Читать книгу Verträumt 2 - S.T. Kranz - Страница 6
3 Verguckt
ОглавлениеBegleitet von den Strahlen der Morgensonne, die über dem Wald hervorscheinen, versucht Sandy mühsam ihre Gedanken zu sortieren. Mit Genickschmerzen, vom unbequemen Schlafen, steht sie auf und läuft Richtung Kinderzimmer. Ein Blick in das dunkle Zimmer reicht und schon scheint Sandy beruhigt zu sein, da ihre Tochter noch immer schön eingekuschelt in ihrem Reich der Einhörner schläft.
Daraufhin begibt sie sich ins Bad, damit sie den neuen Tag mit frischen Gedanken starten kann.
»Guten Morgen Samuela«, begrüßt Sandy Minuten später, frisch angezogen und überaus gut duftend, ihr dunkelhäutiges Kindermädchen an der Haustür.
»Ist die kleine Evie denn schon wach?«
»Die kleine Dumpfbacke ist gerade im Bad. Schau, dass sie sich gescheit die Zähne putzt und die Haare durchbürstet. Danach kannst du machen, was du willst.«
»Und Geld?«, fragt Samuela an und schnipst dabei mit ihren Fingern, bevor sie ihren Winterballast auf die Couch schmeißt.
»Sam, Sam«, ist währenddessen fröhlich vom oberen Stockwerk von Evie zu hören, wobei Sandys Gesicht plötzlich von Stress gezeichnet ist und sie sich wünscht, bereits schon verschwunden zu sein. Sie zeigt direkt zur Küche und verlässt im Anschluss mit eiligem Schritt ihr Zuhause. Daraufhin geht Samuela in die Küche, wo sie einen Zwanziger auf der Ablage findet. Evie stolziert zwischenzeitlich halb angezogen die Treppen hinunter.
»Sam, Sam«, freut sie sich noch immer und klammert sich an das Hosenbein von Samuela, die daraufhin nur noch Augen für das beeinträchtigte Mädchen hat.
»Nun hopp, kleine Evelyn. Wir machen dich jetzt fertig.«
»Ich habe wieder von dir geträumt, Sam.«
»Du sollst nicht immer von dunklen Menschen träumen. Träume doch lieber von einem Märchenprinzen, der dich aus deinem Schlaf wach küsst.«
»Ja, vielleicht«, kommt aus Evie träumerisch heraus, nachdem beide komplett von der Bildfläche des Wohnzimmerambientes verschwinden.
Von der einen Bildfläche verschwunden, taucht auf einer anderen Sandy auf. Und das nicht gerade mit einem netten Gesichtsausdruck. Sie nimmt im Stockwerk eines Bürokomplexes den Aufzug und wird anschließend von ihren fünf Angestellten, sitzend an eigenen Bürotischen, herzlich begrüßt.
Doch keines Falls lässt Sandy die Sonne aus ihrem Herzen. Im Gegenteil. Sofort stellt sie sich vor ihre Mannschaft und spricht ein Machtwort.
»Gestern war gestern, heute ist heute. Also los an die Arbeit und aktualisiert die Immobilienseiten.«
Die Kinnlade der fünf Immobilienberater fällt herunter. Da haben sie doch wirklich gedacht, sie hätten jetzt ein viel besseres Verhältnis zur Chefin, seit der Weihnachtsfeier am Tag zuvor.
»Falsch gedacht«, meint einer leise und widmet sich wieder stillschweigend und demotiviert seiner Arbeit, während Sandy ihre Tür am Ende des Raumes öffnet. Durch das direkte Schließen danach, kommt ein Gefühl der Erleichterung in ihr hervor. Blockiert wird dies allerdings, von einem Klopfen, nachdem sie genervt an ihrem Schreibtisch Platz genommen hat, der umgeben ist von vielen grünen Pflanzen.
»Wer stört?«
»Ich, Frau Hart.«
»Was wollen Sie, Herr Raven? Haben Sie nicht genug Arbeit?«, fragt Sandy halbherzig nach und fährt ihren Computer hoch. Raven begibt sich dabei auf Augenhöhe mit ihr und setzt sich auf den Stuhl gegenüber.
»Es sollte wirklich nicht so herüberkommen, als würde ich bei Ihnen sein wollen, um meine Position zu erhöhen«, beginnt Raven sofort schnelllebig zu reden, damit Sandy ihm nicht dazwischen funkt.
»Ich glaube, ich habe mich einfach nur …«
»Die Arbeit«, unterbricht sie auf einmal lautstark.
»Wir sind auf der Arbeit. Also los. Mich interessiert das Gestern nicht mehr.«
Noch ein Ton lauter und Sandy wäre für verrückt zu halten, so wie sie plötzlich mit Händen und Füßen Raven verbal ins Gesicht springt.
»Entweder Sie reden jetzt über die Arbeit, oder verschwinden aus meinem Büro!«
»Entschuldigung.«
»Nein, ich habe mich zu entschuldigen, Herr Raven. Mir wächst derzeit irgendwie alles über den Kopf.«
Nicht wissend, wie er sich nun verhalten soll, steht er auf, läuft zur Tür und zeigt sich dennoch wieder großmütig.
»Von mir aus, können wir ruhig mal was gemeinsam essen gehen – an einem neutralen Ort, vielleicht? Einfach mal reden, ohne irgendwelche Absichten.«
Grinsend schämt sich Sandy nun für ihr Verhalten ihm gegenüber und winkt ihn daher an den Tisch zurück. Sie entschuldigt sich erneut. Diesmal ganz offenherzig, wegen ihres Ausrasters am Vorabend. Manchmal reagiert sie eben ziemlich eifrig und unüberlegt.
»Wohl wahr, dass es gestern ein wenig übertrieben rüberkam, aber ich meine es ernst, Frau Hart. Sie sind zwar launig und bissig, doch irgendwie ist das mein Ding. Ich brauche solch Umgangsweisen.«
Berührt von den ehrlichen Worten ihrer Stellvertretung und von dem Halten ihrer Hand, gibt Sandy sich einen seligen Ruck.
»Na gut, gehen wir heute Abend etwas essen.«
»Das freut mich, wirklich. Ich organisiere uns etwas Feines. Heute Abend um sieben Uhr?«, schwärmt Raven grinsend, worauf er Sandys Hand wieder loslässt und scheinbar vor Freude aus dem Büro seiner Chefin hüpft.
Da scheinen sich wohl welche ineinander verguckt zu haben. Denn auch Sandy kann ihr Glück kaum fassen und stürzt sich in die Arbeit, mit dem Gedanken, vielleicht doch nun wirklich geliebt zu werden, ohne dass sie als zweitrangig angesehen wird und ohne den Schatten ihrer Selbst zu sehen.
Zur selben Zeit, an einem anderen Ort.
Median sitzt, gesegnet mit einem reichhaltigen Frühstück, in einer rustikalen Altbauwohnung im Esszimmer. Fein herausgeputzt im Glanz seiner Alltagskleidung, ist die ausgeglichene Stille in der Wohnung zu spüren. Seinen bodenständigen Charakter zeichnet sich in seinen Möbelstücken wieder.
Nachdem sein Hunger gestillt ist, schleicht sich Noah ins Esszimmer herein und begrüßt Median mit einem treulosen Gesichtsausdruck.
Er nimmt gegenüber von ihm Platz und schenkt sich seinen Guten-Morgen-Kaffee ein.
»Wie hast du geschlafen?«
»Wie man halt so in einem fremden Bett schläft.«
»Willst du dich nicht endlich wieder mit deiner Tochter Sandy vertragen? Du hast doch, so gut wie, nur noch sie.«
»Meinst du, Median?«
»Noah, dein Sohn Luca konnte dir auch nicht helfen, das Haus zu behalten. Du darfst genauso böse auf ihn sein, wie auf Sandy.«
»Er hat auch allen guten Grund, diesem Haus kein Geld zu schenken. Es war schon eine Schande genug, ihn neben dem Haus aufwachsen zu lassen, in dem er tagelang festgehalten wurde.«
»Die Einsicht kommt aber ziemlich spät«, setzt Median einen drauf.
»Ziemlich spät.«
Kopf schüttelnd sortiert Noah in dieser beklemmenden Situation seine Gedanken, während die warme Heizungsluft die Gesichter erröten lässt.
»Ich konnte dieses Haus nicht verlassen. Doch mir blieb nichts anderes übrig, als es an die Bank zu verkaufen.«
Plötzlich muss Median lautstark anfangen zu lachen.
»Es tut mir leid, entschuldige. Aber du weißt schon, dass Sandy viele Züge von dir hat. Du könntest genauso gut auf dich selbst sauer sein, zumindest hast du sie so erzogen.«
»Sie hat das Geld. Sie ist in der Lage, mir zu helfen, das Haus irgendwie in der Familie zu halten. Und sie wollte nicht. Deshalb kann und werde ich dieses Verhalten nicht entschuldigen und ich glaube wohl nicht, dass ich sie als Egoistin großgezogen habe. Deine Mutter Veronika hat dich auch so gut es geht bei deinem Neuanfang hier in der Stadt unterstützt, nachdem du die Hosen voll und deinen Zwillingsbruder Fabian mit eurem Hotel alleine gelassen hattest. Oder denkst du da anders?«, haucht Noah mit aufgeplusterten Wangen.
»Du willst jetzt nicht wirklich wissen, was ich denke, Noah«, antwortet Median mit gereizten Sinnen, um dann schwer atmend das Esszimmer zu verlassen.
»Nein, ich kann das nicht verstehen. Ich kann und werde nicht verstehen, wie man Familie im Stich lassen kann«, murmelt Noah vor sich hin und schaukelt gleichzeitig sein schwarzes Gesöff in der Tasse hin und her.
Kurz darauf klingelt Medians Handy, worauf er die Esszimmertür schließt und freudig den Anruf entgegennimmt.
»Guten Morgen, Sandy. Wenn man vom Teufel spricht«, begrüßt er aufgelockert und völlig mit einem Strahlen versehen.
»Morgen Median. Ich habe eine sehr große Bitte an dich.«
»Na los, schleudere deine Bitte raus.«
»Ich weiß, es dürfte unverschämt klingen, weil ich dich gestern auch so doof angemacht habe.«
»Wieso auch?«
»Dafür entschuldige ich mich nun als allererstes, aber könntest du heute Abend auf Evie aufpassen? Mein Kindermädchen kann nicht.«
»Hast du noch ein anderes?«, fragt Median mit gemischten Gefühlen nach, um nicht sofort eine Antwort verlauten zu lassen.
»Nein, aber könntest du?«, bittet Sandy lieblich, damit sie nach kurzer Stille unbedingt ein Ja erhält.
»Klar, ich freue mich doch eigentlich immer, mit Evie was zu unternehmen.«
»Das ist schön. Danke dir, Median«, äußert sich Sandy begeistert, um daraufhin mit einem Luftkuss aufzulegen.
»Ja, gerne«, antwortet Median bedrückt, worauf er mit leerem Blick das Handy wieder in die Hosentasche steckt und mit langsamen Schritten seine Altbauwohnung verlässt.