Читать книгу Wild Rescuers - Stacy Plays - Страница 6
ОглавлениеStacy lag auf dem Rücken und starrte dem riesigen weißen Wolf, der sich über sie beugte, direkt ins Gesicht. Sein Blick bohrte sich in ihre Augen. Plötzlich schnappten seine scharfen Zähne nach dem Ärmel ihrer Jeansjacke, nur knapp verfehlten sie ihren Arm, und nagelten sie am Boden fest.
Wie gerate ich nur immer wieder in so verflixt schwierige Situationen?, dachte sie.
Was die Sache noch komplizierter machte, war, dass ihr Kopf und ihre Schultern über eine Klippe hinausragten. Rechts neben ihr rauschte ein schmaler Bach über die Felswand und stürzte als Wasserfall zehn Meter tief in den weiß schäumenden Fluss.
Aber Stacys Gedanken drehten sich nicht um den Wolf oder die steile Klippe und das Wasser dort unten. Sie dachte nur an das Kaninchen.
Etwas außerhalb ihrer Reichweite, ein Stück die Felswand hinab, saß auf einem dicken Ast, der aus dem rauschenden Wasserfall ragte, ein zitterndes Kaninchenbaby. Eine winzig kleine Bewegung und das Tier würde von seinem gefährlichen Sitzplatz aus in die Tiefe und in den sicheren Tod stürzen.
Ich war schon in schlimmeren Situationen … glaube ich, dachte Stacy. Ich schaffe das.
Sie legte den Kopf in den Nacken, um das Kaninchen besser sehen zu können. Sein Fell war weiß mit schwarzen Flecken, und seine kleinen Ohren hingen ihm über die Augen – entweder, weil es die Gefahr, in der es schwebte, nicht sehen wollte, oder, weil die Gischt des Wasserfalls die Ohren an sein Gesicht presste. Stacy machte einen Versuch, es zu greifen, und schwang den rechten Arm nach unten. Aber das kleine Tier war immer noch zu weit von ihren Fingerspitzen entfernt.
Der wütende Wolf hatte den Biss in ihren Jackenärmel nicht gelockert.
„Schon gut, Everest“, sagte Stacy ruhig.
Das große Tier antwortete mit einem tiefen Knurren.
„Wenn du nur ein kleines bisschen locker lässt, dann kann ich mich weiter runterbeugen und es holen … wahrscheinlich jedenfalls.“
Wieder knurrte der Wolf warnend.
„Lass mich los, Everest“, sagte Stacy, diesmal etwas bestimmter. Meistens hörte er nicht auf Befehle – obwohl Stacy wusste, dass er sie verstand –, aber sie musste es trotzdem versuchen. „Ich schaffe das“, behauptete sie.
Der Wolf schüttelte den Kopf. Flehend sah er sie an. Stacy wusste, was er sagen würde, wenn er sprechen könnte: „Es ist meine Pflicht, auf dich aufzupassen.“
Und meine Pflicht ist es, das Kaninchen zu retten, dachte Stacy. Und genau das werde ich auch tun.
Der Gedankenaustausch zwischen ihr und Everest dauerte nur ein paar Sekunden, aber die Zeit reichte Stacy, um einen Rettungsplan zu schmieden. Alles würde von ihrer absoluten Genauigkeit und dem richtigen Zeitpunkt abhängen.
Ihr Plan war fertig.
„Gut“, sagte sie, als der Wolf zurückwich.
„Du kannst die Jacke behalten, Everest“, fügte sie grinsend hinzu. „Ich will nicht, dass sie nass wird.“
Die silbergrauen Augen des Wolfs blitzten auf, als er begriff, was Stacy tun würde. Aber es war zu spät.
Mit einer einzigen fließenden Bewegung schlüpfte Stacy aus ihrer Jacke, rollte in den Bach und drehte sich in dem Moment um, als sie über die Felskante in den Wasserfall rutschte. Im Sturz streckte sie die Hände nach dem dicken Ast aus, auf dem das Kaninchen hockte, und bekam ihn zu fassen. Mit einer Hand umklammerte sie den Ast, mit der anderen griff sie nach dem kleinen Tier und drückte es schützend an ihre Brust. Ihre Füße fanden auf den nassen Steinen hinter dem Wasserfall glitschigen Halt. Wasser prasselte auf ihren Rücken und spritzte in alle Richtungen, während sie darum kämpfte, nicht abzurutschen. Verzweifelt sah sie sich nach einem Weg zurück auf die Klippe um. Aber schnell wurde ihr klar, dass es nur einen Weg gab – und zwar nach unten.
Stacy stopfte das Kaninchen in ihr abgetragenes blau-weiß gestreiftes T-Shirt, das ein schlampiger Camper im Wald, in dem Stacy lebte, hatte liegen lassen.
„Noah!“, schrie sie. „Bist du bereit?“
Sie wartete auf ein Bellen oder Heulen von unten, aber nur das ohrenbetäubende Rauschen des Wasserfalls war zu hören. Unter ihren Füßen wurde es immer rutschiger, und ihre Finger glitten immer wieder von dem schleimigen Ast ab.
„Ich hoffe, Kaninchen wissen, wie man die Luft anhält“, flüsterte sie dem kleinen Tier zu.
Stacy atmete tief ein, schloss die Augen und sprang.
Sie überkreuzte die Arme vor der Brust und drückte das Tier schützend an sich, als sie in den schäumenden Fluss eintauchten.
Unter Wasser öffnete Stacy die Augen. Doch der Fluss war so stark aufgewühlt, dass sie nicht erkennen konnte, wo oben und wo unten war. Sie ließ etwas Luft aus ihrem Mund entweichen und beobachtete, wie die Blasen nach links strömten. Ah, da entlang. Aber obwohl sie, so kräftig sie konnte, mit den Füßen paddelte, kam sie aus der kreiselnden Strömung nicht heraus, die der Wasserfall an der Stelle erzeugte, wo er sich in den Fluss ergoss. Wenn sie nur ein paar Meter neben den Wasserfall hätte springen können, statt mit ihm kerzengerade nach unten zu stürzen.
Entspanne dich, versuchte sie, sich selbst zu beruhigen. Noah ist unterwegs. Keine Panik. Wenn du panisch wirst, ertrinkst du.
Stacy presste ihre Lippen auf die Schnauze des kleinen Kaninchens und blies das letzte bisschen Luft, das sie noch hatte, in seine Lungen, damit es am Leben blieb. Dann folgte sie ihrem eigenen Rat: Sie entspannte sich, sank tiefer ins Wasser und gelangte in den Bereich unterhalb der Strömung. Kraftlos im dunklen blau-grünen Wasser treibend, begann sie im Kopf zu zählen.
Eins … zwei … drei … vier …
Noch nicht bei fünf angekommen, spürte sie, wie sich ein großer Kiefer um ihre Schulter schloss. Der Griff des Wolfs war fest – fest genug, um sie an die Wasseroberfläche zu ziehen und dann noch ein Stück flussabwärts, wo das Wasser ruhiger war.
Mit dem Kopf endlich wieder über der Oberfläche, atmete Stacy gierig die kühle Frühlingsluft ein. Der Sauerstoff brannte in ihrer Lunge. Dann sah sie nach dem Kaninchen. Es war benommen und zitterte, aber es lebte.
„Das war ganz schön knapp, Noah“, sagte Stacy neckend zu dem großen weißen Wolf, der neben ihr schwamm.
Sie setzte das tropfende Tierchen auf Noahs Kopf. Das Kaninchen blinzelte das Wasser aus seinen Augen und starrte dann mit panischem Blick auf die weiße Wolfsschnauze. „Nein, du hast das alles nicht überstanden, um dann als Abendessen eines Wolfs zu enden“, flüsterte Stacy dem zitternden Tier zu und hoffte, dass es sie verstand. „Du bist jetzt in Sicherheit.“
Sie schwammen zum Ufer und kletterten aus dem Wasser. Das Haarband aus geflochtener Ranke, mit dem Stacy normalerweise ihre langen braunen Locken zu einem Seitenzopf band, war im Wasserfall verloren gegangen. Ihre Haare waren wild verknotet. Mit den Fingern kämmte sie die Strähnen durch, dann wrang sie ihr T-Shirt aus und krempelte die nasse Jeans hoch.
Noah senkte den Kopf neben einen niedrigen Felsen, und das Kaninchen sprang herunter, offensichtlich erleichtert, aber immer noch etwas wacklig auf den Beinen. Stacy nahm es auf den Arm.
„Alles ist wieder gut, Kleines“, sagte sie beruhigend und knuddelte das Tierchen. Um sicherzugehen, dass es unverletzt war, untersuchte sie es von allen Seiten. „Jetzt kannst du deinen Freunden eine tolle Geschichte erzählen.“ Das Kaninchen starrte sie nur an. „Sprich mir nach: Ich springe nie wieder einen Wasserfall hinunter.“
Noah schüttelte sich am ganzen Körper. Wassertropfen flogen in alle Richtungen. Im Sonnenlicht funkelten sie wie winzige Diamanten. Stacy lachte und strich mit den Fingern durch sein feuchtes Fell. Dann zauste sie ihn zwischen den Ohren und blickte in seine strahlend blauen Augen.
„Du tauchst immer besser“, lobte sie. „Wir waren ganz schön tief unten. Du bist gerade noch rechtzeitig gekommen.“
Noah reckte stolz die Brust.
Ein kurzes Bellen – das Stacy sehr gut kannte – ertönte zwischen den Bäumen hinter ihnen.
„Das ist Everest“, erklärte Stacy dem kleinen Fellknäuel auf ihrem Arm. „Der ist ziemlich sauer auf mich.“
Der weiße Wolf mit den silbrigen und grauen Flecken im Fell war so eindrucksvoll wie der Berg, nach dem er benannt war. Gerade erreichte er den Fuß des Hangs – aber nicht allein. Mindestens ein Dutzend Kaninchen hoppelte um ihn herum. Sie flitzten so wild durcheinander, dass Stacy gar nicht erst versuchte, sie einzeln zu zählen. Everest trug Stacys Jacke im Maul. Er gab sich Mühe, streng zu gucken, aber das war inmitten des Haufens der niedlichen Tiere, die um seine Beine wuselten, einfach unmöglich.
Stacy brach in Lachen aus. Sie kraulte das gerettete Kaninchen ein letztes Mal hinter dem Ohr und setzte es dann auf dem Waldboden ab. „Los, ab mit dir“, sagte sie.
Das kleine Tier hoppelte zu den anderen und drückte seine Nase an die eines großen weißen Kaninchens – vermutlich seine Mutter oder sein Vater –, dann flitzten alle in das Birkenwäldchen, um möglichst viel Abstand zwischen sich und die Wölfe zu bringen.
„Gern geschehen!“, rief Stacy ihnen nach. „Haltet euch von der Klippe fern!“
Sie wandte sich zu Noah und Everest um, aber beachtete Everests Blick nicht. „Das wäre also erledigt“, sagte sie, nahm dem Wolf die Jacke aus dem Maul und legte sie um ihre Schultern. Erst jetzt bemerkte sie, wie kalt das Wasser gewesen war. Dann raffte sie ihre feuchten Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen, eine Haarsträhne ließ sie übrig und wickelte diese um den Zopf, damit er sich nicht wieder löste. Nach all den Jahren, die Stacy nun schon in der freien Natur lebte, hatte ihre Haut einen olivfarbenen Ton angenommen, sodass sie keinen Sonnenbrand mehr bekam. Die Sonne hatte ihr allerdings ein paar Sommersprossen auf Wangen und Nase gezeichnet, direkt unter ihre grünen Augen.
„Ach, das Kaninchen war so niedlich“, schwärmte sie, während die Wölfe einen Schluck aus dem Fluss tranken. „Ehrlich gesagt hätte ich es gern als Haustier mit in die Höhle genommen.“
Everest hob den Kopf und warf ihr einen missbilligenden Blick zu.
„Ich weiß, ich weiß“, sagte Stacy lächelnd. „Und du hättest gern Kanincheneintopf zum Abendessen gehabt. Aber du weißt ja, wir essen niemanden, den wir gerettet haben – niemals.“
Der große Wolf schüttelte den Kopf. Stacy wusste, dass er immer noch ein bisschen verärgert war. Nicht wegen des Kanincheneintopfs, sondern wegen Stacys waghalsigem Sprung von der Klippe. Sie blickte in seine eisgrauen Augen. „Ich weiß, du findest, ich bin ein zu großes Risiko eingegangen“, sagte sie und kniete sich neben Everest. Sie nahm mehrere Feldflaschen aus dem Lederbeutel, den sie bei sich trug, und begann, diese mit Wasser zu füllen. Das war der eigentliche Grund gewesen, warum sie zum Fluss gegangen waren. „Du weißt, dass ich das Kaninchen nicht allein lassen konnte, nachdem wir es entdeckt hatten. Ich wusste, dass Noah mir helfen würde. Sonst wäre ich nicht gesprungen.“
Stacy konnte spüren, dass sie Everests Meinung nach für manche Tierrettungen zu weit ging, aber sie tat nur das, was sie tun musste.
Wie soll ich dir erklären, dass das der Grund ist, warum ich hier bin? Ich muss diese Tiere retten, so wie du und die anderen Wölfe mich gerettet haben.
Das war ein Punkt, bei dem sie und der Wolf sich niemals einig werden würden. Aber sie sorgten füreinander und wollten, dass es dem anderen gut ging – das war, was wirklich zählte.
„Kommt, gehen wir nach Hause“, rief Stacy. „Wir haben einen ziemlich langen Weg vor uns.“
Angeführt von Everest bogen sie in einen Birkenwald ein. Die Wölfe hatten das Mädchen in die Mitte genommen, und Noah bildete die Nachhut. Er schüttelte sich immer noch Wasser aus den Ohren.
Stacy atmete tief durch die Nase ein, die frische Frühlingsluft füllte ihre Lunge. Der Wald erwacht wieder zum Leben, dachte sie. Er macht sich bereit für das Neue und … „Ha-Ha-tschiii!“ … leider erwacht damit auch meine Allergie.
Trotz ihres Heuschnupfens liebte sie diese Jahreszeit im Wald. Und obwohl ihre Muskeln vom Aufstieg auf den Berghang schmerzten, genoss sie den langen Heimweg mit den beiden Wölfen und den schnellen Wechsel zwischen Gehen und Joggen.
Das frische Grün der ersten Birkenblätter wurde gerade von den dunkelgrünen Nadeln der Kiefern des Taigawalds abgelöst, als Stacy plötzlich stehen blieb. Etwas lauerte in den dunklen Schatten zwischen den dichten Bäumen.
Zwei glühend gelbe Augen starrten sie an.