Читать книгу William Shakespeare - Sonja Fielitz - Страница 13
6. Religiöse Orientierung
ОглавлениеEin weiteres großes Fragezeichen im Bereich des ‚historischen William‘ ist seine religiöse Orientierung. Obwohl sich die Shakespeare-Forschung seit ihren Anfängen auch mit dieser Frage beschäftigt hat, trat diese lange Zeit hinter anderen Interessen zurück. Während der letzten 20 Jahre aber hat die Frage nach Shakespeares persönlicher Religionszugehörigkeit wieder Eingang in die Forschung gefunden (siehe auch Kap. VII) und wird weltweit ebenso lebhaft wie fruchtbar diskutiert. William Shakespeare ist nicht nur ein englischer Dichter und Dramatiker, sondern Weltautor und vor allem britischer Nationaldichter. Wenn sich dieser als Person und als Dichter und Dramatiker im Kontakt mit den unter Elisabeth I und James I verfolgten Katholiken in Verbindung bringen ließe, beträfe das in diesem Fall nicht nur eine Person, sondern hätte eine nationale Dimension (vgl. hierzu auch Kap. VI).
Katholiken im England der Frühen Neuzeit; Politischer Hintergrund
König Henry VIII aus dem Hause Tudor (1509–1547) war die initiierende Kraft, die die extremen religiösen Wirren im England der Frühen Neuzeit auslöste. Er brach im Jahr 1534 mit der römisch-katholischen Kirche und etablierte die anglikanische Staatskirche, deren Oberhaupt bis heute der König bzw. die Königin ist. Das Parlament bestätigte Henry als politisches und zugleich religiöses Oberhaupt des Staates. Als Henry VIII im Januar 1547 starb, wurde sein zehnjähriger Sohn zu König Edward VI gekrönt, der allerdings in seiner kurzen Regierungszeit (1547–1553) dem Protektorat der Herzöge von Somerset und Northumberland unterstand.
Edward VI
Während Edwards Regierungszeit entwickelte sich England zu einem Staat des Protestantismus. Katholische Heiligenverehrung und Totenkult wurden abgeschafft, Wandbilder in Kirchen übermalt und Kirchenfenster als Ausdruck mittelalterlichen Aberglaubens entfernt.
‚Bloody‘ Mary
Nach dem frühen Tode Edwards sollte sich mit der Thronbesteigung von Mary, der Tochter Henrys aus erster Ehe mit Katharina von Aragon, die Situation wieder ins exakte Gegenteil verkehren. Mary erklärte den Katholizismus zur Staatsreligion und ging während ihrer Regierungszeit (1553–1558) außerordentlich hart gegen die Protestanten vor, was in John Foxe’s Book of Martyrs, wie seine Schrift Acts and Monuments bald genannt wurde, literarischen Ausdruck fand. Marys Ehe mit dem katholischen Philip von Spanien im Jahr 1554 stärkte weiter Englands Band mit der Alten Religion.
Elizabeth I
Die religiöse Orientierung Englands sollte sich freilich abermals ändern, als nach dem Tode Marys im Jahre 1558 die Tochter Henrys aus seiner Ehe mit Anne Boleyn zur Königin Elizabeth I von England gekrönt wurde. Sie sah es nach ihrer Krönung zunächst als ihre Aufgabe an, dem Land wieder Ruhe und bestmögliche gegenseitige religiöse Verständigung zu geben. Freilich war ihre Regentschaft von Anfang an von Aufständen und Verschwörungen geprägt. So sollte etwa die Northern Rebellion (1569) unter Elizabeths Großcousine Mary Stuart das Land wieder dem Katholizismus zuführen und Mary zur Königin machen.
Bis etwa 1570 herrschte unter Elizabeth relative Toleranz zwischen Anglikanern und Papisten. Diese relative Ruhe änderte sich, als Papst Pius V mit der päpstlichen Bulle „regnans in excelsis“ im Jahre 1570 Elizabeth I exkommunizierte. Fortan wurden die Katholiken in England immer stärker unterdrückt und verfolgt, weil sie unter den Verdacht gestellt wurden, Hochverräter zu sein. So erließ sie zahlreiche Acts gegen Popish Recusants, und hier insbesondere gegen die missionierenden Jesuiten (siehe unten).
Im Jahr 1591 wurde infolge von Gerüchten, dass eine zweite spanische Armada gegen England vorbereitet werde, in jeder Grafschaft auf königlichen Befehl eine Kommission gegründet, die Listen mit Namen und Aktivitäten von Rekusanten zu erstellen hatte. Auf diese Liste wird noch weiter unten im Zusammenhang mit Shakespeare zurückzukommen sein. Weitere Acts des Jahres 1593 gegen aufrührerische Sektierer und Papisten verbannten diejenigen, die dagegen verstießen, ins Exil. Insgesamt war Elizabeths England also keinesfalls ein harmonisches ‚goldenes‘ Zeitalter (vgl. Kap. II und VII), sondern ein tief gespaltenes Land, in dem katholisch zu sein bedeutete, ein Fremder in der eigenen Heimat und einer unnachgiebigen Verfolgung ausgesetzt zu sein.
James I
Elizabeth I blieb bis zu ihrem Tod 1603 unverheiratet und kinderlos. Ihr folgte der Sohn Mary Stuarts nach, der bereits als James VI von Schottland regierte (er war im Jahr 1567 im Alter von 10 Monaten zum König gekrönt worden). Im Jahre 1603 wurde er als James I zum König von England gekrönt, womit England und Schottland in Personalunion vereinigt wurden. Unter seiner Regierungszeit (1603–1625) sollten sich die Verhältnisse für die Katholiken noch verschlechtern. Er behielt die Gesetze, die unter Elizabeth erlassen wurden, bei und ließ eine neue Bibelübersetzung erstellen, die als King James Bible autorisiert wurde. Seine Heirat mit Anne von Dänemark 1589 stärkte wieder den katholischen Einfluss im Land, doch ist bis heute nicht geklärt, wie groß der Einfluss Annes tatsächlich war. Der (gescheiterte) Gunpowder Plot des Jahres 1605 trug erheblich zur Verschärfung der Situation für die Katholiken bei.
Die Mission der Jesuiten
Der Jesuitenorden sah die Verbreitung der verschiedenen Strömungen innerhalb des Anglikanismus mit der Sorge, dass der Katholizismus in England vollkommen ausgelöscht werden könnte und unternahm seine erste Mission im Jahr 1580, als Father Edmund Campion und Father Robert Persons von Rom aus nach England entsandt wurden. Campion wurde zirka ein Jahr nach seiner Landung in England gefangen genommen und am 1. Dezember 1581 hingerichtet. Persons konnte seinen Verfolgern entkommen und noch im gleichen Jahr auf den Kontinent fliehen, wo er in Rom im Jahr 1610 verstarb.
Hochverrat
Noch unter Elizabeth I erklärte ein Statut von 1585 allein die Gegenwart von Jesuiten und ihrer Prediger als Hochverrat und verfügte, dass diese das Königreich innerhalb von 40 Tagen in der gegenwärtigen Regierungszeit des Parlaments verlassen müssten. Jedes Beherbergen von Jesuitenpriestern wurde hart bestraft, in den meisten Fällen mit dem Tod. Auch Elizabeths Nachfolger James ging unerbittlich gegen die Katholiken im eigenen Land sowie gegen die Colleges der Jesuiten auf dem Kontinent vor. Somit sandten also spätestens seit den 1570er Jahren Elizabeth und James sehr klare Signale zu religiöser Konformität und Gehorsam der Staatsreligion gegenüber aus.
Shakespeare und der Katholizismus
Die Erforschung der Biographie Shakespeares im 18. und 19. Jahrhundert, die im 20. Jahrhundert zunächst sowohl in ihrem methodischen Ansatz als auch in der Produktivität der Fragestellung als falsch verworfen wurde, kehrte am Ende des 20. Jahrhunderts im Rahmen des aufkommenden factualism (vgl. Kap. VII) vor allem in Großbritannien wieder in das Forum der Shakespeare-Philologie zurück, obwohl in den 70er Jahren von Roland Barthes und Michel Foucault noch der Tod des literarischen Autors proklamiert worden war.
Stratford-upon-Avon und Familie
Die Annahme, dass die Traditionen des alten Glaubens um Stratford-upon-Avon, wo William Shakespeare aufwuchs, besonders stark waren, ist nicht neu. Die Region war lange als Bastion der Rekusanten und des katholischen Widerstands bekannt. Mit Catesby, Tresham, Grant und Winters kam ein großer Teil der Verschwörer des Gunpowder Plot (1605) aus Warwickshire. Shakespeares Mutter Mary Arden stammte aus einer katholischen Familie.
The Lost Years
1985 stellte Ernest Honigmann in seiner Monographie Shakespeare. The Lost Years der Öffentlichkeit die These vor, dass William Shakespeare sich in den Jahren zwischen 1585 und 1592, einem Zeitraum, für den bis heute keine Erwähnungen oder Dokumente hinsichtlich Shakespeares Aufenthaltsort oder Tätigkeit gefunden werden konnten, in Lancashire als Bediensteter oder Schauspieler in verschiedenen katholischen Haushalten aufgehalten habe, zu denen auch der Haushalt des Alexander Hoghton, eines führenden Mäzens der Schönen Künste, gehörte. Die These von Shakespeares möglicher Verbindung zu den Jesuiten erlangte große öffentliche Aufmerksamkeit, als Richard Wilson in seinem Artikel im Times Literary Supplement vom 19. Dezember 1997 weiter der Frage nachging, was den katholischen Haushalt des Alexander Hoghton in Lancashire mit Stratford-upon-Avon verbunden haben könnte und sich dabei vor allem auf Alexander Hoghtons Testament vom 3. August 1581 konzentrierte. In diesem erwähnt dieser einen gewissen John Cottom und vermacht seinen Theaterfundus von Kostümen und Musikinstrumenten seinem Halbbruder Thomas Hoghton:
… if he be minded to keep & do keep players. And if he will not keep & maintain players, then it is my mind & will that Sir Thomas Hesketh knight shall have the same instruments and play clothes. And I must heartily require the said Sir Thomas to be friendly unto Fulk Gillom and William Shakeshafte now dwelling with me & either to take them unto his service or else help them to some good master, as my trust is he will. (zit. in TLS 19.12.1997)
Es lassen sich all die Individuen, die in Alexander Hoghtons Testament erwähnt werden, nachweisen – mit einer Ausnahme: William Shakeshafte.
Honigmann hatte argumentiert, dass William Shakeshafte identisch sein könnte mit William Shakespeare, da über 80 Schreibweisen seines Namens bekannt waren, und „Shakeshafte“ ein häufiger Name in Lancashire war. Richard Wilson stellte die These auf, dass Hoghton Tower und Stratford durch die frühe Jesuitenmission unter Robert Persons und Edmund Campion im Winter 1580/1581 (siehe oben) verbunden waren. Somit könnte, wenn William Shakespeare tatsächlich der „Shakeshafte“ im Testament des Alexander Hoghton ist, er sich von 1579, nachdem er die grammar school verlassen hatte, bis 1581, als Alexander Hoghton sein Testament machte und bald darauf starb, tatsächlich in Hoghton Tower aufgehalten haben und dort den Jesuiten Campion getroffen haben.
Literarisches Werk
Wenn man vor dieser These möglicher Kontakte William Shakespeares zu den unterdrückten Jesuiten seine Dramen betrachtet und diese vor allem mit denen seiner Zeitgenossen Christopher Marlowe, Thomas Dekker, John Webster und Thomas Middleton vergleicht, wird schnell deutlich, dass deren Bühnenwerke der protestantisch-nationalistischen Norm unter Elizabeth I und James I viel näher stehen als die Shakespeares. Prominentes Beispiel ist hier Marlowes Dr Faustus und seine Verspottung des Papstes, so dass man sich die Frage stellen darf, welche Gründe es für Shakespeares wesentlich mildere Haltung den Katholiken gegenüber gegeben haben könnte.
Beispiel: Hamlet
Dass Shakespeare möglicherweise dem Königshaus nicht so absolut treu ergeben war, wie es für einen Nationaldichter (vgl. Kap. VI) zu erwarten wäre, zeigt auch, dass er, soweit wir wissen, nie eine court masque schrieb. Wie Stephen Greenblatt in Hamlet in Purgatory aufgezeigt hat, gibt es in den Dramen Shakespeares durchaus Stellen, die zumindest auf Sympathien mit den Katholiken hindeuten. So ist im Hamlet der Geist des alten Königs gerade dem (katholischen) Fegefeuer (engl. purgatory) entstiegen:
Doom’d for a certain term to walk the night
And for the day confin’d to fast in fires
Till the foul crimes done in my days of nature
Are burned and purg’d away. (1.5.10–13)
Im Kontext des bisher Dargelegten könnte dieser für den Fortgang der Dramenhandlung nicht zwingend notwendige Hinweis auf den katholischen Glauben an das Fegefeuer zentral für die Interpretation des Dramas werden. Zudem dürfte es in diesem Kontext kein Zufall sein, dass dieser Geist aus einem katholischen Fegefeuer einen Sohn trifft, der ausgerechnet an Luthers Universität in Wittenberg studiert, wo dieser sicher gelehrt wurde, eben nicht an solche Dinge wie ein Fegefeuer zu glauben. Mit dem katholischen Fegefeuer und zudem dem Hinweis auf das katholische Sakrament der letzten Ölung („unanel’d“; 1.5.77) auf der einen Seite und dem protestantischen Diskurs des Gewissens und der göttlichen Prädestination auf der anderen Seite, sendet Hamlet zumindest gemischte konfessionelle Signale aus.
Für Kontakte der verfolgten Jesuiten mit dem englischen Nationaldichter William Shakespeare bestehen also durchaus Anhaltspunkte. Entgegen dem traditionellen Bild von Shakespeare als dem National British Bard (vgl. Kap. VI) einer geeinten Nation unter Königin Elizabeth I und James I als jeweiligem Oberhaupt der anglikanisch-protestantischen Kirche können wir heute eine gewisse Affinität Shakespeares zum Katholizismus nicht weiter ignorieren. Gegen das Bild des königstreuen Genies Shakespeare, welches natürlich der Anglikanischen Staatskirche angehörte und natürlich die Religionspolitik des Regenten unterstützte, müssen wir heute das Bild eines Dramatikers setzen, der in den politischen und religiösen Spannungen seiner Zeit verortet war, während er im potentiell subversiven Medium des Theaters arbeitete. Auch wenn der British Bard noch immer vom Shakespeare-Establishment als Nationaldichter gefeiert wird, eröffnet ein Kontext wie der hier skizzierte weitere Fragen in der Biographie des historischen William Shakespeare.
Zusammenfassung
Somit bleibt letztlich die Lebensgeschichte Shakespeares voller Fragezeichen, die verschiedene Biographen unterschiedlich zu erklären versucht haben.
Problematik der biographischen Interpretation der Werke
Festzuhalten ist, dass es diesen William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon wirklich gab, der als erfolgreicher Schauspieler und Dramatiker in London arbeitete und in Stratford Familie und beträchtlichen Besitz hatte. Unbedingt gewarnt werden soll hier vor einer biographischen Lektüre seiner Werke! Gedichte wie auch Dramen sind künstlerische Produkte, und, um nur ein Beispiel zu nennen, The Taming of a Shrew als Ausdruck von Shakespeares Brautwerbung oder Ehe zu sehen, entbehrt jeder Grundlage.