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Kapitel 2

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Über das erste Zusammentreffen von Jules von Spree, Karl-Friedrich Papst, Dieter Hübsch und Kasimir Manera gibt es eine Aussage, die verlässlich sein müsste, festgehalten in der kürzlich veröffentlichten Autobiografie Klänge des Ruhmes von Jules von Spree, die den nicht unbescheidenen Untertitel Aufzeichnungen eines modernen Genies trägt.

Von Spree bezeichnet diese Arbeit seine letzte im Dienste der Öffentlichkeit und scheint entschlossen zu sein, sich nun endgültig zurückzuziehen. Es gibt keine Möglichkeit mehr, um mit dem berühmten Musiker in persönlichen Kontakt zu kommen. Dies entspricht jedenfalls meinen Erfahrungen.

Wenden wir uns also den autobiografischen Mitteilungen aus von Spree’s Buch Klänge des Ruhmes zu. Er schreibt dort folgendes: »Eines Morgens rief mich Dick (Dieter Hübsch) an und teilte mir mit, dass er die Bekanntschaft eines hervorragenden Kontrabassisten gemacht habe. Da er irgendetwas vom Opernhaus und Enno Schneiderhahn erwähnte, stimmte mich das zuerst misstrauisch, denn was mir für die Interpretation meiner damals teilweise schon recht klar ausgearbeiteten Werke vorschwebte, war keinesfalls mit der Besetzung eines vom Beamtenmoder angesteckten Kontrabassisten zu vereinbaren. Glücklicherweise stellte sich dies als Irrtum heraus, was ich natürlich schnellstens begriff, als mir Dick das Alter des Mannes nannte.«

Und in einem vorherigen Kapitel schreibt er: »Da mein gestrenger Herr Vater mir verbot, meine eigenen Kompositionen in seinem Haus zu spielen, suchte ich nach einem anderen Ort, wo ich dies tun konnte. In einem nahegelegenen Wirtshaus, dem im Untergeschoss eine etwas zwielichtige Bar angeschlossen war, fragte ich nach, ob ich nachmittags nicht das Klavier in eben jener Bar benutzen dürfe.«

Er durfte, und schon bald gesellten sich Dieter Hübsch und Kasimir Manera dazu.

»Cash besaß damals bloß eine alte Marschtrommel«, ist bei von Spree nachzulesen, »die meinen Kompositionen etwas Grelles und Schmetterndes verlieh.«

Noch am selben Tag, an dem Dieter Hübsch seinen Freund Jules von Spree bezüglich des Kontrabassisten angerufen hatte, trafen sie sich also mit diesem in der Bar.

Manera hatte ebenfalls Interesse an dem Treffen bekundet und war Papst gefolgt. Natürlich ahnte damals niemand, welche Folgen dieses Zusammentreffen für die Zukunft haben würde.

Wie in Jules von Spree’s Autobiografie weiter nachzulesen ist, spielten die vier jungen Musiker den ganzen Nachmittag.

»Es herrschte eine euphorische Stimmung, und zum ersten Mal begriff ich, welche Intensität meine Kompositionen aushauchten. Von ungeheuren Impulsen getrieben, tauchten wir tiefer und tiefer in dieses unendliche Meer aus Harmonien und Rhythmus ein. Eine gewaltige Woge ergriff uns, schüttete sich donnernd über uns aus und schleuderte unser Bewusstsein in die weiten Sphären eines göttlichen Reiches, aus dem wir an jenem Tag nur schwer wieder in die Banalität des billigen Lokals, in dem wir uns aufhielten, zurück fanden.«

Eine Dame, die nachts in dem besagten Lokal tätig war und die, um jeweils einige Vorarbeiten zu erledigen, öfters früher als erwartet in die Proben der eifrigen Musiker platzte, kann sich noch gut daran erinnern, wie »die flotten Jungs einen draufmachten!«

Wenn man ihr glauben darf, so war sie es, die sich darum bemühte, dem Wirt die fixe Idee, die Musiker unverzüglich rauszuwerfen, auszureden. DAS ORCHESTER – damals natürlich noch nicht so genannt – durfte bleiben. Und so wurde Tag für Tag fleißig geübt.

Die Marschtrommel Kasimir Maneras wuchs immer mehr zum Übel heran.

»Dieser schmetternde Klang«, lässt sich Jules von Spree in seinem Buch darüber aus, »der sich wie Büchsen voll von rasselndem Kies in unseren Köpfen ausbreitete, quälte meine Musik und uns selbst. In meiner Vorstellung hörte ich ganz deutlich den edlen Klang von Kesselpauken, die wie ein kostbares Marmorfundament unter den melodiösen Oberbau zu setzen waren. Stattdessen klirrte da dieses blecherne Ding dazwischen und ließ jeden, der uns hörte, glauben, wir wollten demnächst in einen Krieg losmarschieren.«

Kesselpauken! Das war der Traum! Doch woher sollten sie ein so teures Instrument nehmen? Das wusste niemand.

Einige Leute haben darauf hingewiesen, dass sich in den Anfängen der vier Musiker ganz deutlich ein revolutionäres Moment manifestiere. Der subkulturelle Aspekt sei unübersehbar, was ja schon rein äußerlich durch diese zwielichtige Bar bestätigt würde. Erst später, im Zuge des Erfolges und dem Gefühl, sich restlos etabliert zu haben, sei diese unterschwellige Auflehnung von dem Quartett abgefallen. Jules von Spree, Karl-Friedrich Papst, Dieter Hübsch und Kasimir Manera sahen dies hingegen nicht so analysierend. Ihr Interesse galt zu diesem Zeitpunkt einzig der Musik.

Doch ihr Enthusiasmus wurde nicht selten durch weltliche Probleme gebremst. Jules von Spree, der aus väterlicher Sicht das Studium der Rechtswissenschaften beginnen sollte, unterließ jegliche Anstrengung in diese Richtung.

Dieter Hübsch hatte sich notgedrungen dazu durchgerungen, jeweils am Vormittag für eine Speditionsfirma Kisten abzuladen. Nicht selten litten seine Arme unter dieser Tätigkeit, was sich teilweise erheblich auf das Posaunenspiel auswirkte.

Kasimir Manera und Karl-Friedrich Papst waren arbeitslos. Papst hatte sich, bis auf die spontane Vorstellung beim Opernhausdirektor, sowieso noch nie um eine Arbeit bemüht.

Die Situation der vier Musiker versprach also nicht gerade einen luxuriösen Lebensstil. Für Essen und Schlafen war zwar gesorgt, aber weiter reichte es nicht. Deshalb schlug Jules von Spree eines Tages vor: »Wir sollten ein Konzert geben.« Seine drei Mitmusiker schauten ihn an. Ja, ein Konzert, das war die Idee! Aber wo?

Es verstrichen Wochen, ohne dass sich die Möglichkeit bot, irgendwo aufzutreten.

»Sicher war das eine harte Zeit«, kann man Kasimir Manera dazu zitieren, »doch was hätten wir tun sollen? Wir mussten eben abwarten, bis man bereit war, die von uns geforderte Gage zu bezahlen.«

Das war natürlich ironisch gemeint, denn die vier Musiker hätten damals vermutlich für eine Minimalgage gespielt. Aber nichts tat sich, oder besser, nichts Positives.

Schlechte Nachrichten gab es hingegen. Jules Vater hatte nämlich erfahren, dass sich sein Sohn nie auf der Universität zeigte. Nach einigen Warnungen, die bei seinem Sohn ohne Wirkung blieben, setzte er den Unfolgsamen kurzerhand auf die Straße. Frau von Spree soll sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen gewehrt haben, doch ihr Gatte zeigte keinerlei Gnade. Jules musste gehen. Und er ging. Stolz, wie er später bemerkte, »stolz und mit dem erhabenen Gefühl, dass mir die Welt offen stand.«

Eines stand damals jedenfalls sofort offen: die Tür zur bescheidenen Wohnung der Familie Manera, die Jules von Spree großzügig bei sich aufnahm.

»Für diese Leute war es selbstverständlich«, äußert er sich in seiner Autobiografie zu diesem Umstand, »mich bei sich aufzunehmen. Ich bekam eine Matratze zugewiesen, und das Essen teilten wir uns, so gut es eben reichte. Mutter Manera hatte ich richtig ins Herz geschlossen. Sie war eine tapfere Frau, die es trotz eines schweren Schicksals immer wieder schaffte, einer scheinbar ausweglosen Situation Licht und Wärme abzugewinnen.«

Die Aufrichtigkeit dieser schwärmerisch gefärbten Aussage könnte allerdings angezweifelt werden, wenn man eine Aussage in Betracht zieht, die eine damals mit den Musikern bekannte Person mir gegenüber machte, die allerdings nicht genannt sein will: »Jules von Spree widerte es an, bei den Maneras zu wohnen. Schon die Art und Weise, wie diese Leute lebten, entsprach nicht seiner Einstellung. Zum Beispiel Wäsche, die in den Zimmern auf irgendwelchen schlecht installierten Leinen hing, konnte ihn innerlich zur Raserei bringen. Natürlich äußerte er sich vor seinen Gastgebern nicht darüber. Doch hielt er sich eisern daran fest, einem kultivierten Kreis zu entstammen, der nichts mit Aufwischarbeiten und dem Gestank von gekochtem Kohl zu tun habe. Was sein damaliges Verhältnis zu Kasimir Manera betraf, so sah er in ihm vermutlich einfach einen im Moment nützlichen Mann im Hintergrund, ein Trommler, nicht untalentiert, der jedoch nicht einmal ein passendes Instrument besaß.«

Tatsache war allerdings, dass von Spree zu diesem Zeitpunkt nicht nur kein passendes, sondern größtenteils überhaupt kein Instrument besaß. Das Klavier in der Bar durfte er ja bloß nachmittags benutzen. Dies brachte bald ein weiteres Problem mit sich.

Von Spree hatte auf dem Klavier im Elternhaus immer wieder Gelegenheit zum Komponieren gehabt. Und nun? In der Bar waren regelmäßig seine drei Mitmusiker anwesend. Und in ihrer Anwesenheit fühlte er sich außerstande, komponieren zu können.

Damals stammten alle Kompositionen, die das Quartett spielte, aus Jules von Spree’s Feder. Erst später, kurz nachdem sie sich DAS ORCHESTER nannten, kamen einige Werke von Dieter Hübsch dazu.

Jules von Spree fühlte sich durch den Rausschmiss seines Vaters offenbar verzweifelt, auch wenn er das in seinen Aufzeichnungen eines modernen Genies anders darzustellen versucht.

Das Orchester

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