Читать книгу 364 Tage - Sonja Reichel - Страница 6

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Ich werde dich nicht suchen, obwohl du es mir aufzwingen willst. »Such mich!«, schreien mir deine Handlungen der letzten Wochen entgegen. Versteckt hast du dich wie ein kleiner Junge, der gefunden werden will. Aber ich werde dich nicht suchen, weil ich dich nicht finden kann. Und auch jetzt halte ich dich nicht zurück, als du in die Nacht verschwindest. Dort, an der Kreuzung, über uns der dunkle Himmel, der sich wölbt wie die riesige teilnahmslose Haut der Stadt. Hinter uns liegt ein Abend mit Freunden, vor uns der Beginn eines Wochenendes, das wir nicht mehr miteinander verbringen werden. Ich glaube, wir ahnen beide nicht, dass wir nie wieder Zeit miteinander verbringen werden.

Du läufst los, als ich dir sage: »Ich brauche diese Nacht für mich.«

Wieder hole ich mir eine Nacht zurück. Wie zu oft in letzter Zeit. Meine Nächte. Dabei war dein Plan: Diese Nacht ist die erste von vielen.

Doch du raubst mir Kraft. Weil es dieses Du nicht gibt, das ich hoffte, in dir zu entdecken, wenn ich dich ansah. Immer war da diese Schutzschicht auf deinen Augen, als wären sie beschlagen, als wären sie hinter Eis. Wie hätte ich einen Eiskratzer einsetzen können, ohne dein Sehen zu beschädigen? Dich zu zerstören in dem Moment, in dem ich den unverstellten Blick gehabt hätte auf dein Inneres, für das du dich geohrfeigt hast, wenn es hervorbrach, dich quälte, dich zerriss. Alles hast du daran gesetzt, dass niemand jemals dahinter blicken würde, dich eingeschlossen. Zu früh hattest du verlernt, wie man sich öffnet – den Menschen, der Welt. Du warst eng geworden. Manchmal übertrug sich diese Atemnot auf mich. Wenn sich dein Inneres wie ein Fels auf meinen Oberkörper legte.

Du hast nicht verstanden, wenn ich dir sagte: »Wo bist du? Dein Blick ist immer nach innen gerichtet.«

Gerade bei mir hast du es nicht verstanden.

Du sagtest: »Ich war noch nie so offen wie für dich.«

Ich glaubte dir. Und trotzdem ahnte ich, dass etwas nicht reichen würde.


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