Читать книгу Hawaii, Hula und ein Humuhumunukunukuapua'a - Silke Wehmann - Страница 5

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Prolog

Heute ist der 28. März 2020. Unser Planet Erde befindet sich in Schräglage. Das Coronavirus hinterlässt seit Monaten eine Spur der Verwüstung im Leben der gesamten Menschheit. Das Virus richtet furchtbares Leid an. Stürzt die Menschen in tiefe Trauer, Verzweiflung und Entsetzen. Es ist verantwortlich dafür, dass Menschen unmenschliche Entscheidungen treffen müssen. Fieberhaft suchen Experten weltweit nach Lösungen auf allen Gebieten und für alle Lebensbereiche. Die Weltwirtschaft steht vor dem Abgrund, Aktienmärkte befinden sich im ungebremst freien Fall, und das schlimmste aller Szenarien ist eingetreten. Das Coronavirus, nur 120 Nanometer klein, hat mehr als 600.000 Menschen teilweise schwer erkranken lassen und tötete bisher über 30.000 Erdenbewohner. Stand 28. März 2020.

Ich arbeite seit nunmehr sieben Monaten an meinem Buch und habe soeben die letzten Zeilen niedergeschrieben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in dieser schweren Zeit, in der so viel Kummer und Sorgen den Alltag der Menschen beherrschen, dieses Buch zur Veröffentlichung anbieten soll. Denn schließlich schwärme ich darin von einem sagenhaft schönen Urlaub. Schwärmereien und Urlaubsberichte sind jedoch nicht hilfreich, wenn es um die Bekämpfung eines todbringenden Virus geht. Ich denke mir jedoch, vielleicht können meine Zeilen in dieser harten und von Schrecken gezeichneten Zeit einigen Menschen ein wenig Zerstreuung bringen. Einen Moment der Aussicht auf etwas Schönes oder Interessantes schenken oder vielleicht sogar die Hoffnung auf eine positive Zukunft, wie auch immer diese für uns alle aussehen mag. Ich denke an all die bis zur Erschöpfung arbeitenden Menschen der medizinischen und pflegerischen Berufe, die mit aller Entschlossenheit, mutig und aufopfernd und auch ihre eigene Gesundheit gefährdend, um das Leben und die Genesung ihrer Patienten kämpfen. An die Wissenschaftler, die unermüdlich und unter Hochdruck all ihre Kräfte darauf konzentrieren, einen Impfstoff oder ein anderes Gegenmittel zu finden, um das Virus auszuschalten. An alle Berufszweige, die momentan mehr als hart schuften, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, und an diejenigen, die durch ihre Arbeit dafür sorgen, dass unser alltägliches Leben nicht zusammenbricht. Aber meine Gedanken weilen auch bei den von der Erkrankung Betroffenen, ihren Familien und Freunden. Sie bangen, hoffen, kämpfen, und leider müssen sich einige von ihnen in diesem Kampf geschlagen geben … Es ist ergreifend und zutiefst berührend, die Empathie unter den Mitmenschen in dieser Krisensituation zu erleben. Gegenseitige Unterstützung, Zusammenhalt, Uneigennützigkeit, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft. Es würde mir eine große, sehr große Freude bereiten, wenn mein Buch einen winzig kleinen positiven Beitrag leisten würde, in dieser aufgewühlten Zeit.

Übrigens, mein Name ist Silke. Ich bin 55 Jahre alt, seit 31 Jahren mit einem tollen Mann verheiratet und habe einen wundervollen Sohn. Ich bin um die halbe Welt geflogen, um eine sehr weite Reise zu unternehmen, welche gleichzeitig eine Reise zu mir selbst war. Es war von mir nicht geplant, dieses Buch zu schreiben. Es ergab sich im Anschluss an meinen Hawaiiaufenthalt oder, genauer gesagt, auf der Insel Oahu. Denn ich kehrte nach Deutschland zurück, völlig überwältigt von Eindrücken und Gefühlen und gefangen in einer riesengroßen Sehnsucht, welche mich seit unserer Abreise aus dem pazifischen Inselreich befallen hat. Ich hoffe, wenn ich meine Erlebnisse und Gefühle niederschreibe, all die Geschehnisse und Emotionen endgültig verarbeiten zu können und dass somit dieses mich momentan beherrschende, übermächtige Verlangen nach einer Rückkehr ins „Paradies“ nachlässt.

Diese Anziehungskraft, welche Oahu auf mich ausübt, fühlt sich wie Heimweh an. Ich versuche, diesem starken Wunsch entgegenzuwirken, indem ich nach hawaiianischer Rezeptur backe, um mich so wieder an „den Aromen Hawaiis“ erfreuen zu können. Ich lese von Zeit zu Zeit auf der Website des „Honolulu Star-Advertiser“, um mich so über Neuigkeiten auf dem hawaiianischen Archipel auf dem Laufenden zu halten. Ich höre mir hawaiianische Musik an und gebe mich dem Klang und den Melodien der polynesischen Rhythmen hin, mal mitsummend, mal mittanzend. Unentwegt sehe ich mir unsere Urlaubsfotos an. Wenn ich meinen Ring oder meine Halskette anlege, welche ich mir in Honolulu gekauft habe, dann trage ich jedes Mal ein Stück Aloha mit mir. Als unser Sohn auszog, haben wir kurzerhand sein ehemaliges Kinderzimmer als ein „Hawaiizimmer“ eingerichtet. Mit Bambustapete, exotischen Blumen, Stoffen im tropischen Design und ganz vielen gerahmten Fotografien von unserer Reise nach Oahu an den Wänden. Ich weiß nicht, ob wir jemals wieder nach Hawaii reisen können, aber jede Faser meines Herzens wünscht es sich.

Um es vorwegzunehmen … Dies war bereits meine zweite Hawaii-Reise. Die erste, 2016, verlief katastrophal und endete abrupt. Wichtig erscheint mir jedoch, den Grund zu nennen, aus welchem es unbedingt eine Reise nach Hawaii sein sollte … Ich habe jahrelang sehr viel gearbeitet. Zu viel. Mich in meinem Beruf sehr engagiert. Immer war ich verfügbar. Überstunden nach der regulären Arbeitszeit, am Wochenende, sogar an Feiertagen. Das war ein Anspruch, den ich an mich selbst hatte. Ich wollte all die mir auferlegten Arbeiten bewältigen. Selbständig, fehlerfrei und pünktlich. Ein Nein kannte ich nicht. War der Berg Arbeit, der vor mir lag, auch noch so groß, wenn der Chef oder eine Kollegin mit einem zusätzlichen Auftrag kamen, war ich stets bereit, helfend zur Seite zu stehen. Mitzuziehen. Und wenn das für mich mehr Arbeitszeit bedeutete, so nahm ich das in Kauf. An meine Gesundheit habe ich dabei niemals gedacht. Warum auch? Nur nicht jammern! Das schaffe ich schon. Viele andere müssen das auch! Und meine Familie? Hat es toleriert. Bis mein Mann dann irgendwann warnende Worte aussprach. Die ich anfangs in den Wind schlug. Und als ich dann endlich bemerkte, dass seine Sorgen um mich berechtigt waren, fand ich kein Zurück mehr aus meiner Spirale, aus meinem von eigener Hand verursachten Strudel an selbstzerstörerischem Eigenanspruch.

Ich habe meinen Sohn, der an ADS und Rechtschreibschwäche leidet, die gesamte Schulzeit über begleitet und nach Kräften unterstützt. Unzählige Stunden habe ich nachts damit verbracht, seine Mitschriften in den Unterrichtsheftern zu kontrollieren und zu vervollständigen, bei anstehenden Klassenarbeiten Übungen für ihn auszuarbeiten, um ihn so bestmöglich auf den Test vorzubereiten. Ich habe online nach interessanten und passenden Themen recherchiert und Material zusammengetragen als Basis für die Ausarbeitung mündlicher Vorträge, damit er so eine gute Note erlangen konnte. Dies alles tat ich, um ihn schulisch voranzubringen, damit er einen guten Abschluss bekommt und somit hoffentlich seinen Traumberuf erlernen kann. Das war mir so wichtig, eine Herzensangelegenheit! Mein Mann und ich hatten sehr früh bei unserem Sohn eine hohe Technikaffinität bemerkt. Alles, was er auseinander- und wieder zusammenbauen konnte, fand er toll. Und er war sehr gut darin. Außerdem gelang es ihm, sich dabei über längere Zeiträume zu konzentrieren. Für Menschen mit ADS ein wirklicher Gewinn! Und er teilte uns bereits in diesen jungen Jahren mit, dass er später einmal, wenn er groß sei, einen technischen Beruf ausüben wolle. Dies wollte ich ihm unbedingt ermöglichen und verwandte so einen Großteil meiner Kraft darauf, ihn zu unterstützen, wo ich nur konnte. Wohlgemerkt! Ich wollte unseren Sohn nicht zum Klassenprimus machen. Es war mein Ziel, ihn zu befähigen, bestmögliche Noten zu erreichen. Dies in der Hoffnung, dass sein gutes Abschlusszeugnis ihm den Weg zu seinem Traumberuf ebnet.

Ich wollte auch eine perfekte Hausfrau sein und war unentwegt damit beschäftigt, Haus und Hof in Ordnung zu halten. Täglich gab es abends eine frisch gekochte Mahlzeit. Und dann war da ja noch die Ehefrau, deren Bestimmung auszufüllen ebenfalls mein Anliegen war. Mit Liebe und Zärtlichkeit, Verständnis und Hingabe. All das hat in unserer kleinen Familie über Jahre hinweg funktioniert. Vor allem habe ich funktioniert.

Mein Mann war ebenfalls stark in seinen Job involviert. In seinem handwerklichen Beruf hatte er viele Baustellen bundesweit abzuarbeiten. Das bedeutete im Klartext, dass er sehr viel unterwegs war, manchmal die gesamte Woche außerhalb schlief und hier, vor Ort, nicht verfügbar war. Wenn es Probleme gab oder ich seinen Rat brauchte, konnten wir zwar am Abend telefonieren, die ausführende Kraft war dann aber immer ich. Das war schwierig. Für ihn genauso wie für mich. Er fehlte hier! Er fehlte als Partner und Papa. Andererseits fehlten mein Sohn und ich ihm ebenso! Wir konnten das Problem seiner Abwesenheit nicht lösen. Dazu hätte er seinen Job kündigen müssen. Aber diesen Gedanken schoben wir beide weit von uns. Seit der Wende hatte er in verschiedenen Baufirmen gearbeitet. Das war eine schlimme Zeit. Es war jedes Mal dasselbe Dilemma. Die Baufirmen hatten zwar große Aufträge, die sie abarbeiteten. Die Bezahlung durch die Auftraggeber ließ jedoch ewig auf sich warten. Oder erfolgte gar nicht. Dann erhielten die Angestellten, wie mein Mann, eben auch mal monatelang den Lohn in Abschlagszahlungen. Oder gar kein Geld. Die Firmen gingen letzten Endes Pleite. Arbeitslosigkeit folgte. Dann ein neues Arbeitsverhältnis in einer neuen Baufirma. Das Spiel ging von vorn los. Arbeiten, schuften. Jedoch keine Lohnzahlung. Firmeninsolvenz. Endlich hatte er einen Arbeitsplatz, den jetzigen, mit Perspektive. Er bekommt seinen Lohn und den sogar pünktlich! Außerdem fühlt er sich sehr wohl in der Firma. Zum Glück ist er nun nicht mehr so oft unterwegs. Wenn er hier vor Ort arbeitet, agieren wir in unserem Alltag als Team. Wenn er außerhalb sein Geld verdient, dann bleiben uns halt in schwierigen Momenten nur die Telefonate. Wir haben mit der Gesamtsituation unseren Frieden geschlossen.

Im Laufe der Zeit fragte ich mich, ob all diese Mühen, die wir auf uns nahmen, es nicht wert seien, anerkannt zu werden. Dieser Zeitpunkt trat ziemlich genau ein, als wir die Jugendweihe unseres Sohnes mit Familie und Freunden feierten. Es war ein wirklich wunderbares Fest. Vor allem freute es mich, unseren Sohn unbeschwert und glücklich zu erleben. Denn sein täglicher Kampf mit mir an der Seite, eingeschränkt durch seine Handicaps und mit ausgerichtetem Blick auf die Erreichung eines großen Ziels, war auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Aber wir haben als Familie immer zusammengehalten, wenn es Probleme gab mit dem Job, mit der Schule oder auch schon mal miteinander. Es gab immer einen Weg, eine Lösung. Wir haben uns nicht kleinkriegen lassen und zusammengerauft. Keiner hat hingeschmissen. Wenn einer von uns dreien am Boden lag, haben die anderen zwei ihn aufgerichtet, Rückhalt gegeben, und es ging weiter. Nie geradeaus. Immer über Umwege. Das war wahnsinnig anstrengend, kräftezehrend und manchmal auch beängstigend.

Damals stand bereits fest, dass in naher Zukunft noch einige schöne Ereignisse auf uns zusteuern, die gefeiert werden wollten … Der 50. Geburtstag meines Mannes, mein 50. Geburtstag, unsere Silberhochzeit und dann (hoffentlich) der Realschulabschluss unseres Sohnes. Also dachte ich mir: Das sind doch alles tolle Jubiläen! Weshalb nicht dies alles zum Anlass nehmen und etwas noch nie für uns Dagewesenes tun? Warum nicht uns einmal selbst belohnen? So entstand der Wunsch, etwas zu unternehmen, das für uns drei etwas ganz Außergewöhnliches sein sollte. Etwas, das wir wahrscheinlich nur einmal im Leben tun würden und das uns immer als etwas Kostbares und Wertvolles im Gedächtnis bleiben sollte. Warum nicht eine Reise? Und diese Reise wollte ich gemeinsam mit den beiden Menschen unternehmen, die ich über alles liebe – meinem Mann und meinem Sohn! Für uns als ostseeerprobte Wassersportler sollte es unbedingt eine Reise ans Meer sein. Aber in warme Gefilde, wo wir täglich surfen, tauchen, Kajak fahren und baden können, wann immer wir wollen. Zu jeder Tageszeit. Morgens, mittags, abends. Ich hatte auch sofort das Ziel vor Augen – das Paradies: H A W A I I. Solange ich denken kann, hatte ich Hawaii als ein abstraktes Wort im Kopf. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann und in welchem Zusammenhang ich das erste Mal von Hawaii hörte. Aber es hat sich positiv in meine Gedanken eingebettet – dieses Wort – Hawaii.

Ich muss leider zugeben, dass ich ein „Geschichtsmuffel“ bin. Schon in der Schule erweckte der Geschichtsunterricht ein Gefühl der Langeweile und der Teilnahmslosigkeit in mir. Die außergewöhnliche Historie Hawaiis jedoch entflammte mein Interesse. Und so, erzählte ich meinem Mann Lothar und unserem Sohn von Hawaii. Lothar war auf der Stelle begeistert, ihn hatte ich sofort mitreißen können. Unser Sohn hingegen hatte Bedenken. Die lange Anreise, die Fremdsprache, Urlaub in einem Hotel – das hatten wir seit seiner Geburt noch nie getan! Aber es gelang meinem Mann und mir, seine Bedenken zu zerstreuen, und so folgte im Rahmen eines abgehaltenen Familienrates der gemeinsame Entschluss – in ein paar Jahren fliegen wir nach Hawaii! Um es kurz zu machen: Unser Sohn hat seine Schulzeit mit einem Realschulabschluss beendet. Er bekam einen Ausbildungsplatz zum Kfz-Mechatroniker und arbeitet heute voller Leidenschaft und Hingabe in seinem Beruf.

2016 sind wir zu dritt nach Hawaii geflogen. Wir wollten drei Wochen bleiben. Nach sechs Tagen mussten wir zurück nach Deutschland. Ich konnte nicht mehr. Ich hatte so etwas wie einen Zusammenbruch. Ich wusste damals nicht, was mit mir los war. Ich wusste nur, es geht mir so schlecht, dass ich befürchtete, ich könne auch sterben, bei all den Zeichen, die mein Körper mir damals sendete. Es war furchtbar! Ich hatte das Gefühl, meinem Mann und meinem Sohn diese Chance auf etwas einmalig Schönes genommen zu haben! Keiner von beiden hat mir jemals einen Vorwurf gemacht. Im Gegenteil! Beide haben mir damals auf Hawaii klargemacht, dass es keine andere Möglichkeit gibt als die sofortige Rückkehr nach Deutschland! Das Thema „Traumreise nach Hawaii“ hatte sich für uns drei erledigt. Vor allem unser Sohn war es, der nach unserer Rückkehr immer wieder sagte, wenn wir später über Hawaii sprachen, er werde niemals wieder dorthin reisen.

Ich habe dann noch ein halbes Jahr durchgehalten, bin arbeiten gegangen – weiterhin mit Engagement und Einsatz … Bis im November 2016 der endgültige Zusammenbruch kam. Ich war zu nichts mehr in der Lage. Weder im Job noch zu Haus. Ich wollte nur noch Ruhe, Stille, für mich sein. Der erste Termin in einer psychotherapeutischen Praxis brachte dann das ganze Ausmaß der Notlage, in welcher ich mich befand, ziemlich deutlich hervor. Es war eine Depression, welche mich in die Knie gezwungen hatte. Ein unsichtbarer Feind, der sich besitzergreifend als dunkles, schweres Tuch über meine Seele, mein Herz, meine Gedanken ausgebreitet hatte und alle Lebensfreude, allen Mut und alle Kraft überdeckte. Nun hieß es also wieder kämpfen. Aber diesmal gegen mich selbst. Oder besser! Für mich selbst! Widerstand und Gegenwehr konnte ich nur leisten, weil ich glücklicherweise nicht allein dastand. Unterstützung, Zuspruch und Liebe formten Schild und Schwert, welche in meine Hände gelegt wurden. Auch hier war es meine Familie, die mir beistand. Und ich hatte die Hilfe und Unterstützung meiner Psychotherapeutin. Einer ganz besonderen Frau, von der ich sehr viel gelernt habe. Vor allem über mich. In einer unserer Sitzungen erzählte ich ihr von dem schrecklichen Verlauf unserer Hawaii-Reise 2016. Aber auch von der Motivation, die dahinterstand. Sie sagte mir: „Das müssen Sie unbedingt noch mal tun! Fliegen Sie noch mal dorthin und holen Sie diese für Sie so wichtige Reise nach!“ Dieser Zuspruch traf mich unerwartet. Im ersten Moment dachte ich: „Wirklich? Was ist, wenn ich wieder zusammenbreche? Wenn wir wieder vorzeitig zurückkehren müssen oder noch Schlimmeres passiert – mit mir?“ Wenn, wenn, wenn … Aber dann siegte ziemlich schnell das tiefe Vertrauen in meine Ärztin, und mein logischer Verstand schaltete sich ein, vertrieb Ängste und Zweifel. Und ich kam zu der Erkenntnis: Meine Ärztin wird mir auf keinen Fall zu dieser Reise raten, wenn sie nicht überzeugt davon ist, dass ich, vor allem mental, in der Lage bin, dieses Unternehmen zu bewältigen. Und fühlte ich mich in der Lage? Jawohl!!! Es ging mir nach zweieinhalb Jahren Psychotherapie wieder gut! Ich hatte inzwischen jede Menge Lebensenergie zurückbekommen. Hatte für mich kleine Strategien entwickelt, besser auf mich zu achten, und gelernt auch mal Nein zu sagen, wenn ich mich überfordert fühlte. Ich kann an dieser Stelle nicht weiter darüber berichten, weil dieses Thema zu umfangreich ist, um es hier ausführlich und in aller Ernsthaftigkeit abzuhandeln. Ich will es jedoch angesprochen haben, weil ich denke, dass es erforderlich ist, meine Erkrankung zu erwähnen. Es wird, denke ich, dabei hilfreich sein, meine Gedanken und Gefühle, welche ich auf den kommenden Seiten beschreiben werde, besser einzuordnen.

Dann, eines Abends, erzählte ich meinem Mann und unserem Sohn von dem Gespräch mit meiner Ärztin und fragte die beiden nach ihrer Meinung. Ich wollte wissen, ob sie sich vorstellen könnten, noch einmal diese Reise in Angriff zu nehmen. Unser Sohn schmetterte mir ein entschlossenes „Niemals!“ entgegen. Zu tief saßen die schlimmen Erinnerungen, die Enttäuschung und Traurigkeit in ihm fest. Die strikte und mit aller Bestimmtheit ausgesprochene Absage traf mich tief. Ich fühlte mich augenblicklich in die Zeit unseres damaligen Hawaii-Aufenthaltes zurückversetzt und für sein Trauma verantwortlich. Ich war sehr traurig, dass er diese Reise nicht noch einmal mit uns unternehmen wollte. Schlussendlich sollte es ja etwas ganz Wunderbares für uns drei, für unsere kleine Familie sein! Aber ich wollte ihn nicht bedrängen oder versuchen, ihn umzustimmen. Das wäre egoistisch von mir gewesen. Mein Mann hakte noch mal nach und ließ sich von unserem Sohn die Gründe erklären, die ihn dazu bewogen, diese Reise nicht noch einmal antreten zu wollen. Es war plausibel und nachvollziehbar und für unseren Sohn offensichtlich nicht so wichtig wie für mich, diesen Trip noch einmal zu unternehmen. Dabei beließen wir drei es dann. Mein Mann hingegen hatte tief in seinem Herzen noch ein Türchen offen gelassen für eine weitere Expedition an das andere Ende der Welt. Auch er wollte unserem Traum von Hawaii eine zweite Chance geben. Und so gab es unverhofft einen neuen Lebensplan. Und dieser lautete: Wir fliegen nach Hawaii – genauer gesagt nach Oahu!

Und diese Neuigkeit behielten wir natürlich nicht für uns. Als wir meiner Schwägerin Ines und meinem Schwager Detlef eines Abends bei einem Glas Wein von unseren Plänen berichteten, waren die beiden sehr angetan von unserer Absicht, Hawaii noch einmal zu besuchen. Sie kannten die traurige Geschichte unseres ersten Hawaiibesuchs und waren damals tröstend und Mut machend nach unserer Rückkehr für uns da. Und man sollte es nicht für möglich halten! Am Ende des Abends stand fest – sie kommen mit! Wir werden also zu viert auf Entdeckerreise gehen.

Das war ein wirklich schöner Moment! Wir vier verstehen uns nämlich richtig, richtig gut! Wir helfen einander, stehen uns gegenseitig bei und können über alles reden. Mit ehrlichen Worten, die manchmal auch unbequem sind. Wir sind Familie und gute Freunde zugleich! Tja, und da nun feststand, dass wir vier gemeinsam den großen Teich überqueren werden, stellte sich die Frage, wer denn die Organisation des ganzen Vorhabens übernehmen solle. Selbstverständlich ich!!! Die drei waren sich einig, dass sie, vorausgesetzt, ich würde mich der Aufgabe kräftemäßig gewachsen fühlen, die Vorbereitung unseres Abenteuers in meine Hände legen wollten. Schließlich hatte ich ja bereits schon einmal eine Reise nach Hawaii organisiert und kannte mich in der Materie bestens aus. Und ich freute mich riesig über diese Aufgabe und das Vertrauen der anderen in mich und legte auch sofort los. Ich sprudelte über vor lauter Ideen und Vorschlägen. Wir beratschlagten dann und stimmten ab, ob wir dieses oder jenes auf Oahu unternehmen wollten oder auch nicht. Als das Grundgerüst stand, war ich überglücklich. Mir wurde immer bewusster, was da plötzlich meine Aufgabe war. Ich hatte noch einmal die Möglichkeit bekommen, einen gehegten Traum zu planen und vorzubereiten. Ihn Wirklichkeit werden zu lassen. Mit dem kompletten Drum und Dran! Das war großartig! Diese Vorstellung beflügelte mich in meinem Handeln. Damals, während unseres „Hawaiiurlaubs“ 2016, hatten wir aufgrund meines schlechten Gesundheitszustandes lediglich eine Inselrundfahrt auf Oahu unternehmen können. Wir hatten keine Chance, das echte Hawaii kennenzulernen. Das sollte nun anders sein!!! Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Es gab so viel zu tun. Ich hatte die Bedürfnisse von vier unterschiedlichen Menschen unter einen Hut zu bringen! Jeder von uns vieren sollte sich einen speziellen Wunsch erfüllen können. Alles sollte gerecht sein. Niemand sollte übervorteilt oder benachteiligt werden! Und da ich für mein Leben gern organisiere, machte ich mich mit Feuereifer daran, nachzuforschen, abzugleichen, wieder zu verwerfen, zu verhandeln und letztendlich zu buchen. Ich habe die unterschiedlichen Flugrouten von Deutschland nach Oahu recherchiert, Flugpreise verglichen, die Entwicklung der Hotelpreise beobachtet, mich über die interessantesten Sehenswürdigkeiten informiert und habe mir per Google Street View vorab die schönsten Strände Oahus angeschaut. Außerdem frischte ich parallel dazu noch mein Englisch auf, welches ich mir vier Jahre zuvor in Vorbereitung unserer ersten Hawaii-Reise selbst beigebracht hatte. Natürlich ließ ich es mir auch nicht nehmen, ein paar Worte Hawaiianisch zu lernen. Fremde Sprachen fand ich schon immer interessant, und es macht mir Spaß, sie zu erlernen. Erfreut und glücklich bin ich dann, wenn ich sie im Reiseland nutzbringend anwenden kann. Keinesfalls perfekt, aber ausreichend für eine gute Verständigung.

Die schönsten Momente während meiner Nachforschungen für unsere Reise waren jedoch die, als ich über die Geschichte und Kultur Hawaiis las. Ich war zutiefst ergriffen. Es entwickelte sich in mir der immer größer werdende Wunsch, das, was ich gelesen hatte, in der Realität kennenlernen zu dürfen. Es hat Monate gedauert, alles so hinzukriegen, wie wir es uns vorstellten und bis es vor allem meinen Ansprüchen entsprach. Ich kann manchmal ziemlich pedantisch sein … Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, von dem ich erwarte, dass es genauso sein muss, wie ich es mir vorstelle, dann verfolge ich dieses Ziel mit aller Hartnäckigkeit und bin auch zu keinem Mittelweg bereit. Ich setze alles daran, mein gewünschtes Ergebnis zu erreichen, und scheue keine Anstrengung, keinen Kraftaufwand. Gott sei Dank ist das nicht (mehr) so oft der Fall. Im Laufe der letzten Jahre, während meiner Psychotherapie, habe ich gelernt, wie wichtig es ist, auch mal loszulassen, Kompromisse zu schließen und nachzugeben, wenn vielleicht das Unterfangen zu viel Kraft erfordert. Mitunter ist das schmerzlich, aber nicht der Weltuntergang!

Im Fall meiner Reiseplanung gab es glücklicherweise nur wenige Eckdaten, welche wir zu 100 Prozent so erfüllt haben wollten wie angedacht. Im Gegenteil! Bei so einem Vorhaben gibt es gar keine andere Möglichkeit als die, kompromissbereit zu sein. Die Sache ist nämlich so. Hawaii ist eines der teuersten Reiseziele weltweit. Das bedeutet, vieles regelt sich über das persönlich zur Verfügung stehende Budget. Wenn man also spezielle Wünsche und Vorstellungen hat, so muss man diese dem eigenen Geldbeutel anpassen. Um mal eine Zahl zu nennen: Für einen dreiwöchigen Urlaub für zwei Personen kann man locker mit 8.000 € rechnen. Das bedeutet: Flüge in der Economy Class, Mittelklassehotel (nur Übernachtung), Selbstverpflegung und Taschengeld (für Eis und Souvenirs). Ausflüge und große Shoppingtouren kosten zusätzlich! Wir haben mehrere Jahre für diese Reise gespart. Und in meinem Kopf stellte sich auch nicht die Frage: War diese Reise mir diese enorm hohen Ausgaben wert? Ein kleines Paket Toast für vier Dollar und ein Glas Nutella für neun Dollar lassen mich fast das Wort Wucher in den Mund nehmen. Aber das, was wir erlebt haben auf Oahu, das, was uns die Menschen dort entgegengebracht haben, das lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Das lässt sich nicht kaufen und ist auch nicht bezahlbar. Es waren Momente puren Glücks! Angefüllt mit Aloha.

Bereits im Vorfeld zu unserer ersten Hawaii-Reise begann meine Recherche zu „Land und Leuten“. Auf Online-Portalen und den verschiedensten Websites im Internet habe ich gelesen und mir dann kleine Notizen gemacht. Ich habe mir einen Reiseführer und eine Hawaii-DVD gekauft, mir YouTube-Videos angeschaut und so ebenfalls viel Interessantes über die hawaiianischen Inseln, ihre Geschichte, Kultur und Natur sowie hervorstechende Persönlichkeiten in Erfahrung bringen können. Am spannendsten und fesselndsten jedoch waren für mich, die mir von den Einwohnern Oahus im persönlichen Kontakt übermittelten Erzählungen und Berichte. Hawaiianische Menschen, welche ich kennenlernte, ließen mich warmherzig ihre Begeisterung und ihre Wertschätzung für ihre Heimat spüren. Die Liebe zu Hawaii und der Stolz auf die ursprüngliche Verwurzelung ihrer Vorfahren, klangen in jedem ihrer gesprochenen Worte mit. Ihr Backgroundwissen über historische Ereignisse, über die Tier- und Pflanzenwelt aber auch über bemerkenswerte Mitmenschen Hawaiis sowie aktuelle Themen, teilten sie mit mir. All diese (bei Weitem nicht vollständigen) zusammengetragenen Informationen habe ich auf den folgenden Seiten immer wieder eingebettet, in meine Erzählungen über unseren Reisealltag auf der wundervollen Insel Oahu. Also, los geht’s!

Hawaii, Hula und ein Humuhumunukunukuapua'a

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