Читать книгу Carringo und die Tage des Todes: Western-Roman - Squarra Heinz - Страница 6
1
ОглавлениеHeiß brannte die Sonne auf die Sierra de Pajarito herunter. Ein Gluthauch lag über dem nördlichen Mexiko, durch das ich auf der Suche nach meinem Freund Chaco unterwegs war. Ich hatte seinen Morgan Hengst gefunden und führte ihn am Zügel mit mir durch die Schlucht zwischen den bizarren Felsengebilden, die wie steingewordene Zeugen einer längst vergangenen Zeit den Weg markierten. Sorgen füllten meine Gedanken aus.
Chaco war unterwegs gewesen, um mir bei der Aufklärung meiner Vergangenheit zu helfen. Er hatte nach Juan Cajega geforscht, einem ehemaligen Indianerhändler, der vor rund fünfzehn Jahren ein Medaillon verkauft hatte, das haargenau dem glich, das ich besaß.
Plötzlich meinte ich, ein Blinken in der Luft über dem Tafelberg links voraus zu sehen und sprang instinktiv aus dem Sattel. Ich ließ mich fallen, rollte über die Schulter ab und gelangte an eine Felswand in deren Schatten ich liegenblieb.
Mein Blick glitt zu dem wuchtigen Berg hinüber. Dunst und ein starkes Flimmern hüllten den Felsen ein. Von einem Blinken vermochte ich nichts mehr zu entdecken.
Sekundenlang blieb ich noch beobachtend liegen, dann zog ich die Füße an und stand auf. Meine Nerven schienen mich zum Narren gehalten zu haben. Aber noch blieb ich im Schatten der Wand, weil ich dem Frieden doch nicht so recht traute.
Chaco war verschwunden. Und es konnte möglich sein, dass es einen Menschen gab, der wusste, dass ich nach dem Halbblut suchte.
„Blödsinn“, sagte ich laut. „Niemand kann das wissen.“
Ich trat zu den Pferden, zog den Sattelgurt von Fox nach und saß auf. Chacos Hengst dicht neben mir beobachtete ich noch einmal genau den Tafelberg. Es war durchaus möglich, dass dieser auf seiner mir abgekehrten Seite flach auslief und ein Reiter ihn im Sattel bis zur Höhe erklimmen konnte. Ich war auch nicht mehr sicher, tatsächlich nur einem Trugschluss zum Opfer gefallen zu sein.
Der Mann lag in einer Scharte des Tafelberges und hatte sein Gewehr etwas zurückgezogen. Ihm selbst war aufgefallen, dass sich ein Sonnenstrahl auf dem Lauf gebrochen hatte, obwohl dessen Mattierung dergleichen verhindern sollte. Es war ein schwacher, aber doch ausreichend starker Strahl gewesen,
Der Mann atmete auf, als sich der Reiter mit den beiden Pferden nun doch näherte. Er schob den Hut etwas zurück, der seine Sicht behinderte. Grelles Sonnenlicht traf sein fürchterliches Gesicht. Eigentlich war es kein Gesicht mehr, sondern nur der Teil eines formlosen Ballons, der einen Kopf darstellte. Ein verheerendes Feuer hatte das Gesicht vernichtet und nur den Menschen am Leben gelassen. Der aber sah einem Menschen nur noch am Körper ähnlich.
Aus kleinen Löchern schauten kalt blitzende Augen scharf in die Schlucht hinunter. Auch die Nase war wie die Lider und die Brauen völlig verschwunden. Nur die Nasenlöcher gab es noch. Sie vibrierten von der Erregung, die den Jäger gepackt hielt. Die schweren Brandverletzungen hatten auch die Lippen vernichtet, so dass der Mann nur ein Nuscheln hervorbrachte, als er sagte:
„Ich brenne dir eine Kugel auf!“
Manchmal war schon ein leises Klirren zu vernehmen, wenn die Hufe der Pferde das Gestein trafen. Winzige Alkalistaubwolken standen über dem Boden. Der unheimliche Killer schob das
Gewehr weiter vor und zog den Kolben gegen die Schulter. Da ihm Gemütsregungen nicht anzusehen waren, ließ sich nicht erkennen, wie sehr es ihn freute, dass sein Rezept die erwartete Wirkung zeigte.
Ninguno, der Unheimliche, hatte das Halbblut Chaco in seine Gewalt gebracht und in die Berge verschleppt, um Carringo hinter sich herzulocken.
Der Köder zeigte Wirkung.
„Reite noch etwas näher“, flüsterte der Lauernde. „Ich will dir die Kugel ins Hirn schießen!“
Der Reiter bemerkte die Gefahr nicht. Aber gewarnt durch das Blinken. von dem er nicht wusste, ob es eine Sinnestäuschung gewesen war, ritt er nur langsam und schien den Tafelberg genau und scharf zu beobachten.
Ninguno, der Mann, der sich selbst den Namen „Niemand“ gab, presste den Gewehrkolben gegen die Schulter. Er lag ungünstig und musste noch eine Kleinigkeit nach vorn rücken, um sein Schussfeld nach unten zu verbessern. Er bewegte sich, und da brach sich das Sonnenlicht noch einmal auf dem Lauf.
Ich sah es diesmal genau und wusste, dass es kein Trugschluss sein konnte. Wieder schnellte ich mich mit einem Satz aus dem Sattel und riss mein Gewehr mit. Wieder rollte ich an die Felswand repetierte die Winchester und feuerte zu der Falte auf dem Tafelberg hinauf.
Das Donnern hallte dumpf durch die Schlucht. Die erschrockenen Pferde schnaubten und wichen nach der anderen Seite aus, wobei sie zusammenstießen.
Meine Kugel schrammte unterhalb der Felsscharte gegen das Gestein, prallte ab und strich jaulend in den dunstverhangenen Himmel. Gesteinsstaub stand vor der senkrechten Wand.
Ich repetierte und wartete auf eine Reaktion des anderen, der dort oben lauerte. Dabei war ich überzeugt, dass das zufällige Blinken mein Leben gerettet hatte.
Auf einmal sah ich eine Gestalt aufstehen und schießen.
Der Morgan Hengst wieherte schrill, stieg mit wirbelnden Hufen auf die Hinterhand und stürzte zur Seite.
Auch Fox wieherte, warf sich herum und floh in die Schlucht zurück.
Ich feuerte auf die Gestalt da oben, von der ich vor der Sonne nur eine schwarze Silhouette erkannte. Der Mann wurde nach rechts herumgerissen und taumelte.
Meine rechte Hand riss den Unterhebel der Winchester durch und ließ ihn zurückschnappen. Wieder krümmte sich mein Finger. Doch da stolperte die Gestalt schon weiter, und die Kugel strich pfeifend an ihr vorbei.
Bevor ich einen weiteren Schuss anbringen konnte, war die seltsame Gestalt verschwunden. Ich blickte über die Schulter. Fox sah ich nicht mehr. Der Morgan Hengst lag im Canyon.
Als mein Blick wieder auf den Tafelberg fiel, sah ich die Gestalt weiter links plötzlich wieder. Sie hatte den Hut vom Kopf verloren. Er hing an der Windschnur im Nacken des mittelgroßen, breitschultrigen Mannes. Kahl leuchtete der Schädel wie poliert im Sonnenglast. Ein unheimliches Leuchten funkelte in den kleinen Augen im gesichtslosen, ballonförmigen Kopf.
Ich war unfähig, die Waffe wieder anzuheben und zu schießen. Es schien, als banne dieser irre Glitzerblick aus der fürchterlichen Ruine eines ehemaligen Gesichts meine Bewegungen.
Doch dann hob die Gestalt die Waffe mühsam an. Sie stand verkrümmt und schien von mir links in die Schulter getroffen worden zu sein.
Ich warf mich in Deckung.
Da krachte der Schuss. Die Kugel streifte die Wand und jaulte durch den Canyon. Irgendwo wieherte Fox in das Donnern hinein.
Ich feuerte zurück, traf den Unheimlichen aber nicht. Er schwankte schon rückwärts und tauchte im Pulverrauch unter. Wieder entlud sich mein Gewehr.
Die Gestalt verschwand ganz aus meinem Blickfeld. Ich hatte den Halunken erheblich verletzt und wäre seiner sicher auch rasch habhaft geworden, wäre mein Pferd nicht geflohen.
Zurückschauend sah ich den Hengst nicht mehr. Im Gewirr der Felsen war er hoffentlich stehengeblieben.
Hufschlag erreichte meine Ohren. Die Geräusche schallten vom Tafelberg herunter, was mich jetzt sicher sein ließ, dass es auf der mir abgewandten Seite wirklich einen flachen Abhang gab.
Ich brauchte meinen Hengst, um die Verfolgung des Fliehenden aufnehmen zu können. Denn nur dieser Mann konnte mir sagen, wo sich Chaco befand.
Mir wurde unwohl, als ich daran dachte, dass der Verletzte irgendwo aus dem Sattel stürzte und den Tod fand, bevor ich bei ihm war, um ihn nach Chaco zu fragen.
Hinter der nächsten Wand stand Fox nicht. Ich lief weiter und entfernte mich rasch von der Stelle des Überfalls, an der der Morgan Hengst erschossen lag.
Meine Aufregung stieg, je länger ich laufen musste. Die Chance, den anderen zu schnappen, verringerte sich mit jeder abgelaufenen Minute.
„Fox?“ Ich war stehengeblieben und hatte die Hände am Mund zu einem Trichter geformt.
Das Echo hallte von einem Felsen zum anderen und wieder zu mir zurück.
Eine Reaktion erfolgte jedoch nicht. Kein Wiehern, kein Schnauben traf meine Ohren. Mit hängenden Schultern, das Gewehr in der rechten Hand, so setzte ich den Weg durch die Sierra de Pajarito fort. Bald hatte ich mich eine halbe Meile vom Ort des heimtückischen Überfalls entfernt. Die Formationen änderten sich. Spitze Gipfel schoben sich manchmal weit in den Himmel, und zerklüftete Einschnitte lösten den breiten Canyon ab. In den Spalten des morschen Gesteins wucherten Gras und Buschwerk. Fox stand mitten drin und kaute, als wäre gar nichts geschehen, sondern lediglich eine Ruhepause eingelegt worden.
Ich atmete auf, als ich das Pferd sah. Es hätte gut sein können, dass ich den Rest des Tages mit der weiteren Suche hätte verbringen müssen.
Fox schnaubte bei meiner Annäherung und vollführte nickende Kopfbewegungen wie eine Begrüßung.
„Du hast vielleicht Nerven“, sagte ich. „Haut man denn gleich so weit ab?“
Der Hengst trabte aus dem Dickicht und rieb die Nüstern an meiner Schulter, als wolle er sich entschuldigen.
Ich führte ihn in den breiteren Schluchtweg, stieg auf und ritt zurück. Bis ich dort anhielt, wo ich die flach auslaufende Rückseite des Tafelfelsens sehen konnte, war seit dem Überfall mindestens eine Stunde vergangen.
Karges Felsenland lag vor mir. Die Riesengebilde vulkanischen Ursprungs glichen einander. Auf angeschwemmter Erde wuchsen Gruppen verkrüppelter Kakteen an verschiedenen Stellen im weiter werdenden Gelände. Sonst lag nacktes Felsgestein vor mir, soweit der Blick im Dunst reichte.
Der Mann, der mir die Falle gestellt hatte, war verletzt. Daran vor allem anderen musste ich denken, um mir vorzustellen, was er als nächstes tat. Mir abermals auflauern zu wollen, schied in seinem jetzigen Zustand vermutlich aus. Ein Verletzter braucht Hilfe. Wenn er irgendwo einen Freund hatte, würde er versuchen, diesen zu erreichen.
Spuren galt es zu finden und den Weg zu verfolgen, den der Unheimliche nahm.
Ich ritt zu der Flanke der von dieser Seite aus seltsam aussehenden Berge hinüber und suchte sie auf ihrer ganzen Breite ab. Da sich auch hier eine harte Sandschicht einst abgelagert hatte, fand ich die Eindrücke tatsächlich. Jedoch ließen sie sich nur bis zum ersten Kakteenfeld verfolgen.
Das nackte Gestein hinter den stachligen Pflanzen war ohne Spuren. Ich saß ab, ging nach rechts und links und beugte mich tief über den Boden, um nichts zu übersehen. Aber es blieb dabei. Wie befürchtet, fand ich nichts mehr. Mein Blick wanderte nach allen Seiten. Nichts als Felsengebilde, immer breiter werdende Ebenen dazwischen, Kakteenfelder und Dunst umgaben mich. Die Sonne sank rasch immer tiefer.
Die Nacht war nahe.
Dann fragte ich mich, ob Chaco überhaupt noch am Leben war. Wenn er in dieser unwirtlichen Gegend mit der großen Nachtkälte irgendwo gefangen saß, hatte er vielleicht seit Tagen nichts mehr gegessen und kein Wasser erhalten. Seine Lage konnte aussichtslos sein, wenn ich ihn nicht fand.
„Wenn Chaco überhaupt noch lebt“, murmelte ich.
Ich durfte mich nicht in die trüben Gedanken verbeißen und vielleicht gar resignieren. Entschlossen kehrte ich zu Fox zurück und stieg wieder in den Sattel.
Die Suche nach dem Mann ohne Gesicht musste fortgesetzt werden. Ich musste ihn finden, denn nur dieser Kerl wusste, wo Chaco steckte und ob er noch lebte.
Von den Kakteen aus ritt ich erst ein ganzes Stück nach Norden und dann in einem großen Halbkreis über Ost nach Süd. So gelang es mir tatsächlich, die Spur noch einmal aufzunehmen. Sie war frisch, wie die scharfen Ränder der Hufabdrücke im Sand zeigten. Sie konnten von keinem anderen Reiter stammen.
Nach ein paar Yards hatte ich die Spur schon wieder verloren. Meine neuerliche Suche blieb ergebnislos. Ich schaute zurück zum Aufstieg des Berges und ritt dann in der anderen Richtung geradeaus weiter. Eine andere Möglichkeit sah ich nicht mehr. Ich musste darauf hoffen, dass der
Kerl einfach geradeaus ritt und ich soweit aufholte, um ihn rechtzeitig vor mir zu sehen.
Die Hufe von Fox klapperten über das nackte Felsgestein. Ich kniff die Augen zusammen, um in dem anhaltenden Flimmern in der Ferne mehr zu erkennen. Aber da waren nichts weiter als immer neue Felsen und neue Kakteen.