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Vida hatte an Raymie Wutherspoons Singen in der Anglikanerkirche Gefallen gefunden; sie hatte bei »Geselligen Methodistenzusammenkünften« und im Bon Ton das Wetter erschöpfend mit ihm besprochen. Aber wirklich lernte sie ihn erst kennen, als sie in Frau Gurreys Pension zog. Es war fünf Jahre nach ihrem Abenteuer mit Kennicott. Sie war neununddreißig, Raymie vielleicht ein Jahr jünger.

Sie sagte zu ihm, ganz aufrichtig: »Mein Gott! Sie können ja alles erreichen, was Sie wollen, mit Ihrem Verstand und Takt und mit Ihrer großen Stimme. Sie waren so gut im ›Mädchen von Kankakee‹. Ich bin mir damals ganz dumm vorgekommen. Wenn Sie zum Theater gehen würden, könnten Sie, glaube ich, ebenso gut sein wie irgendwer in Minneapolis. Aber trotzdem tut es mir nicht leid, daß Sie Kaufmann bleiben. Das ist ein so aufbauender Beruf.«

Es war für beide das erstemal, daß sie zufriedenstellende geistige Kameradschaft fanden. Sie sahen herab auf den Bankangestellten Willis Woodford und seine verschüchterte Frau, die nur für ihre Kinder lebte, auf die schweigsamen Lyman Cass', den salopp redenden Reisenden und den Rest von Frau Gurreys Gästen. Voll Freude erkannten sie, daß sie ein gemeinsames Glaubensbekenntnis hatten:

»Leute wie Sam Clark und Harry Haydock nehmen Musik und Bilder und schöne Predigten und wirklich feine Filme nicht ernst, aber, andererseits, Leute wie Carola Kennicott reiten zuviel auf der Kunst herum. Man kann ja ruhig schöne Dinge würdigen, aber trotzdem muß man praktisch sein und – und alles praktisch betrachten.«

An einem Sonntagnachmittag im Spätherbst gingen sie zum Minniemashiesee hinaus. Ray sagte, er würde gern das Meer sehen; es müßte ein großartiger Anblick sein; es müßte noch großartiger sein als ein See, sogar als ein riesig großer See. Vida stellte bescheiden fest, sie habe es gesehen; sie habe es gelegentlich einer Sommerreise zum Cape Cod gesehen.

»Sie sind bis zum Cape Cod gekommen? Massachusetts? Ich wußte, daß Sie Reisen gemacht haben, aber ich hätte nie gedacht, daß Sie so weit gekommen sind!«

Durch sein Interesse größer und jünger geworden, legte sie los: »O ja, ja. Es war ein wunderschöner Ausflug. In Massachusetts gibt es soviel interessante Stellen – historische Punkte. Dort ist Lexington, wo wir die Rotröcke zurückgeschlagen haben, und das Haus Longfellows in Cambridge und Cape Cod – dort gibt's einfach alles – Fischer und Walfischfänger und Sanddünen und alles.«

Sie sprach den Wunsch aus, einen kleinen Stock in der Hand zu tragen. Er brach ihr einen Weidenzweig ab.

»Herrje, sind Sie stark!« sagte sie.

»Nein, nicht sehr. Ich wollte, ich hätte Gelegenheit zu regelmäßigem Trainieren.«

»Sie sind sehr geschmeidig, für einen so großen Mann.«

»O nein, nicht so sehr. Aber ich wollte, ich hätte Gelegenheit zum Trainieren, Vida – es ist wohl ziemlich frech von mir, daß ich ›Vida‹ zu Ihnen sage.«

»Ich sage schon seit Wochen ›Ray‹ zu Ihnen.«

Er mußte darüber nachdenken, warum das geärgert klang.

Er half ihr den Abhang hinunter zum Ufer, ließ aber plötzlich ihre Hand los; als sie auf einem Weidenstumpf saßen und er ihren Ärmel streifte, rückte er taktvoll ab und murmelte: »Oh, entschuldigen Sie – Zufall.«

Sie starrte auf das schmutzigbraune Wasser hinaus, auf die schwimmenden braunen Binsen.

»Sie sehen so nachdenklich aus«, sagte er.

Sie warf die Hände empor. »Ich bin es auch! Können Sie mir vielleicht sagen, was für einen Sinn das – das Ganze hat! Ach, reden wir nicht von mir. Ich bin eine melancholische alte Pute. Erzählen Sie mir von Ihren Plänen, am Bon Ton beteiligt zu werden. Ich denke, Sie haben recht: Harry Haydock und der schlechte alte Simons sollten Sie beteiligen.«

Als sie dann aufstanden, reichte er ihr die Hand. »Wenn Sie gestatten. Ich finde, es ist fürchterlich, wenn jemand mit einer Dame spazierengeht und sie ihm nicht vertrauen kann, und er mit ihr flirten will und so.«

»Ich bin überzeugt, daß man Ihnen sehr vertrauen kann!« erwiderte sie und sprang ohne seine Hilfe auf. Dann sagte sie, übermäßig lächelnd: »Ach – finden Sie nicht, daß Carola manchmal Doktor Wills Tüchtigkeit nicht gerecht wird?«

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