Читать книгу Antigone (Deutsche Neuübersetzung) - Sophokles - Страница 6

Оглавление

Erste Szene.

Antigone, Ismene.


Antigone: Liebe, allerliebste Ismene! Meine arme, geliebte Schwester! Glaubst du, Zeus wird noch mehr Unheil über unser Leben bringen als Strafe für die Sünden unseres Vaters? Bisher haben wir die Pein der Traurigkeit, der Zerstörung, der Schande und sogar der Entehrung gespürt, aber jetzt hat unser König die ganze Stadt mit seinem neuen Gesetz in Erstaunen versetzt. Verstehst du, was es wirklich bedeuten soll? Weißt du, welche Schande dieses neue Gesetz über unsere Brüder bringen wird?

Ismene: Nein, Antigone. Was meinst du? Ich habe nichts über sie gehört, weder Gutes noch Schlechtes, und das seit dem Tag, an dem wir unserer beiden Brüder beraubt wurden – seit diesem einen Tag, seit dieser einen tödlichen Schlacht, in der ein Bruder den anderen tötete. Ich habe gehört, dass der Feind aus Argos letzte Nacht geflohen ist, aber darüber hinaus nichts, was mich weder froh noch traurig machen würde.

Antigone: Das dachte ich mir schon. Darum habe ich dich hierher gebracht, Ismene; um dir davon zu erzählen, heimlich und nur unter uns.

Ismene: Antigone, was ist passiert? Ich spüre etwas Schreckliches, etwas Beängstigendes in deinen Worten.

Antigone: Das Begräbnis unserer Brüder, Ismene! Kreon hat verfügt, dass der eine mit allen Ehren bestattet werden muss, während der andere gar nicht begraben, sondern öffentlich an den Pranger gestellt werden soll! Man sagt, Kreon habe Eteokles alle angemessenen Begräbnisriten und Zeremonien zukommen lassen, um ihn für die Welt da unten vorzubereiten, während unser anderer Bruder, Polyneikes, der einen ebenso schrecklichen Tod starb, unbestattet und unbetrauert gelassen werden soll! Obendrein soll er Futter für die ausgehungerten Raben des Himmels sein, und all jener Raubvögel, die eifrig nach ihrer Nahrung jagen müssen. Das sind die Gesetze, die unser Herr Kreon für uns beide erlassen hat, Ismene! Für dich, Ismene, und für mich – ja, sogar für mich! [Sieht sich ängstlich um] Man sagt, dass er jeden Moment aus dem Palast kommen wird, um diese Erklärung erneut laut und deutlich zu verkünden – falls es jemanden gibt, der sie noch nicht gehört hat. Und diese Erklärung macht er sich nicht leicht! Denn, wenn es jemand wagt, sie zu missachten, hat er den Tod durch öffentliche Steinigung zu erwarten! So steht es also im Moment, meine liebe Schwester Ismene, und nun musst du zeigen, ob du deiner Geburt würdig bist: Bist du ihrer würdig, Ismene, oder willst du Schande über dein Haus bringen, Ismene, über das Haus des Ödipus, unseres Vaters?

Ismene: Aber, Antigone, wenn es schon so weit gekommen ist, was kann ich nur tun? Wie könnte ich überhaupt helfen?

Antigone: Wir können gemeinsam denken und handeln.

Ismene: Und was genau können wir tun? Antigone, was hast du vor? Was für einen schrecklichen, womöglich gefährlichen Plan hast du gerade im Sinn?

Antigone: [Streckt Ismene ihre rechte Hand entgegen] Ismene, hilf dieser Hand, den Leichnam unseres Bruders zu heben!

Ismene: [Entsetzt] Oh, nein! Antigone, denkst du etwa daran, Polyneikes selbst zu bestatten? Das ist gegen den Willen unseres Volkes, gegen den Willen unseres König – Antigone!

Antigone: Er ist unser Bruder, Ismene! Deiner und meiner! Und wenn du mir nicht hilfst, dann können sie zumindest mir nicht vorwerfen, dass ich ihn verraten hätte!

Ismene: Ach, du armseliges, elendes Weibsstück, Antigone! Willst du unseren Bruder wirklich gegen den Willen des Königs bestatten?

Antigone: Kreon hat nicht das geringste Recht, mich von meinem Bruder zu trennen. Nicht das Geringste!

Ismene: Antigone! Liebe Schwester! Denke daran, wie sehr unser Vater verhasst war, als er starb. Wie viel Schmach er auf sich geladen hatte! Er hatte so viele schändliche Sünden begangen, dass er, nachdem er sie alle ans Licht gebracht, sie alle gebeichtet hatte, sich beide Augen ausstach! Daraufhin nahm auch sie, Iokaste, ihm gleichzeitig Mutter und Ehefrau war, sich mit einem Strick das Leben. Und schließlich starben unsere beiden armen Brüder am selben Tag, weil jeder den anderen mit der eigenen Hand tötete. Und so sind wir nun hier – wir beide sind fortan ganz allein. Bedenke, welch schreckliches Ende uns erwartet, wenn wir uns gegen Kreons Gesetz stellen, Antigone! Und letztendlich, bedenke, meine liebe Schwester, wir sind nur Frauen, und können nicht gegen Männer bestehen! Die Herrschenden sind viel mächtiger als wir und wir müssen tun, was sie sagen – nicht nur, was diese Sache betrifft, sondern auch, was weitaus schlimmere Dinge angeht. Was ich tun werde, was mir als einziges übrigbleibt, ist, zu den toten Seelen zu beten, dass diese unserem Polyneikes vergeben. Danach werde ich genau das tun, was Kreon befiehlt. Der Versuch, Taten zu vollbringen, die über deine Fähigkeiten hinausgehen, ist Wahnsinn, Schwester. Hirnlose Torheit, meine Liebe!

Antigone: [Wütend] Nun gut! Ich werde dich weder anflehen noch hätte ich deine Hilfe freudvoll angenommen, selbst, wenn du sie mir angeboten hättest, meine Schwester! Du kannst glauben, was du willst, aber ich werde gehen und ihn bestatten. Mein Tod wird süß sein, wenn ich dies vollendet habe, denn ich werde neben ihm in der Unterwelt liegen, weil ich ein heiliges, ein seliges Verbrechen begangen habe. Die Zeit, die mir bleiben wird, um mit den Toten auszukommen, Schwester, ist viel länger als die Zeit, die ich noch habe, um die Lebenden zufriedenzustellen. Ich werde für immer unter den Toten weilen. Aber du, Ismene, kannst frei wählen, ob du das, was die Götter respektieren, entehren willst oder nicht.

Ismene: Ich entehre überhaupt nichts, Antigone, aber ich sehe auch nicht, wie ich mich gegen die Stadt stellen könnte!

Antigone: Na gut, wie du meinst! Finde Ausflüchte, so viele du willst, Ismene, aber ich gehe jetzt, um die Leiche meines lieben Bruders zu bestatten!

Ismene: Ich habe solche Angst um dich, Antigone!

Antigone: Angst? Oh nein, hab keine Angst um mich, Ismene. Kümmere du dich um dein eigenes Leben!

Ismene: Dann sag es wenigstens niemandem sonst, Antigone; ich werde es auch nicht tun! Lass es uns geheim halten!

Antigone: Mein Gott! Auf keinen Fall, Ismene, erzähle es der ganzen Welt! Tatsächlich, meine Schwester, würde ich dich noch mehr hassen, wenn du es nicht tätest!

Ismene: Kälte umklammert dein heißes Herz, meine liebe Schwester!

Antigone: Vielleicht, aber wenigstens weiß ich, was ich zu tun habe!

Ismene: Und vielleicht gelingt es dir ja sogar, aber du verlangst das Unmögliche!

Antigone: Wenigstens werde ich es versuchen – solange meine Kräfte es zulassen.

Ismene: Man sollte immer genau wissen, wozu man fähig ist, und nicht vergeblich nach dem Unmöglichen trachten.

Antigone: Solches Gerede wird dir nicht nur meinen Hass einbringen, sondern auch den deines toten Bruders, denn auch du wirst einmal sterben und ihm nahe sein wollen; dann wird es dir recht geschehen, wenn er dich hasst.

[Beide verlassen die Bühne auf den gegenüberliegenden Seiten].

[Pause. Es wird heller].

[Auftritt Chor, die Hände zum Gebet zu Apollo erhoben].

Chor: Oh, Strahlen der Sonne! Das schönste Licht, das je auf unser Theben schien, das Theben der sieben Tore. Hier kommst du endlich, großes Auge unseres goldenen Tages. Du bist über Dirkes große Wasser gekommen und hast den Feind die Zügel seines Pferdes fester packen lassen und seine Flucht beschleunigt. Dieser war von Argos gekommen, in voller Rüstung und mit glänzenden, weißen Schilden. Mit weißen Flügeln bedeckt, in voller Rüstung und mit Helmzierden wie Pferdemähnen auf dem Kopf, haben ihn die grellen und doppelzüngigen Worte des Polyneikes in unser Land geführt. Und wie ein Adler stürzte er sich herab auf uns. Erst schwebte der Feind und wog seine blutdürstigen Speere über unserer siebentorigen Burg, doch dann drehte er jäh um und lief davon, noch ehe sein Gesicht mit unserem eigenen Blut getränkt wurde! Lange bevor das Harz unserer Kiefern Hephaistos dessen feurige Speere gab! So war der Kriegslärm, den der mächtige Ares seinem mächtigen Feind in den Rücken warf. Und nur, weil Zeus die großspurige Zunge hasste! Als er sie sah, wie sie wie ein schäumender Fluss heranrauschten, mit ihren anmaßenden goldenen Speeren und Schwertern ––– . Und gerade als sie von den Spitzen unserer Türme ihren Triumphschrei ausstoßen wollten, schleuderte er, Zeus, seinen sengenden Blitz auf sie. Und so wankte und schwankte unser Feind, der mit Fackeln in den Händen zu uns kam, bald in den Fängen eines wirbelnden, wilden Windes hoch über uns, bis er hart auf den Boden fiel und dort liegenblieb. Und so kam alles anders für ihn. Ares stand an unserer Seite und die Schicksalsgöttinnen vernichteten ihn. Sieben unserer Generäle, gegen sieben der ihren. Gleich an Zahl, gleich an Können, alle gaben ihr Leben der vollbronzenen Rüstung des Zeus. Alle bis auf zwei Unglückliche, geboren von demselben Vater und derselben Mutter. Zwiefach der Kampf, Speer gegen Speer, zwiefach der Tod, jeder ein Opfer des anderen. Doch der Sieg – so groß ist sein Name – ist zu uns gekommen, nach Theben! So gut bewaffnet ist diese Stadt ––– . Und so lasst uns nun die Kriege vergessen und die heiligen Tänze in jedem Tempel eines jeden Gottes beginnen, angefangen bei Dionysos. Lasst uns die ganze Nacht tanzen! [Die Tore des Palastes öffnen sich und Kreon und Soldaten treten auf] Ah! Hier kommt Kreon, Sohn des Menoikeus und unser neuer König! Die Götter schenkten uns dieses Glück zusammen mit unserem letzten Sieg. Wir fragen uns, was ihn so sehr beunruhigt, dass er einen Herold schickte, um uns, seine Ältesten, zu einer Versammlung am frühen Morgen einzuladen.

Antigone (Deutsche Neuübersetzung)

Подняться наверх