Читать книгу Liebe kennt keine Logik - Sima G. Sturm - Страница 7
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ОглавлениеIch wartete drei Tage lang auf eine Nachricht von Kirsten, doch sie meldete sich nicht. Derweil wurde ich von allen möglichen Gedanken heimgesucht, die sich wie Ungeziefer in meinem Kopf einnisteten. Sie hat sich meine Nummer falsch notiert . . . Ihr ist etwas zugestoßen . . . Sie hat es sich anders überlegt . . .
Die Ungewissheit machte mich bald wahnsinnig. Klar, ich hatte ihre Adresse, und ich könnte einfach zu ihr fahren, um mir Klarheit zu verschaffen. Aber dazu konnte ich mich nicht durchringen. Wie sähe das denn aus? Wir kannten uns doch kaum. Und übermorgen war Heiligabend. Okay, das war nicht der Kirchenglocke letzter Schlag, aber mit jeder Minute, die verging, schwand meine Hoffnung. Sie versank irgendwo in den Tiefen der Dunkelheit.
Mein Gott, bist du melodramatisch, lästerte die innere Stimme in mir. Dann geh doch zu ihr in den Laden oder am besten gleich zu Rosi. Fast meinte ich zu hören, wie mein Alter Ego sich ins Fäustchen lachte.
»Du kannst mich mal kreuzweise«, brummelte ich.
Kurz darauf hatte ich beschlossen, die Freundschaft zu meinem zweiten Ich vorübergehend auf Eis zu legen. Aber ein solches Verhalten konnte ich nun wirklich nicht ungestraft lassen. Ich blickte dabei in den Spiegel und zog eine Grimasse.
»Ich bin verrückt geworden«, stellte ich nach einer Weile fest. Kopfschüttelnd wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab.
Aber vielleicht war die Idee, mal so ganz zufällig im Lesecafé vorbeizuschauen, gar nicht so schlecht. Ich hob warnend den Zeigefinger in die Luft, als sich die Stimme in meinem Kopf erneut mit einem unqualifizierten Kommentar zu Wort melden wollte. »Sei bloß still«, knurrte ich.
Alle Bedenken beiseiteschiebend warf ich mir den Mantel über und verließ die Wohnung. Ich steuerte direkt auf den Weihnachtsmarkt zu. Dort drehte ich ein paar Runden, ohne dass ich mich meinem eigentlichen Zielort entscheidend näherte. Stattdessen blieb ich an dem mir schon bekannten Stand mit den Mützen, Handschuhen und Schals hängen.
Die Verkäuferin erkannte mich anscheinend sofort wieder, denn statt einer Begrüßung sagte sie: »Die rote oder doch die schwarze Mütze?« Dazu blinzelte sie mich wissend über die Ränder ihrer Brille hinweg an.
Allmählich fragte ich mich, ob ich es hier mit einer eingeschworenen Gemeinschaft zu tun hatte, die streng darüber entschied, ob sie neue Mitglieder in ihren Kreis aufnahm oder nicht.
Ich verzog meinen Mund zu einem schiefen Grinsen. »Wenn ich das wüsste . . .«, sagte ich.
Ein bisschen hatte ich ja gehofft, dass die Frau mir bei meiner Entscheidungsfindung behilflich sein würde. Da dem aber offensichtlich nicht so war, griff ich nach der schwarzen Schirmmütze, die Kirsten so unverschämt gut gestanden hatte. Anscheinend hatte sich noch keine andere Käuferin dafür gefunden, als wäre die Mütze ausschließlich für Kirsten bestimmt. Ich drehte sie in meinen Händen und fühlte den weichen Stoff.
Als ich mich schon entschieden hatte, schob mir die Verkäuferin noch eine ähnliche Mütze zu, nur eben in Rot. Sie gefiel mir sehr, und ich stellte mir vor, wie verführerisch sie zu Kirstens blondem Haar passen würde. Je nachdem, wie das Licht fiel, hatte ich nämlich auch schon einen leichten Rotschimmer darin entdeckt.
Doch ehrlich gesagt fühlte ich mich jetzt ein wenig überfordert. Mir war natürlich klar, dass die Frau hinter dem Tresen hier eine clevere Verkaufstaktik an den Tag legte. Unentschlossenen Kunden, die aber nicht mit leeren Händen vor der Dame ihres Herzens aufkreuzen wollten, konnte man so natürlich hervorragend das Geld aus der Tasche ziehen.
Ich zwinkerte ihr verschmitzt zu. Was soll’s, dachte ich mir. »Wissen Sie was, ich nehme einfach beide.«
Die Frau lächelte glücklich. »Gute Wahl«, zwitscherte sie, und schwupp landeten beide Mützen in einer Papiertüte mit kleinen Weihnachtsengeln drauf.
Na großartig! Sollte ich etwa mit dieser Tüte zu Kirsten gehen? Gab es denn keine kleinere Größe? Doch auch mein missbilligender Blick half nicht. Schon im nächsten Augenblick tauschten Geld und Tüte ihre Besitzer. Und außerdem schien nur ich mir Gedanken darüber zu machen, denn die Verkäuferin strahlte mich so herzlich durch ihre Brillengläser an, dass es mir ganz automatisch ein Schmunzeln entlockte.
Als ich ihr noch einen schönen Tag wünschte und mich schon zum Gehen wandte, sagte sie noch: »Damit machen Sie ihr bestimmt eine große Freude.«
Überrascht hielt ich in meiner Bewegung inne. »Nun, ich hoffe sehr, dass Sie recht behalten«, erwiderte ich schließlich. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich endgültig weiter.
Während ich nun doch zielorientierter den Weihnachtsmarkt verließ und durch die Einkaufspassage schlenderte, unternahm ich ein paar klägliche Versuche, die Papiertüte irgendwo an meinem Körper und unter meinem Mantel zu verstauen. Doch das war natürlich aussichtslos, wenn ich nicht wie eine aufgeblähte Weihnachtskugel aussehen wollte, die auch noch bei jeder Bewegung raschelte.
Ich war so sehr damit beschäftigt, dass ich gar nicht merkte, dass ich inzwischen auf dem Hinterhof angelangt war. Kurz durchzuckte mich noch der Gedanke, schnell wieder kehrtzumachen, bevor mich noch jemand bemerkte.
Doch es war bereits zu spät. Rosi hatte mich schon gesehen und winkte mir lächelnd zu. Ich hob die Hand und grüßte zurück. Unruhig blickte ich mich in alle Richtungen um und ertappte mich dabei, dass ich erleichtert aufatmete, weil ich weder Kirsten noch Lotta entdecken konnte. Und das, obwohl ich doch nur aus einem einzigen Grund hierhergekommen war. Aber ich hätte mir vorher mal eine Strategie überlegen sollen, anstatt hier einfach so aufzukreuzen.
Ich stieß einen stillen Fluch aus, dann setzte ich einen Fuß vor den anderen. Nun war ich einmal hier, und so erwartungsvoll, wie Rosi mir entgegenblickte, wäre es verdammt unhöflich, einfach wieder zu gehen.
»Wie geht es Ihnen, Hüterin des Arabella?«, fragte Rosi mich augenzwinkernd, als ich an ihrem Stand angekommen war.
Meine Lippen kräuselten sich zu einem leichten Schmunzeln. Rosi schien eine wahre Frohnatur zu sein. »Na ja . . .« Ich blickte kurz zum zweiten Verkaufsstand hinüber und stellte zu meiner Überraschung erst jetzt fest, dass anstelle von Sandra heute ein junger Mann die Bücher feilbot. Schulterzuckend wandte ich mich wieder Rosi zu. »Ganz gut«, log ich, wohlwissend, dass das nicht der Wahrheit entsprach.
Aber was sollte ich ihr darauf auch antworten? Ich konnte ihr ja schlecht mein Herz ausschütten. Dennoch fühlte ich mich der Lüge überführt, weil Rosi mich mit einem nachdenklichen Blick musterte. Das war mir unangenehm, und ich schaute beschämt nach unten auf meine Schuhspitzen.
»Oh, Sie waren Geschenke einkaufen«, überspielte Rosi mein Dilemma gekonnt, als wüsste sie ganz genau, wie es um meinen Gemütszustand bestellt war.
Dankbar schaute ich wieder auf. Ich hob die Einkaufstüte in die Höhe und ließ sie an meiner Hand baumeln. »Ja, das kann man so sagen«, erwiderte ich lächelnd. »Aber das war sehr spontan und überhaupt nicht geplant.« Wie auch mein Besuch hier, fügte ich gedanklich hinzu.
»Spontane Einkäufe sind manchmal die besten.« Rosi bedachte mich mit einem warmherzigen Lächeln, während sie für die Kundin neben mir ein paar Plätzchen in einer Schachtel verstaute. »Letztlich ergibt es trotzdem einen tieferen Sinn, warum man das gemacht hat.« Sie lachte beherzt auf und reichte der Kundin die Schachtel. Die Dame nickte zustimmend, weil sie offensichtlich derselben Meinung war.
Ich nickte ebenfalls. Rosi hatte recht. In meinem Fall wahrscheinlich ganz besonders.
Als die Kundin gegangen war, sagte sie: »Ich nehme an, Sie sind nicht wegen einer Tasse Glühwein hier?« Rosi hatte keine Miene verzogen, aber ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Verschmitztes.
»Ähm, nein.« Ich war zu überrumpelt, um mehr zu sagen. Vielmehr musste ich daran denken, was ich Kirsten bei unserer letzten Begegnung gesagt hatte. Und nun stand ich hier, obwohl es doch hätte ganz anders laufen sollen.
Rosi wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und warf einen prüfenden Blick auf die Temperaturanzeige des Glühweinerhitzers. »Möchten Sie lieber einen Kaffee? Dann kann ich Ihnen ein Weilchen Gesellschaft leisten. Natürlich nur, wenn Sie Ihre kostbare Zeit mit einer alten Oma wie mir vertrödeln wollen.« Wieder zeigte sich dieses schelmische Lächeln auf ihrem Gesicht.
»Danke, das Angebot nehme ich sehr gern an.« Ich zwinkerte ihr mit einem Auge zu. »Und Sie sind doch keine alte Oma. Also ehrlich mal . . .«
Sie hob lachend den Zeigefinger, als wollte sie mich tadeln. »Schon gut, schon gut. Genug der Schmeichelei.« Kichernd wie ein junges Mädchen trat sie durch die Seitentür ihres Verkaufsstandes nach draußen. »Marcel«, rief sie. Der junge Mann am Bücherstand blickte zu ihr herüber. »Kannst du dich mal ein paar Minuten mit darum kümmern? Ich möchte mit der reizenden Dame hier einen Kaffee trinken.« Sie schmunzelte mich an. »Das ist übrigens mein Enkel. So viel dazu, dass ich keine alte Oma bin.«
»Klar doch, kein Problem, liebste Omi«, sagte er mit einem frechen Grinsen. Das schien irgendwie in der Familie zu liegen.
»Sehen Sie? Er erinnert mich tagtäglich daran, dass meine Daseinsberechtigung auf dieser Welt stetig abnimmt.«
Lachend schüttelte ich den Kopf. Rosis Humor gefiel mir. Und irgendwie fühlte ich mich mittlerweile gar nicht mehr so fehl am Platz. Dennoch wurde es mir schlagartig mulmig, als ich registrierte, dass Rosi direkt auf die Tür vom Lesecafé zusteuerte. Ach du Schande, was ist, wenn ich da drinnen auf Kirsten treffe? Das mulmige Gefühl verwandelte sich mit jedem Schritt in so etwas wie Panik. Mir brach der Schweiß aus.
Entweder bemerkte Rosi das nicht oder sie ignorierte es geflissentlich. Wir betraten das Café, ein hübsch eingerichteter und nicht zu groß geratener Raum, an dessen Wänden reihum prallgefüllte Bücherregale standen. Augenscheinlich herrschte hier das Prinzip einer optimalen Platzausnutzung, denn in der Mitte standen zerstreut ein paar Tische mit bequemen Sesselstühlen. Es gab auch eine separate Leseecke und auf der anderen Seite eine kleine Spieloase für Kinder.
Es waren nur vereinzelte Besucher anwesend, sodass wir problemlos einen freien Tisch fanden. Rosi ließ mich zurück und ging vor zur Bar. Gewiss wollte sie den Kaffee gleich selbst holen. Zögernd ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, bis ich an der Theke angelangt war. Ich entdeckte Sandra, die gerade den Kaffeeautomaten bediente. Aber Kirsten schien nicht da zu sein. Die angestaute Luft pfiff regelrecht aus mir heraus. Doch die Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn fast gleichzeitig überfiel mich eine tiefe Unruhe. Wo war sie denn nur?
Wenige Minuten später kehrte Rosi mit zwei großen Kaffeetassen an den Tisch zurück. »Ich hab gar nicht gefragt, ob Sie auch ein paar Kekse oder Kuchen dazu möchten.« Sie zuckte entschuldigend die Schultern.
»Nein, nein«, wehrte ich ab. »Kaffee reicht mir vollkommen aus. Ich habe auch überhaupt keinen Hunger.«
»Hm.« Rosi wirkte dennoch skeptisch. Sie schälte sich behände aus ihrer dicken Jacke, noch bevor ich ihr hätte behilflich sein können. Meine angestrebte Hilfsbereitschaft hatte sie offensichtlich trotzdem wahrgenommen – kein Wunder, ich war ja auch schon vom Stuhl aufgesprungen –, denn sie sagte: »Das kann ich noch ganz gut allein, aber danke.« Sie grinste vergnügt, mit deutlich nach oben verzogenen Mundwinkeln.
»Glaube ich Ihnen aufs Wort«, erwiderte ich schmunzelnd. Ich setzte mich wieder. »Kirsten ist wohl gar nicht da?«, platzte meine Frage ein wenig übermotiviert aus mir heraus, noch bevor ich einen Schluck getrunken hatte.
Rosi schüttelte den Kopf. »Nein, es gibt da noch ein paar Sachen, die sie klären muss.« Ihr Blick drückte aufrichtiges Bedauern aus. »Sie ist aber ohnehin nicht oft im Laden, weil sie sich mehr um das Geschäftliche, also die Finanzen, Bestellungen, Buchführung und all den Kram kümmert. Und zu Hause hat sie dafür mehr Ruhe.«
»Verstehe«, murmelte ich, ohne meine Enttäuschung gänzlich verbergen zu können. Ich hoffte jedoch, dass Rosi mich nicht für selbstsüchtig hielt. »Lotta ist ja auch in so einem Alter, da muss man als Mutter ganz schön hinterher sein«, fügte ich daher hinzu. Beinahe hätte ich deswegen aber in meinen Kaffee geprustet. Als ob ich auch nur den leisesten Schimmer davon hätte.
»Haben Sie Kinder?«, fragte Rosi mich prompt.
Da hatte ich den Salat. Wieso musste ich denn auch den Erziehungsratgeber mimen. Ich seufzte in mich hinein, ehe ich antwortete: »Nein, ich . . . Es hat sich einfach nicht ergeben.« Das war zumindest nicht gelogen. Tatsächlich hatte ich mir aber nie Gedanken darüber gemacht. In meinem Alter hatte ich nicht mal eine einzige Beziehung vorzuweisen, die länger als drei Monate gehalten hatte, geschweige denn, dass Kinder ein Thema gewesen wären.
»Ach was.« Rosi winkte ab. »Ich habe mich schon oft gefragt, wie mein Leben wohl ohne Kinder verlaufen wäre. Niemand kann einem das beantworten, ob es schlechter oder besser gewesen wäre. Definitiv aber anders.« Sie gluckste vor sich hin und schien in Erinnerung zu schwelgen, während sie mit dem Löffel in der Kaffeetasse rührte.
Ich schwieg, um sie dabei nicht zu stören. Doch im nächsten Augenblick zog sie den Löffel aus der Tasse und legte ihn beinahe schwungvoll auf den Tisch. »Sie hatten gehofft, Kirsten hier zu treffen. Nicht wahr?«
Es war ja nicht so, dass mein plötzliches Auftauchen nicht gleichzeitig eine logische Schlussfolgerung nach sich ziehen würde, und trotzdem war ich mir unsicher. »Ja, eigentlich schon«, murmelte ich. »Andererseits . . .« Ich sprach den Satz nicht zu Ende. Wie sollte ich Rosi das erklären, wenn ich selbst nicht einmal genau wusste, was ich mir von meinem Besuch hier erhofft hatte? Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Ich war einfach meinem Herzen gefolgt, obwohl mein Verstand mich aufzuhalten versucht hatte.
Rosi nickte scheinbar abwesend. Aber ich wusste instinktiv, dass die ältere Dame mir gegenüber voll konzentriert war. »Das heißt also, Kirsten hat sich nicht bei Ihnen gemeldet?«
Da war sie, die Schlussfolgerung, die mich trotzdem bis ins Mark traf. Kirsten hatte mit Rosi darüber gesprochen? Ich stöhnte innerlich auf. Konnte es denn noch peinlicher für mich werden? »Nein, hat sie nicht.« Resigniert ließ ich den Kopf sinken.
Rosis faltige Hand legte sich auf meine. »Ach, Kindchen . . .«
Kindchen? Ich blies die Backen auf, woraufhin Rosi leise lachte. Sie tätschelte meine Hand, was irgendwie beruhigend war, auch wenn ich das nie und nimmer zugeben würde.
»Haben Sie ein bisschen Geduld mit ihr«, setzte Rosi fort. »Es ist momentan alles nicht so einfach für sie. Aber ich habe das Gefühl, dass Sie ihr guttun, auch wenn Sie sich noch kaum kennen.«
Erstaunt blickte ich auf. Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich ahnte ja schon so etwas, dass Kirsten eventuell Sorgen und Probleme hatte. Aber die kurze Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, da hatte sie ganz anders auf mich gewirkt, vor allem äußerst selbstbewusst. Sie hatte auf mich nicht den Eindruck gemacht, als würde irgendwas oder irgendjemand sie daran hindern können, eine getroffene Entscheidung durchzusetzen. Also warum hatte sie mir dann nicht wenigstens eine kurze Nachricht geschickt? Sie hätte unser Treffen verschieben können. Selbst eine Absage hätte ich eines fernen Tages vermutlich verdaut. Aber so gar nichts?
Ich suchte nach Worten, die einer vernünftigen und verständnisvollen Reaktion gerecht wurden. Aber während ich noch vor mich hingrübelte, kam Sandra an unseren Tisch. Sie schaute nur Rosi an, während sie mich nahezu komplett ignorierte, als wäre ich gar nicht anwesend. Ihr Blick, als sie dann Rosis Hand auf meiner bemerkte, stieß pure Verachtung aus. Regelrecht erschrocken zog ich meine Hand zurück.
»Kann ich dir noch irgendwas bringen?«, säuselte sie. Natürlich war die Frage nur an Rosi gerichtet.
Rosi blickte Sandra ruhig in die Augen, doch sie war verärgert, wie ihre aufeinandergepressten Lippen verrieten. »Nein, ich brauche nichts weiter«, sagte sie schließlich. »Aber ich kann da nur für mich sprechen. Und wie dir sicherlich aufgefallen ist, sitze ich nicht allein an diesem Tisch.« Die Zurechtweisung in ihren Worten war nicht zu verkennen.
Es stand außer Frage, dass Sandra das nicht entgangen war. Sie war außer sich vor Wut, auch wenn sie sich noch so gut zu verstellen versuchte. Ihr Gesicht formte sich zu einer süffisanten Grimasse, als sie sich nun mir zuwandte und mir dieselbe Frage stellte. Sie gab sich nicht mal die kleinste Mühe, mir gegenüber höflich zu sein. Dass sie mich – eine Fremde – einfach so duzte, war ein Beleg dafür. Ich lehnte dankend ab, ohne mir mein Unverständnis für ein solches Verhalten anmerken zu lassen.
Nachdem Sandra wieder von dannen gezogen war, schüttelte Rosi den Kopf über sie. Als sie meinen fragenden Blick bemerkte, meinte sie: »Noch so ein Problemfall. Aber glauben Sie mir, das wollen Sie nicht hören.«
Doch, das würde mich sehr interessieren, hätte ich fast gesagt. Aber dann wurde mir klar, dass Rosi nicht über Sandra reden wollte. Und ich wollte nicht neugierig erscheinen und mich da in etwas einmischen, was mich vermutlich überhaupt nichts anging. Daher entschied ich mich, den Faden unseres Gespräches wieder aufzunehmen, bevor wir so unfreundlich unterbrochen worden waren.
»Sie meinen also, ich soll bei Kirsten einfach warten? Ich möchte sie ja auch nicht bedrängen. Aber sie war am Montag zu mir ins Kaufhaus gekommen. Das hätte sie nicht tun müssen.«
Ein feines, verständnisvolles Lächeln umspielte Rosis Mundwinkel. »Ist das denn nicht schon mal ein gutes Zeichen, dass sie zu Ihnen gekommen ist?«
Ich stutzte. Das stimmte natürlich. Aber umso mehr verwirrte mich das auch. »Sie haben sicherlich recht. Ich sollte wohl wirklich nicht so ungeduldig sein.«
Rosi nahm einen letzten Schluck aus ihrer Kaffeetasse. »Also ich kann Ihre Ungeduld durchaus verstehen. Gefühle machen davor nun mal nicht halt.« Schmunzelnd stand sie auf. »Leider muss ich langsam mal wieder raus in meine kleine Bude, so gern ich auch noch weiter mit Ihnen plaudern würde.«
»Natürlich.« Ich erhob mich hastig von meinem Stuhl. Hatte ich doch total die Zeit vergessen. Schnell kam ich um den Tisch herum, denn diesmal wollte ich Rosi zumindest in die Jacke helfen. Dadurch, dass ich nun hinter ihr stand, konnte ich wenigstens mein Gesicht vor ihr verstecken. Denn ich hatte das Gefühl, rot angelaufen zu sein, so heiß, wie sich meine Wangen anfühlten.
»Vielen Dank, Fanny.« Rosi blinzelte mich über ihre Schulter hinweg spitzbübisch an.
Ach, meinen Namen kennt sie also auch schon. Sollte mich das wirklich noch überraschen? Nein, wohl eher nicht.
Auf dem Weg nach draußen verfolgten mich Sandras Blicke. Ich konnte es spüren, ohne es zu sehen. Fröstelnd kuschelte ich mich noch tiefer in meinen Mantel, als mir die kalte Winterluft entgegenschlug. Die Geschenktüte baumelte wieder an meiner Hand und wirkte wie ein Fremdkörper auf mich.
»Was hat Sandra nur für ein Problem mit mir?«, fragte ich Rosi.
Die blieb mitten auf dem Hof stehen und drehte sich zu mir um. Fragend zog sie die Augenbrauen hoch.
Mein Arm wies hilflos in die Richtung, aus der wir gerade gekommen waren. »Ich meine, sie kennt mich doch gar nicht. Aber aus irgendeinem Grund scheint sie mich zu hassen.«
Rosi neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Es schien, als dachte sie nach. »Sie sollten das nicht zu persönlich nehmen«, sagte sie dann.
»Nicht persönlich nehmen ist gut. Wenn Blicke töten könnten, läge ich wahrscheinlich schon längst unter der Erde«, grummelte ich.
Ein Lächeln huschte über Rosis Lippen. Sie kam wieder einen Schritt auf mich zu und fasste mich am Arm, der schlaff an meinem Körper herunterhing. »Sandra ist meine jüngste Tochter, und sie ist Teilinhaberin des Cafés«, ließ sie mich wissen.
Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, Rosi auf Sandra anzusprechen?
»Ich habe drei . . . drei Mädchen, stellen Sie sich das mal vor«, setzte Rosi schmunzelnd fort, obwohl ihr meine Reaktion sicherlich nicht entgangen war.
»Es . . . tut mir leid«, stammelte ich. »Ich . . .«
»Was, dass ich drei Töchter habe?« Rosi lachte herzlich. »So schlimm ist das nun auch wieder nicht.«
Am liebsten hätte ich mir vor Scham die Hände vors Gesicht gehalten. »Nein, das meinte ich nicht. Es ist nur, ich wusste ja nicht, dass Sandra Ihre Tochter ist.« Ich zog eine gequälte Miene.
»Natürlich nicht. Woher sollten Sie das auch wissen?« Rosi lächelte mir aufmunternd zu. »Und Sie haben ja nicht ganz unrecht damit, dass meine Jüngste zuweilen ihre gute Erziehung zu vergessen scheint. Aber Sandra und Kirsten . . .« Sie ließ meinen Arm los und schwang ihre Hand ziellos durch die Luft. »Ach, das ist eine ganz andere Geschichte.«
Ich hätte die Geschichte gern gehört. Nun, wohl nicht gerade gern. Ich konnte nichts dagegen tun, dass schon wieder eine leichte Eifersucht in mir hochkroch. Aber Rosi schien ohnehin nicht weitersprechen zu wollen, denn sie begab sich eilig zu ihrem Verkaufsstand. »Vielleicht wollen Sie ja doch noch einen leckeren Glühwein?«, rief sie mir zu.
Ich grinste schräg und schüttelte den Kopf. Trotzdem ging ich noch mal zu ihr an den Stand, weil ich mich wenigstens ordentlich von ihr verabschieden wollte. Es war sehr angenehm gewesen, mit Rosi zu reden. Und ein Stück weit hatte mir unsere Unterhaltung die Augen geöffnet, auch wenn ich derzeit noch nicht wusste, wie es weitergehen sollte.
Ich lehnte mich gegen den Tresen und sah Rosi dabei zu, wie sie den Glühweintopf auffüllte.
»Ich dachte, dein Bedarf an Glühwein ist bis auf weiteres gedeckt?«, raunte es hinter mir.
Wie vertraut die Stimme mir inzwischen schon war. Meine Nackenhärchen stellten sich prompt auf, noch bevor eine Gänsehaut meinen ganzen Körper erfasste. Ich riss die Augen auf, nahm noch schemenhaft Rosis Grinsen wahr und schwang mich herum.
»Schön, dich zu sehen«, krächzte ich. Mich räuspernd fügte ich hinzu: »Und um deine Frage zu beantworten, ich möchte keinen Glühwein trinken, auch wenn Rosi mir hartnäckig einen unterjubeln wollte.«
»He«, hörte ich Rosi sagen. »So ist das ja nun nicht.« Ihre Entrüstung war nur gespielt. Das wusste ich. Dafür brauchte ich mich nicht umzudrehen.
Kirsten lächelte. Aber es war ein zurückhaltendes Lächeln, als ob sie sich nicht sicher wäre, ob sie unser Wiedersehen an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt auch schön fand. Dann fiel ihr Blick auf die Tüte in meiner Hand. Eine Weile starrte sie darauf, ohne etwas zu sagen. Meine Finger krampften sich um die Henkel. Wenn es ein Unsichtbarkeitsserum gegeben hätte, dann hätte ich jetzt die ganze Flasche ausgetrunken.
Auf einmal fasste Kirsten nach meiner anderen Hand und umschloss sie ganz fest, als wollte sie sie nie wieder loslassen. »Komm«, flüsterte sie. Und schon zog sie mich mit sich.
Ich war völlig perplex und wusste gar nicht, wie mir geschah. Ich schaffte es nicht mal, Rosi noch auf Wiedersehen zu sagen. Ich ließ mich einfach treiben. Es war wie ein Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.