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Die erste Station

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Weder im Leben noch im Tod wissen wir, was an der nächsten Ecke auf uns wartet. Nehmen wir nur Randi, die gerade zutiefst erschrocken die Treppe hinunterpurzelt.

An einem ganz gewöhnlichen Morgen verfängt sie sich oben am Treppenabsatz mit dem Fuß in ihrem Morgenmantel. So etwas ist schnell geschehen, und dann ist es unmöglich, sich zu halten. Sie stürzt rückwärts ins schreiende Vergessen, als der Besucher sie mit seinen starken Armen auffängt.

»Alles in Ordnung?«, fragt er.

»Nichts passiert«, keucht Randi, bevor sie »Aua!« schreit, als der Schmerz zuschlägt.

»Halte still, dann bringe ich dich an einen Ort, wo du es bequem hast«, sagt der Mann. »Entspann dich, du bist in Sicherheit.«

Und tatsächlich fühlt sich Randi sicher und beschützt.

»Wer bist du denn?«, fragt sie, während sie Stufe für Stufe die Treppe hinuntergetragen wird.

»Was denkst du denn, wer ich bin?«, fragt der Besucher.

»Wer ist schon wer?«, erwidert Randi.

»Gute Frage.«

»Ja, das stimmt, nicht? Und, um ehrlich zu sein, ich stelle in letzter Zeit immer mehr Fragen.«

»Tatsächlich?«

»Oh ja. Ich meine, manche Menschen behaupten, wir würden nur aus Haut und chemischen Stoffen bestehen.«

»Interessant.«

Randi durchzuckt der Gedanke, wie seltsam das Leben doch ist. Sie hat keine Ahnung, wer dieser Mann ist, trotzdem sind sie, noch bevor sie die letzte Treppenstufe erreichen, in ein tiefes metaphysisches Gespräch verwickelt.

»Ich könnte die Frage zurückgeben«, sagt der Fremde, »und fragen: Wer bist du?«

»Wer ich bin?«, bricht es aus Randi hervor, während sie sich durch den Flur tragen lässt.

Die Stimmung ist umgeschlagen; genug ist auf einmal genug.

»Ich bin die Person, die hier wohnt«, erklärt sie, »und ich möchte wissen, was du in meinem Haus zu suchen hast!«

Ein paar Dinge wurden ihr klar. Es war gut, dass dieser Mann da war und ihr das Leben gerettet hatte, doch nicht so gut war, dass er sich unberechtigt in ihrem Eigentum aufhielt. Es gab da einige Fragen, auf die sie eine Antwort erwartete.

»Mein Name ist WILL GOOD«, antwortete er, »und ich helfe Menschen beim Umzug.«

»Oh, ich verstehe«, erwiderte Randi, obwohl sie überhaupt nicht verstand.

»Du willst doch umziehen, oder?«

»Nun, ich –«

»Mir wurde gesagt, du hättest angerufen.«

»Ich kann mich nicht erinnern, irgendjemanden angerufen zu haben«, erklärte Randi. »Aber es stimmt, ich bin meiner gegenwärtigen Adresse ein klein wenig überdrüssig. Ich wohne schon so lange hier, vielleicht zu lange.«

»Dann musst du sofort aufbrechen.«

An diesem Punkt nahm Randi ihre veränderte Umgebung wahr. Zwar befand sie sich in ihrem Wohnzimmer, aber es war nicht mehr so, wie sie es verlassen hatte.

»Moment mal!«, rief sie. »Wo sind denn alle meine Möbel?«

Der Besucher hatte sie auf das Sofa gelegt, aber abgesehen davon war das Zimmer fast leer. Es war, als wären die Umzugsleute angerückt und hätten das Haus ausgeräumt. Und wie sich herausstellte, war es tatsächlich so.

»Wir haben das Haus ausgeräumt, während du geschlafen hast«, erklärte er.

»Das ist ziemlich vermessen.«

»In Vorbereitung deiner Abreise. Wir wollten nicht, dass du aufgehalten wirst. Wir haben die Möbel bereits vorausgeschickt.«

»Aber vielleicht habe ich es gar nicht so eilig mit meinem Aufbruch!«, warf sie vorwurfsvoll ein.

»Tatsächlich? Ich hörte, du seist unglücklich.«

Randi probierte den verletzten Fuß aus, mit erfreulichen Ergebnissen. Die Verletzung war nicht so schlimm.

»Möglicherweise«, räumte sie ein.

»Mir wurde gesagt, du seist sehr niedergeschlagen, du hättest das Gefühl, in einem Leben festzuhängen, in dem alles bereits vorgezeichnet ist, und dass dein Leben in einer langweiligen Spur gewohnheitsmäßiger Reaktionen verläuft. Ein Leben, das mehr aus Gewohnheit denn aus Freude gelebt wird; voller unterschwelliger Angst, gepaart mit gelegentlichem Bedauern und unzufriedener Sehnsucht.«

Randi hätte es vermutlich anders ausgedrückt, aber diese Formulierung brachte etwas in ihr zum Klingen.

»Sicher«, meinte sie zögernd. »Aber das bedeutet doch nicht, dass ich sofort aufbrechen muss.«

WILL GOOD blickte zum Fenster hinaus.

»Ich finde das einen guten Grund«, sagte er, »aber du warst ja schon immer eine Meisterin der Verzögerung und Ausrede.«

Eine unbehagliche Stille trat ein. In Randis Welt hatten sich Eindringlinge mit persönlichen Beobachtungen zurückzuhalten, auch wenn sie der Wahrheit entsprachen.

Doch als sie sich jetzt in dem leeren Raum umblickte, durchströmte Randi eine seltsame Ruhe. Sie wollte beleidigt sein, das Gefühl wollte sich jedoch nicht einstellen.

»Vielleicht ist es wirklich an der Zeit aufzubrechen«, sagte sie.

WILL schwieg.

»Ich meine, es stimmt, irgendwann ist im Leben der Zeitpunkt gekommen, wo man sich auf den Weg machen muss«, fuhr Randi fort.

Immer noch keine Reaktion.

»Vielleicht setzen wir uns nur dann in Bewegung, wenn wir es satt haben, unglücklich zu sein«, sagte sie. Ihr war bewusst, wie sehr das auf sie selbst zutraf. »Du weißt schon, wenn wir erkennen, dass es nichts Neues mehr zu sagen gibt.«

Und in jenem Augenblick fiel irgendwo und irgendwie eine Entscheidung, und das Universum veränderte sich. Randi würde ihr Zuhause verlassen und brauchte jetzt eine Wegbeschreibung.

»Du musst mir den Weg erklären«, sagte sie und nahm die Pose eines Abenteurers ein – die Hände an den Hüften und den Blick geheimnisvoll in die Ferne gerichtet.

WILL GOOD lächelte.

»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«, fragte Randi.

»Dass du eine Wegbeschreibung brauchst? Ja, aber darum würde ich mir an deiner Stelle keine Sorgen machen.«

»Ich mache mir aber Sorgen darum!«, erklärte sie. Der rätselhafte Blick war verschwunden. »Ich brauche unbedingt eine Wegbeschreibung, denke ich!«

»Auf der Reise zum Himmel –«

»Verzeihung?«

»Genau das hast du doch in deinem Telefonat gesagt.«

»Der Anruf, an den ich mich nicht erinnere.«

»Du hast von einer Reise zum Himmel gesprochen.«

»Nun, ich habe mich immer nach dem Himmel gesehnt, das ist doch klar. Aber tut das nicht jeder?«

»Doch. Aber es gibt einen Unterschied: Nicht jeder macht sich auf den Weg. Und du hast gesagt, dass du das wolltest.«

Randi dachte eine Weile nach, und als WILL für einen Augenblick das Zimmer verließ, holte sie ihr Tagebuch und begann zu schreiben:

Diese Person nervt mich ein wenig. Meisterin der Verzögerung und Ausrede? Das ist unhöflich, egal wie man es betrachtet. Mag sein, dass sich auch in dieser von weltlichen Dingen bestimmten Zeit viele Menschen Gedanken über den Himmel machen, ohne groß darüber zu reden. Und es mag sein, dass ich bisher auch eine davon war. Nicht, dass ich ihm das verraten würde. Überlebensregel Nr. 1: Niemals Schwäche zugeben, Randi.

In diesem Augenblickkehrte WILL GOOD zurück.

»Weißt du was?«, fragte Randi, die jetzt bereit war, in die Offensive zu gehen.

»Sag es mir.«

»Vielleicht würden mehr Menschen die Reise zum Himmel antreten, wenn sie den Weg kennen würden«, erklärte sie.

»Meinst du?«

»Absolut«, verkündete sie wie eine Weltautorität auf diesem Gebiet. »Niemand kennt den Weg, und darum kommen die Menschen so langsam voran!«

»Ist das der Grund, warum du in dieser Hinsicht so wenig aktiv geworden bist?«

»Wer sagt das denn?«

Wieder folgte eine unbehagliche Stille.

»Glaube mir, der Weg zum Himmel ist niemals ein Problem«, sagte WILL, während er seine Sachen zusammensuchte, um aufzubrechen.

»Wie das?«

»Ganz einfach. Auf der Reise findet dich der Weg.«

»Ach, tatsächlich?«

»Das hört sich vielleicht seltsam an, aber eins garantiere ich dir, ja, die Schöpfung tut sich zusammen, um dir zu helfen.«

»Wie angenehm!«, erklärte Randi, die ein Rauschen in der Luft spürte. »Wie überaus angenehm!«

»Nun, das ist nicht immer angenehm«, wandte WILL ein, und während er sprach, bemerkte Randi die Narben an seinen Händen. »Um ehrlich zu sein, ist es ziemlich unangenehm. Aber wenn dieser Fall eintritt, wirst du das bestimmt merken. Du musst dem Weg vertrauen und weitergehen.«

Diesen Rat beherzigte Randi, und dieses Vertrauen wurde tatsächlich manchmal von ihr gefordert und manchmal nicht, und gelegentlich strauchelte sie auch, wie das bei Abenteuern so ist.

Kurze Zeit, nachdem WILL GOOD gegangen war, verließ sie ihr Zuhause.

»Ich muss weiter«, hatte er gesagt, »aber ich wünsche dir alles Gute für deine Reise, PILGERIN.«

»Entschuldigung?«

»PILGERIN, das ist dein Name.«

»PILGERIN? Was ist das denn für ein Name?«

»Der Name, den du hattest, bevor du einen Namen bekamst.«

»Ich verstehe«, erwiderte Randi.

Wenn sie ehrlich war, mochte sie ihren früheren Namen. Er gehörte zu ihr, und der neue Name war ziemlich ungewohnt.

»Und denk daran«, fügte WILL hinzu, »der Himmel ist für die Mutigen, und das bist du zweifellos.«

»Ich?«

»Ganz bestimmt.«

»Na ja, wenn du meinst«, erwiderte Randi, »obwohl ich mich eigentlich nie für besonders tapfer gehalten habe.«

»Dann fang jetzt damit an.«

»Das werde ich. Ja, das werde ich! Und danke, dass du mich aufgefangen hast, als ich gestürzt bin.«

»Gern geschehen. Ich hätte Engel schicken können, aber ich dachte: ›Warum tue ich es nicht selbst?«‹

»Engel?«

»Das war ein Witz.«

»Ach so!«

Randi blieb noch eine Weile bei Tee und einem dick mit Honig bestrichenen Toast brot sitzen. Sie sah sich in dem leeren Zimmer um, das einmal ihr Heim gewesen war. Viel hatte sich hier im Laufe der Jahre ereignet, und nicht alles war schön gewesen; aber auf eine seltsame Weise würde sie nichts von allem ändern wollen, denn das alles hatte sie bis zu diesem Augenblick geführt, zu diesem Augenblick, wo alles möglich schien.

»Liebes Tagebuch«, schrieb sie, »ich bin froh, in diesem Augenblick allein zu sein. Alles ist perfekt. Und alles ist möglich.«

Sie erinnerte sich an ihr letztes Gespräch mit WILL GOOD.

»Sei unterwegs offen für die unterschiedlichen Rhythmen der Jahreszeiten und die wechselnden Stimmungen des Himmels.«

»Das Leben ist Veränderung!«, hatte sie nervös und voller Aufregung gesagt.

»Ja, das stimmt, und das Leben stellt sich auf deinen jeweiligen Standort ein«, sagte WILL. »Auf deiner Reise hat jeder Berg einen Namen, jeder Weg einen Zweck, jede Lichtung eine Bedeutung.«

Das klang alles höchst faszinierend.

»Hat der Weg selbst einen Namen?«, fragte sie.

»Eigentlich nur die Reise. Aber ich weiß, dass die Einheimischen ihm einen Namen geben.«

WILL wirkte plötzlich traurig.

»Welchen?«, fragte Randi.

»Sie nennen ihn den PFAD DEINERKRAFT.«

»Warum?«

»Wenn du das Ende von DEINERKRAFT erreichst, dann wirst du anfangen zu begreifen.«

»Na, das klingt ja sehr ermutigend.«

»Wirklich? Dann gute Reise, PILGERIN.«

»Danke, WILL. Die werde ich haben. Und dir auch, dir auch! Ich schätze, wir werden uns nicht wieder sehen ...«

Aber WILL GOOD war bereits fort.

Randi spülte ihre Tasse und ihren Teller ab, stellte sie umgedreht auf das Abtropfgitter und schaltete alle Geräte außer dem Kühlschrank aus. Den Kühlschrank schaltet man niemals aus, nicht einmal, wenn man für sechs Wochen nach Indien reist.

Sie wanderte durch die leeren Räume, bedankte sich bei jedem Zimmer, blieb noch einen Augenblick im Flur stehen und öffnete schließlich mit einem tiefen Seufzer die Haustür, ging hindurch und zog sie hinter sich ins Schloss. So, jetzt war es soweit. Nur nicht umdrehen – sie überprüfte nicht einmal, ob sie auch abgeschlossen hatte, eine Angewohnheit, die gelegentlich zur Folge hatte, dass sie zu spät zur Arbeit kam. Einmal war sie sieben Mal zurückgekommen, um sich davon zu überzeugen, dass sie auch tatsächlich abgeschlossen hatte. Doch heute nicht.

Und die mutige PILGERIN wollte sich gerade auf den Weg zum Himmel machen, als ihr Nachbar ihr über die Hecke hinweg etwas zurief. Sein Name war GERNRAT SENFGER. Er verdiente seinen Lebensunterhalt damit, dass er anderen für teures Geld riet, Dinge zu tun, die er selbst niemals tat. Er propagierte positives Denken, obwohl er selbst unter einer dichten Wolke zu leben schien, die nicht weichen wollte.

»Wo willst du hin?«, fragte GERNRAT.

»Ich trete meine Reise zum Himmel an«, erwiderte PILGERIN.

»In diesem Fall habe ich eine gute Nachricht für dich.«

»Welche gute Nachricht?«

»Ich kann dir diese Reise ersparen.«

»Tatsächlich?«

»Oh ja, vertrau mir! Ich meine, wer will denn schon eine Reise machen, wenn er nur an einer Konferenz teilzunehmen braucht?«

»An einer Konferenz?«

»Bequeme Stühle, bequemes Lernen.«

»Ein guter Slogan.«

»Das finde ich auch. Wissensvermehrung in einer entspannten, aber an Wissenserweiterung interessierten Umgebung, die ganz auf deine individuellen Bedürfnisse abgestimmt ist.«

»Das hört sich an wie ein Slogan aus einer Broschüre.«

»Das hier ist meine Werbebroschüre. Ich hoffe, sie gefällt dir.«

Er drückte PILGERIN ein kleines farbiges Heftchen in die Hand. Die abgebildeten Stühle machten tatsächlich einen bequemen Eindruck.

»Das klingt wirklich so, als wäre es viel einfacher«, stimmte sie zu.

»Sehr viel einfacher. Bei mir steht Gastfreundschaft an erster Stelle.«

»Ein hoher Anspruch.«

»Bei meiner nächsten Konferenz geht es zufällig um den Himmel.«

»Wie aufregend. Wie heißt das Thema?«

»›Ist die Hölle unten eine Konsequenz des Himmels oben?‹ Clever, nicht?«

»Du bist sehr clever, GERNRAT.«

»Und das ist die Art von Knowhow, die Art von Kompetenz, die ich dir verkaufen will.«

»Und wie genau sieht deine Kompetenz aus?«, fragte PILGERIN hoffnungsvoll.

Bei der Frage nach dem Himmel war sie auf alle Hilfe angewiesen, die sie bekommen konnte.

»Ein großartiger Deal. Für 1000 Euro –«

»1000 Euro?«

»Der Kaffee kostet natürlich extra.«

»Natürlich.«

»Ich biete einen allgemeinen Überblick über das Thema, die Debatten in Vergangenheit und Gegenwart, die Geschichte des Himmels, solche Dinge, und rücke sie in eine Art sozio-dynamische Perspektive.«

»Ah ja.«

PILGERIN wunderte sich, warum GERNRAT eine Sonnenbrille trug, obwohl die Sonne gar nicht schien, aber er war in Fahrt gekommen.

»Darauf folgt ein zielorientiertes Seminar zur praxisbezogenen und proaktiven Analyse deiner persönlichen oder beruflichen Zielsetzungen und möglicher Resultate hinsichtlich kurzfristiger und mittel- bis langfristiger Zielvorgaben.«

PILGERIN hörte nur Lärm.

»Entschuldige«, warf sie ein, »aber ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

Wenn sie es recht bedachte, ging ihr das bei Gesprächen mit GERNRAT häufig so.

»Es ist ein lösungsorientierter Ansatz«, erklärte er. »Wo stehen wir jetzt? Woher kommen wir? Wohin wollen wir?«

»Ich möchte mich jetzt auf den Weg machen«, erklärte PILGERIN.

»Und gegen eine kleine Gebühr«, fuhr GERNRAT fort, ohne ihren Einwurf zu beachten, bekommst du noch kostenfrei meine DVD ›Der Mythos Himmel und du‹.«

»Kostenfrei gegen eine kleine Gebühr? Wie könnte ich da nein sagen?«

»Aber das Wichtigste – und das ist das Beste, Randi – du ersparst dir dadurch diese ganze Reise, die ja mit vielen Unbequemlichkeiten verbunden sein kann.«

»Du hast sicher recht.«

»Dann gehe ich davon aus, dass du dabei bist?«

PILGERIN stand in ihrem Garten und beobachtete eine Amsel, die auf dem Zaun saß. Konnte GERNRAT davon ausgehen, dass sie dabei war?

»Nein, auf mich kannst du nicht zählen«, erklärte PILGERIN.

»Warum nicht?«

»Ich habe das Gefühl, dass etwas Gutes in mir erstickt wird.«

»Das ist doch genau das, was ich sage, Randi.«

»Und du bist derjenige, der es erstickt.«

»Ich?«

Schockiertes Schweigen.

Wie sollte sie diesem GERNRAT das klarmachen? Die Ewigkeit war zu kurz.

»Der Himmel ist eine Reise, keine Idee«, sagte PILGERIN. »Du bist ein Experte in der Theorie des Himmels, aber nicht der Erfahrung. Ich wünsche mir die Erfahrung, mein Freund.«

GERNRAT starrte sie mit offenem Mund an.

»Du machst einen großen Fehler, Randi.«

»Ach, und noch was«, fuhr sie fort.

»Was denn?«

»Ich heiße PILGERIN.«

In diesem Augenblick erhob sich ein Schmetterling aus den Blumen in die Lüfte, ein flatterndes Wunder in Orange und Blau. Er tanzte fröhlich an PILGERIN vorbei in Richtung Tor. PILGERIN beobachtete ihn und beschloss, ihm zu folgen.

»Ermäßigte Gebühren und Kaffee inklusive!«, flehte GERNRAT SENFGEB. »Und ein lebenslanges Abo der Zeitschrift ›Konferenzwoche‹!«

»Erschieß mich, wenn ich das jemals lese«, zischte PILGERIN unhörbar.

Aber gerade, als die eine Stimme verklang und PILGERIN den Himmel in der Luft spürte, durchschnitt eine andere Stimme die Stille und wetteiferte um PILGERINS Aufmerksamkeit.

»Hallo, ich bin FLITTER«, rief sie.

FLITTER war wahrscheinlich eine Freundin von GERNRAT, denn sie nahm in seinem Garten ein Sonnenbad.

»Hallo FLITTER«, begrüßte PILGERIN sie widerwillig. Sie hatte es eilig und wollte sich nun endlich auf den Weg machen.

»Meine Freunde nennen mich TUSSI.«

»TUSSI FLITTER?«

»Zu deinen Diensten, denn ich habe zufällig gehört, wie du vom Himmel gesprochen hast, und das ist absolut mein Thema!«

»Wie das?«

»Ich biete dir den Körper-Himmel an, Darling.«

PILGERIN wusste nicht so genau, was sie von dem »Darling« halten sollte.

»Wie funktioniert das?«

»Sag mir, Süße, was wünschen sich die meisten Frauen?«

»Nun –«

»Ich sage dir, was wir uns wünschen, was wir uns wirklich tief in unserem Innern wünschen! Wir wollen jung aussehen und schlank sein! So einfach ist das.«

»Vermutlich.«

»Die meisten Frauen sind unzufrieden mit ihrem Körper, Baby. Ende!«

»Ende von was?«

»Darum machen in jedem beliebigen Augenblick 50 Prozent von uns eine Diät. Stell dir das vor!«

TUSSIS Blick ging PILGERIN ein wenig auf die Nerven.

»Warum siehst du mich so seltsam an?«, fragte PILGERIN.

»Ich blicke dich jung an, Schätzchen«, erwiderte sie. »Schönheitsoperation und so.«

TUSSI versuchte zu lächeln, doch damit hatte sie Mühe, da ihr Gesicht zum größten Teil hinter ihren Ohren steckte und die Haut um die Nase (erst vor kurzem korrigiert) und die Augen (langfristig verzweifelt) so fest gespannt war wie eine Trommelhaut.

»Ich bin wieder jung!«, rief sie.

»Auf mich wirkst du ein wenig krank«, erwiderte PILGERIN.

»Komm von deinem hohen Ross herunter, du blöde Schnepfe!«

PILGERIN zog die Augenbrauen leicht in die Höhe.

»War nur ein Witz!«, wiegelte TUSSI ab.

»Ich sehe niemanden, der lacht.«

Betont aufmerksam blickte PILGERIN sich um.

»Aber bestimmt vergleichst du deinen Körper doch mit dem deiner Bekannten?«, fuhr FLITTER fort. »Alle tun das!«

»Manchmal schon«, gestand PILGERIN.

»Siehst du!«

»Und, um ehrlich zu sein, das hebt in der Regel nicht gerade meine Stimmung.«

»Genau. Hast du denn schon mal daran gedacht, die Bandwurm-Diät zu machen?«

»Richtige Bandwürmer?«

»Ist das ein Problem?«

»Sozusagen.«

»Aber sie fressen alles!«

»Die willst du mir doch nicht etwa andrehen?«

»Oder wie wäre es mit der Meister-Reinigungs-Diät?«

»Was ist das?«

»Zitronenwasser, Cayennepfeffer –«

»Sonst noch was?«

»Ich hab’s. Die Apfel-Cidre-Essig-Diät. Danach sind deine Geschmacksknospen vollständig –«

»Auf Wiedersehen, TUSSI.«

PILGERIN war plötzlich ganz zufrieden mit ihrem Körper, so wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte, und sie machte sich mit neuem Mut auf den Weg, dem Schmetterling nach. Aber TUSSI FLITTER ließ nicht locker.

»Sieh mal, wenn du einen neuen Po möchtest oder eine Brustvergrößerung –«

»Ich bin zufrieden, wie ich bin!«, rief PILGERIN ihr zu.

TUSSI FLITTERS unrealistischen Ideale hatten ihren Zauber verloren, aber sie wollte einfach nicht aufgeben. Die letzten Worte, die PILGERIN hörte, waren: »Und vergiss nicht, 14 Liter Wasser am Tag zu trinken, Dickie! Und wenn du in Bezug auf die Bandwürmer deine Meinung änderst –«

Am Ende des Weges kam PILGERIN an das Weidentor. Sie öffnete es, ging hindurch und zog es hinter sich wieder ins Schloss. Es machte »Klick« wie immer, doch dieses Mal war es endgültig. Auf der anderen Seite des Tors blickte sie hinauf in den Himmel und entdeckte einen Vogel, der über ihr schwebte – ein Habicht vielleicht? –, atmete Vertrauen ein, blickte zum Horizont und setzte sich in Bewegung, denn nachdem sie den Nachbarn entkommen war, ist es das, was man tut, wenn man eine Reise zum Himmel antritt.

Randis Reise

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