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5 »Wird es kaum zu was bringen«

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Hat man erst mal ein paar Jahre auf dem Buckel, wird man feststellen, dass alles, was man in die Welt hinausschickt, irgendwann auf die eine oder andere Weise zurückkommt. Das mag noch am selben Tag geschehen, vielleicht erst am nächsten oder auch Jahre später, aber es kommt - für gewöhnlich, wenn man es am allerwenigsten erwartet, und meist in einer ganz anderen Form als gedacht. Diese Augenblicke, die unser Leben verändern, nehmen sich auf den ersten Blick eher zufällig aus, aber ich glaube nicht, dass sie das sind, wenigstens nicht in meinem Leben. Und ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der das so sieht.


Ich hatte meinen Freund Marc Canter gut ein Jahr nicht mehr gesehen, weil wir beide einfach zu sehr mit unserem eigenen Kram beschäftigt waren. Er hatte inzwischen eine Metamorphose durchgemacht: Als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war er eben dabei gewesen, sich im Canter's Deli in die Rolle als Leiter des Familienbetriebs einzuarbeiten. Er war Musikfan gewesen, das schon, aber keinesfalls ein totaler Rockfreak - das war eher mein Part gewesen. Aber als wir uns wiedersahen, war Marc ein ganz anderer Mensch geworden; er war ein Paradebeispiel für einen eingefleischten, ja besessenen Rockfan. Ich hätte es ihm nie und nimmer angesehen, aber sein ganzes Leben drehte sich jetzt um Aerosmith. Er hatte sein Zimmer in einen Schrein verwandelt; seine Aerosmith-Poster waren zu einer einzigen großen Collage zusammengefügt, sie wirkten wie eine Tapete. Er hatte jedes Magazin gesammelt, in dem je etwas über die Band gestanden hatte, und das Material katalogisiert. Er hatte eine wohl geordnete Galerie von Fotos mit Autogrammen, alle in Plastikhüllen, sowie massig seltenes Import-vinyl und Kassetten mit Bootlegs, mit denen er ein Plattengeschäft hätte aufmachen können.

Marc sah definitiv nicht danach aus. Wenn überhaupt, wirkte er wie ein Rockfan mit einer Schwäche für Aerosmith-T-Shirts. Sein Starkult ging nicht so weit, dass er Steven oder Joe auch noch in Sachen Kleidung nachgeeifert hätte. Doch er war im Namen der Sache zum Stalker geworden. Er stahl, schlich hier und da herum, wo er absolut nichts verloren hatte, und tat dergleichen rechtlich bedenkliche Dinge mehr. Irgendwie hatte Marc Kontakt zu einer Gang von Kartenschiebern geknüpft. Er kaufte für jedes Konzert einen ganzen Schwung Karten und tauschte diese dann solange mit den anderen Typen vom Schwarzmarkt, bis er ein Pärchen für die für seine Zwecke am besten geeigneten Plätze hatte. Für ihn war das ein großes Spiel; er war da wie ein Kind, das Baseballkarten tauschte, aber am Schluss war er derjenige mit den besten Karten, die es gab.

Nachdem Marc das Problem mit den Plätzen gelöst hatte, konnte er mit seiner Operation erst richtig losgehen. Er schmuggelte eine ordentliche Profikamera und eine Auswahl an Objektiven in die Halle, indem er alles soweit wie nur möglich zerlegte und die Teile dann am Körper versteckte - in der Hose, in den Ärmeln seiner Jacke, wo immer es nur ging. Man hat ihn nie erwischt, und er hatte wirklich die irrsten Liveaufnahmen von Aerosmith. Das einzige Problem war, dass er ein bisschen zu spät auf Aerosmith gekommen war - sie trennten sich, kaum dass er mit seinem Fankult so richtig in Fahrt gekommen war.

Ein Highlight aus Marcs Aerosmith-Sammlung war ein leerer Dori-tos-Beutel und ein kleines Ziploc-Tütchen mit Zigarettenkippen, die er aus Joe Perrys Hotelzimmer im Sunset Marquis geklaut hatte. Offenbar hatte er das Hotel observiert und war dann irgendwie reingekommen, nachdem Joe ausgezogen und bevor das Zimmermädchen aufgekreuzt war. Joe hatte am Abend zuvor noch nicht mal gespielt; er war ja damals schon gar nicht mehr in der Band. Entsprechend sonderbar fand ich Marcs Verhalten. Es gab Aerosmith nicht mehr, und dennoch lebte er praktisch für sie. Aber Marc ist schon immer einer meiner besten Freunde gewesen, also musste ich seine Macke natürlich unterstützen, indem ich zu seiner Sammlung beitrug. Ich schenkte ihm zum Geburtstag eine Freihandzeichnung von Aerosmith auf der Bühne. Es war eine Bleistiftskizze, der ich mit Farbstiften Schatten und Highlights hinzugefügt hatte. Ich fand, sie war ganz gut gelungen.

Eben diese Zeichnung hat mich eine Lektion gelehrt, die weise und weniger weise Menschen über Jahrhunderte hinweg gelehrt haben: Was immer man in die Welt hinausschickt, es kommt auf die eine oder andere Weise wieder zurück. In diesem Fall kam buchstäblich das Bild selbst zurück - und mit ihm genau das, was ich damals suchte.

Als ich die Zeichnung das nächste Mal sah, war ich an einem toten Punkt angelangt: Ich hatte - erfolglos - versucht, eine Band zu gründen, in einem muskalischen Umfeld, das mir einfach nicht zusagte. Ich wünschte mir all das, wovon weitaus schlechtere Musiker reichlich hatten. Nur davon, mich derart umzukrempeln, wie das offensichtlich nötig gewesen wäre, wollte ich nichts wissen. Ich habe es versucht, aber zu allzu großen Kompromissen bin ich, wie ich feststellen musste, einfach nicht bereit. Ich möchte jetzt, da ich darauf zurückblicke, nicht behaupten, ich hätte in meinem tiefsten Inneren immer gewusst, es würde sich alles finden, es sah nämlich damals ganz und gar nicht danach aus. Aber zumindest hat mich nichts davon abgehalten, das Einzige zu machen, was mir möglich war, nämlich das, was ich für richtig hielt. Und irgendwie hatte ich damit Glück: Ich fand vier andere Gestörte, die dasselbe suchten wie ich.

Nun, eines Tages arbeitete ich gerade im Hollywood Music Store, als ein katzenhafter Typ hereinkam. Er truge enge schwarze Jeans, Creepers, pechschwarz gefärbte Haare und rosa Socken - ganz Johnny Thunders. Und er hatte eine Fotokopie meiner Aerosmith-Zeichnung dabei, die ein gemeinsamer Freund ihm gegeben hatte. Offensichtlich hatte man Kopien davon gemacht und in Umlauf gebracht. Diesem Typ nun hatte meine Zeichnung so sehr gefallen, dass er unbedingt mit mir reden wollte, erst recht, nachdem er erfahren hatte, dass ich Leadgitarre spiele.

»Ey, Mann, bist du der Typ, der das hier gezeichnet hat?«, fragte er mit einem leicht ungeduldigen Unterton.

»Find ich geil, is' echt verdammt cool.«

»Das ist von mir, ja«, sagte ich. »Danke.«

»Wie heißt du denn?«

»Slash.«

»Hey, ich bin Izzy Stradlin.«

Wir unterhielten uns nicht lange; Izzy ist ein Typ, der eigentlich immer gerade irgendwo anders sein muss. Also verabredeten wir uns für später, und als er noch am selben Abend bei mir zu Hause vorbeikam, drückte er mir ein Tape von seiner Band in die Hand. Das Teil hätte sich nicht schlimmer anhören können. Es war ein Band von der billigsten Sorte, und die Aufnahme war mit dem eingebauten Mikro eines Kassettenrekorders gemacht worden, der einfach auf dem Boden gestanden hatte. Es hörte sich an, als hätte die Band in den Tiefen eines Düsentriebwerks gespielt. Aber durch das Rauschen, hörte ich irgendwo im Hintergrund etwas heraus, das ich interessant fand - ich vermute, es war die Stimme des Sängers. Sie war nur schwer auszumachen, und das Gekreische war so überdreht, dass ich es erst für eine technische Macke hielt. Es hörte sich an wie das Quietschen, das eine Kassette kurz vor dem Bandriss von sich gibt - nur dass in diesem Fall die richtige Tonhöhe getroffen wurde.


Nach meinem missglückten Abstecher in die High School wohnte ich mit Mom und Großmutter in einem Haus an der Melrose Avenue Höhe La Cienega, wo ich ein kleines Zimmer im Souterrain hatte, direkt unter der Garage. Für mich war die Bude perfekt: Wenn es sein musste, konnte ich Tag und Nacht unbemerkt durch das Fenster, das sich in Gehsteighöhe befand, verschwinden. Ich hatte da unten meine Schlangen und Katzen bei mir und ich konnte Gitarre spielen, wann immer ich Lust hatte, ohne jemanden zu stören. Kaum hatte ich die Schule geschmissen, einigte ich mich mit meiner Mutter darauf, Miete zu zahlen.

Wie schon gesagt, hatte ich mehrere Jobs, während ich versuchte, eine Band auf die Beine zu stellen oder wenigstens bei einer unterzukommen, an die ich glauben konnte, in dem Sumpf, der die Metal-Szene von L. A. damals war. Um diese Zeit habe ich auch eine Weile für Canter's Deli gejobbt, auf einem Posten, den Marc praktisch für mich erfunden hat. Ich arbeitete alleine oben im Festsaal, der sich für alles mögliche eignete, nur nicht für Festlichkeiten; man bewahrte dort allen möglichen Kram auf, den man nicht unbedingt brauchte - eine Pointe, die mir erst später aufging.

Mein Job bestand darin, die Bestellzettel der Bedienungen mit den entsprechenden Bons von der Kasse abzugleichen, sodass Marc schnell feststellen konnte, wer ihn beschiss. Die Arbeit war kinderleicht; ein Schimpanse hätte sie kaum schlechter machen können. Und es gab einige Extras: Ich verdrückte ein Pastrami-Sandwich nach dem anderen und trank Cola, während ich all die weißen Zettelchen auf zwei Stapel sortierte. Nicht dass meine Arbeit völlig für die Katz gewesen wäre, durch meine Sortierarbeit erwischte Marc tatsächlich einige Mitarbeiter, die seine Familie vermutlich seit Jahren bestahlen.

Als ich ging, gab Marc Ron Schneider, dem Tidus-Sloan-Bassisten, meinen Job. Wir spielten noch hin und wieder zusammen, dachten aber nicht mehr daran, mit der Band groß rauskommen zu können - ohne Sänger gab es auf dem Strip auch keinen Gig.

Mein Job im Hollywood Music Store war einer der wenigen, die mich auf dem Weg zum Profimusiker direkt weiterbrachten. Dabei reizten mich weder der Ruhm noch die Mädchen, meine Motivation war viel simpler: Es gab nichts auf der Welt, was mir mehr Spaß bereitet hätte, als Musik zu machen. Im Musikladen war ich als Verkäufer für die Gitarren zuständig. Aber ich verkaufte auch allen möglichen anderen Scheiß, von dem ich nicht die geringste Ahnung hatte. Ich konnte durchaus so tun, als verstünde ich was von Bassverstärkern, wenn einer einen haben wollte. Und wenn ich an die Drums denke, die Sticks, die Trommelfelle, überhaupt den ganzen Perkussionkram, den ich verkauft habe, so bin ich heute noch beeindruckt von dem ganzen Quark, den ich den Leuten verzapft habe.

Ich mochte meinen Job im Musikladen, auch wenn er mich in gewisser Weise in eine Art voyeuristisches Fegefeuer warf. Ich verbrachte nämlich jede freie Minute damit, durch das Schaufenster die Cherokee Studios auf der anderen Straßenseite zu beobachten. Das Cherokee war Anfang der 80er als Aufnahmestudio ziemlich gefragt. Nicht dass ich ein großer Fan gewesen wäre, aber jedes Mal, wenn ich die Doobie Brothers da einlaufen sah, um einen Song einzuspielen, war ich schlicht und ergreifend neidisch. Schier umgekippt vor Bewunderung wäre ich allerdings beinahe an dem Tag, an dem ich ganz zufällig aus dem Fenster starrte und Ric Ocasek von den Cars die Straße heraufkommen und auf das Cherokee zugehen sah.

Um diese Zeit kam auch Steven Adler aus seinem Exil im Valley zurück, und wir machten genau da weiter, wo wir aufgehört hatten. Jeder hatte ein Mädchen, und wir vier waren unzertrennlich. Meine Freundin Yvonne war im letzten High-School-Jahr, als wir uns kennenlernten; sie war tagsüber eine disziplinierte Schülerin, aber abends rockte sie mächtig ab, und sie schaffte es tatsächlich, beides miteinander zu vereinbaren. Yvonne war der Wahnsinn: Sie war unglaublich gescheit, unglaublich sexy und unglaublich straight. Außerdem war sie ehrgeizig. Heute ist sie eine bekannte Anwältin in L. A. Nachdem sie ihren Abschluss gemacht hatte, ging sie mit Psychologie als Hauptfach an die UCLA, und da ich damals mehr oder weniger bei ihr wohnte, überredete sie mich an meinen freien Tagen hin und wieder, mit ihr auf den Campus zu gehen, und das um acht Uhr morgens. Also hing ich den Vormittag über auf dem Campus rum, saß im Freien, rauchte Zigaretten und guckte mir die Yuppies an, die da so rumliefen. Manchmal, wenn mir eine Vorlesung oder ein Professor interessant erschienen, setzte ich mich einfach dazu, wenn genug Leute da waren, um nicht weiter aufzufallen.

Ich erinnere mich leider nicht mehr an ihren Namen, aber Stevens damalige Freundin und Yvonne wurde dicke Freundinnen, weil wir praktisch jeden Abend zu viert unterwegs waren. Meistens hatte ich gar keine Lust dazu, aber wir zogen trotzdem los und gingen auf den Strip. Die Musik, die damals angesagt war, sagte mir nichts, aber ich versuchte, das alles positiv zu sehen. Wirklich unsäglich wurde es jedoch, als eine unglaublich gehypte und überschätzte »Innovation« namens MTV zum ersten Mal über den Bildschirm flimmerte. Ich hatte erwartet, es würde so etwas werden wie Don Kirshner's Rock Concert, eine einstündige LiveSendung, die von 1973 bis 1981 jeden Samstagabend gelaufen war. Die Sendung hatte jede Woche einen Künstler präsentiert und Wahnsinnsauftritte von den Stones über die Eagles und die Sex Pistols bis hin zu Sly and The Family Stone und Komikern wie Steve Martin gebracht.

MTV war praktisch der Gegenpol dazu, dort zeigten sie Thomas Dolbys »She Blinded Me With Science«, Police und Pat Benatar - und das immer und immer wieder. Ich wartete buchstäblich Stunden, um einen ordentlichen Song zu hören, und für gewöhnlich war das dann entweder einer von Prince oder von Van Halen. Ganz ähnlich erging es mir abends auf dem Strip: Ich sah viel, kaum etwas gefiel mir, und so langweilte ich mich schier zu Tode.

Steven hingegen war ganz in seinem Element. Für ihn war das, was auf dem Strip abging, das einzige Wahre; ihm boten unsere Touren eine Möglichkeit, die Rockstars zu sehen, von denen er träumte. So kannte ich ihn gar nicht. Er tat wirklich alles, nur um in einen Club zu kommen, Leute zu sehen, Kontakte zu knüpfen und einfach irgendwie dabei zu sein, sei es auch nur am Rande. Steven postierte sich auf dem Parkplatz vor dem Rainbow und notierte sich den Namen jeder Band, die dort spielte. Und dann ließ er nichts unversucht, um in den Club reinzukommen, ganz gleich was es kostete.

Mir lag nie was daran, da mitzumachen, schon weil ich die Demütigung nicht ertragen konnte, die meist damit verbunden war, irgendwo reinzukommen. Ich weiß auch nicht warum, aber ich hatte einfach ein Problem damit, auf Parkplätzen und vor Bühneneingängen rumzuhängen, nur um eine günstige Gelegenheit abzupassen. Ich war also selten dabei, was schließlich dazu führte, dass mich Stevens ewige Geschichten von unglaublichen Bands und heißen Mädchen irgendwann doch packten. Aber wenn ich - wider besseres Wissen - dann doch mal mitging, waren diese wunderbaren Kreaturen weit und breit nicht zu sehen. Alles, was mir in Erinnerung geblieben ist, sind einige Abende, die alles in allem ziemlich enttäuschend waren.


Einer der wenigen Abende, die mir als etwas Besonderes im Gedächtnis geblieben sind, begann damit, dass Steven und ich uns den Wagen meiner Mutter ausliehen (ich denke mal, ich war damals siebzehn), um im Rainbow einen draufzumachen.

Wir fuhren runter nach Hollywood und waren bereits auf dem Weg zum Club, als wir sahen, dass Ladies' Night war.

»Verfickt noch mal, ist das geil!«, rief Steven aus.

Ich war dank meines falschen Ausweises und des Türstehers Steady seit Jahren ins Rainbow gekommen. Steady ist übrigens immer noch da, und er erkennt mich noch. An dem besagten Abend jedoch, ich weiß nicht warum, wollte Steady mir einfach keinen Gefallen tun. Er ließ Steven rein und schickte mich weg.

»Nee, du nicht«, sagte er. »Nicht heute, geh heim.«

»Was?«, fragte ich. Nicht dass ich ein Recht darauf gehabt hätte, entrüstet zu sein, aber ich war es nun mal. »Was soll das denn? Ich bin doch sonst immer hier, Mann!«

»Na und, ist mir scheißegal«, sagte er. »Verzieh dich, heute kommst du hier nicht rein.«

Ich war so was von stinksauer. Da ich keine Ahnung hatte, wo ich hätte hingehen sollen, folgte ich Steadys Rat und ging heim. Ich ertränkte die Wut über meine peinliche Niederlage im Alkohol, und als ich so richtig knülle war, kam ich auf die verrückte Idee, als Mädchen verkleidet noch mal runter ins Rainbow zu gehen. Wie alle Pläne, die man im Suff schmiedet, hörte sich das total logisch an; ich würde es Steady schon zeigen - und Steven ordentlich verarschen. Adler machte alles an, was nicht schnell genug auf die Bäume kam, und ich war mir sicher, dass er auch mich anbaggern würde, bevor er die Maskerade durchschaute.

Mom fand meinen Plan zum Schießen und staffierte mich mit Rock und Netzstrümpfen aus; sie packte meine Haare unter eine schwarze Baskenmütze und verpasste mir Make-up. In ihre Schuhe kam ich nicht rein, aber das Outfit war tadellos, ich sah aus wie ein Mädchen, nein besser, ich sah aus wie ein Mädchen aus dem Rainbow. Derart ausstaffiert fuhr ich wieder runter zum Club; ich parkte einige Blocks weiter weg am Doheny Drive und ging dann zu Fuß zum Rainbow. Ich war betrunken und ich hatte eine Mission, will sagen, ich genierte mich nicht die Bohne. Ich schlenderte auf Steady zu und hätte ihm fast ins Gesicht gelacht, als er mich reinwinkte, ohne meinen Ausweis auch nur sehen zu wollen. Ich stand unter Strom, ich hatte gewonnnen - bis ich merkte, dass Steven nirgendwo zu sehen war. Es war als wäre die Achterbahnfahrt zu Ende, noch bevor ich über die erste Steigung war. Und da war ich mir mit einem Schlag der Realität bewusst: Ich stand als Mädchen verkleidet mitten im Rainbow. Nachdem mir das erst mal klar geworden war, machte ich das einzig Vernünftige - ich ging. Auf dem langen Weg zurück zu Moms Wagen bezog ich jedes laute Wort auf der Straße auf mich; ich glaubte jedes Lachen gehe auf meine Kosten. Ich dachte mir, dass es verdammt schwer sein muss, ein Mädchen zu sein.


Stevens Freundin lief eines Abends in der Stadt Tommy Lee über den Weg, und Tommy lud sie ein, mit in die Che-rokee Studios zu kommen, um zuzusehen, wie Mötley Theatre Of Pain, den Nachfolger ihres Durchbruch-Albums Shout At The Devil, aufnahmen. Stevens Freundin dachte sich nichts dabei, Yvonne, Steven und mich mitzunehmen. Sie dachte wohl, Tommys Einladung gelte auch für ihre Freunde. Steven und ich hätten es besser wissen sollten. Wir zogen also zu viert los und dachten, wir könnten dort abhängen und zusehen, aber als wir dort ankamen, sagte man uns völlig unverblümt, die Mädchen könnten rein, was sie dann auch taten, aber Steven und ich hätten draußen zu bleiben. Man schlug uns vor, nach Hause zu gehen. Wir rauchten vor Zorn; wir sahen zu, wie unsere Freundinnen im Studio verschwanden, und saßen dann die halbe Nacht in den beiden Sesseln in der Lobby; wir versuchten, cool zu wirken, während wir darüber diskutierten, was die da drin wohl machten. Das war wirklich nicht besonders cool.

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie war das Erlebnis nicht schlimm genug, um davon abzulassen, mich um einen Job im Cherokee zu bemühen. Ich war dem Manager, der tagsüber Dienst hatte, schon ein ganzes Jahr lang auf den Nerv gegangen, mit der Bitte, mich doch einzustellen. Jeden Tag ging ich, pünktlich wie ein Uhrwerk, während meiner Mittagspause bei Hollywood Music hinüber und sprach mit ihm. Und daran änderte sich auch nach dem Mötley-Erlebnis nichts, ich ging weiter hin, und einige Wochen später gab der Manager schließlich nach und bot mir einen Job an. In meinen Augen war das damals eine Riesensache; ich glaubte, damit nur noch einen Schritt von einem Leben als Profimusiker entfernt zu sein. Ich lag ziemlich daneben, aber mein Plan sah nun mal vor, in einem Studio zu arbeiten und dabei jede Menge Kontakte zu knüpfen, schließlich hätte ich dann ja jeden Tag mit Musikern und Produzenten zu tun. Für mich war ein Studio ein Ort, an dem man Leute kennenlernen konnte, die Musik ernst nahmen, ich dachte, dass mir ein Job dort wenigstens ein bisschen kostenlose Studiozeit einbringen könnte, wenn ich erst einmal eine Band hätte. Ich hatte all diesen Quatsch im Kopf und glaubte, im Lotto gewonnen zu haben, und so hörte ich bei Hollywood Music auf.

Das Cherokee stellte mich als Laufburschen für die Toningenieure an, nicht mehr, nicht weniger. Es war mir egal: Ich ging am ersten Tag hin, bereit, alles zu tun, was sie von mir verlangten - Besorgungen machen, den Abfall raustragen, egal was, egal wann. So dachte ich jedenfalls. Ich war absolut perplex, als ich hörte, mein Job während der ersten Woche bestünde darin, für Mötley Crüe ranzuschaffen, was immer sie haben wollten, Tag und Nacht. Kaum vierzehn Tage zuvor hatten mich die Typen noch nicht mal reingelassen, womöglich hatten sie sogar meine Freundin vernascht (ich glaubte ihr zwar, als sie mir versicherte, es sei absolut nichts passiert, aber trotzdem ...), und jetzt sollte ich für die nächsten Wochen ihren Laufburschen spielen. Na toll ...

Der Studiomanager gab mir hundert Dollar, um Mötleys ersten Auftrag zu erledigen, der erste von vielen, da war ich mir sicher: Ich sollte eine Magnumflasche Jack Daniel's, eine Magnumflasche Wodka, ein paar Beutel Chips und zwei Stangen Zigaretten besorgen. Als ich aus dem Studio rauskam und ins Tageslicht trat, blickte ich auf das Geld in meiner Hand und dachte über das Für und Wider nach, auf meinen Stolz zu pfeifen. Es war ein schöner Tag. Vor der Spirituosenhandlung blieb ich einen Augenblick stehen und überlegte noch mal. Ich spähte hinauf in den Himmel, ich starrte den Gehsteig an, und dann ging ich weiter, bis ich zu Hause war.

Damit war der Fall Cherokee für mich erledigt. Wenn ich überlege, wie viele Stunden ich seither in professionellen Tonstudios zugebracht habe, ist es fast schon absurd, dass ich nie wieder auch nur einen Fuß ins Cherokee gesetzt habe. Im Augenblick habe ich das auch nicht vor, denn ich schulde den Typen dort einen Hunderter. Aber dem einen Tag, an dem ich dort war, verdanke ich eine wichtige Lektion: Ich hatte gelernt, dass ich auf meinem eigenen Weg ins Musikgeschäft kommen musste. Es spielte keine Rolle, dass jeder Idiot für Mötley Crüe oder wen auch immer den Laufburschen spielen konnte, diesen Job habe ich aus Prinzip nicht gemacht. Und ich bin froh, dass ich ihn hingeschmissen habe. Es machte alles viel einfacher, als Mötley uns schließlich ein paar Jahre später anheuerten, um bei ihnen als Vorgruppe zu spielen.


Ich hatte also bei Hollywood Music aufgehört in dem Glauben, mein Studiojob wäre der letzte, den ich annehme, bevor ich groß rauskomme. Dem war leider nicht so. Es sah damals gar nicht gut für mich aus: Ich hatte keinen High-School-Abschluss, ich ging nicht aufs College, und soweit ich wusste, hatte ich den einzigen Job hingeschmissen, der mich irgendwie hätte weiterbringen können.

Ich hatte also keine Arbeit, und für eine Weile hatte ich auch die Orientierung verloren - für Mom war das der perfekte Augenblick, um mich wieder auf einer Schule unterbzuringen, egal welcher. Gott segne sie für ihr unermüdliches Engagement im Hinblick auf meine Bildung. Diesmal machte sie das Einzige, was ihr noch sinvoll erschien: Sie wusste, dass Musik für mich alles bedeutete, also meldete sie mich an einer Art Berufsschule für Bühnentechniker an.

Ich bin furchtbar enttäuscht von mir, dass mir nicht einmal mehr der Name der Schule einfallen will; sehr gut dagegen erinnere ich mich daran, wie unkonzentriert unsere Lehrer waren. Ich bin mir heute sicher, dass Mom über ein Flugblatt im Waschsalon von dem Laden erfahren hat. Wie auch immer, ich ging da hin, und binnen weniger Wochen schickten meine Lehrer mich los, um bei diversen Veranstaltungen Kabel zu verlegen und Beleuchtern zur Hand zu gehen. Der Laden bildete seine Schüler in den Bereichen Ton- und Lichttechnik für Live-Veranstaltungen aus, und das ziemlich praxisnah. Es waren etwa sechs Leute in meiner Klasse, und fast vom Fleck weg assistierten wir alle Technikern an Veranstaltungsorten wie dem Country Club, der FM Station und anderen Venues in L. A. Letztlich war die ganze Geschichte ein grandioser Schwindel: Die Schule wurde definitiv von der Produktionsfirma finanziert, die die Shows veranstaltete (wenn sie ihr nicht sogar gehörte), also arbeiteten wir, die Schüler, nicht nur für lau, sondern die Firma kassierte auch noch unser Schulgeld. Aber so zwielichtig die Sache auch war, ich habe dort eine Menge über Licht und Sound bei Live-Shows gelernt. Und es hat mir sogar gefallen, bis ich eines Abends die Lightshow für eine Duran-Duran-Imitation namens Bang Bang besorgte. Als ich mir ihren Auftritt ansah, wurde mir zweierlei klar. Erstens: Musik konnte unmöglich alberner sein. Und zweitens: Mein Light-und-Sound-Job brachte mich nicht weiter.


Ich wünschte mir nichts sehnlicher als in einer Band zu spielen, also ging ich Woche für Woche die Annoncen im Recycler - L. A.s kostenlosem Anzeigenblatt für Musiker - durch, immer auf der Suche nach einem Angebot, das mich ansprach. Das Meiste war ziemlich uninteressant: fast alles Metaller, die Metaller suchten. Aber einmal entdeckte ich doch eine Anzeige, die mich interessierte: Ein Sänger und ein Gitarrist suchten einen zweiten Gitarristen für Sachen im Stil von Aerosmith und Hanoi Rocks. Und was noch viel wichtiger war: Es hieß dort ausdrücklich, Typen »mit Bart oder Schnäuzer« bräuchten sich erst gar nicht zu melden.

Ich rief die Nummer an und vereinbarte einen Termin in irgendeinem Gästehaus, das die Jungs irgendwo oben im Laurel Canyon gemietet hatten. Ich ging mit meiner damaligen Freundin hin und erkannte auf der Stelle Izzy, den Typ, der mit meiner Aerosmith-Zeichnung ins Musikgeschäft gekommen war. Dann wurde mir klar, dass der andere Typ der Sänger mit der schrillen Stimme sein musste, den ich auf dem Band gehört hatte, und ich dachte mir, das könnte tatsächlich zu was führen.

Die kleine Hütte war so groß wie ein Wandschrank; es war gerade mal genug Platz für ein Bett, vor dem man auf dem Boden sitzen konnte, und für einen Fernseher, der die einzige Lichtquelle in dem Raum war.

Ich unterhielt mich eine Weile mit Izzy, doch Axl hörte nicht auf zu telefonieren, obwohl er mir zugenickt hatte, als ich reingekommen war. Damals fand ich das völlig daneben, aber heute, da ich ihn kenne, weiß ich, dass das nicht so gemeint war. Wenn Axl sich mit jemandem unterhält, dann ist er nicht mehr zu halten. Bei den Guns nannten wir das »Twain Wreck«, eine Mischung aus train wreck (Zugunglück) und Mark Twain: Wenn Axl erst mal zu erzählen beginnt, dann ist er so langatmig wie Mark Twain. Dieses erste Treffen verlief allerdings ziemlich ereignislos. Entweder hatten die Jungs sich entschlossen, dass sie doch keinen zweiten Gitarristen bräuchten, oder ich passte ihnen nicht. Ganz gleich, was für ein Problem sie hatten, es wurde jedenfalls nichts aus dem Job.


Sobald Steven wieder nach Hollywood kam, ließ er mich stolz wissen, er habe bei seiner Mutter drüben im Valley Schlagzeug spielen gelernt - und ich nehme mal an, das war auch einer der Gründe dafür, weshalb sie ihn wieder rausgeworfen hatte. Steven war jedenfalls bereit, eine Band aufzuziehen. Ich selbst war damals noch immer halbherzig mit Tidus Sloan zugange und meldete mich immer mal wieder auf eine Annonce. Ich nahm ihn also nicht ernst; für mich war Steven der Mann, der sagte, was am Abend abging - außerdem hatte er ein bisschen was von einer Nervensäge: Er begann, bei den Proben von Tidus Sloan aufzukreuzen, und wann immer sich eine Gelegenheit bot, behauptete er, ein besserer Drummer zu sein als Adam Greenberg. Als ich dann schließlich ohne Band dastand, ging Steven mir derart auf den Keks, dass ich ihn gar nicht erst anhören, geschweige denn mit ihm spielen wollte.

Steven hatte von seiner Großmutter einen alten blauen Gremlin geschenkt bekommen, ein Auto, das genauso aussah, wie der Name sich anhört: klein und stämmig. Da er bei seiner Großmutter nicht üben konnte, packte Steven sein Schlagzeug jeden Tag in den Wagen und fuhr damit hinaus in den Park am Pico Boulevard, gleich gegenüber vom Studiogelände der Twentieth Century Fox. Ich kannte den Park gut, es gab dort auch ein Freibad und einen Golfplatz. Ich hatte dort Fußball gespielt, als ich neun war. So irre sich das anhören mag, aber Steven baute seine Schießbude gleich neben einem Fußweg auf und übte da den ganzen Nachmittag bis in den Abend hinein. Ich bin sicher, Senioren, Jogger, Enten und Hundebesitzer haben sich mächtig gefreut: Ein blonder kleiner Rock'n'Roller mit toupierten Haaren, der mit aller Kraft auf ein ausgewachsenes Schlagzeug eindrischt, mit Basstrommel und allen Schikanen - so was kommt immer und überall hervorragend an.

Ich ließ mich schließlich breitschlagen, ihn mir mal anzuhören, obwohl ich mich die ganze Fahrt über fragte, was zum Geier ich mir davon eigentlich versprach. Es war stockfinster, als ich beim Park ankam. Ich parkte neben seinem Gremlin, spazierte den Joggingpfad entlag und da saß er mitten im Park und trommelte. Er warf einen langen Schatten wegen einer Flutlichtanlage in einiger Entfernung, ansonsten lag hinter ihm nichts als der Golfplatz und der riesige Park. Es war wirklich eine irre Szene. Es dauerte eine Weile, bis ich begann, ihm richtig zuzuhören. Aber als ich micht erst einmal auf ihn eingelassen hatte, vergaß ich die surreal anmutende Umgebung. Als ich mich setzte und Steven beim Trommeln zusah, war ich zwar vom Talent meines Freundes noch nicht überzeugt, aber dennoch zufrieden. Außerdem hatte ich nichts Besseres vor.


Steven und ich befanden uns in einer Situation, die mir ebenso vertraut wie lästig war: Wir waren auf der Suche nach einem Sänger, und einen Bassisten brauchten wir obendrein. Das Gute an Steven war, dass er sämtliche Musiker kannte. Er war so viel unterwegs, dass er praktisch jede Band gesehen hatte, die es damals in der Rockszene von L. A. gab. Außerdem gab es keinen Tratsch, der Steven nicht zu Ohren gekommen wäre: Nachdem Mötley Crüe es geschafft hatten, hörte Steven, dass Lizzy Grey London wieder zusammenbringen wollte, die Band, die er seinerzeit mit Nikki Sixx gegründet hatte. Das war absolut irre; Steven und ich hatten London gesehen, als wir noch jünger gewesen waren, und die Band hatte uns beide umgehauen. Bei der neuen London-Besetzung war Izzy Stradlin mit von der Partie, und nachdem er wieder gegangen war, drohte die Band erneut auseinanderzubrechen. Rasch wurden ein Gitarrist und ein neuer Drummer gesucht. Steven und ich spielten vor, und zwar in einem Raum am Sunset Boulevard, in dem die legendäre Funkband War geprobt und Platten eingespielt hatte. Damals war die Bude nichts weiter als ein halb verfallener Schuppen, heute befindet sich dort das Guitar Center Hollywood.

Wir probten vier Tage lang mit London. Wir lernten etliche ihrer Songs, und dennoch wurde nie etwas daraus. Wenn überhaupt, dann war das Ganze insofern eine interessante Erfahrung, als ich wieder einmal mit eigenen Augen sah, wie aufgeblasen Leute sein können, die sich für Rockstars halten. Die Typen von London führten sich auf, als wären sie nicht von dieser Welt, als lebten Steven, ich und der Rest der Menschheit auf der anderen Seite eines unsichtbaren Zauns. Ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt, in die Zeit, in der ich dank meiner Eltern zahlreichen Rockstars begegnet war. Durch die Kundschaft und die Freunde von Mom und Dad hatte ich so einiges zu sehen bekommen und gelernt, wie man sich benimmt und wie nicht. Ich hatte Wutausbrüche richtiger Rockstars erlebt und gesehen, wie Mom in solchen Momenten mit den Leuten umging. Ich hatte durch Beobachtung gelernt, wie vorsichtig man mit Menschen umgehen muss, die sich auf einem Egotrip befinden.

Damals hielt ich die Typen von London für Leute von Welt, ich war beeindruckt, sie schüchterten mich irgendwie ein. Das hat sich geändert. Ich habe den damaligen Sänger Anfang 2007 noch einmal zufällig gesehen. Ich war auf dem Weg ins Studio für Aufnahmen mit Velvet Revolver, und da kam er den Sunset Boulevard langgefahren - im selben Aufzug wie damals, immer noch auf der Suche nach einem Gig.

Nach dieser Enttäuschung versuchten Steven und ich es auf eigene Faust. Wir brauchten einen Bassisten und einen Sänger, und wir dachten uns, gehen wir das doch logisch an und suchen erst einen Bassisten; wenn wir dann nach einem Sänger Ausschau halten, können die potenziellen Kandidaten bereits mit einer kompletten Backing-Band singen. Wir gaben also eine Annonce im Recycler auf; sie erschien in der Rubrik »Gesucht« und hatte etwa folgenden Wortlaut: Band, von Aerosmith und Alice Cooper beeinflusst, sucht Bassist. Fragt nach Slash.

Wir erhielten ein paar Anrufe, aber der Einzige, den wir uns ansehen wollten, war ein Typ namens Duff. Er war eben von Seattle nach L. A. gekommen und hörte sich am Telefon ziemlich cool an, also verabredete ich mich um acht Uhr abends mit ihm in Canter's Deli. Steven und ich setzten uns an einen Tisch ganz vorn in der Ecke; wir hatten unsere Mädchen dabei, und Yvonne trug eine große Flasche Wodka in einer braunen Tüte in der Handtasche bei sich. Sie war es übrigens, die mich überhaupt erst an Wodka herangeführt hat; bevor ich sie kennenlernte, hatte ich nur Whiskey getrunken.

Eine ganze Zeit lang kam keiner in den Laden, der auch nur annähernd nach einem Musiker aussah, und die Mädels waren definitiv betrunken, als Duff endlich eintrudelte. Ich glaube, wir vier diskutierten gerade, wie er wohl aussehen mochte, als ein spindeldürres langes Elend mit kurzen, stacheligen blonden Haaren hereinkam, eine Kette mit Vorhängeschloss um den Hals wie Sid Vicious und Springerstiefel. Und obwohl draußen fünfundzwanzig Grad herrschten, trug er einen Trenchcoat aus rotschwarzem Leder. So hatte ihn sich keiner von uns vorgestellt. Ich trat Steven gegen das Schienbein und zischte die Mädchen an, still zu sein.

»Schaut euch den an«, sagte ich. »Das muss er sein.«

Duff hatte in Seattle in einer Reihe von Punkbands gespielt, unter anderem Gitarre in der einflussreichen, aber fast vergessenen Gruppe The Fartz und dann Drums bei den Fastbacks, einem legendären Powerquartett, das bereits Grunge spielte, als es für diesen Sound noch gar keinen Namen gab. Auf den Bass hatte er erst kurz vor seinem Umzug nach L. A. umgesattelt. Musikalisch war Duff damals schon ebenso vielseitig, wie er besessen war. Er hatte Seattle nicht den Rücken gekehrt, weil er kreativ unzufrieden gewesen wäre, er hatte die Stadt verlassen, weil er wusste, dass die Szene dort (damals jedenfalls) chancenlos war - er selbst hatte aber große Pläne. Er wusste, dass Los Angeles die musikalische Hauptstadt der Westküste war, und so packte er mir nichts, dir nichts seinen Kram in seinen vergammelten roten Chevy Nova und fuhr nach L. A., um sich dort einen Namen zu machen. Ich hatte auf der Stelle großen Respekt vor Duffs Hingabe; er und ich hatten dasselbe Arbeitsethos. Und so bestand auf Anbieb eine Art Seelenverwandtschaft zwischen uns, die sich all die Jahre über gehalten hat.

»So, du bist also Slash«, meinte Duff, als er sich im Canter's neben mich auf die Bank zwängte. »Ich hab mir dich ganz anders vorgestellt.«

»Ah ja?«, sagte ich. »Wie denn?«

»Mit einem Namen wie Slash, Mann? Eher wie jemanden, vor dem man Angst haben muss«, sagte er. Steven und die Mädchen mussten lachen. »Nein, nein, im Ernst! Ich hab mir so 'n richtigen Punk-Psychopathen vorgestellt, bei so einem Namen.«

»Ah ja?«, fragte ich mit einem dummen Grinsen. Wir lachten alle noch mal.

Falls das das Eis nicht gebrochen hätte, dann hätte es Yvonne ein paar Minuten später mit Sicherheit zum Schmelzen gebracht. Wir plauderten locker über dies und das: Duff erfuhr etwas über uns und wir über ihn. Da legte Yvonne ihm ganz plötzlich aus heiterem Himmel eine Hand auf die Schulter.

»Darf ich dich was Persönliches fragen?«, fragte sie ein bisschen lauter als nötig.

»Ja«, sagte er. »Logisch.«

»Bist du schwul? Würd mich nur interessieren.«

Wir saßen seit Stunden am Tisch, und zum ersten Mal war es still. Was soll ich sagen, ich hatte schon immer eine Schwäche für freimütige Frauen.

»Nein«, sagte Duff. »Ich bin definitiv nicht schwul.«

Nach dieser Klarstellung verdrückten wir uns alle fünf nach oben, drängten uns ins Klo und holten den Wodka heraus. Kurz darauf gründeten wir eine Band, und danach waren wir einen Monat lang auf der Suche nach einem Sänger. Wir hörten uns Ron Reyes an, besser bekannt als Chavo Pederast, der 1979 ein paar Monate Frontman von Black Flag gewesen war. Wieder waren einige urige Typen dabei, aber wie schon zuvor, eben nicht der richtige. Immerhin schrieben wir in dieser Zeit einige echt coole Songs; zum Beispiel entwickelten wir damals den entscheidenden Riff für den Song, der später »Rocket Queen« genannt wurde, und wir hatten noch einige andere gute Ideen.

Obwohl wir drei eine Menge Kreativität an den Tag legten, begann Steven, mir langsam, aber sicher auf den Geist zu gehen: Er hatte einfach nicht dasselbe Arbeitsethos wie Duff und ich. Dafür zog er doppelt sooft durch die Clubs wie wir. Es war einfach haarsträubend, zusehen zu müssen, wie er all seine Energie darauf verwandte, irgendwo abzufeiern, während wir so viel zu tun hatten. Immerhin waren wir damals überzeugt, dass wir nur noch den richtigen Sänger brauchten, um eine echt gute Band zu haben. Das allerdings war das Problem: Wir hatten noch keinen Sänger. Steven hingegen führte sich auf, als hätten wir schon einen großen Plattenvertrag in der Tasche. Letztendlich war ich es dann, der die Band wieder auflöste. Ich sagte Duff, es hätte keinen Sinn, und auch von Steven verabschiedete ich mich für eine Weile, und zwar in jederHinsicht. Duff fiel eher die Leiter hinauf; als er nach Los Angeles gezogen war, hatte er eine Wohnung an der Orange Avenue gefunden - direkt gegenüber von Izzy! Es dauerte nicht lange, und die beiden liefen sich über den Weg. Und damit hatte es sich. Duff bewegte sich damit im Universum von L. A. Guns und Hollywood Rose.


Das waren dann auch die einzigen beiden Bands neben Mötley Crüe, die der Rede wert waren: L. A. Guns und Hollywood Rose, beides Gruppen mit ständig wechselnder Besetzung, die sich eine Reihe von in L. A. ansässigen Musikern teilten - in einem Maße, das fast schon an Inzucht grenzte. L. A. Guns war die Band von Tracii Guns, mit dem ich an der Fairfax High gewesen war; sie spielten im Grunde denselben rotzigen Blues, den Tracii schon damals auf unseren Saufpartys zum Besten gegeben hatte, nur dass er besser und härter geworden war.

Hollywood Rose dagegen war eine Klasse für sich. Ich hatte mich mal mit Steven getroffen, nachdem er sie gesehen hatte, und so wie er mir den Sänger mit der schrillen Stimme beschrieb - ein Typ, bei dem das Dach wegflog -, glaubte ich sofort, dass er dieses Mal nicht übertrieb. Mir war damals nicht gleich bewusst, dass ich den Typ schon mal gehörte hatte, wahrscheinlich weil das Tape die lausigste Lo-Fi-Live-Aufnahme der Musikgeschichte gewesen war.

Steven und ich schauten uns Hollywood Rose im Gazzari's an, und da hörte ich Hollywoods damals mit Abstand besten Sänger zum ersten Mal richtig: W. Axl Rose. Die Band klang, wie schon auf dem Tape, ziemlich amateurhaft. Die Jungs gaben ihr Bestes, aber das war nicht genug. Dafür hatten sie ein Wahnsinnstalent, einfach die Sau rauszulassen, und eine ungezügelte Energie. Wenigstens galt das für zwei von ihnen: Abgesehen von Izzy und Axl war die Band eher nichtssagend, aber die beiden Freunde aus Lafayette in Indiana hatten eine geradezu unglaubliche Präsenz. Izzy rutschte auf den Knien über die Bühne, und Axl schrie sich die Seele aus dem Leib - ihre Show war höllisch heiß. Axls Stimme schlug mich auf der Stelle in ihren Bann. Sie war so was von vielseitig, und das natürliche Gespür für den Blues unter dem schier unmöglichen schrillen Kreischen fesselte mich.

Wie schon gesagt waren Hollywood Rose wie die L. A. Guns eine Band, deren Besetzung ständig wechselte, aber egal wer gerade dabei war, die Leute kannten einander. Der damalige Bassist Steve Darrow trug nachmittags mit Izzy das L. A. Weekly aus, die beiden standen sich ziemlich nah, aber den Gitarristen Chris Webber konnte Axl aus irgendeinem Grund nicht leiden. Axl ging wohl irgendwann einfach hin und feuerte Chris, ohne jemandem was davon zu sagen. Steven hatte kurz darauf irgendwo aufgeschnappt, dass man am nächsten Tag Gitarristen vorspielen ließ.

Ich weiß heute eigentlich noch genauso wenig wie damals, wie genau es schließlich dazu kam, auf jeden Fall hat Steven mich irgendwie überredet, in ihrem Übungsraum vorbeizuschauen. Der lag in einer Bruchbude mit dem tollen Namen Fortress an der Ecke Selma und Highland über dem Sunset Boulevard. Dieser Schuppen war der Inbegriff von Hollywoods schäbiger Punkkultur, denn nur Punks konnten eine Bude derart verwüsten. Rocker demolieren ihre Umgebung erst, wenn sie groß rausgekommen und etwas älter geworden sind - Punks machen so was von Anfang an. Ich hätte nicht sagen können, welche Farbe der Teppich im Fortress ursprünglich gehabt hatte, damals jedenfalls war er gelbbraun, er sah richtig krank aus und bedeckte nicht nur den Boden, sondern auch die Wände und die Decke, weil er den Lärm dämpfen sollte. Es war ekelerregend, Siff wohin man nur blickte - es war eher ein verranztes Loch als ein Raum.

Wie dem auch sei, ich begann, mit ihnen zu spielen, und es ließ sich zunächst ganz gut an - bis Izzy sich während des zweiten Songs verdrückte. Heute weiß ich, dass es ein Abwehrmechanismus von Izzy ist, sich einfach abzuseilen, wenn er meint, dass etwas nicht stimmt: Er macht nie eine große Sache daraus, er verdrückt sich einfach, und der Fall ist für ihn erledigt. Offensichtlich konnte Izzy sich keinen Reim darauf machen, was ich an dem Tag dort zu suchen hatte, und verständlicherweise war es ihm aufgestoßen, dass Axl Chris Webber gefeuert hatte, ohne das mit ihm zu besprechen, ja ohne ihm überhaupt Bescheid zu sagen.

Nachdem wir eine Weile später gute Freunde geworden waren, habe ich ihn darauf angesprochen. Izzy war immer absolut cool und gelassen. Er regte sich nie auf, nie gab er sich eine Blöße. Aber als ich ihn auf diese Geschichte ansprach, schaute er mich so todernst an, dass ich keinen Zweifel daran habe, dass er es absolut ehrlich meinte.

»Ist doch ganz einfach, Herrgott noch mal«, sagte er. »Ich lass mir einfach nicht gern was aufzwingen, egal wie, wann und wo.«

Wie auch immer, er war einfach gegangen. Ich war da in eine Situation geraten, deren Hintergrund mir völlig schleierhaft war. Nachdem Izzy gegangen war, herrschte einen Augenblick lang peinliches Schweigen -dann spielten wir einfach weiter.

Ich wusste auch nicht, dass der Entschluss, mich in die Band aufzunehmen, noch für weitere Spannungen sorgte: Tracii Guns war nämlich auch auf den Job scharf gewesen. Er hatte schon eine ganze Weile versucht, mit Axl und Izzy in einer Band zu spielen. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass er nicht sonderlich begeistert war, als er hörte, dass sie mich ihm vorgezogen hatten. Ich hatte wie gesagt von alledem keine Ahnung, aber selbst wenn, ich hätte die ganze Geschichte wohl einfach ignoriert. Ich war endlich in einer Band. Endlich! Und zwar nicht nur in einer Band mit einem Sänger, sondern in einer mit einem Wahnsinnssänger!

Axl hatte zwar darüber nachgedacht, wie die Band, die er zusammenstellen wollte, aussehen sollte und war zu dem Ergebnis gekommen, Izzy und ich könnten ein starkes Paar abgeben. Aber da die beiden zuvor nie darüber geredet hatten, war jetzt zwar ich dabei, Izzy allerdings nicht mehr. Hollywood Rose, so wie ich die Band kannte, bestand aus Axl, Steve Darrow, Steven Adler und mir. Wir buchten Gigs bei Madame Wong's East and West und probten in einem Studio namens Shamrock am Santa Monica Boulevard zwischen Western und Glower. Die Szene dort war unglaublich; es konnte praktisch alles passieren. Und wenn man in Betracht zieht, dass der Laden weit hinter der Grenze von East Hollywood lag, konnte da im wahrsten Sinne des Wortes alles passieren, ohne dass die Behörden alarmiert wurden. Es gab drei Studios in dem Komplex, und die Besitzer gaben an den Wochenenden immer Wahnsinnspartys, bei denen jeder total die Sau raus ließ.


Axl und ich wurden während der Zeit dicke Freunde; eine Zeit lang wohnte er sogar bei uns. Es war jedoch nicht so, dass wir Seelenverwandte gewesen wären. Axl hatte damals einfach keine eigene Bude, er haute sich hin, wo immer es gerade ging. Als er bei uns wohnte, schlief er den ganzen Tag über bei meinen Schlangen und Katzen in meinem Zimmer, während ich arbeitete. Wenn ich nach Hause kam, weckte ich ihn, und dann fuhren wir zusammen zum Proberaum.

Ich erfuhr in der Zeit eine Menge über Axl; wir unterhielten uns über Musik und all die Sachen, die wir geil fanden. Wir hörten uns zum Beispiel einen bestimmten Song an und analysierten ihn anschließend. Dabei zeigte sich, dass wir einen ziemlich ähnlichen Musikgeschmack hatten. Er hatte großen Respekt vor den gleichen Bands, die mich beeinflusst hatten. Axl sprach außerdem gerne über das Leben, sowohl über sein eigenes als auch über das Leben im Allgemeinen. Ich selbst hatte dazu nicht viel zu sagen, aber ich hörte ihm gerne zu. Er erzählte mir von seiner Heimat in Indiana und der harten Zeit, die er dort durchgemacht hatte. Seine Welt war so völlig anders als meine, dass ich mich richtig schwer tat, ihn zu verstehen. Axl beeindruckte mich schon damals dadurch, dass er anderen ganz brutal die Meinung sagte - egal was die Leute über ihn sagen mögen, ehrlich ist er. Seine Version der Ereignisse mag, vorsichtig formuliert, ziemlich außergewöhnlich sein, aber er glaubt, was er sagt, und das mit mehr Leidenschaft als irgendjemand, den ich sonst kennengelernt habe.

Es sollte nach alledem niemanden wundern, dass nicht immer alles ganz glatt lief, während Axl bei uns wohnte. Mein Zimmer lag wie gesagt unter der Garage; man erreichte es über zwei Treppen vom Wohnzimmer aus. Meist blieb Axl für sich, wenn ich nicht da war, aber eines Vormittages, ich war schon zur Arbeit gegangen, spazierte er offensichtlich nach oben und knallte sich dort auf die Wohnzimmercouch. In anderen Haushalten mochte das kein Problem gewesen sein, aber bei uns war das anders. Meine Großmutter war das Familienoberhaupt, und die Couch war der Thron, von dem aus sie jeden Nachmittag ihre Lieblingssendungen sah. Als sie nach Hause kam, pünktlich wie immer, um den Fernseher einzuschalten, fand sie Axl auf der Couch. Sie weckte ihn höflich und bat ihn mit ihrer liebenswürdigen Alte-Dame-Stimme, nach unten in mein Zimmer zu gehen, wo er schlafen könne, solange er wolle. Aus irgendeinem Grund kam sie damit bei ihm jedoch gar nicht gut an; so wie ich gehört habe, sagte Axl meiner Großmutter, sie solle sich zum Teufel scheren, und stürmte dann nach unten in mein Zimmer - so wenigstens erzählte es mir meine Mutter.

Mom nahm mich beiseite, als ich von der Arbeit nach Hause kam, und so locker sie sonst auch ist, sie bestand darauf, dass Axl sich bei ihrer Mutter entschuldigte, wenn er auch nur noch einen Tag länger unter ihrem Dach wohnen wolle. Außerdem sollte er versprechen, sich künftig zu benehmen. Ich war natürlich derjenige, der ihm das beizubringen hatte, und ich hielt das in dem Augenblick nun wirklich nicht für ein großes Problem.

Mom lieh mir damals immer ihren grünen Datsun 510, und als Axl und ich damit am Abend zum Proberaum fuhren, erwähnte ich, so vorsichtig wie irgend möglich, dass er sich wahrscheinlich bei meiner Oma dafür entschuldigen sollte, sie zum Teufel geschickt zu haben. Ich kannte Axl noch nicht so lange, aber immerhin gut genug, um zu wissen, dass er ein sensibler, in sich gekehrter Typ mit ziemlich krassen Stimmungsschwankungen ist. Entsprechend vorsichtig legte ich ihm das Problem dar, ohne zu urteilen, total objektiv. Axl starrte zum Fenster raus, während ich redete, und plötzlich begann er den Oberkörper hin und her zu wiegen, vor und zurück, vor und zurück. Wir fuhren den Santa Monica Boulevard entlang, und das gar nicht so langsam, als er plötzlich die Autotür aufmachte und raussprang - ohne ein Wort gesagt zu haben. Er strauchelte, hüpfte und schaffte es tatsächlich auf den Gehsteig, ohne zu stürzen. Er machte sich aus dem Staub, ohne sich umzudrehen.

Ich war geschockt, ich wendete und fuhr zurück. Eine geschlagene Stunde suchte ich vergeblich nach ihm. Axl ließ sich in dieser Nacht nicht bei mir zu Hause sehen und kam vier Tage lang auch nicht mehr zu den Proben. Am fünften Tag kam er ins Studio, als wäre nichts gewesen. Er hatte einen anderen Platz zum Pennen gefunden und sprach den Zwischenfall nie wieder an. Von dem Augenblick an war mir klar, dass Axl ein paar Charakterzüge hatte, die ihn von allen anderen Menschen, die ich kannte, stark unterschieden.


Der letzte Gig von Hollywood Rose fand im Troubadour statt und endete denkwürdig. Der ganze Abend war irgendwie daneben; im Grunde bestand er aus einer einzigen Abfolge von Augenblicken, die alle irgendwie nicht ganz stimmig waren. Wir waren spät dran, der Sound war lausig, das Publikum laut und nicht bei der Sache. Egal wie sehr wir uns bemühten, gegen den Vibe kamen wir einfach nicht an. Ein Zwischenrufer in der ersten Reihe brachte Axl gegen sich auf, und der hatte dann auch bald genug: Er warf ein Glas nach dem Typ oder zog ihm eine Flasche über den Schädel, es spielt gar keine Rolle, was er machte, es war ein passender Ausdruck für die Frustration in der Band an diesem Abend. Ich sah zu, wie sich der Streit mit dem Typ während des ganzen Sets zuspitzte, und das machte mich derart kirre, dass mir klar war, ich würde die Band nach dem Gig verlassen. Die Art, wie Axl sich in den Kerl verbiss, war für mich sowas wie eine Bestätigung.

Nicht, dass ich das nicht hätte kommen sehen: Ich war ganz und gar nicht zufrieden mit der Situation, die keine Beständigkeit versprach. Wir hatten in den paar Monaten, die wir zusammen gewesen waren, gerade mal eine Handvoll Gigs gespielt, und die Besetzung harmonierte irgendwie nicht. Zu dem Zeitpunkt brauchte es nicht viel, um mich restlos zu frustrieren, und die Geschichte mit der Flasche schien mir reichlich übertrieben - sie lenkte, vorsichtig ausgedrückt, von der Musik ab. Wir waren eine junge Band, wir hatten eben angefangen und schon genug Probleme damit, uns einen Namen zu machen, und jetzt sollten wir uns auch noch mit so was rumschlagen. Natürlich war Axl die Geschichte wichtig, aber das heißt nicht, dass wir anderen das auch so sahen. Er sah es so. Ich hingegen meine: Wenn es unbedingt nötig ist, von mir aus, aber manchmal sollte man sich reiflich überlegen, ob man sich prügelt. Das Axl den Auftritt unterbrach, nur um sich mit dem Typ anzulegen, war mir ein bisschen zu viel. Im Geiste des Rock'n'Roll weiß ich ein herzhaftes »Leck mich!« zu schätzen, aber vom professionellen Standpunkt aus gesehen fand ich den Zwischenfall sehr problematisch.

Axl neigt zur Dramatik. Egal was er sagt oder macht, alles hat Bedeutung und spielt sich in seinem Kopf auf einer großen Bühne ab - es steht in keinem Verhältnis zur Realität. Wenn einer aus jeder Mücke einen Elefanten macht, wird der harmloseste Kommunikationsversuch zum großen Problem. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass Axl eine ziemlich eigene Weltsicht hat. Ich bin da eher der lockere Typ - habe ich mir sagen lassen. Wenn also Axl wieder mal an die Decke ging, lief ich erst gar nicht hinterher. Ich fragte: »Was denn?«, und ließ es gut sein. Die Höhen wie die Tiefen sind bei ihm derart dramatisch, die Stimmungswechsel so extrem, dass man sich neben ihm wie auf einer Achterbahn vorkommen kann. Ich wusste nur damals noch nicht, dass das so bleiben sollte.

Na, jedenfalls habe ich den Leuten von Hollywood Rose gesagt, dass ich gehe, gleich nachdem wir die Bühne verlassen hatten. Die Band löste sich danach auf, und Axl und ich gingen eine Zeit lang unsere eigenen Wege. Er schloss sich Tracii Guns bei den L. A. Guns an, die bald darauf zur ersten Inkarnation von Guns N' Roses wurden.


Ich ging zu einer Band namens Black Sheep, in der auch Willie Bass spielte. Das war eine Zwischenstation für so einige talentierte Musiker. Willie ist ein großartiger Frontman; er ist ein überdimensionaler Schwarzer, ein Bassist und Sänger mit einer Neigung, sich die heißesten Shredder unter den Metallern als Gitarristen an Land zu ziehen. Er hatte mit Paul Gilbert gespielt, einem Virtuosen vom Schlage eines Yngwie Malmsteen; Mitch Perry, der dann mit Michael Schenker zusammenkam, war bei ihm gewesen, und eine Zeit lang eben auch ich. Shredden war nie meine Stärke gewesen - ich konnte schon schnell spielen, sicher, aber ich schätzte den klassischen Rock'n'Roll ä la Chuck Berry mehr als die bei den Schwermetallern übliche Angeberei. Ich nahm den Job trotzdem an, weil ich nach Hollywood Rose kapiert hatte, wie wichtig es ist, herumzukommen und zu spielen, wenn man sich einen Namen machen will. Man lernt andere Musiker kennen und erfährt bei der einen oder anderen Gelegenheit von interessanten Entwicklungen, und zwar auf eine Weise, die mir mehr liegt als das Networking auf dem Strip.

Ich nahm den Job also an und spielte vor achthundert Leuten im Country Club drüben im Valley, und ich muss wirklich sagen, das Konzert war einwandfrei. Außerdem hatte ich noch nie vor so vielen Leuten gespielt. Ich hatte meine Freude daran, auf der Bühne zu stehen, obwohl ich noch weiß, dass ich meine Leistung für lausig hielt. Wie ich später erfuhr, war auch Axl im Publikum, damals wusste ich das nicht, weil er sich nicht blicken ließ.

Mit Black Sheep war zu dem Zeitpunkt nicht viel los. Es war damals der einzige Gig, für den wir gebucht waren; also trafen wir uns nur hin und wieder zum Proben. Meine kurze Zeit bei der Band mag für mich nicht unbedingt die Erfüllung geweisen sein, aber sie brachte mich unter die Leute. Ich dachte mir, wenn es mir karrieremäßig hilft, in einer beliebten Clubband zu spielen, weil man dabei auf mich aufmerksam wird, dann ist es sicher keine schlechte Idee, gleich bei der damals bekanntesten Clubband der Stadt mitzumischen.

Matt Smith, der damals noch Gitarrist bei Poison war, rief mich an, als er sich entschlossen hatte, die Band zu verlassen. Seine Frau erwartete ein Kind, und die beiden wollten zurück nach Pennsylvania, um dort ihre Familie zu gründen. Matt und ich hatten gemeinsame Freunde, und er lud mich zu der einen oder anderen Party von Poison ein. Matt war ein prima Kerl, ziemlich bodenständig und mit Sicherheit der »ungiftigste« von dem Haufen. Er wusste, dass Poison eigentlich nicht auf meiner Wellenlänge lag, sagte mir aber, es sei ein solider Job, mit dem sich gutes Geld verdienen ließe, und ich wusste ja, wie gefragt die Band damals war. Ich hatte zwar eigentlich kein Interesse, aber Matt überredete mich schließlich doch.

Poison probten in einer großen Wohnung weit unten in Venice, am Washington Boulevard, Höhe La Brea oder so. Die ganze Bude hing voller Poster - von Poison selbst. Ich kreuzte in meiner typischen Kluft auf: Jeans, T-Shirt und - an dem Tag - ein Paar echt coole Mokassins, die ich auf dem Farmer's Market geklaut hatte; nicht mit Perlen oder ähnlichem Schnickschnack, sondern ganz schlicht, braun und mit kurzen Lederfransen oben rum. Ich hatte mir vier, fünf Songs von der Band mithilfe eines Tapes angeeignet, das ich bekommen hatte, und die Jungs waren total von den Socken, als wir die Stücke durchhatten. Sie ließen mich zu einem zweiten Vorspielen kommen, und ich erinnere mich noch, wie Bobby Dall, der Bassist, mich fixierte, während ich spielte. Die Atmosphäre war ganz anders, man achtete hier spürbar aufs Detail.

»Sag mal, was trägst du 'n so?«, fragte er mich schließlich. »Die Schuhe hast du ja wohl nicht auf der Bühne an, oder was?«

»Hab ich mir bislang nie so recht überlegt, um ehrlich zu sein«, entgegnete ich. Er machte ein verwirrtes, aber ernstes Gesicht.

Ich war einer von drei Leuten, zwischen denen sie sich zu entscheiden versuchten, und an meinem zweiten Tag sah ich einen von den anderen: platinblondes Haar, glitzernd-weiße Lederjacke, Make-up bis hin zu grellpink angemalten Lippen. Ich brauchte ihn nur kurz auf dem Weg nach draußen zu sehen und wusste, er würde den Job bekommen. Und so kam es auch - der Typ war C. C. Deville. Ich hatte die Poison-Sachen gespielt wie ein Weltmeister, sicher, aber das war auch das Einzige, was mich mit der Band verband. Ich passte da einfach nicht rein.


1984 verhalf Axl mir zu einem Job bei Tower Video; ihn wiederzusehen war eine irgendwie bittersüße Erfahrung. Nicht dass Hollywood Rose im Streit auseinandergegangen wären, aber in der Zwischenzeit gab es einen weiteren Grund für Stress zwischen uns: Axl hatte was mit Yvonne gehabt, meiner Ex.

Ich hatte Yvonne durch Marc Canter bei einem Konzert kennengelernt: Ratt mit Yngwie Malmsteen im Hollywood Paladium. Sie war zuvor sogar mal mit dem Ratt-Frontman Stephen Pearcy zusammen gewesen. Wir gingen spät nachts noch ins Beverly Hills Cafe, eines von Marcs Lieblingslokalen, um was zu essen, und da haben wir uns ineinander verguckt. Yvonne war wirklich cool. Sie war es, die mich auf Hanoi Rocks und deren Frontman Mike Monroe brachte, eine Band, die voll auf meiner Wellenlänge lag. Sie hatten auch Einfluss auf Guns N' Roses und sind meiner Ansicht nach immer noch eine unterschätzte Größe des Rock'n'Roll.

Wie auch immer, Yvonne und ich gingen eine Weile miteinander, aber während einer der Beziehungspausen, die wir immer wieder mal einlegten, ging sie mit Axl ins Bett. Ich war darüber alles andere als glücklich, könnte aber nicht sagen, dass es mich überraschte, weil von Anfang an klar gewesen war, dass sie ihm gefiel. Als wir dann wieder zusammen waren, musste sie mir natürlich davon erzählen unter dem Vorwand, »ehrlich zu sein«, obwohl sie sich letztlich wahrscheinlich nur dafür rächen wollte, dass ich sie abserviert hatte.

Ich rief Axl an, der damals bei Tower Video arbeitete, um ihn zur Rede zu stellen. Ich war stinksauer.

»Du hast Yvonne gefickt«, sagte ich. »Das ist ja wohl das Letzte.«

Das muss ich Axl lassen, er war ehrlich und versuchte erst gar nicht, sich herauszureden. Natürlich, meinte er, aber zur besagten Zeit hätte ich ja nichts mehr mit ihr gehabt, also was spielte es für eine Rolle? Ich sah das Ganze ein wenig anders, und so eskalierte die Geschichte, bis Axl mich schließlich aufforderte, zu ihm zu kommen, wenn ich was von ihm wollte. Ich war wirklich drauf und dran, rauf zu gehen und mich mit ihm zu fetzen, aber dann ließ ich es gut sein. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass es eine Weile gedauert hat, bis das Ganze beigelegt war. Und eines Tages - Axl hatte gehört, dass ich einen Job suchte - sagte er mir, bei Tower sei etwas frei. Es war eine Art Friedensangebot. Axl war schon immer ein Mann der großen Gesten, wenn es etwas auszubügeln gab.

Tower Video liegt direkt gegenüber von Tower Records, wo man mich ein paar Jahre zuvor beim Klauen erwischt hatte. Axl wohnte bei einem der Manager, und nachdem ich erst mal dabei war, brauchte ich nicht lange, um zu erkennen, dass ich bei einer absolut abgefahrenen Truppe gelandet war. Ich kann mir vorstellen, dass wir die albernste und wahnsinnigste Belegschaft aller Filialen in der Geschichte von Tower waren. Außer uns gab es noch ein paar famose senile Alkoholiker, die bei Tower Classical gleich nebenan arbeiteten.

Jeden Abend um acht, wenn der Chef der Abteilung Platten und Video Schluss machte, ging einer aus der Videoabteilung in der Spirituosenhandlung auf der anderen Straßenseite Alkohol holen. Dann knallten wir einen Porno in den Videoplayer und soffen uns zu. Auf der Stereoanlage liefen Tapes der Bands unserer Freunde, und die Kundschaft wurde ganz einfach ignoriert.

Die Überwachungskameras bekamen davon nichts mit, schließlich standen keine Wodkaflaschen neben der Kasse, und so ging das unbemerkt eine ganze Weile - obwohl, hätte sich die Bänder tatsächlich mal jemand angesehen, er hätte gemerkt, dass wir extrem faul und nicht eben hilfsbereit waren. Unsere Cocktails mixten wir hinten im Büro, und dann liefen wir mit dem Stoff in Plastikbechern herum. Wenn wir was mit einer Hand in die Kasse tippten, hielten wir in der anderen einen Screwdriver. Ich bin sicher, die Kundschaft merkte in dem Augenblick, wenn einer sie anhauchte, was los war, aber es beschwerte sich nie einer, weil alle vor Schreck völlig sprachlos waren. Wir flößten den Leuten Furcht ein, und sie sahen zu, dass sie den Laden so schnell wie möglich wieder verließen.

Dummerweise kam uns schließlich einer der humorloseren Manager auf die Schliche, und sie ließen Axl über die Klinge springen; man feuerte ihn für Mätzchen, an denen wir alle beteiligt gewesen waren. Und schon damals wusste ich warum: Axl hat eine Art an sich, durch die sich Autoritätspersonen herausgefordert fühlen, weshalb sie in ihm natürlich den Rädelsführer sehen.


Meine Erinnerung an die verschiedenen Ereignisse, die zur Gründung von Guns N' Roses führten, ist eher verschwommen. Ich war nämlich, wie ich gestehen muss, größtenteils nicht dabei. Ich mache das hier auch nicht, um die Geschichte der Band für Akademiker aufzuzeichnen oder irgendwelche Missverständnisse auszuräumen, ich lege hier nur meine persönlichen Erlebnisse dar. Tatsache ist, dass Axl und Tracii Guns irgendwann 1985 eine Band zusammenstellten; sie holten Ole Bench hinzu und Rob Gardner, die Bass bzw. Drums bei den L. A. Guns gespielt hatten. Es dauerte nicht lange, und Izzy schloss sich der Gruppe an, und schließlich kam Axl aus naheliegenden Gründen auf die Idee, den Namen in Guns N' Roses zu ändern. Traciis Traum hatte sich damit endlich erfüllt; er hatte, wie schon gesagt, lange davon geträumt, mit Axl und Izzy in einer Band zu spielen. Sie gaben einige Gigs, sie schrieben einige Songs - in dieser Reihenfolge.

Ich arbeitete derweil immer noch bei Tower, sonst tat sich bei mir nichts. Ich war, ehrlich gesagt, neidisch, als Izzy mit einem Flugblatt für einen Guns-N'-Roses-Gig im Orange County vorbeikam. Irgendwann ersetzte Duff Ole Bench, und die Band spielte einige weitere Gigs und schrieb ein paar weitere Songs. Ich glaube, dass sich Axl und Tracii irgendwann während der Gigs im Orange County völlig zerstritten haben. Tracii verließ die Band jedenfalls kurz darauf, und dann kreuzte Axl eines Abends bei Tower auf und fragte, ob ich interessiert sei, mit Izzy einige Songs zu schreiben und es mal mit den Guns zu probieren. Ich nahm mir einen Augenblick Zeit, um darüber nachzudenken, was das genau für mich bedeuten würde.

Axl und Izzy gehörten zusammen, also musste jeder andere, der in ihre Band kam, mit beiden gut auskommen. Izzy hatte Hollywood Rose seinerzeit zu schnell verlassen, als dass er mich überhaupt hätte kennenlernen können. Ich mochte Izzy. Er war immerhin der Erste von den Typen, den ich gekannt hatte, zudem mochte ich seinen Stil und bewunderte sein Talent. Wenn ich direkt mit Izzy zu tun hätte, dann könnte ich einen gewissen Puffer zwischen Axl und mir errichten. Ich meine, Axl und ich kamen in vielerlei Hinsicht miteinander aus, aber wir waren von unserer Persönlichkeit her einfach zu verschieden. Wir fühlten uns voneinander angezogen und arbeiteten unglaublich gut zusammen, aber wir waren ein Musterbeispiel für komplementäre Charaktere. Izzy war in dieser Hinsicht hilfreich (und später auch Duff). Damals reichte mir Izzy, um den Druck von mir zu nehmen.

Ich ging also ein paar Tage später bei Izzy vorbei. Er arbeitete gerade an einem Song mit dem Titel »Don't Cry«, der mir auf Anhieb gefiel. Ich schrieb ein paar Gitarrenparts dazu, und den Rest des Abends feilten wir an dem Song. Es war eine coole Session, wir hatten beide einen Riesenspaß.

Wir fanden einen Proberaum in Silverlake: Duff, Izzy, Axl, Rob Gardner und ich. Wir kannten einander, also hauten wir noch am selben Abend ein paar Songs raus, und die Geschichte nahm auf der Stelle Gestalt an. Es war einer der magischen Augenblicke, von denen Musiker so schwärmen, Augenblicke, in denen die Gruppe zu einem organischen Ganzen wird, weil jeder den anderen auf ganz natürliche Weise ergänzt. Nie im Leben hatte ich das so intensiv gefühlt. Wir machten genau die Art von Musik, auf die ich stand: rotziger Rock'n'Roll wie ihn die frühen

Aerosmith, AC/DC, Humble Pie und Alice Cooper spielten. Jedem in der Band waren seine Einflüsse anzuhören, und keiner von uns lechzte nach dem typischen L. A.-Vibe, wo alle nur auf einen Plattenvertrag spekulieren. Wir hatten kein Interesse an Posen oder dusseligen Refrains, die einen Charterfolg garantieren - der einem wiederum eine endlose Reihe heißer Tussen beschert. Diese Art von kalkulierter Rebellion stand für uns nicht zur Debatte; dafür waren wir ein viel zu rabiater Haufen musikalisch gleichgesinnter Straßenköter. Wir waren mit Leib und Seele bei der Sache, wir hatten ein gemeinsames Ziel und eine ganz eigene Vorstellung von Integrität. Darin bestand der Unterschied zwischen uns und den anderen.


Slash

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