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3 Verblutet

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»Und der Chinese war näher als der Supermarkt?«, belustigt sich Luca grinsend, während er zur späten Abendstunde mit seiner Oma Hilde am Tisch verweilt und leere Plastikteller vor sich liegen hat.

»Zumindest bin ich zuallererst an ihm vorbeigelaufen. Den Supermarkt habe ich erst gar nicht erreichen können.«

Von einer Hülle der Sorglosigkeit umgeben, bedient Luca seine Anlage mit seinem Smartphone, um daraufhin von stilsicherer Musik umgeben zu werden.

Kurz gefangen im Ambiente seiner modernen Wohnung, lässt auch Hilde sich für einen Moment fallen, bis sie von ihrer Erinnerung eingeholt wird und fragend ihren Satz offenbart.

»Sag Luca, hast du immer noch Angst vor diesen Drachen, die du früher als Kind so gefürchtet hast?«

»So ein Quatsch. Jeder weiß doch, dass Drachen nur Fabelwesen sind. Woher soll ich denn diese Angst besitzen?«

»Als Kind hattest du sie, weißt du das nicht mehr? Da waren sie für dich keine Fabelwesen.«

Schulterzuckend verkneift sich Luca die Erinnerung an seine Kindheit, um dann irgendwo in seinem großzügigen Raum ein Schlupfloch zu suchen, worin er sich siegessicher vor dieser Wahrheit verstecken kann.

»Ich habe deine Zeichnungen im Schlafzimmer gesehen, Luca.«

Ein gespieltes Lächeln erweist Luca als unangenehm, weshalb er sich nochmal einen Schluck Cola in sein Glas einschenkt.

»Und ich denke, dass du gerne deine Kreativität zu deinem Beruf machen möchtest.«

»Und was willst du mir damit sagen?«

»Ich will dir nur damit sagen, dass ich jemanden kenne, dem du dein Portfolio gerne mal vorbeibringen kannst.«

Kurz nachgedacht und plötzlich realisiert, welche Gelegenheit sich ihm hiermit offenbart, zeigt Luca plötzlich eine Art der Warmherzigkeit, weshalb er händereibend sein Gehirn in Gang bringt.

»Noah will mir alles nehmen, was ich habe. Er will, dass ich mein Leben selbst finanziere. Er will, dass ich nicht an dem Glauben festhalte mit meinen Bildern irgendwann Geld zu verdienen. Klar, er unterstützt mich schon seit ich lebe, aber ich könnte heulen, wenn ich nur daran denke, dass mein Traum nur ein Traum bleibt. Ich meine, meine Zeichnungen sind gut. Ich kann etwas ausdrücken. Ich kann etwas Starkes zeigen. Etwas, dass Gefühle verbirgt. Ich kann das Leben in Bildern hervorheben. Ich weiß, es fehlt noch eine massive Veränderung in diesen Bleistiftzeichnungen, aber der Grundgedanke, der ist doch da.«

Seine Ernsthaftigkeit in der Stimme überzeugt Hilde, ihrem Enkel noch mehr Hoffnung zu schenken. Deshalb zieht sie seine Hände zu sich und erwähnt, dass sie einen Galeristen kennt, der seine Bilder aufnehmen wird, sie präsentiert und verkauft.

»Denn Luca, auch ich sehe in deinem Traum, dass Wahres, Wahrhaftiges darin steckt. Ich helfe dir. Ich werde dich nicht alleine in dieser surrealen Welt voller Einsamkeit lassen. Ich werde dir zur Seite stehen.«

Lächelnd nickt Luca seiner Oma zu, um dann gedankenlos und völlig erschöpft in Richtung Wendeltreppe zu laufen.

»Ich gehe pennen.«

Doch Hilde ruft ihn wieder zurück in die Realität und gibt ihm herzlich zu verstehen, dass sein Platz die nächsten Tage im unteren Stockwerk ist.

»Ich habe im Voraus bezahlt, weshalb mir das obere Stockwerk gehört.«

Zufriedengestellt überlässt der junge Mann in dieser verwirrten Situation seiner Großmutter das Schlafgemach, um sich dann übermüdet auf die Couch fallenzulassen.

Gedanken durchfluten Hildes Körper. Eine angenehme Wärme ergreift sie sichtlich, beim Anblick ihres Enkelkindes, der so friedlich, so schutzlos nun vor ihr liegt. Sie begibt sich in das obere Stockwerk und betrachtet sich erneut Lucas Zeichnungen an den Wänden. Diese scheinen völlig unberührt zu sein, so als ob sich seine Seele in der vorhandenen Tiefe jeder Rille widerspiegelt.

Jeder Schmerz wird durch jede Kurve offenbart, die gezeichnet ist.

Tränen schleichen sich aus Hildes Innerem in die Freiheit, bis sie sich weinend auf die Bettkante platziert und aus dem Fenster sieht. Träumend auf dem Mond entlang spazierend, versucht die alte Dame Kontakt mit vergangenen Seelen herbeizurufen. Doch sie findet plötzlich nur einen Sorgenfresser, der zwischen den Heizungsrohren versteckt wurde.

Von Glücksgefühlen begleitet, begibt sich Hilde zu diesem Stofftier, um es aus dieser Zwickmühle zu befreien. Sie öffnet den Reißverschluss, der den Mund des Sorgenfressers darstellen soll und wohl großen Kummer in sich aufgenommen hat. Die Trauer der vergangenen Tage überkommt Hilde plötzlich, weshalb sie sich jammernd in die Bettrille schleicht, um ihren Tränen im Netz der Baumwolle versickern zu lassen, sodass niemand anderes, den Schmerz zu hören bekommt, den sie gerade so frei von sich lässt.

Zur gleichen Zeit läuft in Lucas Traum Blut die Wände hinunter. Dieses sammelt sich in einer Auffangschale, deren Verschluss offen ist. Von hier rauscht die lebenswichtige Flüssigkeit durch mehrere Rohre in einen Brunnen, der aussieht wie eine Fledermaus. Dort schießt das Blut wie eine Fontäne aus dem Maul der Statue heraus.

An den Decken sind Kerzenleuchter zu erblicken, die sich glänzend im Boden widerspiegeln. Spielsüchtige versuchen ihr Glück beim Roulette, Karten und an Spielautomaten. Dabei sind ihre Gesichter mit den verschiedensten Tierköpfen verdeckt, damit niemand erkennt, welche Person darunter ihr ganzes Geld verspielt.

Dieses Spielcasino der Extraklasse aus tierischem Fell betritt plötzlich Luca, erstaunt und völlig mitgerissen von der verbluteten Atmosphäre, die kein Tierschutz sehen dürfte.

Und von dieser einzigartigen Welt angezogen, läuft er erst einmal herum, um sich die spielfreudigen Gamer anzuschauen, die ihn jedoch keines Blickes würdigen.

Hierbei entdeckt er einen dicken Mann mit einem Drachenkopf auf den Schultern, der überaus laut zu animieren versucht.

»Jetzt auf alles setzen, um den Drachen des Himmels zu besitzen. Keine Scheu meine Freunde, wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«

»Ist ja abgefahren«, meint Luca selbstbewusst und geht mit der Menschenmenge mit, die zur hintersten Ecke läuft, damit sie bei dem groß angekündigten Spiel mitwirken können.

»Jetzt noch schnell tippen und eventuell gewinnen.« Nachdenklich greift sich Luca in seine Taschen, wo er bemerkt, dass er nur sein Handy dabei hat, weshalb er einen Nachbarn, dessen Kopf einem Schwan gleicht, fragt, wo denn hier die nächste Bank ist.

»Was willst du denn mit einer Sitzbank anfangen, wenn man hier den Drachen des Himmels gewinnen kann?«

»Geld abheben vielleicht, du Schwachkopf.«

»Hey, Kleiner. Komm näher. Lasst ihn durch, ihr Spielratten.«

Verwundert von seiner Persönlichkeit schieben die Tierköpfe Luca zum Absperrseil vor, wo er vor dem Drachenkopf zu einem Becken voller Blut blicken darf, das in den verschiedensten Farben erleuchtet wird.

»Hier zahlt man nicht mit Geld wie auf Menschenerde. Strecke deinen Finger zu mir, na los, keine Scheu.«

Auf einmal holt der Drachenkopf eine sehr lange Nadel hinter seinem Sessel hervor und sticht ihm mit der Spitze in den Mittelfinger. Ein paar Bluttropfen fallen in das Becken.

»Verdammter Mist, ging das schnell«, ergreift Luca mit seiner Hand die Flucht und schaut zu, wie der Drachenkopf die Nadel wieder verschwinden lässt.

»Nun, eine Farbe deines Piranhas.«

»Grün?«

»Grün, die Farbe der Hoffnung. Aber na klar, was denn sonst.«

»Will der mich runtermachen?«, fragt sich Luca kurzzeitig, bis der Drachenkopf das Startsignal gibt und die Meute um das Piranhabecken anfängt lautstark zu jubeln.

Durch das ganze Casino eilen die farbenfrohen Fleischfresser die Rohre entlang, begleitet von aufregender Musik, die einem den Puls beim Zuschauen höher schlagen lässt.

Bis der erste Piranha aus dem Mund der Fledermausstatue heraus geschossen kommt.

»Zweite Runde«, brüllt der Besitzer, wobei Luca plötzlich umherrennt, um zu sehen, wo denn sein Piranha überhaupt verschollen ist.

Aufgeregt von dem Spiel des Glücks fühlen sich die anderen Spieler nicht gestört. Nur Luca sucht noch immer vergebens in dem Gebrüll der Freude nach seinem grünen Piranha.

»Ich will den Drachen, wo ist der doofe Fisch?«

»Vorbei, vorbei. Schwarz hat gewonnen.«

»Gibt es doch nicht, dass der doofe Piranha nicht mehr auffindbar ist«, meckert Luca auf dem Weg zum Spielstart.

»Dein Piranha ist nicht weit gekommen, sehe ich gerade.«

»Na wenigstens haben Sie ihn entdeckt.«

»Er ist leider vor Schreck beim Start gestorben.«

»Nicht Ihr Ernst. Ich wollte den Drachen.«

»Passiert, beim nächsten Mal hast du vielleicht mehr Glück. Aber als Trost dafür, dass du nicht gerade große Chancen hattest, darfst du dir als Entschädigung am Ausgang deinen Trostpreis abholen.«

»Ein Kuscheltier oder was?«, fragt er sich genervt und verabschiedet sich mit großer Enttäuschung.

Verträumt 3

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