Читать книгу Liebe kennt keine Logik - Sima G. Sturm - Страница 4
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ОглавлениеM ein Name ist Fanny Strom. Strom wie fließende Elektrizität oder wie ein großer, breiter Fluss. Ganz egal, denn Strom bedeutet Bewegung. Und das bin ich eigentlich immer, in Bewegung. Ich bin Detektivin im Arabella, dem größten Kaufhaus der Stadt. Und hier wird es wirklich nie langweilig. Schon gar nicht zur hektischen Vorweihnachtszeit, in der Massen von Menschen geradezu überfallartig die Läden stürmen, als würde die Welt in den nächsten Tagen untergehen.
Wie ich das hasse. Gerade habe ich wieder so eine kleine Diebin entdeckt. Ich habe sie schon eine Weile beobachtet, wie sie zwischen den Regalen in der Elektronik-Abteilung umhergeschlichen ist und dabei ganz nebenbei einen kleinen Karton in ihren Rucksack verschwinden ließ. Und welch Wunder, natürlich hat die Göre den Kassenbereich mit den fünf großen, leuchtenden Buchstaben wohl irgendwie übersehen.
»Hast du nicht was vergessen, junge Dame?« Ich tippte ihr auf die Schulter und grub meine Finger vorsorglich schon mal in ihren Mantel.
»Nö, was denn?« Ein freches Sommersprossengesicht hob sich mir entgegen. Aus braunen Knopfaugen schaute die kleine Rotznase mich unschuldig dreinblickend an. Wäre da nicht dieses nervöse Gezappel, dann hätte ich glatt vermuten können, dass sie das nicht zum ersten Mal machte.
Ich zog missbilligend die Augenbrauen zusammen. Schon traf mein strafender Blick das Mädchen mit aller Härte. Einst hatte ich diesen Blick sogar zu Hause vor dem Spiegel geübt. Und er verfehlte seine Wirkung nicht. Göttin sei Dank war bei dem Blondschopf offenbar noch nicht Hopfen und Malz verloren. Sie zog den Kopf ein, sodass er beinahe vollständig im hochgestellten Kragen ihres abgewetzten Mantels verschwand.
»Würdest du bitte mal deinen Rucksack öffnen? Ich bin nämlich neugierig, ob sich da nicht aus Versehen etwas hineinverirrt hat.«
»Es ist doch nicht für mich«, murrte die Göre, »sondern ein Geschenk für meine Mutter.« Widerwillig zog sie den Rucksack von ihren schmalen Schultern. »Es ist doch bald Weihnachten.« Es dauerte eine Weile, bis sie schließlich einen elektronischen Radiowecker hervorholte. »Ihren alten habe ich zerdeppert«, fügte sie mit einem entschuldigenden Schulterzucken hinzu.
»Schön, dass du an deine Mutter denkst und um Wiedergutmachung bemüht bist. Aber das ist noch lange kein Grund, ohne zu bezahlen hier herauszuspazieren.« Ich nahm den Wecker an mich und zitierte die Kleine in mein Büro. »Jetzt muss ich leider die Polizei rufen«, sagte ich, nachdem sie sich auf dem Stuhl in der Ecke niedergelassen hatte. »Als hätten die nicht genug zu tun.« Ich schimpfte noch ein bisschen vor mich hin, während ich das Mädchen aus den Augenwinkeln beobachtete.
Sie wurde immer kleiner und sank auf dem unbequemen Plastestuhl förmlich in sich zusammen. Ihre Augen jedoch wurden immer größer. »Aber . . . aber ich wollte doch das Ding bezahlen. Ehrlich. Mein Geld hat bloß nicht gereicht. Bitte, meine Mama hat schon genug Probleme.« Mit flehendem Blick schaute sie zu mir auf.
»Ich würde sagen, jetzt hast du erst mal ein Problem.« Ich gab mir alle Mühe, mich von den kindlichen Kulleraugen nicht beeindrucken zu lassen. Mit finsterer Miene fischte ich ihren Schülerausweis aus dem Rucksack. Lotta Kramer, zwölf Jahre. »Okay, Lotta. Kann ich deine Mutter telefonisch erreichen? Oder deinen Vater?«
»Es gibt nur meine Mutter und mich«, murmelte sie leise. »Bestimmt wird sie mich schon suchen. Wir wollten uns um sechs in der Drogerieabteilung treffen.«
In diesem Moment knackte mein Walkie-Talkie und gab Geräusche von sich, als würde es gleich das Zeitliche segnen. »Fanny?«, krähte mein Name aus dem Funkgerät.
»Was gibt’s denn?«, fragte ich zurück.
»Hier ist eine Kirsten Kramer. Sie fragt, ob ihre Tochter Lotta zufällig bei uns ist. Ich wollte sie schon ausrufen lassen, aber hattest du vorhin nicht ein blondes Mädchen am Wickel?«
Ich blickte zu Lotta hinüber, die ihr Gesicht in den Händen vergraben hatte. »Shit, Shit, Shit«, sprudelten die unfeinen Wörter aus ihr heraus.
Fast musste ich schmunzeln, aber natürlich tat ich das nicht. Ich drückte auf die Sprechtaste. »Ja, sie ist bei mir. Schick ihre Mutter zu mir ins Büro.«
Keine drei Minuten später klopfte es an der Tür. Seelenruhig schritt ich durch das Zimmer, ohne Ja oder Herein zu rufen. Dann, beinahe ein wenig zu schwungvoll, öffnete ich die Tür. Im gleichen Atemzug blieb mir der Mund offenstehen. Ich starrte wie ferngesteuert die Frau vor mir an. Langes, dunkelblondes Haar ergoss sich in Wellen über ihre Schultern. Und die großen, braunen Augen, die mich geradezu scheu musterten, hatte Lotta also von ihrer Mutter. Nur diesmal war es ein Ding der Unmöglichkeit, mich davon nicht beeindrucken zu lassen.
Was für eine Wahnsinnsfrau! Nichts anderes konnte ich in diesem Moment denken. Ein sanftes, verräterisches Kribbeln strömte durch meinen Körper, und ich merkte nicht einmal, dass ich immer noch im Türrahmen stand und den Eingang blockierte. Erst als Kirsten Kramer sich vorsichtig räusperte, kam ich halbwegs wieder zu mir. Peinlich berührt trat ich zur Seite, um sie hereinzulassen.
Sie glitt wie eine Elfe an mir vorbei, und ich konnte gar nicht anders, als ihr – natürlich unauffällig – auf den hübschen Hintern zu starren, der sich unter einem karierten Minirock verbarg. Mein Blick glitt weiter nach unten und saugte sich an den schlanken Beinen fest. Die schwarzen Wollleggins, die sie trug, schützten vielleicht vor Kälte, aber sie schützten mich nicht davor, dass meine Kehle immer trockener wurde. Spontan ging mir durch den Kopf, ob ich womöglich die Heizung zu weit aufgedreht hatte.
»Lotta, was hast du denn wieder angestellt?«
Der Klang ihrer Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. Sanft wie der Flügelschlag eines Adlers. Ein bisschen vorwurfsvoll, verständlicherweise, und es half mir, mich daran zu erinnern, weshalb die Frau eigentlich hier war.
Schweren Herzens riss ich mich von ihrem Anblick los und schaute an ihr vorbei auf die Kramer in klein. Die rieb über den Stoff ihres Mantels, als würde sich dadurch ein großer Fleck, den nur sie zu sehen schien, in Luft auflösen. Wenn sie so weitermachte, würde sie bald den Stoff durchgescheuert haben. Sie setzte immer wieder mit dem Sprechen an, aber irgendwie schien es der Göre die Sprache verschlagen zu haben. Nun, da hatten wir etwas gemeinsam, auch wenn die Gründe nicht unterschiedlicher sein konnten.
Kirsten Kramer drehte sich hilfesuchend zu mir um. Ihr banger Blick löste einen Gefühlssturm in mir aus.
»Ihre Tochter hat vergessen zu bezahlen«, kam es mir heiser über die Lippen, als hätte ich mir soeben eine Erkältung eingefangen.
Ich hatte mit so manchem gerechnet, aber ganz sicher nicht damit, dass sich der Ausdruck in diesem bezaubernden Gesicht in Empörung verwandeln würde, die sich nun gegen mich richtete. »Meine Tochter hat geklaut? Wollen Sie mir das damit sagen? Das glauben Sie doch wohl selbst nicht.« Sie stemmte die Hände in ihre wohlgeformten Hüften und funkelte mich aus ihren braunen Augen böse an.
Na hoppla! Sehe ich etwa so aus, als würde ich kostenlos Süßigkeiten verteilen? Ich holte tief Luft. Diese Augen machten mich ganz konfus. »Frau Kramer, ich bin Kaufhausdetektivin, und gewöhnlich sitzt niemand aus purer Langeweile in meinem Büro.«
»Das mag ja sein. Aber Sie haben sich geirrt. Lotta ist keine Diebin. Sie hat sicherlich schon mal was kaputtgemacht oder ist mit Rollerblades durch das Kaufhaus gefahren oder hat dem Weihnachtsmann den Bart abgerissen und ihn damit als unecht entlarvt, aber sie ist ein gutes Mädchen.«
Mein Gott, was für ein Temperament. Ich war echt beeindruckt, dass jemand ohne Luft zu holen so viele Wörter verlieren konnte. Gerade konnte ich mich nicht entscheiden, ob mir ihre Schüchternheit, die sie einfach wie einen Mantel an der Tür abgestreift hatte, oder ihr feuriges Temperament besser gefiel. Ich vermutete mal beides.
Noch darüber nachdenkend griff ich nach dem Radiowecker, der auf meinem Schreibtisch stand, und hielt ihn in die Höhe. »Der hier ist nicht kaputt, zumindest nicht, dass ich wüsste. Blöd nur, dass er im Rucksack Ihrer Tochter gelandet war, ohne bezahlt worden zu sein.«
Kirsten Kramer machte ein langes Gesicht. Die Augen geweitet starrte sie den Wecker an, als hätte sie etwas Derartiges noch nie in ihrem Leben gesehen. »Was soll das sein?«, fragte sie mich verständnislos.
Wie, was soll das sein? Will die Frau mich etwa veräppeln? Okay, das Gerät war noch im Karton verpackt, aber da stand doch drauf, was es ist, und ein Bildchen gab es auch noch dazu. Vielleicht brauchte Mama Kramer ja eine Brille. Das war immerhin möglich. »Ein elektronischer Radiowecker?«, antwortete ich süffisant.
»Oh«, sagte sie nur.
War das etwa alles, was die reizende Dame dazu zu sagen hatte? Ich war schon fast geneigt, mit ihr genauso zu schimpfen wie mit ihrer Tochter. Alternativ lag mir noch auf der Zunge, dass der Apfel offenbar nicht weit vom Stamm fällt, aber das wäre ungerecht gewesen. Die Mutter hatte ja nicht geklaut. Zumindest hatte ich sie dabei nicht erwischt.
Ich musste mir das Grinsen verkneifen und kämpfte gegen das Zucken meiner Mundwinkel an. »Ich war gerade dabei, die Polizei zu informieren. Leider muss ich Strafanzeige erstatten.«
»Die Polizei?«, kreischte Kirsten Kramer fast schon hysterisch. »Wegen eines blöden Weckers? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst! Lotta ist erst zwölf!«
»Tja.« Ich zuckte die Schultern. »Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie sich hier überall kostenlos bedienen kann.«
Natürlich wusste ich, dass das Mädchen noch nicht strafmündig war. Außerdem hatte ich die Personalien von der Kleinen, und ihre äußerst attraktive Mama war ebenfalls zur Stelle. Es bestand also kein Grund für mich, die Polizei ins Kaufhaus zu beordern. Die Anzeige konnte ich genauso gut per Post weiterleiten.
»Also ehrlich mal«, ereiferte sich Kirsten Kramer weiter. Sie klopfte sich mit den Fingerkuppen gegen die Stirn. »Finden Sie das nicht ein bisschen übertrieben? Gewiss gibt es eine einfache Erklärung dafür. Aber das verstehen Sie natürlich nicht. Wahrscheinlich, weil Sie keine Mutter sind.«
Zugegeben, das hatte mich ein wenig getroffen. Allmählich fand ich das nicht mehr lustig. Und außerdem . . . Hatte die Frau mir gerade etwa einen Vogel gezeigt? Auch wenn sie richtig vermutet hatte. Ich hatte keine Kinder, weil ich mit diesen kleinen Quälgeistern noch nie viel anfangen konnte. Und da ich ein Einzelkind war, kam ich auch nie in den Genuss eines Geschwisterchens oder später eines Neffen oder einer Nichte. Aber wie kam Kirsten Kramer denn dazu, mir das zum Vorwurf zu machen?
Zum wiederholten Male holte ich tief Luft. Ich nahm mir vor, mir meine Verärgerung nicht zu sehr anmerken zu lassen. »Es spielt keine Rolle, ob ich das übertrieben finde oder nicht«, sagte ich dann. »Mein Arbeitgeber besteht darauf, dass jeder Diebstahl zur Anzeige gebracht wird. Und Sie sollten sich lieber mal ernsthaft mit Ihrer Tochter unterhalten. Oder wollen Sie mich dafür verantwortlich machen, dass sie geklaut hat? Bin ich daran vielleicht auch noch schuld, nur weil ich keine eigenen Kinder habe?«
Mist. Das wollte ich gar nicht sagen. Es war mir einfach so rausgerutscht.
Kirsten Kramer öffnete und schloss mehrmals den Mund, bevor die ersten Silben über ihre ausgesprochen schönen Lippen kamen. »Also . . . das ist ja . . . « Offensichtlich fand sie nicht das passende Wort, das sie mir als Nächstes an den Kopf klatschen konnte. Stattdessen kramte sie hektisch in ihrer Handtasche herum und zerrte einen Zwanzigeuroschein heraus, den sie mir vor die Nase hielt. »Mehr habe ich im Moment nicht«, grummelte sie.
Was soll das denn werden? Kurz dachte ich daran, dass sie mit dem Geld womöglich den Wecker bezahlen wollte. Aber den hatte ich ja bereits eingezogen. Und er war ja auch als Geschenk von ihrer Tochter gedacht und nicht, weil sie ihn sich explizit ausgesucht hatte. Vielleicht wollte Kirsten Kramer auch gar keinen Radiowecker.
Während ich darüber grübelte, kam mir plötzlich ein ganz anderer Gedanke, der sich in mir festsetzte. »Wollen Sie mich etwa bestechen?« Ich merkte, dass sich eine gewisse Fassungslosigkeit in mir breitmachte.
»Nein, ich . . . ich dachte . . .« Sie schüttelte verwirrt den Kopf, sodass ihre blonde Haarpracht wild umherflog. »Ihnen steht doch bestimmt eine Fangprämie zu«, quetschte sie schließlich mühsam hervor.
Nun musste ich wirklich an mich halten. »Eine Fangprämie? Wie kommen Sie denn darauf?«
Sie hob unschlüssig die Schultern. »Hab irgendwo mal davon gehört oder darüber gelesen.«
So, so. Allmählich fehlten mir wirklich die Worte. Wäre es einfach nur eine Geste von Dreistigkeit, dann hätte ich der Dame – attraktiv oder nicht – ordentlich den Marsch geblasen. Doch die Hand, in der sie den Geldschein hielt, zitterte, als hätte sie Angst. Das hielt mich zurück.
Ich blickte zu ihrer Tochter hinüber, die in den letzten Minuten noch kleiner geworden zu sein schien und stumm vor sich auf den Boden starrte. »Lotta, du hast bis auf weiteres Hausverbot hier«, sagte ich, um überhaupt irgendetwas zu sagen. »Und den . . .«, ich wandte mich wieder ihrer Mutter zu und tippte auf den Schein, »stecken Sie besser wieder ein.«
Sie nickte, halb schuldbewusst, halb wütend. Dann streckte sie ihren Rücken durch, stopfte das Geld in ihre Jackentasche und sagte: »Lass uns gehen, Lotta.«
Das Mädchen stand langsam auf. Mit gesenktem Blick schlich es an mir vorbei.
»Moment«, hielt ich Mutter und Tochter, die schon fast an der Tür waren, auf. »Frau Kramer, ich brauche auch noch Ihre Personalien und Ihre Adresse.«
Als sich Lottas Mutter zu mir umdrehte, lächelte sie abschätzig. »Das war ja klar.« Sie zog ihren Ausweis hervor und pfefferte ihn auf den Tisch.
Während ich die Daten abschrieb, spürte ich ihre Blicke in meinem Rücken. Sie gingen mir durch und durch. Es war nicht unangenehm, nein, das konnte ich wirklich nicht behaupten. Weiß der Teufel, warum ich das eher als Genuss empfand, obwohl die Frau mich wahrscheinlich am liebsten erwürgen würde.
Schließlich gab ich ihr den Ausweis zurück. Ich hatte das Bedürfnis, ihr noch etwas zu sagen, etwas Nettes vielleicht zum Abschied. Ich konnte nicht leugnen, dass die Frau eine nicht mit Worten zu beschreibende Anziehungskraft auf mich ausübte, was mich völlig aus dem Konzept brachte. Ich verhielt mich irgendwie atypisch.
Doch ich kam gar nicht dazu, weil sie es mit dem Abschiednehmen deutlich eiliger hatte. »In der Hoffnung, Sie nicht so schnell wiederzusehen, wünsche ich Ihnen schon mal ein schönes Weihnachtsfest«, sagte sie mit einem schnippischen Unterton.
Und noch ehe ich antworten konnte, schob sie ihre Tochter zur Tür hinaus, und schon waren sie beide verschwunden. Nur der betörende Duft ihres Parfüms blieb zurück und stieg mir in die Nase.