diese Damen, denke ich. Was, wenn ich ein Stalker wäre? In ihren Briefen haben sie einiges von sich erzählt. Man könnte das ausnutzen, mißbrauchen. Andererseits: Wenn man den Partner fürs Leben sucht, dann muss man vertrauen, und man muss Dinge von sich preisgeben, sonst wird das nichts.

Ich möchte so schnell wie möglich aus der Nummer herauskommen, deshalb gehe ich die Sache jetzt systematisch an. Ich brauche eine Stunde, um im „Manual“ meiner Telefonanlage (ich kann zwischen Koreanisch, Spanisch, Russisch und Englisch wählen) herauszufinden, wie ich in meinem Telefon die Rufnummernunterdrückung aktiviere. Und morgen werde ich mit allen Frauen Termine machen, am besten in der kommenden Woche, jeden Tag eine. Ich fange mit Ina an.

Eigentlich eine gute Idee

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