Читать книгу Still wie der See - Silke May - Страница 3
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ОглавлениеGünter Decker saß am Schreibtisch in seinem kleinen Büro und sah zum Fenster hinaus. Sein Haus lag auf einer kleinen Anhöhe. Von seinem Bürofenster aus, konnte er den Wald beim Hofstätter See sehen. Er sah nach Westen und sah die dunklen Wolken schnell näher kommen.
»Holla da kommt aber was auf uns zu«, sagte er zu sich selbst.
Günter stand auf und öffnete das Fenster. Eine heftige Windböe riss ihm beinahe einen der Fensterflügel aus der Hand, zum Glück hatte ihn Decker aber fest im Griff. Er sah zu seinem Auto, das er vor dem Gartenzaun seines Hauses abgestellt hatte.
»Dich bring ich wohl besser in Sicherheit, falls es womöglich noch zu Hageln anfängt.«
Günter Decker schloss das Fenster und ging aus dem Büro. Er verließ das Haus, um sein Auto in die Garage zu fahren. Während er seinen Wagen öffnete, kam aus dem Nachbarhaus sein Freund Hans, der Mitglied bei der freiwilligen Feuerwehr war.
»Bringst dein Auto in Sicherheit?«, fragte ihn dieser.
»Ja … und wo fährst du jetzt noch hin, bei dem nahenden Gewitter, das wird bestimmt gleich da sein.«
»Stimmt, es könnt schon Rosenheim erreicht haben. Ich hab heute zusätzlich Bereitschaft! Aus Sicherheitsgründen müssen mehr Leute als sonst da sein. Der Deutsche Wetterdienst sagt nämlich ein schweres Gewitter voraus und da könnten wir Einsätze bekommen. Wie schaut‘s bei dir aus, hast du wieder einen Fall zu bearbeiten?« Günter schüttelte den Kopf.
»Es ist wie verhext, ned einen einzigen Fall und dabei hat doch alles so gut angefangen. Weißt du, gleich am Anfang, hagelte es eine Ermittlung nach der anderen. Jetzt hab ich seit zwei Monaten keinen einzigen Auftrag mehr bekommen. Manchmal bereue ich es, dass ich den Job als Kriminalkommissar aufgegeben hab. Ich hatte zwar keine geregelte Arbeitszeit aber dafür einen monatlichen Gehalt. Zugegeben … waren manche Einsätze grausam und besonders nervenaufreibend. Im Augenblick hab ich aber noch ned einmal eine Personenüberwachung – geschweige etwas Spannenderes.«
»Da wird schon noch was kommen, lass den Kopf ned hängen und vergiss nicht, dass du noch neu in dieser Branche bist. Wenn du dir erst einmal einen Namen gemacht hast, dann kommen schon die Aufträge. Wenn ich etwas erfahr, dann gebe ich es gleich an dich weiter. So jetzt muss ich aber los!«
»Danke Hans, des ist nett von dir. Ich spendier dann auch ein Bier.«
»Ich nehme dich beim Wort«, gab Hans zurück.
»Das kannst du. Viel Glück, damit ihr keine großen Einsätze habt.«
Hans stieg in sein Auto und fuhr los.
Günter stellte seinen Wagen in die Garage und ging anschließend wieder zurück ins Haus. Er setzte sich an seinen Computer und loggte sich im Internet ein. Während er eine Schlagzeile nach der anderen durchforstete, kam das Unwetter sichtbar und hörbar näher. Es blitzte und krachte und der Regen prasselte herunter, begleitet von heftigen Sturmböen.
»Günter …, wenn du den Computer anhast, dann schalt ihn aus, damit er ned kaputt geht, falls a Blitz einschlagt!«, rief seine Frau aus der Küche.
»Ich schalt ihn scho rechtzeitig aus!«, rief er zurück.
Nach dem ersten scharfen Blitz und den dazu gehörenden heftigen Donner schaltete Günter vorsorglich seinen Computer ab. Er holte sich den Aktenordner aus dem Regal und ging die letzten bearbeiteten Fälle nochmals durch. Während er einen Fall nach dem anderen kontrollierte, ob er sie auch wirklich alle abgeschlossen hatte – tobte draußen das Unwetter.
Helle Blitze zuckten bis zum Boden, die sich mit lautem Donner oder sogar einem heftigen Knall entluden. Dem folgte sintflutartiger Regen, der sich über das ganze Gebiet von Rosenheim bis zum Chiemsee ausdehnte. Plötzlich wurde der Ort erneut von einem lauten Knall erschüttert, dessen Erschütterung so heftig war, dass sogar Günter die Bodenwelle der Entladung spüren konnte.
»Herrschaftszeiten, da hat‘s aber jetzt sauber eingschlagen, hoffentlich ist nichts passiert«, sagte Günter so zu sich und ging zum Fenster. Er schaute zu den umliegenden Häusern im Ort, ob irgendwo eine Rauchsäule zu erkennen war. Beruhigt ging er wieder zu seinem Schreibtisch zurück und blätterte in seinem Ordner weiter.
Ein heftiger Sturm bog die Baumwipfel und wirbelte den Staub und die Blätter am Boden umher.
Aus den dunklen Wolken zuckten Blitze, die sich mit heftigem Donner entluden und es regnete wolkenbruchartig.
Barbara und Hannes saßen mit ihren drei Kindern am großen runden Tisch in der Stube. In der Mitte des Tisches stand eine Wetterkerze, die sie angezündet hatten, so wie sie es immer taten, wenn sich ein scharfes Gewitter ankündigte.
Sie saßen gemeinsam um den Tisch und Hannes erzählte seinen Kindern, über die scharfen Gewitter in seiner Heimat hoch oben im Norden. Er erzählte ihnen von den Sturmfluten, die vom Meer hereinbrachen. Meistens gelang es ihm auch, mit diesen Geschichten seine Kinder ein bisschen vom Gewitter abzulenken. Fast immer fanden sie dann auch das herrschende Gewitter nicht mehr ganz so schlimm.
Heute jedoch war Peter, sowie Isabella und Eva nicht so leicht zu beruhigen. Bei jedem Blitz und den darauffolgenden Donner zuckten sie ängstlich zusammen.
Der Sturm peitschte den Regen an die geschlossenen Fensterläden, die sie vorsorglich wegen eventuellen Hagels geschlossen hatten. Die Helligkeit der Blitze drang durch die Spalten der Läden und der darauffolgende Donner entlud sich krachend. Wie eine leise Bodenwelle zog sich die Erschütterung durch das ganze Haus.
Eva erschrak so fürchterlich, dass sie sich vom Stuhl unter den Tisch gleiten ließ. Barbara versuchte ihre jüngste Tochter zu überreden, dass sie wieder unter dem Tisch hervorkommen sollte, aber es war vergeblich.
Ängstlich zusammengekauert saß sie darunter und vergrub ihr Gesicht zwischen ihrem Körper und den angezogenen Knien.
»Lass sie, wenn sie sich darunter sicherer fühlt. Sie kommt schon wieder von allein hoch«, sagte Hannes zu seiner Frau.
»Papa, ich glaube da hat jemand an der Tür geklopft«, sagte Peter.
»Ich habe nichts gehört. Das muss dich täuschen, sonst würde die Haustürglocke läuten.«
Peter schüttelte heftig den Kopf.
»Es hat aber geklopft! Vielleicht hat der Blitz eingeschlagen und wir haben keinen Strom.« Hannes und Barbara sahen sich an und horchten, aber außer dem Rütteln der Fensterläden, das der Sturm auslöste, hörten sie nichts.
Erneut klopfte jemand heftig an die Tür und nun konnten sie es alle hören.
»Peter hat recht, da klopft wirklich jemand. Wer mag bei diesem Sauwetter draußen sein?«, fragte Barbara.
»Vielleicht ist jemand in Not geraten, ich schau mal nach«, sagte Hannes und stand auf. Bevor er das Zimmer verließ, betätigte er zuerst den Lichtschalter neben der Tür. Der Raum blieb dunkel und das war die sichere Bestätigung, dass Peter recht hatte - sie hatten keinen Strom. Hannes ging durch den langen fensterlosen Hausgang zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit.
Vor ihm stand eine große vermummte Person.
»Was führt Sie zu uns, ist was passiert?« Der Fremde den Hannes Jansen nicht erkannte, weil er sein Gesicht hinter einer Sturmhaube versteckt hielt … schwieg. Plötzlich hielt dieser eine Pistole in der Hand, die er auf Hannes gerichtet hielt. Hannes sah entsetzt auf die Waffe.
»Wer sind Sie und was wollen Sie von uns?«, fragte Hannes aufgeregt. Die dunkle Person drängte ihn mit gezückter Waffe zurück in den Korridor und schloss hinter sich die Tür.
»Wir haben kein Geld im Haus und Schmuck oder andere Wertsachen haben wir sowieso nicht« Der Eindringling zeigte ihm an, dass er schweigen sollte. Hannes war jedoch so aufgeregt und hatte Angst um seine Familie, dass er aufschrie: »Barbara haut ab, … schnell!«
Da folgten zwei Schüsse und tödlich getroffen sank Hannes auf den Steinboden.
Barbara sprang vom Stuhl hoch, die Schüsse versetzten sie in Panik. Sie wies Peter und Isabella mit einer hektischen Handbewegung an, sofort ins Nebenzimmer zu laufen. Sie wollte sich gerade bücken, um Eva unter dem Tisch hervorzuziehen, als die Tür aufgerissen wurde.
Schnell betrat die unheimliche dunkle Gestalt das Wohnzimmer. Sie erreichte Barbara, Isabella und Peter gerade noch rechtzeitig, bevor sie in das angrenzende Zimmer flüchten konnten. Mit mehreren Schüssen streckte er alle drei wortlos nieder. Eiligst verließ er das Haus und holte von draußen einen Kanister mit brennbarer Flüssigkeit.
Die kleine Eva saß zitternd unter dem Tisch und traute sich nicht ihr Versteck zu verlassen. Das Blut ihrer Mutter und von ihren Geschwistern verteilte sich rasch auf dem Boden. Ängstlich sah sie unter dem Tisch zu ihrer Familie, die blutüberströmt auf dem Boden lag. Evas Körper zitterte und ihre Zähne schlugen vor Aufregung aufeinander. Vom Korridor her hörte sie schwere Schritte näher kommen. Schnell krabbelte sie wieder weiter unter den Tisch hinein.
Dieser unheimliche Mörder betrat erneut den Raum. Eva sah nur seine Schuhe, die sich langsam dem Tisch näherten. Sie sah, dass er eine Flüssigkeit am Boden verteilte. Diese Flüssigkeit verströmte einen starken Geruch, den Eva kannte – es war Benzin. Er verteilte es nicht nur auf dem Boden, sondern übergoss damit auch die Toten. Kurz stutzte er und murmelte etwas vor sich hin, das Eva aber nicht verstehen konnte.
Als er unmittelbar neben dem Tisch stand, klopfte Evas Herz so laut und ihre Zähne klapperten aufeinander, dass sie Angst hatte, er könnte es hören. Sie biss ihre Zähne fest zusammen, damit sie nicht mehr aufeinander schlugen.
Eilig riss er die Tür zum Schlafzimmer auf und sah hinein, bevor er sie laut wieder ins Schloss fallen ließ.
Ein Schreck fuhr durch Evas Glieder, sie hörte, wie er ein Streichholz zündete und lautes Lodern der Flammen hinter ihr hörbar wurde. Rasch verließ der Täter den Raum, während es bereits, an einigen Stellen in der Nähe des Tisches knisterte. Eva sah die lodernden Flammen und roch den verbrannten Geruch. Sie spürte den aufkommenden beißenden Rauch in den Augen und in ihren Atemwegen. Sie traute sich trotzdem nicht ihr Versteck zu verlassen, vielleicht stand dieser Mann ja doch noch irgendwo im Zimmer.
Der Rauch und die Hitze wurden stärker und unerträglich. Die Flammen züngelten bereits nahezu um den halben Tisch. Ein Blick auf ihre leblose Mutter und ihre Geschwister sagte ihr instinktiv, dass sie nicht mehr aufwachten. Sie musste die noch letzte feuerfreie Stelle ausnützen, um ins Schlafzimmer zu kommen. Panik stieg in ihr hoch und sie kroch schnell unter dem Tisch hervor. Die Ansicht des um sie lodernden Feuers ließ sie kurz vor Schreck erstarren.
Von Angst getrieben stieg sie über ihren toten Bruder hinweg und lief ins angrenzende elterliche Schlafzimmer, um dort aus dem Fenster zu steigen. Von einem dieser Fenster beobachtete sie, wie der Mörder auf dem Kiesweg vor dem Garten zu einem dunklen Auto lief. Eva wartete hinter dem geschlossenen Fenster, bis er in seinen Wagen einstieg und wegfuhr. Immer wieder sah sie panisch hinter sich zur Tür, die zurück in die brennende Stube führte.
Die Flammen züngelten bereits durch den Türspalt am Boden ins Zimmer herein. Der Qualm strömte durch jede noch so kleine Öffnung bei der Tür und verbreitete sich stetig im ganzen Raum. Er nahm ihr mittlerweile fast den Atem und es brannte in ihren Augen. Eva drückte sich instinktiv den Dunkelvorhang neben dem Fenster ins Gesicht. Als der Wagen des Mörders außer Sichtweite war, verließ sie schnellstens über das Fenster das Haus.
Sie lief über die angrenzende Wiese in den Wald. Von Angst und Panik getrieben lief sie ohne sich umzudrehen tiefer in den Wald hinein. Während scharfe Blitze vom Himmel zuckten und sich mit lautem Donnergetöse entluden, peitschte ihr der Regen ins Gesicht.
Der heftige Sturm zerrte an ihren bereits nassen Kleidern und Haaren. Sie stolperte über Wurzeln, die sich auf dem Waldweg ausgebreitet hatten. Eva hatte fürchterliche Angst, sie wimmerte leise vor sich hin und zitterte am ganzen Körper. Von Angst und Panik getrieben lief sie immer weiter.
Eva rannte, erst als sie vollkommen entkräftet war, versteckte sie sich hinter einem dicken Baum, in dessen unmittelbarer Nähe dichte Sträucher standen. Sie ging in hocke und verschnaufte. Der Schock stand ihr im Gesicht. Sie hockte leblos da und starrte auf das weiche nasse Moos unter ihren Füßen. Die Tränen rannten über ihr von Entsetzten gezeichnetes Gesicht.
Inzwischen hatte der Regen an Intensität etwas nachgelassen, das Feuer griff auf das ganze Haus über und es brannte lichterloh.