Читать книгу Black Heart - Sonja Haiber - Страница 3
ОглавлениеKapitel 2
Er
Der Weg zur Toilette führte eine breite Metalltreppe hinunter auf der jeder ihrer Schritte von einem lauten Hall begleitet wurde, wenn ihre Stilettoabsätze auf das kalte Metall trafen. Lilly war das peinlich, zog sie damit für ihren Geschmack viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich, weshalb sie wie auf rohen Eiern zu laufen versuchte um möglichst wenig Geräusche zu machen. Aber es half ja nichts. Da musste sie durch, bemerkte aber nicht, dass ihr jemand folgte, weil sie zu sehr damit beschäftigt war möglichst nicht auf der Nase zu landen.
„Oh Mann, dieser Club ist so cool“, fast schon hysterisch schwärmte eine viel zu übertrieben gestylte und schlecht auf blond getrimmte junge Frau neben Lilly, als sie sich artig die Hände wusch. Lilly würdigte sie nur eines kurzen Blickes. Ja, der Club war cool und total durchgestylt, da hatte die Blondine recht, aber längst kein Grund um darüber mit einer Wildfremden auf der Damentoilette einen aufgeregten Plausch zu halten. Deshalb versuchte sie desinteressiert ihr etwas verwischtes Make-Up zu retten, bis die Blondine verschwand.
Die schwere metallene Tür fiel ins Schloss und Lilly wunderte sich bereits darüber, dass in dem fast überfüllten Club ausgerechnet die Damentoilette ein verwaister Ort zu sein schien, als die Tür nur eine Sekunde später wieder aufsprang.
Lilly wischte sich gerade mit einem Taschentuch die Reste des verblassten Lippenstiftes ab um diesen neu aufzulegen, als sie im Spiegel die atemberaubend blauesten Augen erblickte, die sie jemals gesehen hatte.
Eine Sekunde lang blieb ihr Herz stehen, ihre Knie zitterten. Hinter ihr stand ein Mann, dessen unglaubliche Schönheit ihr den Atem raubte. Ein Adonis sondergleichen, dessen dunkelblondes, gewelltes Haar sein markantes Gesicht umspielte und für den ernsten, fast schon bösen Blick, den er ihr schenkte, viel zu verspielt wirkte. Eisblaue Augen starrten sie im Spiegel an, als wollten sie sie durchbohren.
Was will dieser Kerl auf der Damentoilette?!
Lilly hoffte plötzlich, dass irgendjemand die Toilette betreten würde um sie aus dieser peinlichen, beängstigenden Situation zu retten, doch ihr wurde just in diesem Augenblick klar, dass das wohl nicht geschehen würde. Sie war mit ihm völlig allein war und ganz sicher würde sie das auch bleiben.
Steht da etwa jemand vor der Tür Schmiere?!
Nachdem es einige Schläge ausgesetzt hatte, begann ihr Herz nun zu rasen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Schon viel zu oft in ihrem Leben war sie in die Enge gedrängt worden, hatte man sie zu Dingen gezwungen, die sie nicht tun wollte. Doch die Angst, die sie in der Nähe dieses Mannes fühlte, war eine ganz andere, als die Angst vor Dawson, die sie sonst so sehr lähmte. Es war, als nehme dieser Mann mit den eisblauen Augen ihr die Luft zu atmen. Alles an ihm machte ihr klar, dass sie chancenlos sein würde, ganz egal was geschah. Jede Faser seines, in einen maßgeschneiderten Designeranzuges steckenden Körpers machte deutlich, wer der Herr im Ring war. Dabei sagte er nichts, stand einfach nur da und durchbohrte sie mit einem Blick, dem Lilly nicht ausweichen konnte. Nicht einmal, als sie sich langsam und mit zitternden Knien zu ihm umdrehte.
Ängstlich klammerte Lilly sich, ihrer ausweglosen Lage bewusst, am Waschtisch fest. Während er langsam aber stillschweigend näherkam, ohne seinen Blick von ihr zu lassen. Seine erdrückende körperliche Präsenz raubte Lilly den Verstand. Dabei schlug ihr Selbsterhaltungstrieb längst Alarm, riet ihr schleunigst davon zu laufen, doch ihre Beine reagierten nicht. Wie angewurzelt stand sie da, als er wenige Zentimeter vor ihr stehen blieb. Lilly konnte den Duft seiner Haut riechen, die feinen Fältchen um seine Augen sehen, so nah war er ihr, als er mit leiser, aber bestimmender Stimme sagte: „Niemand … weist mich zurück.“
Lilly war völlig unfähig etwas zu erwidern, als er plötzlich seine Hüften gegen sie presste und sie so mit der ganzen Dominanz seines Körpers an den Waschtisch drückte.
Sie konnte ihn fühlen, … seine ganze Männlichkeit. Lilly verlor den Verstand. Ihr ganzer Körper, dieser elende Verräter, reagierte in einer Art und Weise auf diesen ungehobelten Mann in seinem piekfeinen Anzug, die sie nicht kannte, die sie nicht einzuschätzen vermochte. Und doch wurde ihr glühend heiß, als er ein Glas hinter dem Rücken hervorzog. Es war der Drink, den sie ausgeschlagen hatte, das erkannte sie sofort, obwohl ihr Blick wie gefesselt an seinem wunderschönen Gesicht hing.
Fast besinnungslos vor Angst spürte sie doch diese entsetzliche Begierde, die in ihrem Innersten zu toben begann wie ein Orkan und sich da breitmachte, wo sich das Zentrum ihrer Lust befand. Bewegungsunfähig begegnete sie seinem starren Blick, versank in seinen eisblauen Augen, als er einen tiefen Schluck aus dem Glas nahm ohne dabei ihre Augen zu verlieren. Fast im selben Moment griff er ihr mit der freien Hand in den Nacken, packte sie so fest, dass sie jeden einzelnen seiner Finger an ihrem Hals spürte. So fest, dass sie sich sicher war, dass er ihr problemlos das Genick brechen konnte. Doch der Schmerz war vergessen, als er noch einen tiefen Schluck nahm. Die ganze Zeit sah er ihr tief in die Augen. Ein Blick der Lilly so hypnotisierte, dass sie nicht merkte, dass er ihr immer näherkam, bis er seine Lippen fest auf die Ihren drückte, seine Zunge in ihren Mund hineinstieß. Sofort begriff Lilly, dass sich der süßliche Drink immer noch in seinem Mund befand, denn mit seiner Zunge schwappte auch die Flüssigkeit in ihren Mund, tropfte aus ihren Mundwinkeln auf das teure Kleid. Voller Verzweiflung bemühte sie sich darum zu schlucken, dem Gefühl erstickt zu werden zu begegnen, während er sie mit solcher Begierde küsste, dass die glaubte zu schweben. Seine Zunge schien jeden Winkel ihres Mundes auf eine Art erkunden zu wollen, die keinerlei Zweifel mehr daran ließ wer die Kontrolle besaß.
Lilly war völlig außer Stande sich gegen diesen Mann zu wehren. Obwohl ihre Lippen durch die Intensität seines Kusses längst brannten, widersetzte sie sich ihm nicht. Sie konnte es nicht. Tränen der Verzweiflung, der Angst rannen über ihre Wangen, als er endlich seine Lippen von den ihren löste.
Dieser Kerl forderte ihren Blick heraus und was in seinen Augen funkelte, war keine Boshaftigkeit, sondern pure Begierde: „Niemand widersetzt sich mir.“
Das tieferotische Grollen seiner Stimme, hallte tief in Lillys Unterleib wider und die sanfte Berührung, als er ihr mit dem Daumen die Tränen von der Wange strich, ließ sie endgültig zerfließen. Alles an diesem Mann strahlte pure Erotik aus und Lilly war sich sicher, dass er das nur allzu gut wusste.
Lilly schmeckte immer noch den Erdbeer-Daiquiri den ihr seine Lippen einflößten, als er sie endlich frei gab, einen winzigen Schritt zurücktrat. Gerade einmal so weit, dass sie sich nicht mehr bedroht fühlte. Gerade weit genug, dass er in die Innentasche seines schwarzen Jacketts greifen konnte. In einer, ihm offensichtlich angeborenen Coolness zog er eine weiße Visitenkarte hervor und schob sie Lilly ungeniert in den Ausschnitt. Dann trank er den Cocktail aus, stellte das Glas neben ihr ab, drehte sich um und ging.
Lilly blieb verwirrt zurück. Sie fühlte sich, als könne sie erst in diesem Augenblick wieder bewusst atmen. Langsam, während sich die Toilette wieder mit schimpfenden Damen füllte, die die ganze Zeit vor der Tür warten mussten und Lilly sich unendlich schämte, kam ihr Verstand zurück.
Was, um Himmels Willen war da gerade geschehen?
Wer war dieser Mann, der ihren Verstand so zu benebeln verstand?
Ängstlich zog sie die Karte aus ihrem Dekolleté. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie sich darauf konzentrieren musste die geradlinige Schrift lesen zu können. Auf der Karte stand, was Lilly im ersten Augenblick nicht verstehen konnte: Ethan Elias Blake; CEO Blake Enterprises and Holdings.
Lilly wurde schlecht. Er war der Mann, von dem Cale und Carlos gesprochen hatten. Der Mann, mit dem sie sich Beide ohne zu zögern in die Kiste legen würden und für einen wirren Augenblick machte ihr Verstand ihr bewusst, dass sie recht hatten. Dieser ungehobelte, selbstverliebte Typ war eine Sünde wert, doch Lilly wurde auch bewusst, dass eine Frau wie sie für einen Mann wie ihn niemals mehr als ein schnelles Spielzeug sein könnte. Und doch klopfte ihr Herz wie verrückt, pumpte das Blut, dass gerade eben noch wie eingefroren gewesen war, mit aller Kraft, die es aufbringen konnte, durch ihre Adern. Nein, das war alles einfach nur ein schlechter Traum. Sicher würde sie bald aufwachen und dieser unbeschreibliche Kuss war niemals geschehen.
Doch ihr Verstand tat ihr diesen Gefallen nicht. Wie angewurzelt stand sie da, ihre Knie zitterten immer noch, während zwei junge Frauen, so etwa in ihrem Alter vor ihr standen und sie verächtlich ansahen. Lilly war es egal, was sie wohl dachten, wo sie diesen Kerl hatten aus der Toilette gehen sehen. Es spielte gar keine Rolle, denn viel wichtiger war für sie selbst zu begreifen, was da gerade eben wirklich geschehen war. Dieser unglaublich gutaussehende, beängstigend selbstsichere Mann war ihr gefolgt und ganz sicher hatte auch er dafür gesorgt, dass sie niemand stören würde. Lilly war sich ganz sicher, dass er mit ihr auf dieser Toilette hätte alles anstellen können wonach ihm eventuell der Sinn stand und damit durchgekommen wäre … wie Dawson.
Diese beiden Mädchen hatten doch gar keine Ahnung. Ganz egal wie wunderschön und begehrenswert er auch war, er war kein Mann, der eine Frau glücklich machen konnte, das spürte Lilly ganz deutlich, als sie sich die Lippen, die von seinem harten Kuss beinahe wie Feuer brannten, abwischte. Von einem solchen Mann sollte eine Frau nicht träumen und doch hielten diese Mädchen Ethan Blake, den in diesem Club offenbar jeder außer ihr kannte, wirklich für einen begehrenswerten Mann, verurteilten Lilly dafür, dass er sich ihretwegen in diese Toilette herabgelassen hatte. Aber Lilly selbst war mit der Situation völlig überfordert. Heulend zog sie die High Heels aus, griff nach ihrer Clutch und lief davon so schnell sie nur konnte.
Dicke Tränen liefen ihre Wangen hinab, als sie sich einen Weg durch die Menge zu bahnen versuchte. Sie ging nicht mehr zu Cale und Carlos zurück.
Wie hätte sie den Beiden auch erklären sollen, was geschehen war?
Wie sollte sie selbst verstehen, dass dieser Mann ihr auf so seltsame Weise Angst machte?
Alles was Lilly wollte, war davonlaufen, sich in ihrem Bett vergraben und diesen scheiß Abend, aber vor allem diesen unglaublich schönen Mann vergessen. Sie machte sich keine Gedanken darüber, wie gefährlich es für eine Frau sein konnte mitten in der Nacht allein in ein New Yorker Taxi zu steigen. Aber sie wusste auch nicht, dass sie den Club nicht allein verließ.
Völlig aufgelöst stürzte Cale mit Carlos im Schlepptau gegen vier Uhr früh in Lillys Zimmer. Sie war gerade erst heulend eingeschlafen nachdem ihre Gedanken und Gefühle derart Achterbahn fuhren, dass sie bald nicht mehr wusste ob sie heulen oder schreiend davonlaufen sollte. Ethan Blake hatte sie mit nur einem Kuss, mit dieser selbstgefälligen Art sich zu nehmen wonach ihm der Sinn stand, durcheinandergebracht. Gerade erst war sie in New York angekommen, hatte geglaubt endlich zur Ruhe kommen zu können und schon stellte dieser Mann mit seinen unglaublich blauen Augen alles völlig auf den Kopf.
Lilly heulte in ihr Kopfkissen bis sie schließlich einschlief und völlig verwirrt aufschreckte als Carlos und Cale in ihr Schlafzimmer stürmten: „Mein Gott Lilly, wo bist du gewesen? Was ist passiert?“ „Was macht ihr Beide hier?“ verwirrt sah Lilly die beiden Männer, die völlig aufgelöst am Fußende ihres Bettes standen, an, als verstünde sie ihre Aufregung nicht.
Und doch erinnerte sie sich nur zu gut daran, wie sie bitterlich schluchzend in dem Taxi saß. Wie sie in der Wohnung ankam und sich so schrecklich billig und schmutzig fühlte, dass sie mit aller Macht versuchte diesen Schmutz abzuwaschen. Gerade einmal gefühlte fünf Minuten war es her, dass sie unter der Dusche zusammenbrach. Sie sich wie eine Verrückte die Haut zu schuppen begann. War sie doch nach New York gekommen um all diesen schrecklichen Dreck, dieses Gefühl wertlos zu sein, hinter sich zu lassen und nun wurde sie bereits am zweiten Abend von all den bitteren Erinnerungen eingeholt. Dieser Mann, so schön und begehrenswert er auch sein mochte, hatte sie wie ein billiges Stück Fleisch behandelt, obwohl sein Kuss so wundervoll schmeckte. Obwohl darin pure Erotik lag. Obwohl sie sich für eine winzige Sekunde wie eine Königin fühlte, weil dieser unbeschreiblich sinnliche Mann sich herab gelassen hatte das dumme Mädchen aus Montana zu küssen.
Und wie er das getan hatte …
Lilly schauderte allein bei der Erinnerung daran wie weich und warm seine Lippen sich auf den Ihren angefühlt hatten. Aber all das konnte sie den beiden, die sie gleichermaßen besorgt wie auch zornig ansahen, nicht erzählen … niemals.
„Wir haben uns Sorgen gemacht. Wo warst du“, Carlos hörte sich sehr böse aber dennoch auf freundschaftliche Weise besorgt an.
„Mir war schlecht“, erwiderte Lilly und log damit nicht einmal. Ihr war zum kotzen übel gewesen, als sie das J’s Hals über Kopf verließ, aber den Grund dafür, behielt sie lieber für sich.
„Warum hast du denn nicht Bescheid gesagt? Wir hätten dich doch begleitet. Du hast keine Ahnung, was nachts passieren kann, wenn eine hübsche Frau allein unterwegs ist“, Cale hörte sich nicht nur besorgt an, er sah auch genauso aus, was Lilly wirklich leidtat: „Sorry, … dass ich nichts gesagt habe, aber es geht mir wirklich gut Cale. Ich hab mir einfach keine Gedanken gemacht.“ „Nächstes Mal tust du das aber“, erleichtert schloss Cale Lilly in seine Arme. Dabei fiel sein Blick auf die Visitenkarte, die neben Lillys Kopfkissen lag. Er begriff sofort, was er da entdeckt hatte.
„Scheiße Lilly, was ist das?“ Überrascht hielt Cale die Karte hoch, doch noch ehe er sie sich wirklich ansehen konnte, riss Carlos sie ihm aus der Hand. Lilly hatte keine Chance die Neugier ihrer Freunde zu unterbinden: „Verdammt Carlos, gib das wieder her.“ „Was ist das?“ Carlos drehte die Karte in seiner Hand, begann zu lesen: „Herrje Cale, unsere Kleine hat Bekanntschaft mit Blake gemacht.“ „Verdammt Carlos … gib her“, Lilly streckte sich nach der Karte, doch Carlos zog sie sogleich zurück, lass den Vermerk, der auf der Rückseite stand: „Freitag 21Uhr, ich lasse sie abholen. E. Blake.“
Cale sprang auf, riss Carlos die Karte aus der Hand um sich selbst zu vergewissern, dass sein Kumpel sich nicht verlesen hatte.
Verwirrt sah er Lilly an, die völlig durcheinander, mit Tränen in den Augen auf dem Bett saß: „Warum könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ „In Ruhe lassen? Lilly, mit dem Kerl hast du den Jackpot geknackt.“ „Der Typ ist ein beschissenes, arrogantes Arschloch“, Lilly war nicht mehr in der Lage sich zurück zu halten. Die Verachtung diesem Mann gegenüber, der ganz genau wusste, wie er sein Äußeres gegen einen anderen Menschen einsetzten konnte, stieg ins unermessliche. Ethan Blake war ein Mensch, der andere zu manipulieren verstand und Lilly fühlte sich schon beschissen genug … auch ohne, dass die beiden, die sich um diese blöde Visitenkarte zankten, deswegen auch noch ein Fass aufmachten.
„Was hat er dir getan“, Cale schien langsam zu begreifen, dass das Treffen mit Ethan Blake für Lilly kein sonderlich erfreuliches Erlebnis gewesen war. Deshalb setzte er sich besorgt wieder zu Lilly aufs Bett.
Lilly schüttelte verzweifelt den Kopf: „Nichts. Er ist nur so schrecklich überheblich.“ „Ja und er sieht einfach verdammt gut aus“, Carlos verstand nicht wie sehr er Lilly mit seiner mangelnden Sensibilität weh tat, deshalb fühlte sie sich beinahe gezwungen deutlichere Worte zu finden: „Er ist ein Arschloch.“
Lilly begann wieder bitterlich zu weinen und Cale begriff zuerst, dass irgendetwas zwischen ihr und Blake geschehen sein musste. Ohne zu zögern schickte er Carlos aus dem Zimmer.
„Was ist passiert“, liebevoll zog er Lilly in seine Arme, strich ihr durchs Haar, bis sie aufhörte zu weinen. Er konnte ihre Verzweiflung nicht nur fühlen, er konnte sie auch verstehen ohne wirklich zu wissen was geschehen war.
Lilly schluchzte bitterlich. Es fühlte sich so gut an von starken Armen getröstet, einfach festgehalten zu werden. Viel zu selten in ihrem Leben hatte es diese Augenblicke gegeben in denen sie Geborgenheit, das Gefühl nicht allein zu sein, spürte.
„Hat er dir etwas getan?“ Cale sprach leise, doch auch so konnte sie die Besorgnis in seiner Stimme hören.
Lilly schüttelte den Kopf: „Er wollte mir einen Drink spendieren. Ich hab abgelehnt.“ „Ist das alles? Bist du deswegen so durch den Wind?“ „Er ist mir auf die Toilette gefolgt. Er hat mich geküsst.“ „Lilly, … er ist dein Jackpot.“ „Nein, er ist ein Scheusal.“ „Er will dich wiedersehen.“ „Ich weiß“, Lilly war hin und her gerissen. Einerseits verachtete sie die Art, wie er ihr entgegengetreten war, andererseits war er der wohl schönste und aufregendste Mann, der ihr je begegnete. Die unglaubliche Erotik, die sein ganzes Auftreten ausstrahlte, sorgte dafür, dass Lilly sich selbst nicht wiedererkannte. Er war ein Mann, der jeden um den Finger wickeln konnte und deshalb war sie sich sicher, dass es zumindest den meisten Frauen auf diesem Planeten in seiner Nähe so ging wie ihr. Aber mehr noch als dieser unnachahmliche Charme der ihm angeboren zu sein schien, faszinierte sie seine widersprüchliche Optik. Die dunkelblonden Haare, die ihm in lockeren Wellen bis auf die Schultern fielen waren viel zu lang für den knallharten Geschäftsmann, den er offensichtlich darstellte. Dabei strahlten seine eisblauen Augen eine Kälte aus, die sie schaudern ließ, wenn sie nur daran dachte. Ja, dieser Mann war es gewohnt zu bekommen, was er wollte. Aber sie war trotzdem nicht gewillt ihm nachzugeben. Lilly wollte keine schnelle Affäre, sie wollte nicht das Spielzeug eines reichen Mannes sein, der gewohnt war zu bekommen wonach er verlangte.
Aber, was wollte dieser Kerl überhaupt von ihr?
Sie war keine Size Zero Frau und für ihren Look am vergangenen Abend hatte Carlos drei Stunden gebraucht. Sie war keine Frau für solch einen Mann.
Oder war sie es vielleicht gerade deswegen?
Schürte sie in einem Mann wie ihm den Jagdinstinkt?
„Hör zu Schätzchen, Ethan Blake ist einer der begehrtesten Junggesellen des Landes. Wenn er Interesse an dir hat, ist das wie ein Sechser im Lotto“, Cale wusste genau, wovon er sprach. Er selbst war nur über einen solch einflussreichen und reichen Mann an seine Luxuswohnung gekommen. Er hatte längst verstanden, dass man, wenn man keine besonderen Talente besaß, sich selbst verkaufen musste um in New York nach oben zu kommen, aber das war nicht Lillys Philosophie. Ihre Ziele lagen in einer ganz anderen Richtung. Sie suchte nicht nach einem reichen Mann, der ihr ein Leben im Luxus ermöglichen konnte. Nein … eine solch oberflächliche Frau war sie nicht und dass Cale ihr einreden wollte, dass es in Ordnung sei sich selbst zu verkaufen, machte sie wütend.
„Es ist mir völlig egal, ob er ein Sechser im Lotto ist. Er macht mir Angst. Du hast nicht in seine Augen gesehen. Du hast nicht die Kälte und Verachtung darin gesehen.“ „Nein, hab ich nicht, aber ein solcher Mann kann in dieser Stadt dein Sprungbrett sein.“ „Ja, ein Sprungbrett ins Bett. Ich werde mich nicht verkaufen. Jetzt lass mich bitte allein, ich möchte schlafen“, Lilly löste sich aus Cales Armen und kroch wieder unter die Bettdecke. Die Unterhaltung war vorbei. Sie wollte nicht in Versuchung geraten Cale weh zu tun. Denn ganz offensichtlich lebte er ein Leben, das für Lilly nicht in Frage kam. Sie war nicht nach New York gekommen um sich einen reichen Kerl zu angeln. Sie war nicht scharf darauf das Anhängsel eines Typen zu sein, der nur ein Püppchen fürs Bett suchte.
All die Illusionen, die sich junge Mädchen machten, die von einem Prinzen träumten, waren für sie schon vor langer Zeit in Schall und Rauch aufgegangen. Sie glaubte längst nicht mehr an diesen Traumprinzen, der auf einem weißen Pferd angeritten kam um sie zu retten. Der einzige Mensch, auf den sie sich zu einhundert Prozent verlassen konnte, war sie selbst und nur das war wichtig. Nichts Anderes war für sie von Bedeutung.
Mochte es für Cale in Ordnung sein sich von einem reichen Kerl aushalten zu lassen, war gerade das für Lilly keine Option. Sie wollte nicht enden wie ihre Mutter. Sie wollte ihr Leben nicht in den Schatten eines Mannes stellen. Nicht, … solange sie nach wichtigeren Zielen strebte. Und ihre Ziele waren kein Heim, kein Mann und keine Kinder. Lilly strebte nach einer Karriere. Um glücklich zu sein brauchte sie keinen Kerl, der sie zu kontrollieren suchte.
Lilly hörte noch eine ganze Weile, wie Cale und Carlos sich in der Küche lautstark unterhielten. Offensichtlich diskutierten sie über irgendetwas, über das sie geteilter Meinung waren. Aber sie konnte nicht verstehen worüber und irgendwann half ihr das angestrengt Lauschen dabei wieder einzuschlafen.
Doch Schlaf war das eigentlich nicht, was in dieser Nacht über sie kam, denn Lilly wachte immer wieder auf, träumte schlecht, machte sich Gedanken über den vergangenen Abend. Wahrscheinlich war Ethan Blake nur auf sie aufmerksam geworden, weil Carlos sie so herausgeputzt hatte. Dabei war sie keine Styling Puppe. Sie selbst schminkte sich so gut wie nie und wenn, dann trug sie maximal ein wenig Kajal und Wimperntusche auf. Lilly hatte überhaupt keine Ahnung davon, wie man eine Wimpernzange benutzte oder wie man Rouge oder Make-Up richtig auftrug. Das war einfach nicht ihre Welt. Auf einer Rinderfarm in Montana brauchte man all diese Kenntnisse nicht.
Lilly wälzte sich im Bett umher und fragte sich, wie sie aus der Nummer am Freitag wieder rauskommen sollte? Auf gar keinen Fall wollte sie sich noch einmal mit Ethan treffen. Dieser Mann machte ihr Angst.
Welches Interesse konnte er schon an ihr haben?
Sicher ging es ihm nur um schnellen Sex. Das unglaubliche Kleid in das Carlos sie gezwängt hatte, betonte jede Kurve ihres Körpers und wahrscheinlich war Ethan nur deshalb auf sie aufmerksam geworden. Was also, war besser als ihm so gegenüber zu treten, wie sie in ihrem normalen Alltag eben war? Schlabberlook, Turnschuhe, zerzaustes Haar und die Nerd-Brille, die sie eigentlich nur trug um sich dahinter zu verstecken. Sicher würde ihn das abschrecken, wenn sie bis dahin keine andere Möglichkeit fand ihm abzusagen.
Aber traute sie sich das? War sie mutig genug diesen Mann, dessen Blick ganz sicher in der Lage war einen Hochofen abzukühlen, anzurufen? Nein, soviel Courage nannte sie nicht ihr Eigen.
Aber wovor hatte sie eigentlich Angst?
Ethan Blake kannte weder ihren Namen noch wusste er, wo sie wohnte. Also war dieses sinnlose Treffen am Freitag doch ohnehin reine Makulatur. Lilly dachte nicht im Traum darüber nach, welche Mittel einem Mann wie Ethan Blake zur Verfügung standen um ausfindig zu machen, was er wissen wollte.
Für Lilly war der Start an der Columbia Journalism School unglaublich anstrengend. Zwei Jahre war es nun her, dass sie die High-School beendete und nun musste sie schneller von null auf hundert beschleunigen als ein Rennwagen. Zumindest kam es ihr so vor. Dabei wurde ihr bereits am ersten Tag bewusst, was sie die nächsten 9 Monate erwarten würde.
Lilly hatte sich sehr wohl über die Columbia informiert, bevor sie sich um ein Stipendium bewarb und all das, was sie an Erfahrungsberichten gelesen und als übertrieben abgetan hatte, stürzte nun mit einem Schlag auf sie ein. Keiner der Kommilitonen in ihrer Klasse suchte Blickkontakt. Niemand schien Interesse daran zu haben irgendwelche Bekanntschaften zu knüpfen.
Für Lilly war das schier unbegreiflich. Sie war nach New York gekommen um endlich zu leben, Freunde zu finden, zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen doch auf dem Campus brauchte sie auf all das nicht zu hoffen, das wurde ihr bereits in den ersten Tagen schmerzlich bewusst. Trotzdem verfolgte sie weiter unbeirrt ihr Ziel. Sie hatte um das Stipendium von 50000$ gekämpft und nun gab es kein Zurück mehr. Die nächsten neun Monate musste sie einen Grundstein für ihre Zukunft legen und nur das war wichtig.
Das Verhältnis zu Cale war seit dem Abend im J's seltsam angespannt. Cale zog sich von ihr zurück. Vielleicht hatte er ihre verdeckte Anspielung bezüglich seines Lebensstils doch bemerkt. Vielleicht war er deswegen sauer auf sie?
Auf jeden Fall bemerkte Lilly sehr wohl, dass Cale ihr aus dem Weg ging und auch von Carlos kam kein Lebenszeichen mehr. Im Grunde war Lilly einsamer als je zuvor. In einer fremden Stadt fühlte sie sich, von den wenigen Menschen, die sie kannte, ausgegrenzt und das schmerzte auf eine Weise, die sie nicht kannte. Sie fühlte sich im Stich gelassen.
Cale war für sie immer so etwas wie ein Anker gewesen, auch wenn sich das seltsam anhörte. Er hatte immer zu den wenigen Menschen gehört, die Lilly niemals enttäuschten. Auch nach vielen Jahren hatte er sie als Freund aufgenommen, doch nun spürte Lilly, dass er nichts mehr mit dem Jungen gemein hatte, der damals aus Fairbury verschwand und sie wusste auch, dass sie ihren eigenen Weg gehen musste, wollte sie sich von ihm nicht in eine Welt ziehen lassen, in die sie nicht gehörte.
Seit dem Abend im J’s wurde Lilly immer bewusster, wie Cale an all den Luxus kam, mit dem er sich so gern umgab. Und dass er wirklich glaubte, sie würde sich auf dasselbe Niveau begeben nur, weil ein Mann wie Ethan Blake einen Abend mit ihr verbringen wollte, war ihr unbegreiflich. Aber als fast noch schlimmer empfand Lilly die Tatsache, dass Cale es als Selbstverständlichkeit ansah, sich aushalten zu lassen. Für ihn war es ganz normal, dass jemand anders seine Rechnungen bezahlte und Lilly wollte sich gar nicht vorstellen, was er dafür bereit war zu tun.
„Was tust du da“, Cale tauchte am späten Abend, nach dem sie zwei Tage so gut wie gar nicht miteinander gesprochen hatten, in Lillys Zimmer auf und erwischte sie dabei, wie sie die wenigen Sachen, die sie aus Montana mitgebracht hatte, zusammenpackte.
„Ich packe … oder wonach sieht es für dich aus?“ Lilly war ein wenig genervt. Das Aufeinandertreffen mit Ethan Blake hatte sie aus ihrer gefühlstechnischen Umlaufbahn geworfen und dass Cale, von dem sie eigentlich glaubte, er sei ihr Freund, so tat, als sei dieser überhebliche Mann das Beste was ihr passieren konnte, erschütterte ihren Glauben an diese Freundschaft zu tiefst.
„Erklärst du mir auch warum? Ich dachte du bräuchtest ein wenig Starthilfe, bis du einen Job gefunden hast.“ „Ja, die brauche ich wirklich, aber im Moment habe ich nicht das Gefühl, als wäre es eine gute Idee, hier zu bleiben.“ „Warum? Weil du nicht damit klarkommst, dass ich wegen Blake eine andere Meinung vertrete? Der Kerl kann deine Eintrittskarte in die New Yorker High Society sein.“ „Warum willst du das denn nicht verstehen Cale? Das alles interessiert mich nicht. Alles was ich will ist studieren, mir meinen eigenen Weg suchen. Ich bin nicht hergekommen um Partys zu feiern oder reiche Typen abzuschleppen.“ „Natürlich …“, Cale wirkte plötzlich unglaublich überheblich, „das Mädchen aus Montana sucht nach dem Traumprinzen.“ „Hör auf Cale … ich dachte eigentlich du würdest mich besser kennen. Zumindest hatte ich gehofft, du würdest mich wenigstens verstehen. Ich bin nicht aus Fairbury weggegangen um mich wieder fremdbestimmen zu lassen. Du kennst Harvey und du kennst Dawson.“ „Natürlich kenne ich die beiden. Aber das eine hat mit dem anderen doch nichts zu tun. New York ist eine Stadt, in der du Spaß haben kannst ohne dich fremdbestimmen zu lassen. Ich bin auch mein eigener Boss obwohl mein Freund die Rechnungen bezahlt“, Cale versuchte Lilly seinen Standpunkt klar zu machen, doch er begriff dabei nicht, dass er sie niemals würde dazu bringen können ihre Meinung zu ändern. Ganz im Gegenteil. Mit seiner beharrlichen Art forderte er sie geradezu heraus: „Ach … wirklich? Du bist dein eigener Boss. Was war das dann neulich, als du wie ein Häufchen Elend in der Küche gesessen hast?“ „Das war etwas ganz Anderes“, entrüstet sah Cale auf Lilly herab. Doch sie hatte seinen wunden Punkt längst gefunden und legte ohne zu zögern den Finger in die Wunde um ihm begreiflich zu machen, dass sein Lebensstil niemals der ihre sein würde: „Nein Cale. Wenn du dich für Geld verkaufst, musst du immer damit rechnen Dinge tun zu müssen, die dir nicht gefallen. Und ich weiß ganz genau, dass da neulich etwas passiert ist. Was hat dein Freund getan? Was hat er von dir verlangt?“ „Das geht dich nichts an“, allein Cales entrüstete Reaktion bestätigte, was Lilly längst vermutete. Cale bekam das Apartment, die schicken Klamotten und das Geld, das er in teuren Clubs verpulverte, nicht ohne Gegenleistung und wie diese aussahen, wollte sie sich erst gar nicht vorstellen.
Cale war doch der heimliche Schwarm vieler Mädchen gewesen. Lilly wusste mit Sicherheit, dass er damals heterosexuelle Beziehungen führte.
Wann war aus ihm ein Mann geworden, der Männer liebte?
Nein, Lilly hegte keinerlei Vorurteile deswegen, aber sie konnte es eben einfach nicht verstehen und vielleicht gehörte auch das zu den Gründen, warum sie sich regelrecht entfremdeten.
Lilly zweifelte keine Sekunde daran, dass sie und Cale nach wie vor eine gewisse Freundschaft verband, aber um wirklich Freunde zu bleiben war es wohl besser, wenn sie sich eine eigene Bleibe suchte und sie langsam damit begannen sich als Erwachsene neu kennenzulernen. Cale war einfach nicht mehr der coole Junge, den sie als kleines Mädchen förmlich anhimmelte.
Lilly stopfte die paar Sachen, die sie ihr Hab und Gut nannte in ihre Reisetasche und stellte sie zu Boden. Noch einmal sah sie sich in dem wundervollen Zimmer um, das sie eigentlich nur ungern verließ. Aber ihre Angst, dass bisschen Freundschaft zu zerstören, dass ihnen noch geblieben war, machte ihr die Entscheidung zu gehen letztlich doch einfach. Auch wenn Cale sie verständnislos ansah.
„Du hast recht Cale … es geht mich wirklich nichts an. Aber genauso wenig hat es dich zu interessieren, wie ich mein Leben leben möchte. Ich werde mich nicht an einen Mann wie Ethan Blake verkaufen nur, weil du glaubst, dass es der einzig richtige Weg ist sich einen Platz in der Gesellschaft zu ergattern. Ich danke dir, dass du mich bei dir aufgenommen hast, aber wenn wir Freunde bleiben wollen, ist es besser, wenn ich jetzt gehe“, Lilly zwang sich zu einem zaghaften Lächeln. Sie spürte deutlich, dass es keine andere Möglichkeit gab, auch wenn diese bedeutete, dass sich ihre finanziellen Reserven schneller verabschieden würden, als ihr lieb sein konnte. Aber auch für dieses Problem würde sich zu gegebenem Zeitpunkt eine Lösung finden. Schließlich war sie harte Arbeit gewöhnt und irgendeinen Job, der sie über Wasser hielt, würde sie schon ergattern.
Lilly verließ Cales Apartment noch am selben Abend. Über einen Aushang an der Uni wusste sie von einem winzigen Apartment in Brooklyn, das sie sich bereits am Nachmittag angesehen hatte. Nein, dieses heruntergekommene Kellerloch war beim besten Willen nicht, was sie sich selbst wünschte, doch für den Übergang würde es seinen Zweck erfüllen. Wenn sie sich einen Job besorgt hatte und nicht mehr von ihren Ersparnissen leben musste, würde sie sich nach einer Wohnung umsehen, in der es nicht muffig roch. In der sie sich nicht wie ein Mensch zweiter Klasse fühlte, weil sie sich nichts Besseres leisten konnte. Aber für den Moment war das heruntergekommene Apartment ihre erste eigene Wohnung und das war sie bereit sich schönzureden. Das Leben in New York war teuer genug und ihre finanziellen Mittel nun mal knapp, deshalb erlegte sie sich einen strikten Sparkurs auf um möglichst lange über die Runden zu kommen.
Lilly war nicht so blauäugig zu glauben, dass ihr in New York irgendetwas in den Schoß fallen würde. In dieser Stadt wartete niemand auf das Mädchen aus Montana und Lilly erwartete nicht, dass ihr der Big Apple auf irgendeine Weise entgegenkam. Sie war bereit für ihre Ziele hart zu arbeiten.