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Leben ist im kleinsten Haufen

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Tiere mag ich sehr, meinen Hund und meine Katze, klar. Aber auch wilde Tiere: Spinnen und Florfliegen eskortiere ich im Marmeladenglas aus der Wohnung, ich kann stundenlang im Garten sitzen und Hummeln oder Ameisen beobachten und wer mich belauscht, hört, dass ich mit den Amseln und dem Zaunkönig rede oder auch mal mit einem dicken, grünen Rosenkäfer.

Viel mehr, als meine Wildtiere einfach nur zu mögen, schien mir lange Zeit nicht möglich. Ich habe wenig Zeit für Gartenarbeit. Mein kleines grünes Außenzimmer mit allerlei Kugeln, Hotels und Häuschen aufzumöbeln, ist mir nie wirklich in den Sinn gekommen. Der einzige Nistkasten in meinem Garten war mal Covermodell auf einem meiner Bücher und hat nach den Fotoaufnahmen bei mir eine Bleibe gefunden. Trotz der fehlenden Nisthilfen mögen Tiere meinen Garten, was nicht daran liegen kann, dass ich mit ihnen rede. Aber sie mögen meine Unordnung und die wenige Zeit, die ich habe. Zum Beispiel stehen in meinem Garten immer irgendwo bepflanzte Blumentöpfe. Weil es schön aussieht, ich sie geschenkt bekommen habe oder weil ich so per Blumentopfmethode Samen im Garten verteilen möchte, ohne Arbeit zu haben. Oft vergesse ich diese Töpfe und wenn ich dann doch mal aufräume, finde ich dort einen kleinen Ameisenstaat, der darin seinen Haufen eingerichtet hat. Ohrwürmerfamilien blinzeln ins Licht, wenn ich den Erdballen wegziehe, und unter dem Topf rennen Asseln jeden Alters hektisch durcheinander, um wieder irgendwo Deckung zu finden. Unter den großen Blumentöpfen leben Tigerschnegel …

Platz ist im kleinsten Haufen, der sich aus Zufall irgendwo bildet, und wenn es eine Ansammlung kaputter Tontöpfe ist, die hinter dem Gewächshaus auf den nächsten Anfall von Aufräumeifer wartet und bis dahin längst bewohnt sein wird. Irgendwann kam mir der Gedanke, was wäre erst in meinem Garten los, wenn es größere Haufen gäbe? Tierwohnungen zu schaffen, ohne zu hämmern, zu sägen und zu bohren, ohne lange Listen, kompliziertes Werkzeug und Baumarktbesuche – das war eine sehr verlockende Vorstellung.

Tatsächlich gibt es eine Menge Möglichkeiten, die ich Ihnen in diesem Buch gerne vorstellen möchte. Je nach Gartengröße ist Platz für Einzimmerwohnungen oder große Mehrfamilienhäuser. Die Arbeit ist technisch wenig aufwendig und erfordert mal mehr, mal weniger Muskelkraft. Das Baumaterial liefert der eigene Garten, bei größeren Projekten lässt es sich leicht besorgen. Fällt viel natürliches Baumaterial an, ist Tierwohnungsbau in Haufenform auch ein Beitrag zur Abfallvermeidung und Schaffung natürlicher Stoffkreisläufe. Noch dazu ist es viel einfacher, als regelmäßig zum Entsorgungshof zu fahren und für eine Extrafuhre Grünabfall auch noch Geld zu bezahlen.

Meine Tierliebe und meine Unordentlichkeit ergänzen sich so wunderbar. Aber ich bin auch Naturwissenschaftlerin. Und ich fing an, das Ganze systematisch zu betrachten: Welches Material, welcher Standort, welche Kombinationen werden welchen Tiere besonders gut gefallen? »Würden« muss es korrekterweise heißen, denn erst mal blieb es beim Gedankenspiel. Aber eines Tages stürzte nach einem Gewittersturm meine Ramblerrose um. Sie war so groß wie die Efeuhecke und hätte längst gestutzt werden müssen. Der erste Gedanke war: liegen lassen, die Unordnung zulassen, wie die Natur sie geschaffen hat, auch weil ich mich scheute, das halbtote Riesenwesen und die armdicken Rosenstiele zu beschneiden. Aber sie lag mitten auf dem Staudenbeet.

Also doch an die Arbeit: Sägen und zerschneiden, die dicken Stücke als Pfosten und Streben verwenden, das Kleinzeug als Füllung und damit etwas bauen, was jetzt mit der Zeit zu dem wird, was ich auf Seite 64 als Herbsthaufen beschreibe. Die Vögel waren sofort hellauf begeistert, ein bisschen Futter lässt sich hier immer finden, und das Rotkehlchen genießt vom Pfosten aus den weiten Blick übers Revier. Und auch ich bin sehr zufrieden. Der Haufen sieht schön aus und bietet fast mehr Möglichkeiten als die Situation zuvor. Die Rose ist ja nicht ganz tot, sie wächst wieder. Und aus dem, was kaputt gegangen ist, habe ich das Beste und Schönste für mich, den Garten und die Natur gemacht. Mein Recht als Gärtnerin. Vielleicht ein bisschen auch meine Pflicht. Die Natur sich selbst zu überlassen, dazu sind Gärten meist zu klein. Mit System möglichst viele neue Lebensräume entstehen zu lassen, das aber ist überall möglich, auch auf kleinstem Raum.

Es ist nicht nur möglich, sondern auch ziemlich nötig: Denn unsere wilden Tiere haben in den leer geräumten Kulturlandschaften Wohnungsnot und sie finden auch immer weniger zu fressen. Die Landwirtschaft braucht große Felder, die gut mit Maschinen zu befahren sind – Hecken stören da nur, »Unkraut« und »Ungeziefer« sowieso. Morsche Bäume mit Löchern und loser Rinde werden gefällt, weil sie unwirtschaftlich und gefährlich sind. Laub wird überall generalstabsmäßig weggesaugt, Ruinen werden abgerissen, die kleinste Lücke in Mauern und Dächern aus Wärmeschutzgründen verschlossen. Holzpfähle werden in Weinbergen und auf Viehweiden durch langlebigere aus Beton ersetzt.

Wenn es um Wohnungen geht, ist es bei Tieren nicht anders als bei uns Menschen: Wichtig ist die Lage: Wo ist die nächste Futterquelle, wie ist die Sicherheitslage, können hier Kinder gut aufwachsen? Einfach nur Nistkästen aufhängen oder einen Asthaufen anlegen wird deshalb kaum ein Tier anlocken, wenn der Garten ansonsten trist und gefährlich ist. Kiesflächen, Rasen, Thuja und Kirschlorbeer: Da nützt das schönste Tierhotel nichts. Deshalb kommt auch das Drumherum in diesem Buch nicht zu kurz, und wenn Sie nur ein bisschen von dem machen, was ohne viel Aufwand möglich ist, dann werden Sie sicher von Ihren Tieren zum Vermieter des Jahres gewählt.

Genauso wichtig wie das System des Haufenbaus ist mir die Unordnung. Wer nichts macht, macht selten etwas falsch. Und wenn Sie etwas bauen und gestalten, dann machen Sie es bitte richtig. Finden Wildbienen, Schmetterlinge, Vögel oder Igel bei Ihnen Nahrung und Unterschlupf, werden Sie für Ihre geplante Unordnung mit Naturerlebnissen belohnt.


Haufenweise Lebensräume

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