Читать книгу Für immer Shane ~5~ - Simone Lilly - Страница 3

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 3.

„Willst du nicht lieber nachhause gehen?“

„Nein Matthew, ich kann das schon.“

Ungeduldig drosselte er den Wagen auf Schrittgeschwindigkeit und ging in Bremsbereitschaft. Der Autofahrer vor ihm wurde immer langsamer, kam fast vollständig zum Stehen.

„Komm‘ schon Shane. Du bist müde, mit den Gedanken wo anders.“

Matthew war sein Schwager, drückte deshalb immer beide Augen zu , gab auf ihn acht. Doch das wollte Shane nicht. Er wollte sich alles im Leben verdienen und nicht darauf spekulieren zu müssen, ein nettes Familienmitglied bei sich zu haben, das ihm immer half. Matthew war so einer. Er wollte ihm helfen, das rechnete Shane ihm hoch an. Doch hatte er auch eine Arbeit zu verrichten, konnte wegen seinem Problem doch nicht alles stehen und liegen lassen. Vielleicht hätte er genau wegen seinem Verhalten in einer normalen Firma, bei fremden Leuten, seine Stelle schon verloren.

Der Wagen bremste vollständig ab, blieb stehen und löschte sogar alle Lichter. Stimmte etwas nicht?

Neugierig ließ Shane das Fenster runter, streckte den Kopf hinaus und lugte nach vorne. Auch der Mann hinter ihm öffnete das Fenster. Alles staute sich. Alle wurden ungeduldig.

„Los“, barsch hatte Matthew ihn am Oberarm gepackt und ihn zur Tür hinausgeschoben. „du brauchst eine Pause, du brauchst eine ruhige Minute. Ohne Kinder, entspann‘ dich mal“

Jetzt war er draußen, auf dem Weg zu seinen Eltern. Am frühen Nachmittag. Eigentlich war es ja der erste Arbeitstag nach seiner Krankheit. Wochenlang hatte Shane an Fieber gelitten, hatte immer wieder gehustet, keiner konnte es sich erklären. Da er nicht mit Fahren beschäftigt war, schielte er unheilverkündend zur Seite. Hinter dem Beifahrersitz klemmte es. Das Bild. Shane schluckte und krallte sich tiefer ins Lenkrad. Das Foto, das sein Leben zerstört hatte, mit einem Mal. Nie hatte er es mit zu sich ins Haus genommen, zu keiner Sekunde wollte er es bei sich haben, bei seiner Frau, bei seinen Kindern. Nie.

Der Verkehr löste sich, der Wagen fuhr weiter. Zwar immer noch langsam aber es ging wenigstens voran.

Gestresst wechselte er auf die andere Fahrbahn und überholt ihn. Waghalsig, denn der Gegenverkehr ließ nicht lange auf sich warten. War es für Shane wirklich entspannend jetzt zu seinen Eltern zu fahren? Ihnen Fragen über sein Befinden, über seine Familie zu beantworten? Kurz überlegt er. Nein war es nicht. Schlagartig bremste er sachte, betätigte den Blinker und bog einfach nach rechts. Egal wohin er gelangen würde, einfach auf eine andere Straße.

Es war nicht schlimm, Shane kannte sich aus. Fuhr immer weiter, wurde schneller und einsamer. Die Straße leerte sich je mehr Meter er hinter sich brachte. Das war ihm am liebsten. Er war allein. Konnte seinen Gedankengängen nachhängen, hatte nicht auf andere zu achten, konnte die weite unbegrenzte Straße vor sich genießen. Konnte die neu gewonnene Ruhe genießen. Ab und an, während dem Fahren kniff er seine überanstrengten Augen zusammen, öffnete sie zwar rasch wieder, doch fand er es eine willkommene Abwechslung, einfach mal vor sich hinzurauschen, ohne Kinder, die hinten saßen, auf die er ein Auge haben musste, ohne eine Frau, die ihn von der Seite bequatschte und Antworten von ihm forderte, die forderte, dass er ihr zuhörte und ihr zustimmte. Einfach allein zu sein. Sofort wurde er ernst. So wie er es gewesen wäre, wäre er damals nicht zu Britney gegangen, wäre er nicht ihrem verführerischem Blick, ihrer Schönheit, sondern Mac und Lie ihrer Lehrerin gefolgt. Wäre zu der Feier gegangen, hätte sich dort betrunken und sich später über der Kloschüssel übergeben. Sicherlich wäre das auch unangenehm gewesen, doch dann wäre er jetzt alleine. Hätte sich die ganzen Sorgen um Britneys Vater erspart, hätte sich die unerwartete Schwangerschaft erspart, hätte sich vielleicht auch … das Bild erspart.

Müde richtete er seinen Blick geradeaus, konnte aber das Bild neben sich nicht vergessen. Wie bedrohlich es in seiner Ecke klemmte, ihn einzunehmen begann und sich wie ein unheimlicher Schatten über sein Leben ausbreitete. Wütend schaltete Shane einen Gang runter, lenkte an die Straßenseite und stellte den Motor surrend aus. Einen Moment blieb er regungslos sitzen, mit beiden Händen am Lenkrad geklammert und starr nach vorne schauend. Eigentlich brauchte er gar nicht nachzusehen, schließlich kannte er den Inhalt des Bildes ja. ängstlich schielte er zur Seite. Aber andererseits musste er es einfach sehen, sich wieder vor Augen führen in welcher Gefahr er sich befand. Schweißgebadet zog er den Schlüssel aus dem Lenkrad und warf ihn achtlos auf das Amaturenbrett. Kurz danach schnappte er sich zitternd das braun angelaufene Kouvert nicht weit von ihm und setzte sich fröstelnd in den Sitz zurück, kurbelte ihn entspannend nach hinten und öffnete das zugeklebte Papier. Nachdem er das getan hatte, hielt er wieder inne. Komm‘ schon. Es ist nur ein Bild.

Ja, nur ein Bild. Wenn er sich das einreden wollte, so klappte es nicht sonderlich gut. Tief atmend zog er es an sich heran, hielt es empört von sich fort und musterte es, zum gefühlten Hundertstem Mal.

Der Stift des Arztes ruhte ungewohnt lange auf dem schwarz- grauen Röngtenbild. So lange, dass es Shane übel wurde. Ungeduldig wippte er mit dem Fuß hin und her, straffte seinen Rücken, sodass er gegen die harte Lehne des Stuhls im Behandlungsraum stieß. Die Uhr nicht weit von ihm tickte.

„Wissen Sie, was das ist?“

Die Frage des Arztes klang barsch, beinahe beleidigt. Ebenso direkt fiel Shanes Antwort aus: „Nein, ich bin kein Arzt.“

Vielleicht durch eben diese direkte Frage prüskiert verschrenkte der Doktor seine Arme vor der Brust, ging um den luftigen Schreibtisch mitten im Raum herum und setzte sich lautstark hinter ihn. Seine hohe Stirn war in viele Falten gelegt, seine runtergezogene Brille begann gefährlich zu rutschen.

„Wie alt sind Sie?“

Noch bevor er in seinem Computer nachsehen konnte, setzte Shane zur Antwort an. „33.“

Erschrocken wurde er aus zwei düsteren Augen angefunkelt.

„W … warum denn?“

Der Arzt wurde finster. „Bei Ihnen …“, sein Kugelschreiber zeigte wieder auf die glatte Folie des Bildes, dass seine Lunge abbildete, umkreiste langsam einen kleinen, runden Punkt, der in ihrer Mitte zu sehen war. „… wurde ein ziemlich fortgeschrittenes Bronchialkarzinom festgestellt.“

Er schwieg. Shane tat es ihm nach. Der Arzt tat es um Shane die Gelegenheit zu geben, über das Gesagte nachzudenken, ihn die vermutlich schlechte Nachricht verdauen zu lassen. Shane jedoch plagte etwas völlig anderes. Etwas viel Banaleres. Was war ein „Bronchialkarzinom“?

„Ähm … was ist ein Bronchialkar …“

„Sie haben Husten, Sie hatten Fieber?“

Shane nickte, immer noch ahnungslos, dennoch wurde ihm angst. Warum ließ der Arzt sich so viel Zeit, ihm von seiner Diagnosezu berichten.

Mit sich ringend, legte Dr. Mohnam sogar seine Brille ab, ein schlimmes Anzeichen dafür, dass er hitzig am Überlegen war. „Mr. Ó‘ Brannagh, Sie meinten doch, Sie hätten etwas Blut gehustet, richtig?“

Wieder nickte Shane, gewillt den Doktor anzuschreien, ihn zu schütteln und ihn endlich nach seiner Krankheit zu fragen.

„Mr. Ò‘ Brannagh, Sie haben … Lungenkrebs.“

Mitten in seiner Erinnerung hielt Shane inne, beugte seinen Kopf vornüber und fasste sich an seine Stirn. Als wäre es gestern gewesen, fühlte er noch immer, wie sich die Praxis um ihn herum gedreht hatte, wie sich der Boden unter seinen Füßen gelöst hatte, ihn verlassen hatte, und er das Gefühl gehabt hatte, bloß noch vom Stuhl in der Luft gehalten zu werden. Als gäbe es kein Oben und Unten, als gäbe es keinen Boden, nichts. Keine Luft zum Atmen, einfach nichts.

„W … was?“

„Bei Bluthusten besteht nur noch eine geringe Chance der Heilung. Jedoch könnten wir es noch mit einer Operation und einer Entfernung des tumorartigen Geschwürs …“

„Ich machs‘“

„Es ist riskant.“

„Ich sterbe so oder so.“

Dr. Mohnam pflichtete ihm ernst und mit beschlagener Stimme bei. „Sie haben recht. Ich werde mich darum kümmern, so schnell wie möglich einen Termin für Sie auszumachen. Danach werden wir mithilfe einer Chemotherapie versuchen, auch noch den Rest des …“

„Gut.“, mehr wollte er nicht hören, seine Ohren von der bitteren Nachricht befreien, sie verdrängen und so tun als hätte ihm der Arzt lediglich von einer harmlosen Erkältung erzählt.

Für immer Shane ~5~

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