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GESUNDHEITSSPANNE STATT LEBENSDAUER

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Betrachten wir die Geschichte des Lebens eines Menschen, nicht die seines Sterbens. Setzt man sich als Wissenschaftler mit diesem Leben auseinander, hat die Forschung so viel mehr Sinn.

Es geht nicht mehr darum, wie alt ich werde.

Es geht darum: Wie werde ich alt?

Wie lebe ich?

Es ist nicht der Endpunkt, den die Wissenschaft messen will. Es sind die Zwischenstationen. Einer, der es schafft, Forschung in diesem Sinne zu betreiben, ist Professor Frank Madeo, der mich viele Jahre betreut und begleitet hat. Anfang des Jahrtausends hat er als Biochemiker Aufsehen erregt, als er den programmierten Zelltod in einfachen Organismen wie Bierhefe entdeckte. Er war der Erste, der gezeigt hat, dass auch einzellige Organismen in der Lage sind, sich zum Sterben zu entschließen. Alle haben ihn ausgelacht. Warum sollte eine Zelle beschließen, jetzt sterbe ich?

Wie sollte das gehen?

Und wo wäre da der Sinn?

Madeo zeigte, wo der Sinn lag: Auch Zellen können Altruisten sein. Auch ein einzelliger Organismus wie Hefe ist in der Lage, sein eigenes Leben für das Leben seiner Tochterzellen aufzugeben. Unglaublich. Vorher war die gängige Meinung, dass es kaum größere Egoisten gibt, als unsere winzigsten Bestandteile. Die Biologie ist vom Standpunkt der Evolution betrachtet ein einziger Krieg zwischen den Genen. Es gibt ein ganzes Buch darüber, wie egoistisch Gene sind. »Das egoistische Gen« ist der Titel. Darin wird die Selbstsucht der DNA beschrieben, und dass den Genen völlig egal ist, was mit dem Rest des Organismus wird. Sie schauen ausschließlich auf sich selbst. Und dann entdeckt ein italienisch-deutscher Biochemiker in Graz, dass Zellen sich für andere aufopfern.

Einer meiner Kollegen beginnt seine Vorträge über unsere Arbeit immer mit einer Geschichte: »Ich habe eine gute Nachricht für Sie«, sagt er, »bevor Sie heute schlafen gehen, werden Milliarden Ihrer Zellen sterben. Diese Zellen sterben, damit andere leben können. So bleiben wir gesund.«

Besser lässt sich der Geist hinter unserer Arbeit nicht ausdrücken. Es geht nicht um das Negative in der Forschung, es geht um das Positive. Wir sind Diener der Gesellschaft. Wir forschen nach dem, was den Menschen nützt.

Nach dem programmierten Zelltod fragte sich Madeo: Wenn Zellen so zu sterben imstande sind, wie leben sie dann? Mitten in dieser Thematik bin ich dazugestoßen.

Ich war sehr an der Krebsbiologie interessiert, mit der sich einer seiner Mitarbeiter in Zusammenhang mit dem Stoffwechselthema auseinandersetzte. Aus dem Projekt ist letztlich nichts geworden. Wie eine Zelle hat es beschlossen zu sterben.

Ich wurde Teil des Teams, gerade als wir das taten, was in der Wissenschaft sehr unüblich ist. Madeo hat die Arbeit am Zellsterben nicht als abgeschlossen betrachtet und sich einer anderen Substanz zugewandt. Er wollte wissen: Wie funktioniert dieser Zelltod und was können wir damit machen?

Unüblich ist das deshalb, weil Wissenschaftler sich gerne auf dem Gebiet, das sie beherrschen, spezialisieren. In unserem Fall wäre das die Screening-Methode gewesen, im Zelltodmessen war Madeo der Experte. Er hätte das Verhalten immer neuer Substanzen untersuchen und seine Erkenntnisse veröffentlichen können. Fertig, die nächste Substanz bitte. Aber er dachte vollkommen anders, und diese Auffassung, wie man Wissenschaft auch betreiben könnte, brachte er seinem Team bei: Wenn eine Fragestellung beantwortet wird, untersucht weiter, was dahintersteckt. Geht in die Tiefe.

Daraufhin begannen wir zu testen, welche Naturstoffe in der Lage sind, das Leben der Zellen zu verlängern. Wir haben zehntausend Substanzen auf die Zellen draufgeschmissen, wie das im Labor so heißt, und beobachtet, was sich tut. Wann sterben die Zellen, wann sterben sie nicht?

Eine dieser zehntausend Substanzen war Spermidin, ein körpereigener Stoff, der nicht nur, aber am geballtesten in der Samenflüssigkeit vorkommt. Dabei fiel auf, dass ein Stamm unserer Versuchsreihe mit relativ wenig Spermidin schnell alterte, während die Zellen mit reichlich Spermidin länger lebten. Die Bestätigung fand man in der Fruchtfliege und im Wurm.

Spermidin war der Knaller unter allen Substanzen.

Das Paper darüber wurde 2009 in der Fachzeitschrift Nature Cell Biology publiziert und ging um die Welt. Das war der Zeitpunkt, wo Graz sichtbar wurde. Innerhalb kürzester Zeit haben Blätter wie The Guardian oder das Time Magazine die Nachricht aufgegriffen. Selbst die Metro-Zeitung in New York hat berichtet. Von Japan bis in die USA war die Meldung eine Story wert. Graz wurde zu einem Mekka für die Spermidin- und Langlebigkeitsforschung. Diese zwei Themen werden uns durch dieses Buch begleiten.

Den Tod verzögern, das ist unsere tägliche Arbeit. Aber sie nützt den Menschen nur, wenn wir die Qualität des Lebens verändern. Healthspan statt Lifespan.

Die Lebensspanne bringt gar nichts, wenn sie nicht in Gesundheit gelebt werden kann. Wir spielen nicht Schach mit dem Tod wie der Ritter bei Ingmar Bergman.

Der Film des schwedischen Regisseurs heißt »Das siebente Siegel« und hat mich immer beeindruckt. Der Ritter reitet von einem Kreuzzug zurück und begegnet dem Tod, der ihm eröffnet, dass er demnächst sterben muss. Der Ritter überredet den Tod zu einem Schachspiel und dem Deal, dass er leben darf, solange der Tod ihn nicht schachmatt setzt. Und dann spielen sie, sie spielen den gesamten Film hindurch.

Ich fühle mich mit diesen Szenen sehr verbunden, weil sie genau das sind, was wir tun. Der Ritter weiß genau, dass er irgendwann sterben wird, die Frage ist nur, wann.

Wann kommt der entscheidende Zug?

Wann ist das Spiel aus?

Der Ritter versucht, die Strategien zu verstehen, um das Endergebnis vermeiden zu können. Genau dadurch erfährt er viel mehr über sich selbst, über das Spiel, über sein Leben. Gegen Ende des Spiels ist nicht mehr die Frage, wann er stirbt und warum, sondern nur noch, wie das Spiel war.

Toller Film, schwarz-weiß, sehr hypnotisch, endlose Dialoge, die oft im Schweigen enden. Man sollte sich den Film nicht anschauen, wenn man müde ist. Lange Zeit hört man nur den Wind. Bergman hat damit, wie er einmal in einem Interview sagte, seine Todesangst überwunden. Altersforschung auf Schwedisch sozusagen.

Aus welcher Richtung man sich der Altersforschung auch immer nähert, eines ist sie mit Sicherheit: eine Investition in die Zukunft. Eingeschränkte Mobilität, Muskelabbau, beschädigte Gelenke, Osteoporose, schwacher Herzmuskel, Kreislaufprobleme, Bluthochdruck, Krebs, Demenz, Diabetes, Störung der Entgiftung der Organe. Jede einzelne dieser Alterserscheinungen ist ein guter Grund, Altersforschung zu betreiben.

Insbesondere, wenn dabei etwas entdeckt wird, das den Anschein erweckt, viele dieser Leiden gar nicht erst aufkommen zu lassen. Fasten ist so eine Entdeckung. Früher haben uns die Lebensumstände dazu gezwungen. Heute müssen wir es uns wieder neu beibringen.

Lebensverlängerung auf ganz natürlichem Weg.

Das Zauberwort dabei heißt Autophagie. Ein Prozess, bei dem sich die Zellen selbst aufräumen und den Müll abtransportieren, zerhäckseln oder etwas Neues daraus machen. Dieses körpereigene Zellrecycling hält jung.

In der Übersetzung für den Anti-Aging-Markt heißt jung vor allem: schön auszusehen. Anti-Aging befasst sich damit im rein ästhetischen Sinn. Außen, nicht innen. In der Wissenschaft bedeutet jung etwas ganz anderes, nämlich die Funktion des Körpers zu erhalten. Innen, nicht außen.

Der Mensch will beides. Er will so lange wie möglich jung und so lange wie möglich gesund bleiben. Der Weg dorthin ist möglicherweise einfacher, als man glaubt. Die Forschung zeigt, dass Fasten die Autophagie einschaltet, die die Zellen in unserem Körper permanent von Müll befreit und das Leben dieser Zellen verlängert.

Das war die lange Antwort auf die Frage, wozu die Altersforschung gut ist. Die kurze kam im Frühling 2017 aus einem Labor in Peking:

In einem Versuch initiierten Forscher bei Mäusen Leukämie. Bevor sich die Krankheit entwickeln konnte, ließen sie eine Gruppe der Tiere fasten und die andere nicht. Das Ergebnis war, dass die Leukämie bei den fastenden Mäusen wenig Auswirkung auf die Lebensdauer hatte. Sie schienen den Krebs gut im Griff zu haben. Die Mäuse, die nicht gefastet haben, entwickelten große Tumore und starben viel früher.

Der Jungzelleneffekt

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