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Kapitel 3

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In den folgenden Wochen kam es öfters zu längeren Diskussionen, bei denen die Schaffenskraft der vier Musiker mehr und mehr zu erlahmen drohte. Bis auf den kleinen Lohn, den Dieter Hübsch am Vormittag mit dem Abladen von Kisten verdiente, war kein Einkommen vorhanden. Obwohl sich Mutter Manera nicht darüber beklagte, nun noch zwei zusätzliche Mäuler stopfen zu müssen, spitzte sich die Lage in ihrem Haushalt zu. Vor allem Kasimirs Bruder Luis, ohne Arbeit und dadurch ebenfalls auf seine Mutter angewiesen, ertrug die fremden Kostgänger immer weniger. Wie er einmal mit einer leeren Bierflasche nach Jules von Spree warf, entschloss sich dieser, unverzüglich auszuziehen.

Mit viel Mühe konnte er Dieter Hübsch, der bei seinen Eltern wohnte, dazu überreden, ihm wenigstens das Geld für ein billiges Zimmer in einer naheliegenden Pension zu leihen.

Von Spree zog also in eine Pension um. Karl-Friedrich Papst blieb weiterhin bei den Maneras und ertrug die Wutanfälle Luis gegen ihn und den Kontrabass geduldig.

Die Proben litten. Die Gespräche über den Geldmangel und die schier ausweglose Situation nahmen zu. Inzwischen verbrauchte Jules von Spree das gesamte Geld, das Dieter Hübsch in der Spedition verdiente, für Miete und Essen in der Pension. Und als wäre dies alles noch nicht genug, verlangte der Wirt, dem die Bar gehörte, ganz plötzlich eine Miete von den Musikern, die nicht zu knapp berechnet war. Das Ende schien nahe.

»Der Druck der damaligen Verhältnisse«, schreibt Jules von Spree in seinem Buch, »trieb mich zu Höchstleistungen an. In der Pension, in der ich wohnte, gab es ein hervorragendes Klavier, das ich täglich benutzen konnte. Noch selten hatte ich in einer so dichten Abfolge Werke komponiert, die eine solche innere Kraft ausstrahlten. Die Inhaberin der Pension, Frau Klara Korbal, fühlte sich durch die Musik, die plötzlich ihr Haus erfüllte, berauscht. Öfters ließ sie mir beim Essen eine zusätzliche Portion zukommen und bot mir sogar an, meine Wäsche gratis zu waschen.«

Der Sohn von Frau Korbal, damals knapp zwölf Jahre alt, kann sich an den ehemaligen Gast erinnern. »Bis in die Nacht hinein wurde das Klavier gespielt. Meine Mutter war dagegen. Doch was hätte sie tun sollen? Mein Vater lebte damals ja schon nicht mehr. Er hätte bestimmt etwas gegen diese Musik unternommen!«

Bei meinen Recherchen konnte ich auch einen Mann ausfindig machen, der zur damaligen Zeit ebenfalls Gast in der Pension von Klara Korbal war. Er meinte: »Dieser junge Mann, aus dem, wie ich selbstverständlich weiß, ein berühmter Musiker geworden ist, bearbeitete oft stundenlang das Klavier, das sich im Aufenthaltsraum befand, der direkt unter meinem Zimmer lag. Er spielte gut, das muss ich zugeben. Sonst wäre er sicher nicht so berühmt geworden.«

Auf die Frage, wie den Frau Korbal dieses ständige Musizieren aufgefasst habe, antwortete er nicht ohne anfängliches Zögern: »Nun ja, ich weiß nicht so richtig. Sie mochte den jungen Mann, ich würde sogar sagen, sie hatten ein inniges Verhältnis zueinander. Aber ob sie auch seine Musik gemocht hat – ich bezweifle das eher.«

In Jules von Spree’s Autobiografie sucht man vergeblich nach einem Hinweis, der ein »inniges Verhältnis« zwischen ihm und der Pensionsinhaberin bestätigt.

Auffällig ist aber eine Tatsache, die von Spree in seinem Buch erwähnt. Er verlangte nämlich wenige Wochen, nachdem er in die Pension eingezogen war, kein Geld mehr von seinem Freund und Mitmusiker Dieter Hübsch. Als Erklärung dafür gibt er an, einem Musikverlag zwei Werke verkauft zu haben, an deren Titel er sich nicht mehr zu erinnern vermag.

Da ja kein offiziell gedrucktes Notenmaterial von den Kompositionen, die das Quartett damals wie aber auch später unter dem Namen DAS ORCHESTER spielte, vorliegt, ist dies schwer nachzuprüfen. Denn wenn von Spree wirklich zwei Werke an einen Musikverlag verkauft hat – was ja absolut gegen seine nur wenig später gefassten Prinzipien verstößt –, so besteht natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass er die durch den besagten Verlag gedruckten Partituren zu einem späteren Zeitpunkt vernichten ließ. Trotzdem müsste es ja im Privatbesitz irgendwelcher Leute autorisierte Notenblätter geben. Davon ist aber bis heute nie etwas bekannt geworden.

Dadurch, dass Dieter Hübsch nun seinen schmalen Lohn wieder zur Verfügung hatte, konnte die Miete, die der Barbesitzer regelmäßig forderte, bezahlt werden. In den Proben wurde wieder mehr Musik gespielt und weniger diskutiert. In gewisser Weise stabilisierte sich die Lage, obwohl sie, von einigen Standpunkten aus betrachtet, nach wie vor kritisch war.

Es gibt kaum Leute, die eine oder gar mehrere Proben des ORCHESTER’s miterleben durften. Das liegt sicher daran, dass die Musiker, allen voran Jules von Spree, es durchaus nicht schätzten, bei ihrer Arbeit gestört zu werden.

Kasimir Manera sah das wesentlich lockerer, denn er brachte regelmäßig seine Freundin mit. Mit dieser verlobte er sich später, doch die beiden trennten sich wieder.

Kathrin Giselbrecht heißt die Frau, und sie weiß einiges aus der gemeinsamen Zeit mit Kasimir Manera zu berichten. So kann sie sich noch genau daran erinnern, wie die vier Musiker täglich von zwei Uhr nachmittags bis sieben Uhr abends probten, einschließlich samstags und sonntags.

»Cash's Trommel löste oft Streitereien aus«, erzählte sie mir mit lebhaften Augen. »Und einmal, als er sein Instrument über Nacht in der Bar ließ – was er übrigens selten tat –, fand er es am nächsten Tag mit durchgeschnittenem Fell wieder.«

Tatsächlich taucht die Episode mit dem durchgeschnittenen Trommelfell auch in Jules von Spree’s Aufzeichnungen eines modernen Genies auf. Ihm zufolge soll ein betrunkener Besucher der Bar nachts die Trommel gefunden und so heftig gespielt haben, bis das Fell platzte. Dafür gibt es aber keinen Zeugen.

Die Sache wird interessant, wenn man einer These Wahrscheinlichkeit einräumen will, die Kathrin Giselbrecht vertritt: »Es ist doch eindeutig, wer das Trommelfell zerschnitten hat. Wer hätte das sonst tun sollen? Wie gesagt, war die Trommel oft der Grund für Streitereien. Von Spree hat sie kaputt gemacht. Natürlich stritt er das ab. Doch Cash glaubte auch, dass von Spree dahinter stecke.«

Wie dem auch war, Jules von Spree organisierte jedenfalls ein neues Trommelfell für seinen Mitmusiker. Ob dies ein Schuldeingeständnis war, soll hier offen bleiben.

Von Spree selbst meint vielmehr dazu, er wäre der einzige gewesen, der sich das finanziell hatte leisten können. Steckte da die Pensionsinhaberin, die Witwe Klara Korbal, dahinter? Auch das soll hier offen bleiben.

Was nun die Stimmung in den jeweiligen Proben betrifft, so empfand sie Kathrin Giselbrecht meistens von starken Spannungen begleitet. Jules von Spree tat sich, ihrer Meinung nach, zu stark als Führer und absolute Nummer eins hervor.

»Schon die Art, wie er am Klavier saß«, präzisiert sie, »hatte etwas Provozierendes an sich. Er schob auch immer vor der Probe das Klavier in die Mitte des Raums, damit sich die andere um ihn herum gruppieren mussten und er somit das Zentrum aller Aktivitäten war. Wenn seine Hände nicht auf den Tasten lagen, schnippte er aufgeregt mit den Fingern und biss sich gleichzeitig auf den schmalen Lippen herum. Sprach einer der anderen Musiker mit ihm, so hatte ich stets das Gefühl, von Spree höre ihm gar nicht zu. Insbesondere fiel mir das Cash gegenüber auf. Ich glaube, in Wirklichkeit verachtete er ihn noch mehr als seine Trommel.«

Trotz dieser eher negativen Aussage müssen sich Jules von Spree, Karl-Friedrich Papst, Dieter Hübsch und Kasimir Manera während dieser Phase musikalisch weiter entwickelt haben. Jedenfalls erarbeiteten sie sich in dieser Zeit ein Repertoire, das es ihnen ermöglicht hätte, irgendwo damit aufzutreten. Aber dazu fehlte ihnen eben ein entsprechendes Engagement. Und keiner der vier Musiker fühlte sich in der Lage, diesbezüglich etwas zu unternehmen.

Sie interessierten sich nur für ihre Musik. Oder wie Dieter Hübsch in den Jahren ihrer großen Erfolge bemerkte: »Von Geschäften haben wir alle vier keine Ahnung. Hingegen verdienen wir so viel, dass ein mancher, der von Geschäften eine Ahnung hat, nie so viel verdienen wird.« An dieser Aussage war, ohne Zweifel, etwas Wahres dran.

Das Orchester

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