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1 Born in England
ОглавлениеGeboren wurde ich am 23. Juli 1965 in England, in Stoke-on-Trent, wo zwanzig Jahre vor mir Lemmy Kilmister von Motörhead das Licht der Welt erblickt hatte. Es war das Jahr, in dem sich der Rock'n'Roll, wie wir ihn kennen, zu etwas entwickelte, das plötzlich weit mehr war als die Summe all seiner Bestandteile, das Jahr, in dem eine Handvoll Bands unabhängig voneinander die Popmusik für immer veränderte. Die Beatles brachten in diesem Jahr Rubber Soul heraus, die Stones mit Rolling Stones No. 2 die beste Sammlung ihrer Blues-Coverversionen. Es war eine kreative Revolution im Gange wie seither nie wieder, und ich bin stolz darauf, eines ihrer Nebenprodukte zu sein.
Meine Mutter ist Afroamerikanerin, mein Vater ein weißer Brite. Sie haben sich in den 60er-Jahren in Paris kennengelernt und verliebten sich ineinander - und dann kam ich. Ihre Kontinente und Rassen übergreifende Beziehung entsprach genauso wenig der Norm wie ihre grenzenlose Kreativität. Ich bin ihnen dankbar dafür, dass sie sind, wie sie sind. Sie haben mir ein so einzigartiges, schillerndes Umfeld geboten, dass schon in frühester Kindheit jedes Erlebnis einen bleibenden Eindruck bei mir hinterließ. Meine Eltern haben mich wie einen Gleichgestellten behandelt, kaum dass ich laufen konnte. Und ganz nebenbei haben sie mir beigebracht, mit allem fertig zu werden, was so auf mich zukommen sollte in der einzigen Art Leben, die ich je gekannt habe.
Ola, meine Mom, war siebzehn, mein Dad Anthony (»Tony«) zwanzig, als sie sich kennenlernten. Er war ein begnadeter Maler, und wie das für Maler so üblich ist, kehrte er seiner miefigen Heimatstadt den Rücken und landete irgendwann in Paris. Meine Mutter war frühreif, überschwänglich, jung und schön; sie hatte Los Angeles verlassen, um etwas von der Welt zu sehen und sich Connections in der Modebranche aufzubauen. Als ihre Wege sich kreuzten, verliebten sie sich und heirateten dann in England. Schließlich kam ich, und sie stellten sich darauf ein, ein Leben als Familie zu führen.
Die Karriere meiner Mutter als Modedesignerin und Kostümbildnerin begann etwa 1966, und im Lauf der Zeit gehörten Flip Wilson, John Lennon und Ringo Starr zu ihren Kunden. Außerdem arbeitete sie für die Pointer Sisters, Helen Reddy, Linda Ronstadt und James Taylor. Auch der leider bereits verstorbene Sylvester, der als Discokünstler in den 70er-Jah-ren eine Art schwuler Sly Stone gewesen war, gehörte zu ihren Kunden. Er schenkte mir eine schwarz-weiße Ratte, der ich den Namen Mickey gab. Mickey war ein ganz harter Knochen; er zuckte nicht mal mit der Wimper, wenn ich Ratten an meine Schlangen verfütterte. Einmal überlebte er sogar einen Sturz aus dem Schlafzimmerfenster, aus dem ihn mein kleiner Bruder geworfen hatte; ihm war nicht das Geringste anzusehen, als er drei Tage später wieder vor unserem Hintereingang auftauchte. Mickey überlebte auch die unbeabsichtigte Amputation seiner Schwanzspitze, als er damit in die Mechanik unseres Schlafsofas geriet. Und einmal musste er fast ein Jahr ohne Wasser und Nahrung auskommen, weil wir ihn in einer Wohnung vergessen hatten, die wir nur als Lager benutzten. Als wir schließlich vorbeischauten, um ein paar Kartons abzuholen, kam Mickey so freundlich auf mich zu, als sei ich gerade mal einen Tag weg gewesen und als wolle er sagen: »Hey, wo bleibst du denn, Mann?«
Mickey war eines meiner erinnerungswürdigsten Haustiere. Und ich hatte eine Menge, von meinem Berglöwen Curtis bis zu den Hunderten von Schlangen, die ich aufgezogen habe. Im Grunde bin ich ein Zoowärter. Die nötigen Kenntnisse habe ich mir selbst beigebracht - und ich bin mit den Tieren, mit denen ich gelebt habe, besser zurechtgekommen als mit den meisten Menschen, die mir untergekommen sind. Tiere und ich teilen eine Weltsicht, die den meisten Menschen nicht mehr geläufig ist: dass es letzten Endes nur ums Überleben geht. Hat man das erst mal begriffen, kann man das Vertrauen eines Tieres gewinnen, das einen in der Wildnis fressen würde. Das ist eine wertvolle Erfahrung, so etwas prägt.
Kurz nach meiner Geburt ging meine Mutter zurück nach Los Angeles, um ihr Geschäft auszubauen und unserer Familie eine finanzielle Basis zu sichern. Mein Dad zog mich in England auf, bei seinen Eltern Charles und Sybil Hudson - deren Haus für vier Jahre mein Zuhause wurde -, was nicht leicht für ihn war. Ich war ein ziemlich aufgewecktes Kerlchen, bekam aber nichts mit von den enormen Spannungen zwischen ihm und seinem Dad Charles. Nach allem, was ich weiß, war das Verhältnis zwischen den beiden alles andere als entspannt. Tony war der zweite von drei Söhnen und genau der Ausreißertyp, zu dem Mittelkinder wohl häufig werden. Sein jüngerer Bruder Ian und David, der ältere, taten sich mit den häuslichen Regeln weniger schwer als er. Mein Dad ging auf die Kunstschule; er war alles, was sein Vater nicht war. Tony identifizierte sich mit den Sixties, und er stand für seine Überzeugungen genauso rückhaltlos ein, wie sein Vater sie verurteilte. Mein Großvater Charles war in Stoke bei der Feuerwehr; und Stoke war eine Stadt, in der sich praktisch nie etwas verändert hatte. Die meisten, die dort geboren wurden, blieben auch dort; viele, wie meine Großeltern, hatten sich noch nicht einmal ins rund hundert Meilen entfernte London gewagt. Für Tonys sehnlichsten Wunsch, auf die Akademie zu gehen und von der Malerei zu leben, hatte Charles einfach kein Verständnis. Die Unvereinbarkeit ihrer Meinungen mündete in ständige Debatten und führte immer wieder zu heftigem Streit; Tony behauptet, sein Vater habe ihn den größten Teil seiner Jugend über regelmäßig verprügelt.
So vollkommen wie mein Großvater das England der 1950er-Jahre repräsentierte, stand sein Sohn für die 60er. Charles sah gerne alle Dinge an ihrem angestammten Platz; Tony dagegen hätte gern alles komplett umgekrempelt. Ich kann mir das Entsetzen meines Großvaters vorstellen, als sein Sohn mit seiner großen Liebe, einer unbekümmerten Afroamerikanerin, aus Paris zurückkam. Ich frage mich, wie er wohl reagiert hat, als Tony ihm sagte, er würde sie heiraten und ihren Kleinen unter seinem Dach aufziehen, bis er und Mom alles geregelt hätten. Es rührt mich, wenn ich darüber nachdenke, wie diplomatisch sich mein Vater und mein Großvater in dieser Situation verhielten.
Kaum dass ich alt genug für ein Bahnfahrt war, nahm mein Dad mich mit nach London. Ich war vielleicht zwei oder drei, wusste aber instinktiv, wie weit London entfernt war von den endlosen Reihen brauner Backsteinhäuser und ihrer vermeintlichen Familienidylle, schließlich war mein Dad ein richtiger Bohemien. Wir pennten auf Sofas und kamen tagelang nicht mehr nach Hause. Ich lernte Lavalampen, Schwarzlicht und die elektrisierende Atmosphäre der Buden und der Künstler in der Portobello Road kennen. Dad hätte sich nie als Beatnik bezeichnet, doch er hatte diesen Lebensstil osmotisch aufgesogen. Es war, als hätte er sich die Highlights dieses Lebens herausgepickt: eine Liebe zum Abenteuer, mit nichts weiter als dem Hemd auf dem Leib losziehen, Nacht für Nacht in Wohnungen voller interessanter Leute unterkommen. Meine Eltern haben mir eine Menge beigebracht, aber eine ihrer ersten Lektionen war zugleich auch die wichtigste: Nichts ist vergleichbar mit einem Leben auf Achse.
Ich erinnere mich noch an alles, was gut war an England. Ich stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit meiner Großeltern. Ich ging zur Schule. Ich trat in Theaterstücken auf: The Twelve Days of Christmas; ich spielte die Hauptrolle in The Little Drummer Boy. Und einmal die Woche guckte ich Mit Schirm, Charme und Melone und die Thunderbirds. Das englische Fernsehen Ende der 60er-Jahre war ziemlich beschränkt und reflektierte die Weltsicht meiner Großeltern und ihrer Generation, die Weltsicht Churchills und der Nachkriegsgesellschaft. Es gab damals nur drei Kanäle, und abgesehen von den zwei Stunden pro Woche, zu denen die Serien liefen, wurden nur Nachrichten ausgestrahlt. Wen wundert es da, dass sich die Generation meiner Eltern kopfüber in den kulturellen Umbruch stürzte, der damals im Gange war?
Nachdem Tony und ich zu Ola nach Los Angeles gezogen waren, sprach mein Vater nie wieder auch nur ein Wort mit seinen Eltern. Meine Großeltern verschwanden praktisch über Nacht aus meinem Leben und fehlten mir nicht selten. Meine Mutter hielt meinen Vater immer wieder an, die Verbindung nicht abreißen zu lassen, aber es half nichts, ihm lag nichts daran. Ich sah meine englischen Verwandten erst wieder, nachdem Guns N' Roses bekannt geworden waren. Als wir 1992 im Wembley Stadion spielten, rückte der Hudson-Clan in voller Stärke an. Noch vor dem Konzert wurde ich backstage Zeuge, wie einer meiner Onkel, mein Cousin und mein Großvater - auf seiner ersten Reise von Stoke nach London - uns den Alkohol in der Garderobe wegsoffen. Hätten wir alles getrunken, was man uns damals laut Vertrag hinter die Bühne zu stellen hatte, wir wären daran krepiert.
Meine erste Erinnerung an Los Angeles ist, dass vom Plattenspieler meiner Eltern »Light My Fire« dröhnte, und das rund um die Uhr, Tag für Tag. Ende der 60er, Anfang der 70er war L. A. die angesagteste Stadt, vor allem für junge Briten, die sich für Kunst und Musik interessierten. Im Vergleich zum nach wie vor altbackenen Kulturbetrieb in England gab es jede Menge Arbeit für Kreative, und wettermäßig war die Stadt verglichen mit dem regnerischern und nebligen London ein Paradies. Außerdem hätte man dem System und den Erziehungsmethoden in England den Stinkefinger nicht besser zeigen können als dadurch, zu den Yankees zu ziehen - und nichts hätte meinem Dad mehr Freude bereitet.
Meine Mutter arbeitete weiterhin als Modedesignerin, und mein Vater begann, Kapital aus seinem Talent als Grafiker zu schlagen. Durch die Beziehungen meiner Mom zur Musikbranche erhielt er bald die ersten Aufträge für die Gestaltung von Albumcovern. Wir wohnten damals in der Nähe des Laurel Canyon Boulevard, an der höchsten Stelle der Look-out Mountain Road, mitten in einer typischen Sixties-Szene. Diese Gegend von Los Angeles ist immer ein Hort der Kreativität gewesen, schon allein der unkonventionellen Landschaft wegen. Die Häuser sind direkt ins üppige Grün der Hänge gebaut. Es gibt Bungalows mit Gästehäusern und Bauten jeder nur erdenklichen Art, alle wie geschaffen für ein ursprüngliches, natürliches Gemeinschaftsleben. Als ich in meiner Kindheit da oben wohnte, gab es dort eine gemütliche kleine Enklave von Künstlern und Musikern: Joni Mitchell wohnte nur ein paar Häuser von uns entfernt. Jim Morrison wohnte hinter dem Canyon Store ebenso wie der junge Glen Frey, der damals gerade die Eagles gründete. Es war ein Umfeld, in dem jeder mit jedem verbandelt war: Meine Mom entwarf Jonis Klamotten; mein Dad machte Albumcover für sie. David Geffen war ein enger Freund meiner Eltern; an ihn erinnere ich mich noch sehr gut. Er nahm später Guns N' Roses unter Vertrag, obwohl er zu dem Zeitpunkt nicht wusste, wer ich war - und ich habe es ihm nicht gesagt. Als er Weihnachten 1987 Ola anrief, erkundigte er sich danach, wie es mir geht. »Du solltest doch wissen, wie's ihm geht«, sagte sie, »schließlich hast du gerade die Platte seiner Band rausgebracht.«
Nach ein, zwei Jahren im Laurel Canyon zogen wir ein Stück weiter südlich in eine Wohnung am Doheny Drive. Ich wechselte die Schule, und erst da wurde mir klar, dass gewöhnliche Kinder ganz anders lebten als ich. Ich hatte nie so etwas wie ein Kinderzimmer voller Spielzeug gehabt. Keine Wand in einer unserer Wohnungen war auch nur in annähernd neutralen Farben gestrichen. Für gewöhnlich hing der Duft von Pot und Räucherstäbchen in der Luft. Die Atmosphäre war immer licht, das Farbschema ausnahmslos dunkel. Mir war das recht, ich hatte nie Interesse daran, mich mit Kindern meines Alters abzugeben. Ich zog die Gesellschaft Erwachsener vor, nicht zuletzt weil die Bekannten meiner Eltern noch heute zu den interessantesten Leuten zählen, die mir je begegnet sind.
Ich hörte rund um die Uhr Radio, für gewöhnlich den Mittelwellensender KHJ. Ich schlief sogar bei laufendem Radio. Ich machte meine Hausaufgaben und bekam gute Noten, obwohl meine Lehrer behaupteten, meine Aufmerksamkeitsspanne sei zu kurz und ich träume die ganze Zeit vor mich hin. In Wahrheit gehörte meine Leidenschaft der Malerei. Ich stand auf den französischen Postimpressionisten Henri Rousseau und malte wie er Dschungelszenen mit meinen Lieblingstieren. Schon sehr früh begann ich, mich für Schlangen zu begeistern. Als mich meine Mutter das erste Mal zu einem Besuch bei einer Freundin nach Big Sur mitnahm, war ich sechs Jahre alt. Wir zelteten, und ich verbrachte Stunden damit, im Wald Schlangen zu fangen. Ich stocherte unter jedem Strauch, unter jedem Baum herum, bis ich ein ganzes altes Aquarium damit voll hatte. Dann ließ ich sie wieder frei.
Die Schlangen waren nicht das einzige Aufregende während dieses Ausflugs. Mom und ihre Freundin waren wilde, unbekümmerte junge Frauen, und beide hatten einen Heidenspaß dabei, mit Moms VW-Käfer die kurvenreiche Steilküste entlangzurasen. Ich erinnere mich noch genau, dass ich auf dem Beifahrersitz saß, wie gelähmt vor Angst, und eine Handbreit neben der Tür die Felsen und das Meer vorbeirauschen sah.
Die Plattensammlung meiner Eltern war tadellos. Sie hörten alles von Beethoven bis Led Zeppelin, und noch als Teenager fand ich in ihrer Sammlung unentdeckte Juwelen. Da meine Eltern mich ständig auf Konzerte schleppten und Mom mich oft zur Arbeit mitnahm, kannte ich damals jeden Künstler. Schon im zartesten Alter lernte ich die Mechanismen des Showbusiness kennen: Ich bekam eine Menge Plattenstudios und Proberäume sowie Film-und Fernsehsets zu sehen. Ich durfte eine ganze Reihe von Joni Mitchells Aufnahme- und Probe-Sessions miterleben; ich war dabei, als Flip Wilson, damals ein äußerst bekannter, heute völlig vergessener Komiker, einige seiner TV-Shows aufzeichnete. Ich habe die Australierin Helen Reddy proben und auftreten sehen, und ich war bei Linda Ronstadts Auftritten im Troubadour dabei. Mom nahm mich mit, wenn sie Bill Cosby für seine Stand-up-Gigs ausstaffierte; sie entwarf auch einige Maßkleider für seine Frau. Ich weiß noch, dass ich mit ihr bei den Pointer Sisters war. Das alles geschah natürlich im Laufe mehrerer Jahre, doch nachdem wir in die Wohnung am Doheny Drive gezogen waren, blühte Moms Geschäft richtig auf. Carly Simon kam zu uns nach Hause, die Soulsängerin Minnie Riperton auch. Ich lernte Stevie Wonder und Diana Ross kennen. Mom sagt, ich sei auch John Lennon begegnet, aber daran kann ich mich leider überhaupt nicht mehr erinnern. Ringo Starr hingegen ist mir im Gedächtnis geblieben: das Parliament-Funkadelic-Outfit, das Ringo auf dem Cover seines 74er Albums Goodnight Vienna trägt, hat meine Mom gemacht. Es ist metallic-grau, die Hose ist weit bis über die Taille geschnitten und mitten auf der Brust glitzert ein Stern.
Jede dieser Szenen mit meiner Mutter hinter der Bühne oder im Tonstudio hatte eine merkwürdig magische Wirkung auf mich. Ich hatte keine Ahnung, was da vor sich ging, war aber von allem, was mit der Bühne zu tun hatte, schon damals so fasziniert, wie ich es heute immer noch bin. Eine Bühne voller Instrumente, die nur noch auf die Band wartet, die auf ihr spielen soll, finde ich aufregend. Der Anblick einer Gitarre turnt mich heute noch an. Hinter beidem verbirgt sich ein wunderbares Versprechen: Beide bieten die Möglichkeit, die Realität zu transzendie-ren; es braucht nur die richtigen Musiker.
Mein Bruder Albion kam im Dezember 1972 zur Welt. Er verschob das Gleichgewicht in der Familie ein wenig; plötzlich gab es eine neue Person in unserer Mitte. Es war cool, einen kleinen Bruder zu haben, und ich kümmerte mich gerne um ihn. Ich freute mich, wenn meine Eltern mich baten, auf ihn aufzupassen.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich eine weitaus größere Veränderung in unserer Familie bemerkte. Meine Eltern waren nicht mehr dieselben, wenn sie zusammen waren, was ohnehin nur noch selten vorkam. Ich denke, ihre Beziehung begann in die Brüche zu gehen, als wir in die Wohnung am Doheny Drive zogen und sich bei meiner Mutter so richtig der Erfolg einstellte. Unsere genaue Adresse lautete damals übrigens 710 North Doheny; heute befindet sich an dieser Stelle eine Baulücke, wo im Dezember Weihnachtsbäume verkauft werden. Ich sollte außerdem erwähnen, dass unser Hausnachbar der originale, selbst ernannte Black Elvis war; man kann ihn heute noch für Partys in Las Vegas buchen - falls das jemanden interessiert.
Jetzt, wo ich älter bin, ist mir einiges, das die Beziehung meiner Eltern belastete, klarer geworden. Es hatte meinem Vater nie so recht gefallen, dass meine Mutter ihrer Mutter so nahe stand. Es verletzte seinen Stolz, wenn seine Schwiegermutter uns finanziell aushalf, und er konnte es schon gar nicht leiden, wenn sie sich in unsere Familienangelegenheiten einmischte. Dass er trank, war dabei nicht gerade hilfreich. Und mein Vater trank gerne. Und viel. Er entsprach dem Klischee des melancholischen Trinkers. Nicht dass er je gewalttätig geworden wäre. Dad war zu clever und auch nicht rücksichtslos genug, um sich mit brutaler Gewalt Geltung zu verschaffen, aber er hatte furchtbar miese Laune, wenn er trank. Wenn er betrunken war, benahm er sich immer völlig daneben; so reagierte er sich ab. Dass er auf die Weise viele Brücken hinter sich abbrach, versteht sich wohl von selbst.
Ich war erst acht, aber ich hätte wissen sollen, dass da etwas nicht stimmte. Meine Eltern sind immer respektvoll miteinander umgegangen, aber in den Monaten vor ihrer Trennung gingen sie einander völlig aus dem Weg. Mom war nachts meist unterwegs, und Dad saß während dieser Nächte in der Küche, alleine und trübsinnig, trank Rotwein und hörte Klaviermusik von Erik Satie. Wenn Mom zuhause war, unternahmen Dad und ich lange Spaziergänge.
Er ging überhaupt überall zu Fuß, in England wie in Los Angeles. In der Zeit vor Charles Manson, also bevor Mansons Clan Sharon Tate und ihre Freunde ermordet hatte, sind wir überallhin getrampt. Los Angeles hatte damals seine Unschuld noch nicht verloren; die Morde signalisierten das Ende der utopischen Ideale der 60er-Jahre, die Flower-Power-Ära war damit vorbei.
Meine Kindheitserinnerungen an Tony ähneln Filmszenen. Ich denke stets an all die Nachmittage, die ich zu ihm aufsah, während ich neben ihm herlief. Auf einem dieser Spaziergänge landeten wir bei Fatburger, wo er mir sagte, dass Mom und er sich trennen würden. Ich war wie vor den Kopf gestoßen; das einzig Verlässliche, das ich je kennengelernt hatte, war plötzlich dahin. Ich fragte nicht weiter nach; ich starrte nur meinen Hamburger an. Als Mom sich später am Abend zu mir setzte, um mir die Situation zu erklären, wies sie mich auf die Vorteile hin: Ich hätte von jetzt ab zwei Heime. Ich dachte ein Weilchen darüber nach. Irgendwie hatte es Hand und Fuß, aber es klang wie eine Lüge. Ich nickte, während sie auf mich einredete, hörte aber nicht weiter zu.
Meine Eltern trennten sich einvernehmlich; es war nur irgendwie merkwürdig, weil sie sich erst Jahre später scheiden ließen. Immer wieder wohnten sie nur einen Katzensprung voneinander entfernt, und sie hatten sogar denselben Freundeskreis. Als sie sich trennten, war mein kleiner Bruder erst zwei Jahre alt. Sie entschieden aus naheliegenden Gründen, dass er bei meiner Mutter bleiben sollte. Mir überließen sie die Wahl, bei wem ich leben wollte, und ich entschied mich für Mom. Ola kümmerte sich um uns, so gut sie konnte, aber sie war ihrer Arbeit wegen viel unterwegs. Und so zogen mein Bruder und ich zwischen der Wohnung meiner Mutter und der meiner Großmutter hin und her. Bei uns war immer was los, unser Zuhause war interessant und unkonventionell - aber immer ein fester Halt. Nachdem das Band zwischen meinen Eltern jedoch erst mal zerrissen war, wurde die ständige Veränderung in meinem Leben zur Norm.
Die Trennung machte meinem Vater schwer zu schaffen, und ich bekam ihn eine ganze Weile nicht mehr zu sehen. Sie traf uns alle schwer; doch so richtig bewusst wurde sie mir erst, als ich meine Mutter zum ersten Mal mit einem anderen Mann sah. Und dieser Mann war David Bowie.
1975 begann die enge Zusammenarbeit meiner Mutter mit David Bowie. Bowie nahm damals gerade Station To Station auf, und Mom hatte seit Young Americans seine Garderobe entworfen. Als er die Hauptrolle in Der Mann, der vom Himmel fiel übernahm, wurde meine Mutter Kostümbildnerin bei dem Film, der in New Mexico gedreht wurde. Während des Drehs begannen sie und Bowie eine mehr oder weniger leidenschaftliche Affäre. Rückblickend war das womöglich gar keine sonderlich ernste Geschichte, aber damals hatte ich das Gefühl, einen Außerirdischen in unserem Hinterhof landen zu sehen.
Nach der Trennung meiner Eltern zogen wir - Mom, mein Bruder und ich - in ein Haus am Rangely Drive. Unsere Wohnung dort war ziemlich cool: Die Wohnzimmerwände waren himmelblau und voller Wolken. Es gab ein Klavier dort, und die Plattensammlung meiner Mutter nahm eine ganze Wand ein. Es war freundlich, richtig gemütlich. Bowie kam oft mit seiner Frau Angie und seinem Sohn Zowie vorbei. Die 70er-Jahre waren in dieser Hinsicht einzigartig: Es schien völlig normal, dass ein Mann mit seiner Frau und seinem Sohn bei seiner Geliebten vorbeischaute, damit alle zusammen abhängen konnten. Meine Mutter praktizierte damals dieselbe Art Meditation wie David. Sie hatte einen Schrein im Schlafzimmer aufgebaut, vor dem sie zusammen Mantras sangen.
Als ich ihn erst mal näher kennengelernt hatte, akzeptierte ich David, weil er intelligent, witzig und ungeheuer kreativ war. Da ich ihn persönlich kannte, konnte ich seine Bühnenpersönlichkeit noch besser verstehen. Ich sah ihn mit Mom 1975 bei einem Konzert im L. A. Forum, und schon damals war ich, wie seither immer wieder, völlig fasziniert von dem Augenblick an, in dem er - ganz in seiner Rolle aufgehend - die Bühne betrat. Das ganze Konzert war Performance pur. Ich sah die vertrauten Eigenschaften eines Menschen, den ich kennengelernt hatte, ins Extrem überhöht. Bowie hatte das Phänomen des Rockstars auf seine Essenz reduziert: Ein Rockstar ist die Schnittmenge dessen, was er tatsächlich ist, und dessen, was er gerne wäre.