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Heute bin ich selbst eine Oma. Meine Enkel sind noch klein. Ich wünsche und erhoffe mir für ihr Leben viele Dinge, vor allem aber, dass sie niemals krank werden vor Angst.

Ich habe mich, so lange ich denken kann, mit Sorgen und Ängsten geplagt. Früher, in Kindertagen, konzentrierten sie sich auf meine Eltern und Schwestern. Ich habe drei; eine ist älter als ich, zwei sind jünger. Sie waren die wohl am meisten beobachteten und am besten behüteten Mädchen in der ganzen Stadt. Für meine Begriffe war das Leben eine gefährliche Angelegenheit. Lauerten nicht an jeder Ecke Gefahren, gab es nicht so viel Entsetzliches, das ihnen zustoßen konnte? Meine Fantasie war im Ausmalen von Schreckensszenarien schier unerschöpflich.

Schöne Erinnerungen habe ich nur an meine sehr frühen Lebensjahre. Wir wohnten damals noch mit im Haus meiner Großeltern väterlicherseits, sehr beengt in kleinen Räumen. Die meiste Zeit verbrachte ich in der großen Küche meiner Oma. Sie war mir sehr zugetan, ich hatte ihren Vornamen und sie war meine Taufpatin. Ich glaube, sie mochte meine Lebhaftigkeit und Neugier. In meiner Erinnerung haben wir viel zusammen gelacht und geredet. Ganz oft hatte sie eine kleine Überraschung für mich, wie diese zufällig verlorene Kaffeebohne auf dem Küchenboden, die ich so gerne knabberte. Wenn sie große Mengen von grünen Heringen briet, ließ sie die Köpfe für mich im Spülstein liegen, damit ich sie genauestens begucken und untersuchen konnte. Ich durfte beim Kochen und Backen helfen und im Keller die Kohlen sortieren. Meine Oma war eine sehr kommunikative Frau, sie bekam oft Besuch, meist von Tante Luise und Tante Mathilde. Dann saß ich mucksmäuschenstill unter dem Küchentisch, betrachtete die dicken Beine bis hinauf zu den Strumpfbändern und lauschte den Gesprächen.

Mein Vater bekam bald eine gute Stellung und wir zogen in eine große moderne Wohnung. Wann genau meine „Überängstlichkeit“, wie meine Eltern es nannten, begann, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich, als meine Schwestern flügge wurden und mein Vater oft auf Dienstreisen unterwegs war. Stand eine Reise an, drückten mich schon Tage vorher dunkle Gedanken. Was, wenn der Zug entgleiste? Wenn mein Vater in seinem Hotelzimmer überfallen und ausgeraubt wurde? Wenn er einen Unfall erlitt oder einfach nur krank wurde? Später, als ich schon ein bisschen lesen und schreiben konnte, habe ich ihm heimlich kleine Zettel in die Aktentasche gesteckt. Immer stand darauf, dass er schnell und gesund wieder nach Hause kommen möge.

Die große Sorge um Menschen, die mir sehr nahe sind, ist mir immer geblieben. Nur lasse ich mir sie nicht mehr anmerken. Unsere große Familie ist mittlerweile noch größer geworden. Einerseits ist das schön, andererseits gibt es jetzt noch mehr Menschen, die ich liebe und um die ich mir Gedanken machen muss. Es gab Zeiten, in denen ich kinderlose Paare beneidet habe um ihr unaufgeregtes Leben. Allerdings muss ich gestehen, dass ich mir heute die meisten Sorgen um mich selbst mache – ganz anders als in meiner Kinderzeit.

Meine Schwestern wurden allmählich selbständiger. Auch die jüngste war jetzt nachmittags schon allein mit ihrem Holzroller unterwegs, mit all den anderen Kindern aus der Nachbarschaft. Ich wusste, ich musste sie ständig im Auge behalten. Schließlich gab es sogenannte Kinderlocker, die einem schreckliche Dinge antun konnten. Meine ältere Schwester fuhr mit der Straßenbahn zur Schule. Ich kannte ihren Stundenplan genau und wusste immer, wann sie wieder zu Hause sein musste. Als sie sich einmal ziemlich verspätete, war ich außer mir vor Sorge. Ich rannte zur Haltestelle und versprach unterwegs dem lieben Gott, nie mehr mit ihr zu streiten, wenn er sie noch dieses eine Mal gesund nach Hause kommen ließe.

Eine andere Begebenheit ist mir gleich lebendig in Erinnerung. Meine jüngere Schwester bekam Klavierunterricht. Ihre Lehrerin, ein Fräulein Meise, wohnte etwas fünfzehn Fußminuten von uns entfernt. Als einmal gegen Ende des Unterrichts ein heftiges Gewitter und ich meine Schwester bereits unterwegs und womöglich bereits vom Blitz getroffen vermutete, wollte ich sofort hinaus in das Unwetter und sie suchen. Meine Mutter hatte größte Schwierigkeiten, mich zurückzuhalten. Natürlich war meine Schwester vernünftig genug gewesen, das Ende des Gewitters abzuwarten.

Von da an begleitete ich sie zum Unterricht, setzte mich bei Fräulein Meise aufs Sofa und wartete ab, bis die Stunde vorüber war. Ich spürte, dass die Klavierlehrerin meine Anwesenheit als störend empfand. Und nach zwei, drei Malen musste ich unten vor der Haustür warten. Auch meine Schwester war wütend. Auf dem Heimweg rannte sie mit eiligen Schritten vor mir her und sprach den Rest des Tages kein Wort mehr mit mir. Mir aber war das egal. Richtig erleichtert war ich immer erst, wenn abends alle friedlich in ihren Betten lagen. Jetzt konnte nichts Schlimmes mehr geschehen.

Angstkind

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