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Kapitel 3
WIE’S KAM

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Vor langer Zeit habe ich mich dazu entschieden, geboren zu werden. Ich suchte mir also die für mich richtigen Eltern aus und träumte mir den Ort, an dem ich zur Welt kommen wollte. Viele Berge und Täler und einen smaragdgrün schimmernden Fluss sollte er haben. Mein Herz sollte stark werden an diesem Platz und ich wollte feste Wurzeln bekommen, einen Körper, der allen Winden trotzen und Arme, die nach den Sternen greifen konnten. Verbündete sollten mich dort begleiten. Mächtige Berggeister, Baumfreunde und Flusswesen, – Naturgeschwister, die mich unterstützen sollten bei meiner Aufgabe. Und ich wusste genau, was meine Aufgabe sein würde. Ich wollte Licht und Dunkelheit nutzen, um Heilsames zu bewirken. Ich wollte Spuren der Herzkraft hinterlassen auf meinem Weg. Mit der Unterstützung meiner Familie, meiner Vorfahren, der Ahnen, der Verstorbenen, die vor mir gingen und mit der Sehnsucht nach Unendlichkeit und Freiheit wollte ich die Erdenzeit nutzen, um mit der ganzen Kraft der Dunkelheit und der ganzen Kraft des Lichtes Schmerzen zu vertreiben, Leiden zu lindern und Krankheit zu verhindern.

Als ich mir alles, was ich mir wünschte und alles, was ich in diesem Menschenleben tragen konnte, in die Welt geträumt hatte, sprang ich ins Nichts und landete im Schoß meiner Mutter. In meinen Augen spiegelte sich noch das Universum, als ich in der Nacht des elften Augustes 1975 im Bett meines Vaters und mit der Hilfe einer alten Hebamme geboren wurde. Der Ort an dem ich zur Welt kam, hieß Opponitz, ein kleines Bergdorf im Ybbstal in Niederösterreich, dessen slawischer Name so viel wie »Geräusch des Wassers« bedeutet. Ich selbst aber war im Zeichen des Feuers geboren. Löwe im Sternzeichen, Löwe als Aszendent, und die Sonne als vorherrschender Planet in der Geburtsminute. Äußerlich war ich in einer Menschenhülle geboren worden. Doch ich fühlte mich wie ein Baum. Verwandt mit den Pflanzen. Verbunden mit der Erde. Mit einem Willen, der schnell als Sturheit bezeichnet wurde. In meiner Kindheit wurde ich nachts von Krokodilen zerfetzt, ich sah schwarze Wesen mit leuchtenden Augen vor meinem Elternhaus am Waldrand sitzen, ich hörte unsichtbare, kleine Gestalten sprechen und als ich während der Hauptschulzeit einmal zwölf Warzen auf meinen Fußsohlen hatte, die mich schmerzend daran hinderten, am Turnunterricht teilzunehmen, rief meine Großmutter einen als »Wender« bekannten alten Mann an. Dieser gab mir einen Spruch, den ich dreimal am Tag bei abnehmendem Mond aufsagen sollte, während ich die Warzen mit weißer Schneiderkreide einrieb. Wenige Tage später wurden die Warzen, die sich tief in die Haut gefressen hatten, plötzlich schwarz und fielen einfach ab. Ich habe damals nicht darüber nachgedacht, wie es funktionieren konnte. Ich habe weder daran geglaubt noch daran gezweifelt. Es war eben einfach so. Ich hinterfragte auch später, in meiner Jugend, die Dinge selten, sondern nahm das Leben so wie es kam. Weder bemühte ich mich, es voranzutreiben, noch versuchte ich, es aufzuhalten oder zu entschleunigen. Ich lebte völlig im Hier und Jetzt, wie ein Baum der an ein und derselben Stelle steht, egal ob Sommer oder Winter, egal ob bei Frost oder Sonnenschein, ob Vögel auf ihm nisteten oder ein Eichhörnchen auf ihm herumtanzte. Ich war ich. Und es war eben wie es war. Manchmal schmerzhaft und traurig, deprimierend und schlimm, manchmal übersprudelnd, voller positiver Überraschungen und Momenten von Fülle und Glück. Es ging bergauf und bergab und ich hörte einfach nicht auf zu gehen, egal was kam.

Das Leben trieb mich weg aus meinem Geburtsort und ich lebte mit einer Leidenschaft, die vom Feuer in mir vorangetrieben wurde. Wie ein naives Kind verbrannte ich mir die Finger immer wieder, weil ich alles ausprobieren und selbst spüren wollte. Ob Alkohol, Männer oder gefährliche Begegnungen und Unternehmungen, ich war dabei. Eine meiner ersten sexuellen Erfahrungen war eine Vergewaltigung in einer Lagerhalle. Aber ich steckte sie weg und lebte weiter als wäre nichts gewesen. Schließlich wusste ich, dass irgendwo da draußen auch gute Menschen sein müssten, ich musste sie nur erst finden. Erst als ich mein erstes Kind von einem Mann erwartete, der kriminell war und mich betrog und hinterging, hörte ich für eine Weile auf, mein Leben voranzutreiben und wurde langsamer. Ich trennte mich von ihm, brachte mein Kind alleine zur Welt und begann mich langsam wieder zu finden. Die Schwester legte mir dieses Kind in den Arm und es war, als ob es ein Laib Brot wäre oder ein Kubus aus Glas und Stein, fremdartig und verwirrend. Ich begann, es kennen zu lernen und lieben zu lernen und da kam so viel Liebe zurück, dass es mich überwältigte. Ich fand mich geborgen und beschützt in meiner Heimat wieder, in meiner Familie, als Mutter und als Frau. Niemals habe ich Sorge gehabt, dass ich versagen könnte oder das Kind nicht ernähren oder die Verantwortung nicht übernehmen könnte. Weiterhin nahm ich die Dinge wie sie kamen. Es war wie es war. Und es war gut. Da war ein Wesen, das mich bedingungslos liebte, das mir bedingungslos vertraute obwohl es mich nicht kannte. Es war aus dem Universum in meinen Schoss gefallen und nun lag es an mir, diesem Wesen die Welt zu zeigen. Und gleichzeitig begann ich die Welt anders wahrzunehmen, denn dieser kleine Säugling ließ mich aus seinen Augen sehen und ich selbst lernte dadurch meine Familie, meine Heimat und mich selbst neu kennen …

Die Wenderin

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