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2 Verfangen

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Im Selbstmitleid verloren, zur gleichen Mondstunde, in einer altbekannten Straße.

Noah, der Vater von Sandy, parkt mit seinem Auto vor einem Haus und schaut durch ein geschlossenes Tor. Mit Tränen in den Augen schnauft er wohl längst vergangenen Tagen hinterher. Noch dazu, wirkt das Haus so schön, wie wohl noch nie zuvor, vom Mondschein beleuchtet. Im oberen Stockwerk des damaligen Kinderzimmers von Sandys Bruder Luca, flackert Licht, während alles andere in absoluter Stille versinkt.

›Der sechste Januar‹ hört Noah beim Radio anmachen den Moderator durch die Lautsprecher quasseln, womit er eigentlich musikalisch unterhalten werden wollte. ›Und immer noch kein Schnee in Sicht. Was wird nur aus dieser Welt?‹

Genervt schaltet Noah den Sender um und bemerkt gleichzeitig, dass sein Handy vibriert. Versehen mit drei, vier Falten mehr im Gesicht, schaut er auf seinen Handybildschirm, auf dem immer wieder der Name Median aufleuchtet. Er nimmt den Anruf lächelnd entgegen und richtet seinen Blick wieder auf das Haus.

»Hi Median, was gibt es?«

»Wo bist du denn schon wieder, alter Mann?«

»Eine neue Familie ist eingezogen.«

»Noah, hör auf, das Haus zu beschatten. Irgendwann denken sie noch, du wärst ein Einbrecher.«

»Ich wollte nur wissen, wie lange es leer stehen wird.«

»Gut, alter Mann, beruhige dich. Mach den Motor an und fahr Heim«, besänftigt Median sein gebrochenes Herz mit einem Klang in der Stimme, die zum Wohlfühlen einlädt.

»Mein Zuhause war schon immer da, Median. Nichts wird mein Heim ersetzen können. Ich bin ja so froh, dass ich vorübergehend bei dir hausen kann.«

»Noah, das ist kein Problem, aber suche endlich nach einer anderen Bleibe und halte dich nicht an dem alten Haus fest. Du hast den Kampf bis zuletzt gekämpft und leider verloren. Ich fahre jetzt noch die kleine Evie zu Sandy. Wenn ich dann später nach Hause komme, möchte ich dich dort sehen. Ist das okay?«

»Ich werde mich bewerben.«

Diese Vorstellung allein, zaubert Noah ein Lächeln ins Gesicht.

»Als Butler, Gärtner oder Hausmädchen für alles. Irgendwas wird doch die neue Familie gebrauchen können.«

»Hör auf herumzuspinnen. Ich lege jetzt auf, bis später«, versichert Median mit einem Hauch von Glückseligkeit, worauf Noah dann nur noch ein Tuten zu hören bekommt.

Träumend verliert er sich in dem Lied, das aus dem Radio entweicht und auch ebenso in den Gedanken, wieder irgendwie in dieses Haus zu kommen, das Noah wohl nicht mehr gehören mag.

Zur gleichen Zeit hält Medians Auto vor dem Waldhaus von Sandy an, wo die Scheinwerfer und anschließend der Motor ausgeschaltet werden.

Nachdem Median ausgestiegen ist und die Autotür geschlossen hat, eilt er mit schnellem Schritt zur Beifahrertür, um sie zu öffnen.

»Sie dürfen heraustreten«, erlaubt Median mit gespielter Hingabe der kleinen Lady, die sich wohl gekonnt, auch noch von ihrem Chauffeur heraushelfen lässt.

»Vielen Dank, sehr netter Herr«, lispelt plötzlich eine 5-Jährige, die mit Down-Syndrom gebrandmarkt ist. Und obwohl in Medians Augen, die Frucht der Krankheit sichtlich zu erkennen ist, behandelt er die kleine Evie wie eine Prinzessin. Er verschließt die Autotüren und nimmt ihre Hand.

An der Seite ihres Vorbilds fühlt sie sich geborgen und vornehm behandelt, trotz ihrer Beeinträchtigung.

»Dann schauen wir mal, ob deine Mutter bereits Zuhause ist«, fängt Median ein Gespräch mit ihr an, während er die Ersatzschlüssel aus der Hosentasche kramt. Evie jedoch schaut ohne Laut und mit leerem Blick zur Holztür, die sich langsam öffnet. Währenddessen ist das Knistern eines Kamins zu hören und Medians Rufe nach Sandy.

Die Tür wird geschlossen und Evie versucht mit eiligem Schritt die Treppen hinaufzulaufen. Kurz danach kommt Sandy mit einem Eimer in der Hand hervor.

»Mir ist eine Tasse gefallen, so dämlich kann auch nur ich sein. Habe es schnell wegwischen müssen.«

»Wie war die Geschäftsfeier?«, fragt Median sichtlich angespannt hinter Sandy herlaufend.

»Sehr schön, mal was anderes«, antwortet Sandy distanziert, während sie den Eimer unter die Küchenspüle stellt.

»Ich verurteile dich keines Falls für deine Schroffe Art mir gegenüber«, verlassen Medians Gedanken ihn bezogen auf eine gemeinsame Vergangenheit, die ihn und Sandy wohl ein wenig auf Abstand hält.

»Aber versuche doch bitte wenigstens, mit deiner kleinen Evie zurecht zu kommen.«

»Ach, die Dumpfbacke. Stimmt, wo ist sie überhaupt?«, bemerkt Sandy plötzlich mit arroganter Miene.

»Sandy«, erlaubt sich Median darauf keinen weiteren Kommentar und weicht diesem ekelhaften Verhalten aus.

»Wenn du mich wieder mal brauchst, frag ruhig an. Meine Mutter Veronika hat sich auch gefreut, mal einen ganzen Tag mit Evie zu verbringen.«

»Tante Veronika hat sie auch nicht 24 Stunden um sich herum. Da würde ich mich auch freuen, sie nur einmal im Monat zu sehen.«

»Wie gesagt, melde dich. Wir können ja mal zu dritt was unternehmen oder so.«

»Mit Sicherheit nicht«, flüstert Sandy und schaut sich dabei ihre Fingernägel an. Im Anschluss spricht sie drei Vaterunser aus, nachdem Median schweigend das Haus verlassen hat und eilt zur Treppe, wie von einem innerlichen Zeitplan getrieben.

»Evie, bist du bettfertig? Ich will endlich meine Ruhe haben.«

Oben angekommen biegt sie nach links ab, zu einem schön dekoriertem Mädchenzimmer, aus dem Licht herausscheint. Dort blinzelt Evie mit ihren leicht schräg gerichteten Augen, eingemummelt, unter einer Einhorndecke heraus.

»Bin schon fertig Mami, kannst ausruhen«, spitzt Evie ihre Lippen für einen Gutenachtkuss, während Sandy lautstark ihre Stimme erhebt und die Decke wegreißt.

»Willst du mich veräppeln?«

Mit selber Kleidung wie zuvor, hält sich Evie ihre großen Augen zu und meint leise flüsternd.

»Sehe ich dich nicht, siehst du mich nicht.«

»Jetzt steh auf und zieh dir deinen Schlafanzug an, gibt’s doch alles nicht. Ausruhen, mit dir … denkbar unmöglich«, kommentiert Sandy, wonach Evie mit ihrem Schlafanzug aus dem Kinderzimmer watschelt und sich im Badezimmer gegenüber umzieht.

»Zähneputzen nicht vergessen. Sonst faulen deine Zähne und du läufst ohne herum.«

Zitternd am ganzen Körper, traut sich Sandy nicht in das Badezimmer zu schauen, weshalb sie sich zum großen Fenster im Flur bewegt. Dort ist das gesamte Waldgrundstück zu überblicken.

Auf einem Sessel Platz genommen, schaut sie sich den hell strahlenden Mond an, bevor Evie hinter ihr erscheint, versehen mit einem Schlafanzug. Schnell läuft sie vorbei und verschwindet im Kinderzimmer.

Die Decke schlägt sich um Evies Körper und Sandy nimmt weiterhin losgelöst die Ruhe der Stille wahr. Zu gerne würde sie sich in dem Wald verstecken, über den sie gerade hinwegsieht.

»Gute Nacht, Mami.«

Das Licht wird ausgeschaltet und Tränen ergattern sich die Freiheit über das Gesicht von Sandy, die träumend versucht, sich in eine andere Welt zu wiegen. Wenn dort nicht noch ein kleines Mädchen wäre, das ebenfalls in den Schlaf möchte. Von einem undenkbaren schlechten Gewissen geleitet, erhebt sich Sandy von ihrem Sessel und läuft zum Kinderzimmer.

»Mami, bist du das?«

»Gute Nacht«, kommt aus Sandys Herzen, verwirklicht mit einem Kuss auf die Stirn, um dann ein lächelndes Mädchen im dunklen Zimmer zu verlassen.

Nun kann sie, wie auch Sandy, die sich wieder auf dem Flursessel befindet, behutsam einschlafen.

Umhüllt von der Stille der Freiheit und umgeben von der Nacht des Mondscheins, soll beim zweiten Augenaufschlag der nächste Tag sein. Doch Sandys weiterer Augenaufschlag lässt sie ganz woanders sein.

Sie hängt über einer Spirale des Wahnsinns in der Luft. Angebracht an Armen und Beinen sind Schlaufenseile, die sie mitten in diesem Wirrwarr in der Höhe halten. Und unter der schreienden Sandy, dreht sich diese Spirale, die es so aussehen lässt, als würde es in einen schwarzen Abgrund führen.

Untermalt von lautstarken Gedanken, die keinen Sinn ergeben, versucht sie sich von diesen Seilen zu befreien.

»Hilfe, ich brauche Hilfe.«

Ihre Blicke wandern überall hin. Überall, wo diese Gedanken herkommen, aus denen sich Sandy aber keinen Reim machen kann. Keine Lösung für die Handschlaufen in Sicht und ebenso keine Lösung für die Frage, woher diese Gedanken kommen, die sich wie verrückt in ihrem Kopf abspielen. Sie scheint sich selbst verfangen zu haben. Irgendwo zwischen den richtigen und den falschen Gedanken.

»Verdammt, wo seid ihr denn, ihr drei Halunken? Ich flippe gleich aus!«, schreit Sandy bösartig und zugleich verzweifelt. Dabei schwingt sie hin und her. Nachdem auf einmal ein spitzer Stein das Seil am rechten Hosenbein durchkreuzt, wird ihr ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

»Na endlich, ich dachte schon, ich müsste hier ewig hängen bleiben.«

Gleich darauf werden mehrere Steine hinuntergeworfen, die Sandy komplett von dieser Gefangenschaft über dieser drehenden Spirale befreien. Somit fällt sie mit einem lauten Schrei nach unten. Aufgrund einer optischen Täuschung jedoch in kein Loch. Sie landet auf einer glatten Ebene und wird, wie von einem Trampolin, wieder in luftige Höhe gebracht.

Um weiter nach oben zu kommen, holt Sandy mit dem nächsten Sprung Kraft. Nach ein paar Malen, versehen mit gutem Willen, gelingt ihr auch die Flucht nach oben. Sie hält sich am Abhang fest und bekommt geholfen, wieder Mutter Erde unter den Füßen zu spüren.

Völlig neben sich stehend, wirft Sandy noch einmal einen Blick hinunter zur Spirale im Licht der Sonne.

»Wie hast du es denn geschafft, da herunterzukommen?«, fragt eine männliche Stimme wehleidig.

»Na, ich habe einen Weg nach draußen gesucht, Visage. Was denkt ihr zwei Gesichter denn? Wo ist denn Myrre?«, erkundigt sich Sandy, die daraufhin ihren Rettern in die Augen sieht. Dabei entfernt sie die Reste der Schlaufen an den Handgelenken, worunter sich am linken Gelenk ein Armband befindet.

»In der Goldstadt. Dich muss man ja wie immer suchen, finden und befreien«, antwortet die männliche Stimme erneut betrübt, ohne dass Visages weibliches Gesicht den Mund aufgemacht hat.

»Stell dich nicht so an. Gehen wir zur Goldstadt zurück«, antwortet Sandy übereifrig, um mit Visage diesem Abgrund den Rücken zuzukehren, wo ersichtlich wird, dass Visages Vorderkopf zwar mit einem weiblichen Gesicht bestückt ist, der Hinterkopf aber mit einem männlichen. Insofern ist seine Sicht immer nur nach hinten, während sich seine Augen dabei wie verrückt im Kreis drehen.

Auf ihrem Weg, der von Ästen und Steinen gepflastert ist, ragen nun von weit weg, goldene Türme hinter einem Hügel hervor.

»Habt ihr euch wenigstens in der Zwischenzeit was Neues überlegt?«, fragt Sandy skeptisch.

Lächelnd will Visages männliche Stimme einen Ton von sich geben, dessen Anliegen jedoch von der weiblichen unterdrückt wird.

»Myrre findet einen Überraschungseffekt ziemlich namhaft. Entweder stecken die uns wieder in den Kerker, oder wir können dieses Mal endlich die Stadt verlassen.«

»Irgendwann muss es ja auch mal klappen«, spricht Sandy hoch motiviert nur zu dem weiblichen Gesicht.

»Hier in diesem Lochgebiet führt ja auch kein Weg hinaus«, fügt Sandy jähzornig hinzu, bevor sie mit Visage auf die erstrahlte Goldstadt blickt. Sie leuchtet so hell, aufgrund der ganzen Goldtürme, Häuser und der Sonne, die sich darin widerspiegelt.

Bis auf einmal der Boden unter Sandys Füßen einbricht und sie auf ihrem Sessel im Flur aufwacht.

Verträumt 2

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