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FAST SCHON FASTEN

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Sie hieß Matusa und wurde 110 Jahre alt. Matusa Rubic. Meine Urgroßmutter. Ich kannte sie nicht. Aber mit ihr hat alles begonnen. Alles, das ist mein wissenschaftliches Aufgabengebiet, die Altersforschung.

Ich sage das gleich einmal vorweg, weil es immer das Erste ist, was die Leute mich fragen. Wenn ich irgendwo mit Menschen zusammenkomme und man sich erzählt, wer man ist und was man so macht, läuft das bei mir meistens nach demselben Prinzip ab.

»Slaven Stekovic«, sage ich, »ich bin Molekularbiologe.«

»Ah, Molekularbiologe, interessant«, sagen die meisten.

Dann entsteht eine Pause. In dieser ergibt sich oft ein ganz anderes Thema und der Molekularbiologe ist vergessen. Manchmal jedoch fragen die Leute weiter. Üblicherweise: »Was genau macht denn eigentlich ein Molekularbiologe?«

»Unterschiedlich«, antworte ich. Aber damit komme ich selten durch. Deshalb ergänze ich, bevor mich jemand womöglich für unhöflich hält: »Ich zum Beispiel beschäftige mich mit dem Altwerden.«

Meist entsteht wieder eine Pause. Die Leute schauen mich an und sind nicht sicher, was sie von mir halten sollen. Ich kann das verstehen, mir ginge es wahrscheinlich genauso, würde ich mir gegenüberstehen: einem unverkennbar jungen Mann, vermutlich keine dreißig, was derzeit gerade noch richtig vermutet ist, der seine Tage mit dem Altern verbringt.

»Aha«, sagen die meisten.

»Jetzt schon?«, fragen manche.

Wie kommt ein junger Mann nur auf so was, denken alle. Was hat so einer mit Altersforschung am Hut?

»Die Matusa ist schuld«, sage ich dann, oft schon, bevor die Frage tatsächlich gestellt ist. »Die Matusa war meine Urgroßmutter«, erkläre ich. »Sie ist mit 110 friedlich eingeschlafen, und sie war nicht die Einzige in meiner Familie, die dermaßen alt geworden ist.«

»Wirklich?«, fragen die meisten. »110 Jahre?«

»Ja«, sage ich, »die Frauen der mütterlichen Seite meiner Verwandtschaft hatten allesamt die Tendenz, sehr alt zu werden und dabei ziemlich gesund zu bleiben. Mit über neunzig standen sie noch fest im Leben. Und wenn es dann doch irgendwann vorbei war, waren sie immer noch so fit, dass sie mit beiden Beinen ins Grab hätten springen können. Sie waren sozusagen Instanzen des gesunden Alterns.«

Irgendwann habe ich mich gefragt: warum eigentlich?

Und stieß auf das Fasten.

Ich stieß noch auf einiges mehr im Lebensstil meiner Verwandtschaft, was sich mit aktuellen Forschungsergebnissen deckt.

Zum Beispiel, wieso der Mensch älter wird, wenn er genug schläft.

Warum er nicht gar so alt wird, wenn er zu viel schläft.

Weshalb er am ältesten wird, wenn er zur richtigen Zeit schläft.

Wie viel Lebenszeit ihn eine Käsekrainer kosten kann.

Was Tomaten mit Mozzarella und Olivenöl mit dem Lebensalter zu tun haben.

Wieso Nudeln vor dem Schlafengehen nicht das beste Rezept sind, um hundert Jahre alt zu werden.

Warum Menschen miteinander älter werden als alleine.

Wie der Alkohol Lebensjahre schluckt.

Warum Frauen älter werden als Männer.

Meine Vorfahren haben mir die meisten der Antworten über Generationen hinweg vorgelebt. Allen voran Matusa. Die mütterliche Linie meiner Verwandtschaft stammt aus den kroatischen Bergen im Hinterland von Split. Die Unerbittlichkeit dieser Gegend erlegte ihnen einen extrem harten Alltag auf. Einfachheit und Bescheidenheit wurden Tradition. Die Lebensumstände waren ungemütlich, die Lebensbedingungen bitter. Heute würden wir so ein Leben eine Mühsal nennen. Und doch war es im Hinblick auf ein hohes Alter in geistig und körperlich guter Verfassung besser als jeder Überfluss, der uns heute so selbstverständlich zur Verfügung steht.

Aber dazu kommen wir noch.

Es war natürlich nicht nur Matusa, die meine Berufswahl beeinflusste. Sie erweckte nur das erste Interesse in mir. Allerdings ist es irgendwie kurios, dass auch der zweite wichtige Impuls dazu, was ich mit meinem Leben anstellen könnte, aus der Verwandtschaft kam. Schon als Teenager zeigte sich bei mir das Familienleiden: zu hoher Blutdruck. Die Idee zur Altersforschung lag mir sozusagen im Blut.

Meine Diagnose bekam ich mit 17, nicht unbedingt überraschend. Herrje, ich auch, oje, naja. Wenn sich die ganze Familie mit demselben Thema herumschlägt, macht niemand ein großes Theater. Noch dazu waren die Werte nicht komplett außer Rand und Band. Meinen übereifrigen Blutdruck sah ich nur in Form von Zahlen auf einem Messgerät. Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich irgendwie gestört hätte.

Das kommt daher, dass Bluthochdruck ein zutiefst hinterhältiger Kerl ist. In Wahrheit weiß man nicht einmal, dass er überhaupt da ist. Still und heimlich tut er sein Tagwerk, aber kein Mensch bekommt wirklich mit, was er dabei anrichtet, bis es tatsächlich ernst wird. Okay, hin und wieder hat man Ohrensausen, es bricht einem der Schweiß aus oder man fühlt sich wie jemand, der es eilig hat und dem gerade fünfmal hintereinander der Parkplatz vor der Nase weggeschnappt wurde. Aber sonst? Ab und zu war ich auch ohne Parkplatzsuche ein bisschen aufgeregt, aber das war schon alles. Man spürt nichts, insbesondere als junger Mensch.

Das Einzige, was mich daran erinnerte, dass in meinem Körper etwas nicht ganz in Ordnung war, waren die Messungen und ein Medikament, das ich einnehmen musste. Besser gesagt: einnehmen hätte sollen. Meine Mutter ist Ärztin und verschrieb mir das Mittel. Ich habe es nicht genommen. Mir ging es ja gut.

Trotzdem habe ich zwei weitere Ärzte aufgesucht, die mir genau dasselbe Medikament in derselben Dosis verschrieben. Daraufhin war ich einsichtiger und dachte: Wenn dir drei Ärzte, einer davon deine Mutter, unabhängig voneinander sagen, dass das Medikament gut für dich ist, dann sei nicht bockig und nimm es. Alle drei versicherten mir, dass es ein komplett harmloses Mittel wäre. Der Punkt sei eher der, dass ich es bis ans Ende meines Lebens schlucken müsste. Ich begann also mit dem Rest meines Lebens.

Nach einer gewissen Zeit bemerkte ich, dass ich kaum aus dem Bett kam, was allerdings rein gar nichts mit Sex zu tun hatte. Ich brauchte ewig, um aufzustehen. Für mich eine vollkommen neue Erfahrung, die mir äußerst ungelegen kam. Üblicherweise mache ich die Augen auf, bin wach, springe aus dem Bett und bin bereit für den jungen Tag. Auf einmal brachte ich die Augen nicht mehr auf, wurde nicht und nicht wach, blieb eine Dreiviertelstunde länger im Bett liegen als früher und hatte rein gar nichts übrig für den jungen Tag.

Die Erklärung dafür fand ich im Beipacktext meines Betablockers. Diese Präparate sind nicht nur gängige, sondern auch sehr gut entwickelte Medikamente. Bluthochdruck ist so verbreitet wie Schnupfen in der Übergangszeit, nur dass er das ganze Jahr über da ist. Die Nachfrage ist also riesig und der Markt noch viel riesiger. Außerdem gehören Betablocker zu den Medikamenten, die nicht heilen, sondern Symptome kontrollieren. Jahrelang und unverzichtbar. Die Pharmaindustrie liebt solche Mittel und steckt gern Geld in sie hinein, weil es sich so schön rentiert. Damit steigert sich die Qualität stetig, man bekommt gute Ware. Und die medizinischen und technologischen Möglichkeiten eröffnen immer neue Verbesserungen. Kein Medikament ist jemals perfekt.

Viele Menschen, die Medikamente nehmen, leben mit der einen oder anderen Nebenwirkung. Oft sind sie weit erträglicher als die Symptome, die man ohne das Präparat hätte. Oft sind sie lebensnotwendig, oft das kleinere Übel. Und oft hat man die Wahl, ob man lieber mit den Symptomen oder den Nebenwirkungen lebt.

Egal wie ausgereift mein Betablocker also war, in seiner Funktion als Blutdrucksenker war er kein Aufputschmittel. Er beeinflusste meinen Tagesrhythmus, er beeinträchtigte meine Lebensqualität, und irgendwann, so fürchtete ich, könnte er sich auf meine Psyche auswirken. Und das wollte ich nicht.

Obwohl Bluthochdruck an sich keine Erkrankung ist, kam ich trotzdem nicht umhin, ihn zu behandeln. Lässt man es einfach so laufen, wird aus einer physiologischen Veränderung irgendwann ein echter Schaden. Früher oder später hat man ein Problem, mitunter ein gravierendes. Ich musste mir etwas einfallen lassen.

Und stieß wieder auf das Fasten.

Den letzten Impuls für die Wahl dieses Forschungsthemas gab mir der Biochemiker Professor Frank Madeo, mein langjähriger Mentor und Doktorvater. Allerdings nicht gleich. Zuerst ließ er mich fast über beide Ohren in die Altersforschung eintauchen, bis ich kurz vor Beginn meiner Dissertation stand. Wir arbeiteten gemeinsam am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Karl-Franzens-Universität in Graz. Ich war Teil seiner Gruppe und wurde nach und nach ein immer wichtigeres, immer verzahnteres Rädchen im alltäglichen Laborleben. Wir beschäftigten uns gerade Tag für Tag mit den Auswirkungen des Fastens auf den Körper und das Altern, als wir irgendwann zusammensaßen und auf meinen Blutdruck zu sprechen kamen. Ich erzählte ihm von meinem Medikament und meinen Bedenken.

Professor Madeo sah mich an und sagte: »Slaven, du sitzt an der Quelle und bist blind. Probier’s doch mit Fasten, das könnte funktionieren.«

Professor Frank Madeo ist kein Arzt, sondern Biochemiker wie ich, und es gab nur wenige wissenschaftliche Grundlagen für diesen Vorschlag. Trotzdem war mir sofort klar, dass das tatsächlich funktionieren könnte. Signifikante Effekte des Fastens auf den Blutdruck waren nach unserem Erkenntnisstand durchaus denkbar. Franks Idee brachte mich auf ein Experiment.

Fasten statt Betablockern.

Selbstversuche sind in der Wissenschaft keine Seltenheit. Gerade in der Altersforschung gibt es viele gute Leute, die die Dinge an sich selbst austesten. Genau das machte ich. Ich setzte das Präparat ab und begann, Fasttage einzulegen.

Und schau! Wir hatten Glück: Es funktionierte.

Frank Madeo hat mich wissenschaftlich begleitet und vorgegeben, in welche Richtung sich die Forschung bewegen sollte. Beruflich habe ich ihm zu danken, dass ich dorthin gekommen bin, wo ich jetzt stehe. Noch dankbarer aber bin ich dafür, dass er mich auch emotional begleitet hat. Er war zwar nicht der Erste, durch den ich auf das Fasten gestoßen bin. Aber durch ihn bin ich nicht nur meine Betablocker, sondern auch meinen Bluthochdruck losgeworden.

Ich habe das Medikament jedenfalls irgendwann abgesetzt. Allerdings würde ich niemandem, der an massiv erhöhtem Blutdruck leidet, empfehlen, einfach so drauflos zu fasten, ohne das mit einem Arzt zu besprechen. Rein wissenschaftlich haben wir noch nicht einwandfrei geklärt, wie genau, unter welchen Bedingungen und ob es bei jedem funktioniert. Meine Werte waren auch keine Katastrophe, sondern bloß minimal aus dem Ruder. Sie pendelten gerade einmal zwischen normal und leicht erhöht.

Schön und gut, mag sich jetzt jemand denken, einen pipifeinen Blutdruck hat er, großartig. Seine Richtung im Leben hat er gefunden, super. Ein paar weibliche Methusalems hat er in der Familie, wunderbar.

Aber was genau hat das mit Fasten zu tun?

Was passiert dabei in unserem Körper?

Und vor allem: Was hat das mit dem Altern und unseren Zellen zu tun?

Diese Fragen haben wir uns auch gestellt und nach vielen Jahren der hochklassigen Forschung sind wir nah an der Wahrheit dran.

Der Jungzelleneffekt

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