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Kapitel 2
Оглавление04. März 2019, Brooklyn, New York
Wenige Minuten vor dem Absturz der Boeing 877-63 war in einem kleinen Vorort von Brooklyn ein Tag, wie jeder andere. Es war bereits 20 Uhr und die meisten Menschen waren bereits Zuhause oder gerade auf dem Weg dorthin. Noch ein paar Jugendliche rannten über die Straßen, doch es war Mittwoch und sie mussten am nächsten Morgen wieder zur Schule, weshalb es nicht sehr viele waren. Generell waren die Straßen ziemlich leer und niemand ahnte auch nur im Geringsten, dass etwas passieren könnte. Im Krankenhaus war heute ein ruhiger Tag gewesen und die Ärzte und
Krankenschwestern bereiteten sich für eine entspannte
Nachtschicht vor. Auch die Polizisten auf der Polizeiwache drei Blocks weiter verabschiedeten sich und gingen in den Feierabend.
Auf der Feuerwehrwache wurden nur noch die letzten Fahrzeuge gecheckt und dann verabschiedeten sich auch dort die meisten. Einer von ihnen war ein 31jähriger Mann mit rot-blonden Haaren, die im Sonnenschein fast die Farbe von Feuer hatten. Er hatte weiche, tiefgründige, braune Augen und Sommersprossen, die seine Wangen sprenkelten. Er war etwa 1,85 Meter groß und arbeitete seit zehn Jahren auf dieser Feuerwehrwache. Sein Name war Sky Lewie. „Hey,
Susan!“, rief er gerade einer Kollegin zu, die an einem
Schreibtisch saß, „danke noch mal für den Kuchen!“ Die Frau, die offenbar Susan hieß, lächelte und winkte ab: „Hab‘ ich doch gern gemacht! Happy Birthday, Sky!“ Sie hatte blonde Haare und war um die 40 Jahre alt. Sky grinste und verließ das Büro. Es befand sich in der oberen Etage des zweistöckigen Gebäudes. Sky ging einen zur linken Seite geöffneten Flur entlang und blickte hinunter. Er blickte auf einen großen Innenraum, indem drei Feuerwehrfahrzeuge und auch das andere Equipment standen. Mehrere Männer hantierten mit Schläuchen und Ausrüstung, die sie heute gebraucht hatten. Heute, an Skys Geburtstag, hatten sie zwar nur zwei Einsätze gehabt, doch das gehörte zur täglichen Routine. Er ging weiter und betrat die Küche. Sie war groß und geräumig, denn darin wurden auch die meisten Teambesprechungen abgehalten. Sky ging zum Kühlschrank und holte Käse und Toast heraus.
Er wollte sich gerade das Toast in den Mund schieben, als unten eine Klingel zu schrillen begann. Sofort sprang er auf und rannte über die Treppe nach unten. „Was ist los“, fragte Sky seinen Boss, Lucas Moore. Der Mann hatte graue Haare und war 52 Jahre alt, doch in seinem Beruf war er nach wie vor der Beste. „Der Pilot der
Boeing 877-63 hat einen Notfall gemeldet. Es gab eine Explosion auf höchster Flughöhe und das Ding kommt mit rasender Geschwindigkeit runter. Es wird eine heftige Bruchlandung und es wäre ein Wunder, wenn auch nur einer überlebt, aber wir müssen unser Bestes geben…in dem Flugzeug sitzen zehn Abgeordnete des Weißen Hauses…“, erklärte Lucas Sky und seinen Kollegen, die nun auch dazu gestoßen waren, „ alle in die Fahrzeuge und los!“ Sky rannte los und stürzte zu dem Schrank, in dem die Sicherheitskleidung aufbewahrt wurde. Er zog sich seinen feuerfesten Anzug und Helm an und sprang dann in das erste Einsatzfahrzeug. Er startete den Motor und ein weiterer Mann stieg ein. Auch hinten sprangen noch drei Personen hinein und Sky fuhr los. Er drückte das Gaspedal durch und raste auf die Straße zu. Er fuhr mit Höchstgeschwindigkeit durch die Straßen und vorbei an den Autos, dessen Fahrer verzweifelt versuchten schnell genug aus dem Weg zu kommen. Die anderen beiden Feuerwehrfahrzeuge waren nun auch hinter Sky und so fuhren sie im Konvoi weiter.
Nach drei Minuten konnte Sky schon die Rauchwolke sehen und ein Schauer lief seinen Rücken hinunter. Es graute ihm davor, all diese Menschen vermutlich tot aufzufinden, doch es war sein Beruf und er würde alles tun, um diese Menschen zu retten. Sie erreichten den Unfallort und Sky stieg schnell aus dem Wagen und sah sich um. Von dem Feld war nichts mehr zu erkennen und überall lagen Frackteile. Das Flugzeug an sich brannte lichterloh und brach an einigen Stellen bereits zusammen. „Okay, Team 881, Personensuche! 883, Löschen und 886, Rückendeckung!“, schrie Lucas und Sky und sein Team rannten los. Er gehörte zu Team 881. Er setzte sich seine Atemmaske auf und holte sich einen Wasserschlauch, während einer seine Teamkollegen ihn abrollte. Schwitzend ging er auf eine Öffnung am vorderen Bug zu. Sie war klein, aber Sky passte gerade so hindurch. Sein Herz raste als er „Wasser marsch!“, rief und das Flugzeug betrat. Er löschte kleine Flammen, die ihm im Weg waren und bewegte sich langsam vorwärts. Vier weitere Feuerwehrmänner- und Frauen kamen von allen möglichen Seiten und taten das Gleiche wie Sky. Er blickte sich um und sah die ersten Personen auf den Sitzen der ersten Klasse. Ein Mann in Anzug saß schlaff in seinem Sitz und ließ den Kopf nach unten Hängen. Sky ging auf ihn zu und legte seine Finger auf den Hals des Mannes. Er spürte einen schwachen Puls, also legte
Sky den Wasserschlauch ab und hob stattdessen den Mann hoch. Er legte ihn sich auf die Schultern und bewegte sich stöhnend zum Ausgang. Als er ihn erreichte kamen ihm bereits Sanitäter entgegen und legten den Mann auf eine Trage. Sofort drehte Sky sich wieder um und betrat das Flugzeug erneut.
Nachdem Sky noch fünf weitere Personen gerettet hatte und in der ersten Klasse des Flugzeugs keine lebenden Personen mehr waren, ging er weiter hinein in das Flugzeug. Noch kein anderer seines Teams war so weit gegangen, weshalb noch alle Sitze besetzt waren. Es waren insgesamt noch 100 Personen, doch davon lebten wahrscheinlich nur noch 20. Sky ging an eine alte Frau heran und legte ihr seine Finger auf den Hals. Bei ihr konnte er keinen Puls mehr fühlen. Traurig blickte Sky kurz zu Boden und machte dann weiter.
Als er an zehn toten Körpern vorbei gegangen war und seine Kollegen weitere zehn hinausgebracht hatten, hörte er über Funk eine Ansage des Kapitäns: „Hier ist Moore, verlasst auf der Stelle das Flugzeug! Ich wiederhole, alle Rettungskräfte verlassen auf der Stelle das Flugzeug! Es wird in Kürze explodieren, also raus da!“ Sky blickte sich noch einmal um und wollte sich gerade umdrehen, als sein Blick nach hinten fiel. Dort saß in der dritt letzten Reihe eine junge Frau. Sie hatte lange, blonde Haare und sah sogar schwer verletzt und voller Blut wunderschön aus. Sky dachte schon, sie sei tot, doch sie zuckte kurz und ihre Augen flatterten. So schnell er konnte ging Sky auf sie zu. Sein Chef wiederholte die Ansage immer wieder, doch Sky blendete sie aus. Es war ihm egal, weil er aus irgendeinem Grund zu dieser Frau hingezogen wurde. Er wollte mehr als alles andere, dass sie überlebte, koste es, was es wolle. Sky verstand selbst nicht, wieso es ihm so wichtig war, doch es war so, also ging er weiter. Er erreichte sie und legte ihr die Finger auf den Hals…Sie hatte einen Puls, wenn auch sehr, sehr schwach, doch er war da. Sky hob vorsichtig ihre Beine an und legte ihr einen Arm um die Schulten. Dann nahm er sie ganz hoch und ging langsam zum Ausgang. „Lewie! Was machen sie da drin noch?“, rief Lucas Moore nun über Funk. „Ich…komme“, murmelte Sky, unter dem Gewicht der Frau in seinen Armen stöhnend. Er hörte draußen Rufe und wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Er versuchte schneller zu gehen, doch er hatte kaum noch Kraft und der Ausgang war noch mindestens zehn Meter entfernt. Er wollte die Frau gerade loslassen, aber dann sah er in ihr Gesicht. Es war glatt und schön geformt. Ihre geschlossenen Augen waren ruhig und entspannt, doch der Rest ihres Körpers versuchte weiterhin irgendwie den Schmerz zu mildern. Sky konnte nicht anderes, als weiter einen Schritt vor den anderen zu setzten und weiter zu gehen. Verzweifelt ging er weiter und erreichte schließlich den Ausgang, doch da wartete keiner. Die Sanitäter und Rettungskräfte hatten sich bis auf zwanzig Meter zurückgezogen und sahen Sky völlig überrascht an. Mit langsamen, erschöpften Schritten ging er weiter und betete zu Gott, dass er ihm noch etwas Zeit gab. Je näher er den Ärzten kam, desto hoffnungsvoller wurde er…
Dann spürte er die Explosion, noch bevor er sie hörte. Er sank in die Knie und warf sich über die Frau in seinen Armen. Er hoffte inständig, dass er weit genug entfernt war. Sky spürte den Druck und wie er einen Meter nach vorne gedrückt wurde, doch dabei blieb es. Das Flugzeug löste sich in Flammen auf und nun waren definitiv alle Passagiere tot. Als der Rauch sich verzog, kamen die
Sanitäter angerannt und nahmen Sky die Frau aus den Armen. Er stand auf und sah zu, wie die Sanitäter sie auf einer Trage in den Rettungshelikopter brachten. „Was sollte das?“, hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich. Es war Lucas Moore, der mit verschränkten Armen vor ihm stand. „Ich habe sie gerettet“, stellte Sky fest und war in Gedanken nicht an diesem Ort. Er konnte nur an das weiche, hübsche Gesicht denken, das mit Ruß verschmiert war. Er hatte niemals zuvor eine so wunderschöne Frau gesehen, auch wenn er sie wahrscheinlich nicht wiedersehen würde. Trotzdem
würde er sie nicht vergessen...sollte sie überleben…
*
Während Sky weiterhin am Unfallort bleiben musste, wurde Rose ins Krankenhaus geflogen. Es war nur eine kurze Strecke, doch auch in dieser Zeit schwebte Rose nach wie vor in Lebensgefahr…wie auch nicht, denn sie war gerade aus 10000 Metern Höhe abgestürzt. Die Ärzte gaben ihr Spritzen und alle möglichen
Medikamente, damit sie zumindest den Flug überlebte, doch Rose bekam davon nichts mit. Der Helikopter landete und sofort kamen weitere Ärzte und Krankenschwestern angerannt, die Rose aus dem Helikopter brachten und durch mehrere Türen direkt in einen OP-Saal. Sie injizierten ihr Narkosemittel, doch das wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Die Ärzte begannen Rose zu operieren und erst nach vollen 14 Stunden schlossen sie die Wunden und brachten sie auf die Intensivstation. Dort lag sie bewusstlos, während eine der Krankenschwestern nach Verwandten suchte. Sie war 26 Jahre alt und hatte schulterlange, lockige, blonde Haare. Zunächst versuchte sie es bei ihren Eltern, doch die waren auf einer Kreuzfahrt durch die Karibik und es würde noch drei Wochen dauern, bis sie wieder erreichbar waren. Dann kam die Krankenschwester auf Adrian und wählte seine Nummer. „Ja?“, nahm Adrian genervt ab. „Guten Morgen, spreche ich mit Mister Adrian Conner?“, fragte die Krankenschwester höflich. „Ja, das tun sie. Wer sind sie und was wollen sie?“, wollte Adrian nun entnervt wissen. Die Krankenschwester zögerte und meinte dann: „Ich bin Krankenschwester im NYU Langone Hospital und mein Name ist Cindy Crickville. Es geht um ihre Freundin Rose Davis…“ Bei diesen Worten hörte Adrian auf. „Was ist mit ihr?“, fragte er nun leicht panisch. „Nun ja…Sie saß in einem Flugzeug, das abgestürzt ist. Wir mussten sie 14 Stunden operieren und sie liegt nun auf der Intensivstation. Die Chancen, dass sie aufwacht liegen bei 50 Prozent…“, erklärte Cindy. Adrian schwieg und wusste nicht mehr, was er sagen sollte. „Kann…kann…kann ich zu ihr…“, fragte er nach einiger Zeit kleinlaut. „Natürlich, bitte kontaktieren sie noch andere Personen. Freunde, Angehörige…“, antwortete Cindy und legte auf. Sie verließ den Schalter und ging einen Gang entlang zur Intensivstation. Sie ging an den Zimmern vorbei und immer weiter, bis sie das Zimmer von Rose errichte. Traurig blickte sie durch die
Fensterscheibe auf Rose, die an hunderte Drähte angeschlossen war und nicht einmal aus eigener Kraft atmen konnte. Aus irgendeinem Grund wünschte sich Cindy, dass sie überlebte.
*
Während Cindy durch das Fenster starrte rannte Adrian durch seine Wohnung im vierten Stock und telefonierte mit allen Leuten, die Freunde von Rose waren. Nach ungefähr drei Anrufen wählte er die Nummer von Brooklyn, ihrer beste Freundin. „Hallo, hier ist Brooklyn Clocks, mit wem spreche ich?“, fragte Brooklyn höflich. „Hi, Brooks…hier ist Adrian…Ich weiß, du magst mich nicht wirklich, aber es geht um Rose…“, Adrian unterbrach sich und musste sich eine Träne von der Wange wischen. „Was ist mit Rose?“, wollte Brooklyn ungeduldig wissen. Adrian holte tief Luft und erklärte: „Das Flugzeug, in dem sie nach New York geflogen ist, es ist abgestürzt. Sie hatte so gesehen noch mal Glück, aber sie liegt auf der Intensivstation. Ich glaube es wäre gut, wenn ihr herkommen würdet. Du und Julia.“ Auch Brooklyn fehlten die Worte und direkt, nachdem sie aufgelegt hatte, liefen ihr die Tränen herunter. Sofort rief sie Julia an und stieg in ein Taxi zum Flughafen. Sie hatte etwas Angst, als sie in das Flugzeug stieg, doch das war nicht wichtig. Sie wollte so schnell es ging zu Rose.
*
Rose lag allein in einem Zimmer auf der Intensivstation des Krankenhauses. Es war 21:31 Uhr am
Donnerstagabend und die Sonne ging gerade erst unter. Adrian hatte zwar nach Rose gesehen, doch danach war er wieder nach Hause gefahren und Brooklyn und Julia waren noch im Flugzeug. Rose fühlte sich schwach und wachte nur langsam auf. Ihr ganzer Körper fühlte sich schlaff und unecht an. Sie war noch so mit Schmerzmittel vollgepumpt, dass sie keinerlei Schmerzen hatte.
Langsam öffnete sie die Augen und sah sich um. Zunächst wusste sie nicht, wo sie war, doch nach nur wenigen Augenblicken kehrten die schrecklichen Erinnerungen zurück.
Der Pilot hatte von einer Bruchlandung gesprochen und kurz darauf waren sie auf einem Feld abgestürzt. Rose wusste weder in welcher Stadt, noch in welchem Staat sie gerade war oder wie es möglich war, dass sie noch am Leben war. Sie konnte sich daran erinnern, dass die Menschen um sie herumgeschrien hatten und sie dann irgendjemand gepackt hatte, doch sie war sich nicht ganz sicher, denn sie war nicht mehr wirklich da gewesen. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass es jemand geschafft hatte Rose aus diesem brennenden Wrack zu befreien. Aus irgendeinem Grund wollte Rose diesen Menschen treffen und ihn kennen lernen. Sie nahm sich vor die Krankenschwester zu fragen, doch da verlor Rose wieder ihr Bewusstsein und träumte von Blut und brennenden Flugzeugen…
Rose erwachte nach weiteren sechs Stunden Schlaf um 4 Uhr morgens. Eine Krankenschwester stand gerade neben ihrem Bett und kontrollierte ihre Werte. Sie hatte bisher noch nicht gemerkt, dass Rose wach war, doch nun sah sie ihr in die Augen und lächelte. „Guten Morgen“, meinte die Krankenschwester leise und drückte auf einen kleinen Knopf neben Rose’ Bett. „Ich bin Cindy Crickville, ihre zuständige Krankenschwester“, sagte Cindy ruhig und studierte Rose’ halb offenen Augen.
Rose sah Cindy an und lächelte. Die Frau war höchstens 26 Jahre alt und hatte helle, fast weiß-blonde Haare, die ihr lockig ins Gesicht fielen. Augenringe umrahmten ihre strahlenden grauen Augen, die voller Leben waren. Rose mochte sie auf den ersten Blick und war ihr sofort dankbar, dass sie da war. Rose versuchte zu sprechen, doch ihr Hals war rau und kratzig, sodass sie keinen einzigen Ton herausbrachte. Cindy bemerkte es und meinte: „Ganz ruhig. Es ist normal, dass sie nach so einer Operation nicht direkt sprechen können und ich glaube nichts könnte im Moment so wichtig sein, dass sie es sofort aussprechen müssen.“ Rose nickte und schloss ihre Augen, während sie versuchte sich zu entspannen, doch in ihrem Kopf wirbelten die Bilder herum. Von den toten Menschen, die überall um sie herum gewesen waren. Von trauernden Familien, die nie wieder ihre Töchter, Mütter, Väter oder Geschwister sehen würden. Von dem Blut, das über die Sitze spritze und die letzten Atemzüge derjenigen, die es nicht geschafft hatten. Rose fragte sich, wie viele wohl überlebt hatten und was für Menschen das waren.
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie unglaublich viel Glück sie gehabt hatte und dass ihr Leben von einen auf den anderen Moment hätte zu Ende sein können. Plötzlich fragte Rose sich, wieso sie nicht schon früher ihre Träume erfüllt hatte und sich frei gemacht hatte, von all den Sorgen…und von Adrian. Sie hatte einfach immer gedacht, sie hätte noch Zeit, doch nun wurde ihr bewusst, dass das ganz und gar nicht der Fall war. Sie konnte von heute auf morgen sterben, ohne auch nur halbwegs gelebt zu haben. Rose fasste einen Entschluss und dachte weiter über all das Unglück auf der Welt nach.
Nach einigen Stunden ging die Sonne auf und Rose fühlte sich langsam etwas besser. Es würde noch Tage oder Wochen dauern, bis sie wieder stehen, geschweige denn gehen konnte, doch es war egal. Sie lebte und das war alles, was zählte. Um 8 Uhr kam Adrian vorbei und setze sich auf ihr Bett. „Hey…wie geht es dir?“, fragte er besorgt. „Den Umständen entsprechend…“, antwortete Rose leise mit rauer Stimme. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht“, meinte Adrian mit sorgenvoller Stimme. Er nahm Rose’ Hand und schwieg einfach nur. Adrian wollte etwas sagen, doch er traute sich nicht es anzusprechen. Nach einigen Minuten fasste er seinen Mut zusammen und fragte: „Ich weiß, das ist vermutlich ein schlechter Zeitpunkt, aber der Vermieter will wissen, wann wir einziehen?“ Echt jetzt!?, dachte Rose und sagte es auch laut: „Echt jetzt!? Ich bin gerade fast gestorben, lag 14 Stunden im OP-Saal und bin noch lange nicht über den Berg und du machst dir ernsthaft Sorgen um unsere Wohnung? Wenn du dir wirklich Sorgen gemacht hättest, dann würdest du nicht über diese verdammte Wohnung nachdenken. Was hast du nur mit diesem Einzug? Ich weiß nicht einmal, wieso ich das wollte und jemals ja dazu gesagt habe. “ Es klang in ihrem Kopf definitiv besser als in Wirklichkeit, aber das war nicht wirklich entscheidend. Das, was aus ihrem Mund kam war zwar nur ein klägliches Flüstern, aber die Botschaft kam trotzdem rüber. Zwar hatte Rose das letzte nicht ganz so sagen wollen, aber es war doch genau das, was sie seit Monaten dachte. Wieso hatte sie, ja, gesagt? Ehrlich gesagt wusste Rose es nicht. Rose wollte Adrian nicht verletzten, doch er hatte die Wahrheit verdient und er würde sie irgendwann verstehen.
Adrian sah Rose erstaunt und gleichzeitig verletzt an. „W…wieso hast du dann zugestimmt? Ich dachte, du liebst mich“, stotterte Adrian, aus der Bahn geworfen. „Ja, verdammt! Ich habe dich geliebt und irgendwie tue ich es immer noch, aber ich habe mich verändert, Adrian. Ich bin nicht mehr die, die du kennen gelernt hast und in die du dich verliebt hast. Und um ehrlich zu sein, die will ich auch gar nicht mehr sein. Adrian, wir wohnen seit Jahren tausende Kilometer entfernt und du würdest es nicht einmal merken, wenn ich einen Unfall hätte…Ja, jetzt bin ich hier und ja, ich wollte zu dir nach New York ziehen, aber…ich glaub nicht, dass ich das tun wollte, weil ich dich so sehr liebe…Weißt du, ich fand es süß, wie du mich angehimmelt hast und mir hat die Vorstellung gefallen, auf ewig mit dir zusammen zu sein…auf ewig sicher zu sein…Ich dachte, besser bist du zumindest halb glücklich und nicht allein, als allein und nicht glücklich… Doch mir ist klar geworden, dass das Leben zu kurz ist, um nur halb glücklich zu sein. Mir ist klar geworden, dass ich jemanden anderen will und brauche, doch auch du verdienst jemanden, der dich ohne Zweifel und von ganzem Herzen liebt, so wie du mich liebst...Aber ich kann diese Person nicht mehr sein, zumindest im Moment nicht. Es tut mir leid… Ich denke, wir sollten eine Pause machen…ich muss mir erstmal über einige Dinge klar werden…“, erklärte Rose mit leiser Stimme, die immer wieder abbrach. Adrian blickte Rose in die Augen und seine wurden immer wässriger, bis schließlich eine kleine Träne seine Wange herunterlief. Er wusste, dass Rose unsicher gewesen war, doch er hätte nie gedacht, dass sie so wenig für ihn empfand. Adrian liebte sie von ganzem Herzen…
Plötzlich ging die Tür auf und Brooklyn und Julia kamen hereingerannt. „Rose! –Ähm, Adrian…Was ist hier los?“, fragte Brooklyn überrascht, als sie Adrians Tränen sah. „Ich glaube, ich gehe jetzt besser. Gute Besserung, Rose und…leb wohl…“, verabschiedete sich Adrian und verließ den Raum mit Tränen in den Augen. Julia und Brooklyn setzten sich jeweils auf eine Seite von Rose’ Bett und Julia fragte: „Okay, was ist passiert?“ „Als das Flugzeug abgestürzt ist…da habe ich gemerkt, wie wenig ich gemacht habe und wie unerfüllt mein Leben ist…ich…ich habe Adrian gesagt, dass ich ihn nicht mehr liebe und dass…dass ich nicht mit ihm zusammenziehen möchte…“, erzählte Rose und Brooklyn und Julia warfen sich einen Blick zu. Dann lächelten sie. Brooklyn beugte sich als erste vor und legte sich vorsichtig auf Rose drauf. Dann kam Julia und die beiden umarmten Rose… „Heißt das, dass du zurückkommst?“, fragte Brooklyn leise und hoffnungsvoll. Rose dachte nur kurz darüber nach, antwortete jedoch ebenfalls leise und schwach: „Nein, ich bin hergekommen, um einen Neuanfang zu starten und das hat sich nicht geändert. Ich muss einfach etwas verändern…“ Dann schwiegen sie nur noch, alle auf einem Haufen liegend. So verbrachten sie volle zehn Minuten, bis Cindy, die Krankenschwester, hereinkam und Brooklyn und Julia wegschickte. Sie meinte, Rose brauche Ruhe, also verließen sie den Raum und Rose schlief wieder ein.