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Kapitel 1

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Unter dem wolkenlosen Himmel lag eine weitläufige Berglandschaft. Blaugrau ragten ihre Felsenmassive dem Himmel entgegen. Im Tal breitete sich ein dichter Birkenwald aus, durch den sich kleinere Flüsse schlängelten. An einem dieser Flüsse hatte sich ein kleines Volk niedergelassen. Es war das Volk der Birken. Sie nannten sich so, weil sie ihre Häuser inmitten von diesen Birken gebaut hatten. Sie waren ein fröhliches Elfenvolk bis zum heutigen Tag, der ihre Zukunft verändern sollte.

Eine kleine Gruppe der Dorfältesten saßen am frühen Morgen immer noch am Lagerfeuer, das sich inmitten des Dorfes befand. Lorin saß in sich gekehrt zwischen den Männern und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen auf den Bergen suchen. Wir müssen Zee finden. Irgendetwas hat ihn aus seinem Nest vertrieben – ich möchte nur wissen was?«

Lorin war ihr Oberhaupt und einer der kräftigsten Männer im Dorf. Er hatte eine Tochter, die als Kind ein Wildfang war und es sogar mit den älteren Jungen wie Seth und Golo aufnahm. Diara war flink und mutig. Sie war ein hübsches Elfenmädchen. Täglich streifte sie tagsüber nach dem morgendlichen Frühstück durch die Wälder. Zum Leidwesen ihres Vaters versuchte sie auch des Öfteren, allein auf den Berg hochzusteigen.

Odo der Weise sah Lorin fragend an.

»Wie stellst du es dir vor? Wie können wir feststellen, ob Zee nur vorübergehend aus unserer Umgebung verschwunden ist, oder womöglich tot ist, außer zu ihm hinauf zu steigen?«

Erschrocken sahen die Männer Odo an.

»Bei den Birken! Wie kommst du auf diesen dunklen Gedanken – dass Zee womöglich tot sei!«, entsetzte sich Lorin und die vier übrigen Elfen stimmten ihm zu. Odo zuckte mit der Schulter.

»Wieso, irgendwann holt jeden von uns der Tod. Vergesst nicht, Zee hat unsere Urgroßeltern schon beschützt. Er ist also schon ein alternder Vogel«.

Virgil senkte den Kopf und sah in das noch glimmende Lagerfeuer.

»Wie wir«, sagte er nachdenklich. Ein gedankenvolles Raunen breitete sich unter den Männern aus, bis sie in tiefes Schweigen fielen.

Während sie sprachlos vor dem Lagerfeuer saßen und nachdenkend hineinstarrten, erwachte in den kleinen Häusern das Leben. Die Fenster wurden geöffnet und fröhliches Lachen war zu hören.

Diara die Tochter Lorins kam aus der Hütte und blieb abrupt stehen, als sie die Männer am Lagerfeuer sitzen sah.

Die Stille die sie umgab, machte das Mädchen nachdenklich. Sie blieb stehen und sah wortlos zu den Männern hinüber.

Kurze Zeit später kamen Seth und Golo aus den angrenzenden Häusern. Sie waren die Söhne von Odo dem Weisen und Virgil dem Wächter. Sie sahen ihre Freundin wenige Schritte entfernt vor der Hütte stehen. Leise näherten sie sich und Seth zupfte sie am Ohr.

»Lass das!«

»Oh …, das Prinzesschen hat schlecht geschlafen?« Diara schüttelte den Kopf.

»Was ist passiert?«, flüsterte er. Diara zuckte die Schultern.

»Keine Ahnung, sie sitzen schon die ganze Zeit so da«.

Langsam kam Golo näher und horchte, was Diara sagte. Er fuhr sich mit der Hand durch sein schwarzes, glattes, schulterlanges Haar.

»Was ist los – warum schweigen sie?«, murmelte er.

»Lasst uns verschwinden, bevor sie uns sehen, sicher haben sie ein wichtiges Gespräch.«

Virgil der Wächter hob den Kopf und räusperte sich. Er deutete auf ihre drei Familienmitglieder, die wie angewurzelt dastanden und zu ihnen sahen.

»Sie sollten es wissen, schließlich geht es um ihre Zukunft«.

Alle drei Männer sahen nun zu den Jugendlichen und nickten. Lorin winkte sie herbei und sie setzten sich neben ihre Väter.

»Sicher ist euch schon aufgefallen, dass seit einigen Tagen Zee nicht mehr über unseren Köpfen kreist. Gestern sind Virgil und seine zwei Wächter auf den Berg zum Horst, des großen weißen Vogels. Mit Entsetzen mussten sie feststellen, dass sein Horst leer war. Sie riefen vergeblich nach Zee, aber ihr Erscheinen blieb aus. Ihr wisst, dass wir ohne unseren Weißvogel jeglichen Gefahren ausgesetzt sind. Ohne ihn sind wir fast schutzlos, nur er konnte uns immer rechtzeitig vor Gefahren warnen.

Uns wird nichts anderes übrig bleiben, als Trudbert den Steinmann um Rat zu bitten«.

Diara, die neben Lorin saß, meldete sich zu Wort: »Virgil gibt es keine andere Möglichkeit? Es heißt doch, dass Trudbert launisch und unberechenbar ist«.

Virgil nickte. »Das stimmt, er ist sogar bisweilen gefährlich«. Er sah in die Runde und bekam nickend Zustimmung.

»Vielleicht ist Zee ja nur umgezogen auf einen anderen Gipfel, davon gibt es hier ja eine ganze Menge«, sagte Diara und warf ihren Pferdeschwanz über die Schulter.

»Das wäre schon möglich, aber wie sollten wir das herausbekommen?« »Es gibt nur eine Möglichkeit, ihr müsst auf die Berge steigen und alle Gipfel absuchen!«

Lorin strich seiner Tochter liebevoll mit der Hand über den Kopf.

»Wir würden ja selbst hochsteigen aber Diara … liebes Kind schau dich hier um. Du siehst hier nur fünf alte Männer, die bei Weitem nicht mehr in der Lage sind, mehrere Gipfel zu erklimmen. Wenn wir es wirklich versuchten, dann würden sicher Monate vergehen und es würde der eine oder Andere von uns, womöglich auch nicht Überleben … wir sind dafür zu alt«, seufzte Lorin. Schweigend saßen sie vor dem Lagerfeuer und jeder versank in seine Gedanken. »Hätten wir bloß nicht alle unsere jungen Männer zum Kampf gegen die Cors geschickt, dann könnten sie jetzt die Suche übernehmen«, sagte einer der Männer.

Virgil zuckte mit den Schultern. »Wären sie nicht fortgegangen, dann hätten sich die Cors bald alle unsere Felder angeeignet. Womöglich auch noch unser Dorf entdeckt, schließlich hatten sie schon unsere Richtung eingeschlagen. Glaubt mir, die Cors hätten uns alle vernichtet. Einige unserer jungen Männer werden für unser Volk ihr Leben lassen müssen. Leider blieben außer euch, nur noch wir vom Ältestenrat, eure Mütter und die Frauen unserer Krieger mit ihren Kindern übrig.«

Diara sinnierte kurze Zeit und sah in die Runde.

»Hm … dann gehen wir drei«, dabei sah sie Seth und Golo fragend an. Golo schüttelte heftig den Kopf, sodass sein glattes schwarzes Haar umherflog.

»Kommt überhaupt nicht infrage! Für Mädchen ist dieses Vorhaben viel zu gefährlich.«

»Was heißt hier zu gefährlich? Ich kann besser klettern als ihr! Ich kann mich auch sehr gut verteidigen, frag doch Seth, der hat es am eigenen Leib verspürt und du weißt, dass Seth ein guter Kämpfer ist.«

»Trotzdem bleibe ich beim Nein, … Lorin sprich doch als ihr Vater ein Machtwort.«

»Seth hat recht mein Kind, es ist zu gefährlich. Stell dir vor, ihr müsstet euch gegen Trudbert zur Wehr setzen. Da haben Seth und Golo alle Hände voll zu tun, um sich selbst zu verteidigen, da können sie nicht auf dich aufpassen. Das ist allein Männersache!«

»Ha … und wenn ihr Zee gefunden habt, wie wollt, ihr ihn denn fragen … was ihn bewogen hat wegzugehen?«

»Wir werden ihn einfach fragen … was denn sonst?«

»Irrtum …, Zee spricht eine eigene Sprache und nur mein Vater und ich können sie sprechen.«

Eine augenblickliche Stille machte sich breit und Golo sah Diara‘s Vater, Lorin an.

»Da muss ich ihr Recht geben. Ich fürchte, ihr könnt auf meine Tochter nicht verzichten.«

»Nun gut, wenn es nicht anders geht. Aber ich bin nicht dein Bewacher, du musst gefälligst auf dich selbst aufpassen … hast du mich verstanden?«, knurrte Golo und stand auf.

»Ich brauche keinen Wächter, ich pass auf mich selbst auf! Wo gehst du jetzt hin?«

»Ich packe mein Bündel mit Proviant und warme Kleidung, in der Nacht ist es sehr kalt.«

»Gut, dann werden wir unsere Bündel mit Proviant und Kleidung auch packen, wir treffen uns hier wieder«, bestätigte Seth und nickte Diara zu. Seth und Diara standen auch auf und gingen zu ihren Hütten, um sich ihre Bündel zu schnüren. Diara wechselte ihr Leinenkleid gegen eine grüne Hose und Jacke aus groben Leinen. Sie legte einen Gürtel aus getrocknetem Schilf, um die Taille und befestigte darin einen Krummdolch, dann hing sie das Bündel, das mit einem warmen Umhang und getrockneten Obst und etwas Brot bestückt war über die Schulter. Diara schlüpfte in ihre Stiefel aus weichem Hirschleder. Anschließend verabschiedete sie sich von ihrer Mutter und verließ, mit dem Bündel quer über den Rücken geschnürt die Hütte.

Seth und Golo standen mit ihren Vätern, Odo und Virgil beisammen und unterhielten sich angeregt. Als Diara sich näherte, kam ihr Vater auf sie zu und umarmte sie.

»Wir haben Golo und Seth über alles informiert. Sie wissen, wie Trudbert zu behandeln ist und wie ihr euch ihm gegenüber verhalten müsst. Sei vorsichtig mein Kind und pass auf dich auf. Hast du dein Messer dabei?« Diara zog den am Haltegriff wunderschön verzierten Krummdolch, aus dem Gürtel und hielt ihn hoch.

»Natürlich Vater, schließlich muss ich mich ja verteidigen können, wenn es sein muss.«

Lorin umarmte seine Tochter und drückte sie fest an sich.

»Du weißt, wie du Zee ansprechen musst, falls er dich nicht erkennt?« Diara nickte und antwortete ihrem Vater in einer fremden Sprache, die nur ihr Vater und sie sprechen konnten. Fragende Blicke bekam sie von Seth und Golo. Diara schmunzelte und sagte: »Das heißt, ich grüße dich Zee. Ich bin Diara. Die Tochter von Lorin, dem Oberhaupt vom Volk der Birken«, wiederholte sie den Text für ihre Freunde.

»Sehr gut mein Kind, was musst du dann tun?«, fragte der Vater.

»Ich schließe meine Augen und verneige mich tief.«

»Gut, sobald er kurz mit den Flügeln schlägt, hat er dich erkannt und du kannst dich ihm nähern und mit ihm sprechen.«

»Ich werde es mir merken. Was ist, wenn er nicht mit den Flügeln schlägt?«

»Dann zeigst du ihm diesen Ring, den Ring von deinem Urgroßvater. Er war der Vogelkönig, der Zee‘s Mutter vor den Cors rettete. Dann wird er dich erkennen und akzeptieren. Verliere ihn aber nicht und pass gut auf ihn auf … wie auf dein Leben!« Lorin gab seiner Tochter einen Kuss auf die Wange.

»Noch etwas mein Kind …, sprich mit Zee nur allein«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Ich bin in Gedanken bei dir. Hab keine Angst mein Kind und vertrau auf dich selbst. Komm gesund wieder zu uns zurück … meine geliebte Tochter.«

Lorin ließ von ihr ab und wünschte den beiden jungen Männern, dass auch sie, wieder gesund heimkommen sollten.

Diara verließ mit gemischten Gefühlen das Dorf, sie folgte Golan und Seth die vor ihr gingen.

Sie waren schon viele Schritte vom Dorf entfernt, als Diara und ihre Freunde sich noch einmal umdrehten, standen ihre Väter immer noch da und sahen ihnen nach.

Diara und der weiße Vogel

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