Читать книгу Tödlicher Whisky - Simone Häberli Mlinar - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеMittwochnachmittag
Der Anruf ging um 13.40 Uhr bei der Polizeistelle in Gairloch ein. Police Sergeant Dan Gilchrist nahm den Hörer ab und vernahm die aufgeregte Stimme einer älteren Lady, die etwas von einer Leiche in Poolewe faselte.
PS Gilchrist war an Verkehrsunfälle, verlorengegangene Hunde und unangenehme Zwischenfälle, die Touristen und Verstauchungen am Strand involvierten, gewohnt. Leichen fielen nicht in sein Ressort. Da er aber schon fünfundzwanzig Dienstjahre auf dem Buckel hatte, konnte ihn so leicht nichts aus der Fassung bringen. Er beruhigte die aufgeregte Dame, so gut er konnte, und nach zehn Minuten hatte er nicht nur ihren Namen, ihre Adresse und ihre Beschäftigung – Putzfrau -, sondern auch den Fundort der Leiche in Erfahrung gebracht.
Offensichtlich war Penelope McKay wie jeden Mittwochnachmittag, um Punkt ein Uhr im Heather Cottage von Ruaridh McDougal eingetroffen, um dort sauber zu machen. Sie hatte sich noch gewundert, dass die Türe zum Cottage nicht abgeschlossen war, obwohl Mr. Ruaridh doch am Vormittag zur Destillerie gefahren war. Als sie jedoch ins Haus eintrat und wie gewohnt direkt in die Küche ging, stiess sie mit dem Fuss an etwas Weiches, Schweres, das auf dem Küchenfussboden lag. Als sie sich bückte um nachzusehen – sie war etwas kurzsichtig -, erblickte sie den Hausherrn, offensichtlich ohnmächtig zusammengebrochen, vor dem Küchentisch. Nun war Penelope McKay keineswegs eine Zimperlise, sie hatte ihr Leben lang gearbeitet und war sich nicht zu schade anzupacken und sich die Hände schmutzig zu machen. Sie kniete sich also neben Ruaridh McDougal nieder und drehte ihn mit einiger Kraftanstrengung, auf den Rücken, um zu sehen, wie sie ihm helfen konnte. Und da sah sie, dass anstelle seines Gesichts – an dieser Stelle kippte Mrs. McKays Stimme wieder ins Falsett, und Dan Gilchrist beeilte sich, beruhigend auf sie einzureden und sie zu ermahnen, sich nicht so aufzuregen. Schliesslich hatte sie schon gut siebzig Lenze auf dem Buckel, und er wollte nicht, dass ihr Herz Schaden nahm.
„Immer mit der Ruhe, immer mit der Ruhe! Ich schlage vor, Sie rühren im Haus nichts mehr an, setzen sich draussen irgendwo hin an einen ruhigen Ort und warten, bis die Polizei eintrifft. Das kann etwa eine Viertelstunde dauern, sie rückt von Gairloch aus an. Ich rate Ihnen, den Toten, äh, ich meine Mr. McDougal, nicht mehr anzusehen, vor allem nichts zu berühren – Sie können ihm sowieso nicht mehr helfen. Seien Sie vorsichtig, vielleicht ist der Mörder noch in der Nähe…“
Im Hörer quietschte es. Penelope McKay war nicht auf den Kopf gefallen und protestierte, sie werde sich keinesfalls auf eine Bank vor dem Cottage setzen, sichtbar für alle Mörder und Verbrecher, die noch in der Nähe herumlungerten. Sie würde sich jetzt ins Pub ins Dorf begeben und sich dort einen Whisky genehmigen. Die Polizei wüsste ja, wo sie zu finden sei, und im Übrigen schliesse sie die Türe zum Cottage ab. Die Einsatztruppe könne den Schlüssel bei ihr im Pub abholen.
Gilchrist kratzte sich am Kopf. Dieser Vorschlag stimmte nicht mit dem vorgeschriebenen Prozedere überein, wie es der Leitfaden zur Polizeiarbeit in so einem Fall vorsah, und der Gedanke, sich anschliessend mit einer heillos betrunkenen Zeugin herumschlagen zu müssen, war auch nicht gerade berauschend. Aber er sah nicht, wie er Mrs. McKay an der Ausführung ihres Vorhabens hindern konnte, ohne selbst vor Ort zu sein. Also musste es halt das Pub sein.
Er legte den Hörer auf und wählte die interne Nummer von Charlotte McKenzie. Die Polizeiwache war zurzeit unterbesetzt – schliesslich waren es Sommerferien, und die Hälfte der Besatzung war dem tristen schottischen Wetter entflohen und sonnte sich irgendwo an der Costa del Sol oder sonstwo, wo nichts an keltische Mystik und kalte Füsse erinnerte. Aber er hatte Glück, seine Chefin war in ihrem Büro. Sie war erst seit einem halben Jahr auf ihrer neuen Position, nach der Beförderung zum Detective Inspector, die sie der Tatsache zu verdanken hatte, dass sie an der Küste einige illegale Whiskybrennereien ausgehoben und den Kollegen von Lochalsh einen Tipp zur Festnahme zweier prominenter Mitglieder eines Mafia-Spielclubs gegeben hatte.
DI McKenzie war klein, blond, mit einem lustigen Pferdeschwanz, sie war immer sehr höflich zu ihren Untergebenen und hatte meist ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Die beiden letzten Merkmale hatten zur Folge, dass einige der Uniformen sie unterschätzt hatten. Einer hatte sich sogar zu einer anzüglichen Bemerkung hinreissen lassen, für die er postwendend die Quittung in Form einer Versetzung nach Thurso erhalten hatte. Noch weiter ins Niemandsland ging’s nun wirklich nicht, dachte Gilchrist mit nicht geringer Schadenfreude, ausser man rechnete noch die Shetlands dazu. Aber die Polizeiwache in Lerwick wurde meist mit Einheimischen besetzt, denen das Inselleben im Blut lag. Die Episode hatte aber allen klar gemacht, dass Inspector McKenzie nicht lange fackelte, wenn es um die Umsetzung von Gleichstellungsmassnahmen und die Ahndung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ging. Seither hatte keiner der Truppe sie jemals wieder blöd angemacht.
Ein Mord war aber ebenfalls etwas Neues für sie.
„Ok, ich gehe mit zweien vom Team hin und fordere die Spurensicherung an. Vermutlich müssen wir die Special Unit in Inverness alarmieren, aber ich werde mir zuerst mal selber ein Bild machen. Wahrscheinlich gibt es eine ganz einfache Erklärung für den Mord, ein schiefgelaufener Einbruch oder so. Kennen Sie diesen McDougal-Typen, Dan?“
„Nein, das ist ein unbeschriebenes Blatt. Am besten hören Sie sich an Ort und Stelle einfach mal um. Die Putzfrau, diese Mrs. McKay, scheint nicht auf den Mund gefallen zu sein. Vermutlich weiss sie einiges über ihren Arbeitgeber. Der scheint da ganz allein in diesem abgelegenen Cottage gehaust zu haben. Offenbar hatte er eine Stelle in der Lochewe Distillery, das ist da oben bei Aultbea – bei diesem komischen Kauz, der die Kunst des Whiskymachens neu erfindet, für die Touristen! Grauenhaftes Gesöff.“
McKenzie liess die letzte empörte Bemerkung, die den erfahrenen Whiskytrinker erkennen liess, unkommentiert, machte sich ein paar Notizen von dem Gesagten und klappte ihren Laptop zu. Auf zu einem kleinen Trip nach Poolewe. Das kam ihr gerade recht, schliesslich war es noch nicht lange her, dass ein wochenlanger Dauerregen einem die Laune gründlich verdorben hatte. Obwohl sie selbst aus Achnasheen stammte und sie seit ihrer Kindheit an das raue Highland-Klima gewöhnt war, hatten die kalten Temperaturen und die Feuchtigkeit in diesem Sommer auch ihre fröhliche Laune beeinträchtigt. Eine kleine Ausfahrt in ihrem Fiat, und wenn es auch nur zur Besichtigung einer Leiche ging, konnte da nicht schaden.
Sie ging nach draussen, wo zwei Uniformierte sie bereits erwarteten. PC Smith und PC Purdy freuten sich ebenfalls auf die Fahrt, auch wenn einer von ihnen hinten auf dem Rücksitz Platz nehmen musste, weil die Chefin selbst fahren wollte. Aber die Besichtigung eines Mordschauplatzes versprach interessant zu werden, und im Übrigen erlöste es sie davon, einen Bericht über eine Schlägerei zu verfassen, welche vor drei Tagen im örtlichen Pub stattgefunden hatte. Den Tathergang aufzunehmen und die verschiedenen Aussagen zu bündeln, war geradezu sensationell langweilig.
McKenzie war eine gute Autofahrerin, und sie genoss den Weg von Gairloch bis in das kleinere Poolewe durch die menschenleere hügelige Landschaft in vollen Zügen. Wobei – menschenleer war die Landschaft nicht. Auf der Passhöhe hatten sich ein paar Camper häuslich in ihren Zelten eingerichtet.
„Ganz schön mutig von denen, wenn man bedenkt, dass sie in der letzten Woche zu ertrinken drohten!“, bemerkte sie. „Ich glaube nicht, dass das meine Vorstellung von erholsamen Ferien wäre, bei Wind, Regen und Nebel mitten im Sommer da oben zu übernachten. Hoffentlich haben sie wenigstens warme Sachen dabei.“
„Sind wahrscheinlich vom Kontinent, oder es sind Engländer.“ Das war Smith. Er hatte nichts übrig für Romantiker und Touristen, meist in Personalunion. Das eine war so schlimm wie das andere. Er ging mit seiner Maud jedenfalls immer an die Costa Brava, wo sie in der Sonne am Strand liegen und würzigen spanischen Wein trinken konnten.
Purdy auf dem Rücksitz hatte noch andere Bedenken. „Meinen Sie, die haben etwas mit dem Mord zu tun?“ Bei all den Fremden im Sommer konnte man ja nie wissen, ob sich nicht das eine oder andere merkwürdige Subjekt darunter befand. PC Purdy war das konservativste Teammitglied und hatte all die Veränderungen, die das Hochland in den letzten Jahren durchgemacht hatte, mit Zurückhaltung aufgenommen.
„Ich glaube kaum, dass sie dann noch hier wären, Michèle“, meinte McKenzie. „Oder denken Sie, sie würden seelenruhig beim Fischen auf uns warten?“
Purdy schwieg beleidigt und nahm sich vor, die Camper trotz allem zu überprüfen. Vielleicht waren es die Schläger vom Pub. Aber sicher hatten sie mindestens keine Fischerlizenz, so gab’s vielleicht da etwas zu holen. Das Bussensoll für diesen Monat war noch nicht erfüllt.
In Poolewe bog McKenzie vor der Brücke links auf die Dorfstrasse ab. Sie mussten ja noch im Pub vorbei, um den Schlüssel von Heather Cottage abzuholen und zudem mussten sie die Zeugin, die die Leiche gefunden hatte, vernehmen.
Mrs. McKay hatte trotz der kurzen Zeit, die seit ihrem Anruf bei der Polizei verstrichen war, schon wesentlich mehr als nur einen Whisky intus, als die drei Polizisten das Pub betraten und sich nach ihr umblickten. Aber sie erhob sich ohne zu schwanken und trat den Hütern des Gesetzes mit sicheren Schritten entgegen.
„Guten Tag.“ McKenzie blickte auf ihren Notizzettel. „Penelope McKay, nicht wahr? Sie haben die Leiche gefunden?“
„Jawohl. Und ich habe zu Malcolm hier gesagt, nie im Leben hab’ ich was ähnlich Schreckliches gesehen, hab ich gesagt. Jawohl. Der arme Mr. Ruaridh! Und sein Gesicht! Oder was davon übrig ist! Einfach schrecklich. Ganz blutig war’s, und ein Auge…“
„Wann haben Sie die Leiche gefunden?“ McKenzie unterbrach die Litanei, bevor Mrs. McKay noch weitere deftige Einzelheiten zum Besten geben konnte.
„Ja, um 13 Uhr. Ich bin wie immer um diese Zeit am Mittwoch beim Cottage eingetroffen. Ich habe jetzt zwölf Jahre bei Mr. Ruaridh gearbeitet, und nicht ein einziges Mal bin ich unpünktlich gewesen! Diese jungen Dinger von heutzutage – Raumpflegerinnen nennen sie sich ja wohl –, die wissen überhaupt nicht, was Verlässlichkeit bedeutet! Mr. Ruaridh hatte nie Anlass, sich über mich zu beklagen, ich bin immer pünktlich gekommen, ob’s nun geregnet oder geschneit hat. Sogar wenn’s eisig war…“
„Aber den Anruf haben Sie erst –“, ein weitere Blick auf den Notizzettel –, „um 13.40 Uhr getätigt. Was haben Sie so lange am Tatort gemacht?“
Mrs. McKay schnappte nach Luft. „Na hören Sie mal, Inspektor, ich hatte einen Schock! Zuerst bin ich ja reingekommen, das dauerte wohl zwei Minuten. Dann bin ich in die Küche gegangen und habe meinen Mantel und die Tasche auf den Tisch gelegt. Dann habe ich mich umgedreht, und da habe ich ihn gesehen.“
„PS Gilchrist haben Sie gesagt, Sie seien mit dem Fuss gegen die Leiche gestossen, als Sie in die Küche gegangen sind.“
“Ja, das stimmt. Aber erst habe ich den Mantel ausgezogen und die Tasche auf den Tisch gelegt, wie ich gesagt habe. Und dann bin ich um die Theke gebogen – Sie müssen wissen, Mr. Ruaridh hat da so eine neumodische Einrichtung. Nicht wie wir, wir haben den Tisch direkt vor dem Herd. Aber Mr. Ruaridh hat eine halbhohe Wand vor seinen Kochherd gebaut – Frühstückstheke sagt er dem wohl. Und da hat er gelegen – zwischen der Wand und dem Herd.“
„Also konnten Sie ihn gar nicht sehen, als Sie vom Flur in die Küche gegangen sind?“
„Nein, sag ich ja. Erst als ich um diese Wand rumgegangen bin und mit dem Fuss gegen den Körper gestossen bin…“ An dieser Stelle zitterte Mrs. McKays Stimme leicht.
McKenzie kam auf die Zeitfrage zurück. „Sie haben also die Leiche gefunden, oder sagen wir, Sie haben geglaubt, den ohnmächtigen Mr. McDougal vor sich zu haben. Was haben Sie dann gemacht?“
„Ja also, wissen Sie. Ich bin ja kurzsichtig. Ich hab gedacht, er wäre wohl ohnmächtig geworden. Ich hab ihn etwas geschüttelt, aber als er sich nicht bewegt hat, hab ich meine Brille geholt…“
„Sie haben was?“ McKenzie hoffte, ihre Stimme töne nicht so entgeistert, wie sie sie selber gerade empfand.
„Ich bin zum Tisch und meiner Tasche gegangen und habe meine Brille geholt. Ich sehe sonst nicht so gut. Und als ich sie dann aufgesetzt hatte und zurückgegangen bin, da habe ich ihn umgedreht und da habe ich, nun ja, gesehen, dass er kein Gesicht mehr hatte. Da wurde mir ein bisschen schlecht, und ich musste mich setzen.“
Als die drei Polizeibeamten wieder im Auto sassen, holte Smith als erster Luft. „Das alte Mädchen ist ja nicht ganz dicht. Holt die Brille, um sich die Leiche zu begutachten! Und ich wette, sie hat danach den Alkoholvorrat von Ruaridh McDougal geplündert, bevor sie zum Telefonhörer gegriffen hat.“
„Ja, über diese halbe Stunde mache ich mir auch Gedanken. Wer setzt sich schon an den Küchentisch und wartet mindestens zwanzig Minuten, bevor er die Polizei ruft, wenn er einen Mord entdeckt?“
„Denken Sie, sie könnte vor Schreck ohnmächtig geworden sein?“ Mrs. McKay war immerhin eine Einheimische, und Purdy hielt ihr das zugute. Eine Lady von über siebzig Jahren! Sie konnte sich gut vorstellen, dass die Putzfrau den Schreck ihres Lebens erhalten hatte, als sie ihren Arbeitgeber so daliegen sah. Vielleicht hatte sie sich wirklich zuerst erholen müssen, bevor sie ihre Bürgerpflicht erfüllen konnte.
McKenzie äusserte sich nicht weiter dazu, sondern wendete den Wagen und fuhr zurück zur Hauptstrasse. Heather Cottage befand sich etwa eine Meile am rechten Ufer des Ewe entlang. Rund hundert Schritte von der geschotterten Strasse auf der linken Seite glitzerte das Wasser zwischen den Bäumen hindurch im Sonnenlicht. Eine richtige Idylle!, dachte McKenzie, bevor sie auf den Parkplatz vor dem Cottage einbog und den Motor ausschaltete.
Das Cottage machte einen hübschen Eindruck. Von einer Rhododendronhecke eingesäumt, weiss gestrichen, gepflegt, mit Geranien auf dem Fensterbrett neben der blau gestrichenen Eingangstür.
McKenzie beorderte Smith auf einen Rundgang rund ums Haus, streifte sich die Latexhandschuhe über und schloss mit Mrs. McKays Schlüssel die Tür auf. Purdy folgte ihr ins Haus.
Vom düsteren Flur ging die Treppe ins Obergeschoss weg. Links befand sich die Tür ins Wohnzimmer und geradeaus ging’s zur Küche. McKenzie konstatierte, dass Mrs. McKay die Küchentür sorgfältig geschlossen hatte, bevor sie das Cottage verlassen hatte. Ein weiteres Element, was sie an diesem Fall merkwürdig berührte. Sie drückte die Klinke herunter und stiess die Tür vorsichtig auf.
Tatsächlich konnte man von der Küchentür nicht direkt zum Herd sehen, der hinter der Frühstückstheke, die den Raum zweiteilte, versteckt war. Über die Theke hin waren nur der Küchentisch mit vier Stühlen und das Fenster, welches zum Fluss hinausging, zu sehen.
„Sie scheint die Wahrheit gesagt zu haben“, brummte Purdy mit sichtlicher Genugtuung. „Sie kann die Leiche unmöglich sofort bemerkt haben.“
„Ja, scheint so.“ McKenzie bog um die Theke herum und hielt erschrocken den Atem an. Eine Leiche war kein schöner Anblick, und das Opfer hier war ein besonders unerfreuliches Beispiel dafür. In ihrer Ausbildung und der kurzen Laufbahn hatte McKenzie zwar schon einige Toten zu begutachten gehabt – in der Mehrheit waren die Betroffenen entweder bei einem Unfall oder eines natürlichen Todes gestorben. Hier aber war klar, dass Ruaridh McDougal brutal umgebracht worden war. „Rühren Sie bloss nichts an, Michèle. Hier muss die SpuSi ran. Offensichtlich war hier enormer Hass und Wut am Werk. Sehen Sie die Waffe irgendwo?“
Aber die Waffe war nirgends zu finden. Ruaridh McDougal war offensichtlich entweder aus dem Bett gekommen oder gerade auf dem Weg dahin gewesen, jedenfalls trug er einen dunkelblauen, getüpfelten Pyjama und am linken Fuss hing noch der Filzpantoffel. Den anderen Hausschuh fand Purdy unter dem Küchentisch.
„Michèle, gehen Sie nach oben und schauen Sie, ob das Bett benutzt worden ist. Ich rufe mal in Inverness an. Die sollen ein Team herschicken. Ich glaube, das ist zu gross für uns.“
McKenzie wartete die Antwort nicht ab, sondern wählte die Nummer ihres Vorgesetzten in der Hauptstadt der Highlands, erstattete Bericht und erhielt die Versicherung, dass sich so rasch als möglich ein Spezialistenteam auf den Weg an die Küste machen würde.
Purdy war verschwunden und statt ihrer tauchte Smith in der Küchentür auf. „Draussen ist nichts zu sehen. Keine Spuren an den Scheiben, einfach nichts, nicht mal ein Zigarettenstummel auf dem Kies, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Vermutlich ist der Täter auf demselben Weg hergekommen wie wir, und entweder hatte er einen Schlüssel oder McDougal hat ihm selber die Tür geöffnet. Jedenfalls deutet nichts auf einen Einbruch hin.“
„Wie sieht’s mit Fussspuren zum Fluss hinunter aus?“
„Nichts zu sehen. Aber es gibt da einen gekiesten Fussweg, der zu einem Bootshaus zu führen scheint. Da hätte der Täter keine Fussabdrücke hinterlassen. Vielleicht könnte ein Spürhund…wenn wir so einen hätten. Denken Sie, der Täter hat die Waffe im Wasser versenkt?“
„Würde jedenfalls naheliegen, nicht? Aber wir haben keine Mittel, den ganzen Fluss abzusuchen. Vielleicht können die Herren in Inverness einige Taucher abstellen, wenn man sie lieb bittet. Den Spürhund bringen sie vielleicht aus eigenem Antrieb mit.“ McKenzie lächelte zynisch. „Wenn sie sich überhaupt für diesen Fall hier interessieren. Sie erschienen mir am Telefon nicht gerade übereifrig. Glauben wohl, was hier oben passiert, interessiert ohnehin keinen im Parlament. – Was wissen wir vom Opfer?“
„Nun, ich habe kurz im Netz und bei der Gemeinde recherchiert. Offensichtlich lebte er allein, hatte keine Familie und nur die Putzfrau kam regelmässig her, um reinezumachen. Ansonsten führte er ein völlig unauffälliges Leben. Er hatte einen Job als Barkeeper in Aultbea.“
„Ich dachte, er hätte in einer Whiskydestillerie gearbeitet? Jedenfalls hat Gilchrist das gesagt.“
„Ja, wenn man da von Destillerie sprechen will. Es ist der komische Kerl, Amerikaner, ha!, da oben in Drumchork. Der destilliert selber Whisky, angeblich basierend auf alten Geheimrezepten von der Küstenregion. Bietet für Ausländer Kurse an. Ich kann nicht verstehen, wie man von so etwas leben kann, aber Amerikaner haben die merkwürdigsten Ideen, und die Kunden vom Kontinent – na ja. Jedenfalls hat Bothwell, so heisst der Besitzer, noch ein anderes Standbein – er betreibt ein Hotel mit einer Bar, in der er Whiskydegustationen anbietet. Und McDougal scheint da hinter der Bar gestanden zu haben.“ Und mit düsterer Stimme fügte er hinzu: „Vermutlich hat er nebenbei auch noch was gepanscht.“
„Na, Bothwell nehmen wir dann mal unter die Lupe.“ McKenzie blickte sich aufmerksam um. „Jedenfalls scheint sein Angestellter ziemlich pedantisch gewesen zu sein. Bis auf die schrecklichen Spritzer da an der Wand ist alles sauber aufgeräumt hier, sogar die Küchenzeile ist blitzblank. Ich nehme nicht an, dass Mrs. McKay noch geputzt hat, bevor sie uns angerufen hat.“
„Wer weiss? Ich würde der alles zutrauen.“ Smith mochte keine forschen alten Damen, und Mrs. McKay hatte nicht den besten Eindruck auf ihn gemacht.
Purdy erschien wieder in der Küche. „Das Bett ist benutzt worden, ein Glas Wasser steht auf dem Nachttisch. Der Wecker ist auf halb Neun gestellt, aber ich kann nicht sehen, ob er geläutet hat oder nicht. Im Bad ist alles sauber, die Zahnbürste steht im Zahnglas, und die Badetücher sind am Trockner aufgehängt. Scheint, als ob er schon im Bett gewesen wäre, als der Mörder eintraf.“
„Hm, das würde auf eine Todeszeit mitten in der Nacht bis zum frühen Morgen hindeuten. Hat Gilchrist den Arzt schon verständigt?“
„Ja, aber der ist irgendwo zu einem Notfall unterwegs und kann erst in einer Stunde eintreffen. Bis dahin ist schon fast die Spurensicherung mit dem Pathologen hier.“
„Nun gut, wir sperren hier alles ab. Sie können beide zurück nach Gairloch. Brian, Sie können meinen Wagen nehmen. Ich warte hier auf das Eintreffen der Spezialisten. Überprüfen Sie McDougal, jeden seiner Schritte seit dem letzten Monat. Ich lass mich dann auf dem Rückweg in Poolewe absetzen und nehme mir noch einmal Mrs. McKay vor.“ Mit diesen Worten griff McKenzie zu ihrer Tasche und nahm das Absperrband heraus. „Ich vermisse übrigens die Presse? Ist es möglich, dass noch nichts durchgesickert ist?“
Smith verzog das Gesicht. „Ich tippe darauf, dass sich die Pressefritzen schnellstens im Pub versammelt haben. Aber Sie haben recht, vermutlich dauert’s nicht lange, bis sie hier aufkreuzen. Wir sollten uns lieber beeilen.“
„Na, dann los.“ McKenzie scheuchte die andern hinaus. Zusammen sperrten sie die Zufahrt zum Cottage ab. Sie waren gerade fertig, als der erste Pressefritze eintraf.