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Einführung
ОглавлениеIn einer markanten Passage der Kephalaia, einer Sammlung von Aussagen des religiösen Führers Mani aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., die irgendwann nach der Mitte jenes Jahrhunderts zusammengestellt wurde, behauptet Mani:
Vier große Königreiche gibt es in der Welt. Das erste ist das Königreich des Landes Babylon und das der Persis. Das zweite ist das Königreich der Römer. Das dritte ist das Königreich der Aksumiten. Das vierte ist das Königreich von Silis (China). Diese vier großen Königreiche befinden sich auf der Welt. Nicht gibt es etwas, was sie übertrifft.
Mani, Kephalaia 77, übers. Schmidt 1940, 188–189; vgl. Gardner 1995, 197
Mani beschreibt damit das Ergebnis eines revolutionären Wandels im politischen und kulturellen Leben Afro-Eurasiens. Im Jahr 1000 v. Chr. strukturierten zahlreiche regionale Staaten, sowohl kleine als auch große, das Leben der östlichen Hemisphäre. Bis 300 n. Chr. wurden sie jedoch weitgehend durch eine kleine Anzahl großer Reiche ersetzt, die kulturelle Traditionen bewahrten, welche auf kanonischen Texten beruhten; die jeweilige Kerngruppe autoritativer Werke bildete die Grundlage der Elitenbildung. Diese bemerkenswerte Transformation ist das Thema dieses Buches.
Die in diesem Buch dargestellte Geschichte beginnt kurz vor 1000 v. Chr. mit dem Zusammenbruch der regionalen Reiche, die den Nahen und Mittleren Osten und Ostasien während des 2. Jahrtausends v. Chr. beherrscht hatten, und mit dem Beginn einer Periode des intensiven Regionalismus, weit verbreiteter Bevölkerungsbewegungen und nahezu ständiger Kriege in ganz Afro-Eurasien. Fast gleichzeitig ermöglichte die Schaffung der ersten effektiven Reiterei der Welt durch die Nomaden der zentralasiatischen Steppe eine neue Form von Reich, nämlich Stammesbündnisse, die von charismatischen Führern geleitet wurden und riesige Territorien abdeckten. Die Interaktion zwischen den Imperien der Steppen und denen der gemäßigten Zonen war einer der Hauptantreiber der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Afro-Eurasien bis zur Entstehung der von Mani beschriebenen politischen Ordnung um 300 n. Chr. In diesem Prozess verschwand der Regionalismus, der das frühe 1. Jahrtausend v. Chr. charakterisiert hatte. An seiner statt herrschte vom Atlantik bis zum Pazifik eine Handvoll großer Reiche – Rom, das sasanidische Persien und das Jin-Reich in China – über mehr als die Hälfte der Bevölkerung Afro-Eurasiens.
Trotz ihrer individuellen Eigenheiten waren diese Reiche in ihren Grundstrukturen bemerkenswert ähnlich. Wirtschaftlich beruhten sie alle auf der Landwirtschaft, unterstützt durch umfangreiche Münzsysteme, Eisentechnologie und umfassende interne Verkehrssysteme: Straßen und Seewege im römischen Westen, Straßen in Persien und Straßen und Kanäle in China. Gesellschaftlich waren die Reiche deutlich komplexer als ihre Vorgänger im 2. Jahrtausend v. Chr. Sie waren gekennzeichnet durch eine zunehmende Urbanisierung, durch die Verbreitung neuer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rollen, einschließlich professioneller Schriftsteller und Künstler sowie Philosophen und Wissenschaftler, durch eine begrenzte Befreiung von traditionellen Geschlechterrollen für eine Handvoll Frauen aus der Oberschicht – etwa die chinesische Historikerin Ban Zhao – und durch eine wachsende Bedeutung verschiedener Formen abhängiger und unfreier Arbeit. Staatlich gesehen waren alle Imperien autokratische Monarchien, deren Herrscher behaupteten, durch göttliches Recht zu regieren. Tatsächlich aber ruhte ihre Autorität auf der Unterstützung stehender Armeen und umfangreicher Bürokratien, die von Beamten besetzt waren, deren Ausbildung auf den jeweiligen kanonischen Texten beruhte.
Diese Imperien waren nicht voneinander isoliert. In den ersten Jahrhunderten n. Chr. machten die zunehmenden Verbindungen zwischen diesen Reichen diese Periode zur ersten globalen Ära der Welt. Handelsbeziehungen sowohl auf dem Landweg – etwa die zentralasiatischen Seidenstraßen – als auch auf dem Seeweg durch das Südchinesische Meer und den Indischen Ozean verbanden die großen afro-eurasischen Reiche miteinander und mit kleineren Staaten im südöstlichen und südlichen Teil Asiens, im südlichen Arabien, im Nordosten und Osten Afrikas sowie in der Sahara und der Sahelzone, also dem Gürtel aus trockenem Grasland unmittelbar südlich der Sahara. Dies hatte erhebliche kulturelle Auswirkungen: Asiatische Lebensmittel wie Zimt, Huhn, Pfeffer und Reis wurden zu Grundnahrungsmitteln im Nahen Osten und im Mittelmeerraum, Bananen aus Indonesien begannen das Leben bis weit ins Innere Afrikas zu verändern und mediterrane Glas- und Keramikwaren sowie Wein waren zunehmend in ganz Nordostafrika, Südarabien und Süd- und Südostasien begehrt.
Auch die Religionen folgten den Handelsrouten. Der Buddhismus etwa verbreitete sich von seiner indischen Heimat aus nach Norden, durch Zentralasien bis nach China und nach Süden und Osten bis nach Sri Lanka und Südostasien und traf dabei auf westliche religiöse Traditionen – Christen, Gnostiker und Zoroastrier – und deren künstlerische Formen. Aus dieser Begegnung entstanden sowohl eine neue Religion, der Manichäismus, der im Mittelalter eine lange Zukunft haben sollte, als auch neue Kunstrichungen wie die Gandhara-Schule, die griechisch-römische Formen als Vorbild für die figürliche Darstellung Buddhas in ganz Zentral- und Ostasien verwendete.
Gemeinsame Feinde und gemeinsame Probleme führten auch zu gemeinsamen Lösungen in ganz Afro-Eurasien. So führte etwa die Bedrohung, welche die Nomaden der eurasischen Steppe für die neuen Reiche in der gesamten Periode darstellten, zu einer ähnlichen Politik: eine Diplomatie des »teile und herrsche«, die Verwendung von Barrieren, um die Bewegung der Nomaden zu kontrollieren, und wachsendes Vertrauen auf Elite-Reitereieinheiten, um Nomadenüberfälle abzuwehren. Um ihre unterschiedlichen Bevölkerungen angesichts der Bedrohung durch die Steppennomaden zu vereinen, übernahmen die beiden exponiertesten Reiche, Rom und Persien, gleichzeitig das Modell der offiziellen Kirchen, die auf staatlich anerkannten Schriftkanons oder religiösen Lehren beruhten. Der erste sich zeigende Beleg dafür ist der Zoroastrismus im Persien des 3. Jahrhunderts n. Chr., ein Jahrhundert später dann das Christentum im Römischen Reich und bei seinen armenischen und aksumitischen Nachbarn. Trotz der vielen Krisen in der Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. blieben jedoch die Verbindungen bestehen, die während der 1300 in diesem Buch behandelten Jahre hergestellt wurden, und bildeten die Grundlage des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in einem großen Teil von Afro-Eurasien für das nächste Jahrtausend.
Die in diesem Buch behandelten Regionen bilden das, was griechische und römische Geographen die Oikumene, die bewohnte Welt, nannten. Dieselben Gelehrten erwogen jedoch auch, dass es neben der von ihnen und ihren Nachbarn bewohnten Oikumene noch andere gab, und sie hatten natürlich Recht. Bis ins frühe 4. Jahrhundert n. Chr. gab es immer noch große Regionen der Welt, die von diesen Entwicklungen kaum erfasst wurden oder völlig unberührt waren. Die wichtigsten unter diesen Regionen waren Afrika südlich der Sahara, die Amerikas und Ozeanien. Obwohl das Ausmaß ihrer Trennung vom Kern Afro-Eurasiens variierte, hatten sie alle eines gemeinsam: Sie gingen unabhängige Wege zu einer komplexen Gesellschaft.
Am nächsten zum Kern von Afro-Eurasien lag das subsaharische Afrika, wo während des 1. Jahrtausends v. Chr. und des 1. Jahrtausends n. Chr. eisenverarbeitende, gemischt-landwirtschaftliche Gesellschaften immer häufiger wurden. Städte, die Zentren des Handels waren, erschienen auch im Binnendelta des Niger-Flusses in Afrika. Es überrascht nicht, dass die Trennung der Zivilisationen des des subsaharischen Afrikas von denen des übrigen Afro-Eurasiens gegen Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. mit der Ausweitung des Handels im Indischen Ozean auf die ostafrikanische Küste und der Öffnung der transsaharischen Handelsrouten in den ersten Jahrhunderten n. Chr. aufzubrechen begann. Die vollständige Integration von Afrika südlich der Sahara in die größere Welt von Afro-Eurasien sollte jedoch erst im späten 1. Jahrtausend n. Chr. und mit der Ausbreitung der neuen Zivilisation des Islam in die Sahelzone erfolgen.
Im Gegensatz dazu sollte die zivilisatorische Trennung der Amerikas von Afro-Eurasien mehr als ein weiteres Jahrtausend andauern. Trotz dieser Trennung verlief die Entwicklung in den Amerikas jedoch in vielerlei Hinsicht parallel zu der in Afro-Eurasien: Klimaverschlechterung und übermäßiger menschlicher Raubbau rotteten einen Großteil der Megafauna (Großtiere) der westlichen Hemisphäre nach dem Ende der Eiszeit vor etwas mehr als 10 000 Jahren aus, was die Ureinwohner der Amerikas dazu veranlasste, sich zunehmend auf andere Nahrungsquellen und schließlich auf die Landwirtschaft zu verlassen. Um 300 n. Chr. blühten sowohl in Nord- als auch in Südamerika bedeutende Königreiche auf, die sich durch weitreichende gesellschaftliche und religiöse Hierarchien auszeichneten; dazu gehörten die Olmeken und Maya in Meso-Amerika (von Mittelmexiko bis nach Mittelamerika) und die Moche an der Küste Perus. Komplexe Netzwerke von Handelsrouten verbanden diese Königreiche und brachten ihnen für religiöse und gesellschaftliche Rituale benötigte Luxusgüter wie Jade, Federn und Kakao und verbreiteten ihren Einfluss nach Norden in Richtung Südwesten und nach Osten in Richtung des Amazonasbeckens. Die daraus resultierenden kulturellen Traditionen sollten bis zu den spanischen Eroberungen des 16. Jahrhunderts andauern, welche die Trennung von Afro-Eurasien gewaltsam und katastrophal beendeten.
Die Trennung von den Zivilisationen Afro-Eurasiens sollte am längsten in Ozeanien im Südpazifik andauern. Siedler dieser Region waren die Vorfahren der heutigen Polynesier. Diese Völker zogen in die Inselwelt des Pazifischen Ozeans, wahrscheinlich aus einer Heimat irgendwo in Südostasien, und brachten eine auf Gartenbau beruhende Kultur mit, die man in der Archäologie als Lapita benennt, sowie eine bemerkenswerte Segeltechnologie, die auf einem Auslegerkanu beruht. In der Spätantike hatten sie Taiwan, die Philippinen und die anderen vorgelagerten Inseln Ostasiens besetzt und begonnen, in den Pazifik zu expandieren, wobei sie bis nach Samoa, Fidschi und Tonga vordrangen. Als europäische Seefahrer im 18. und 19. Jahrhundert n. Chr. vielfach auf sie stießen und begannen, ihre Kulturen zu stören, hatte ihre Expansion praktisch jede bewohnbare Insel und Inselgruppe im Pazifik erreicht, von Neuseeland im Süden bis zu den Osterinseln im Westen.
In einer Passage, die den Entdeckern und Kartographen im Europa der Renaissance wohlbekannt war, sagte der römische Philosoph und Dramatiker Seneca im 1. Jahrhundert n. Chr. voraus, dass eines Tages die ganze Welt bekannt werden würde:
Kommen werden in späteren Zeiten Jahrhunderte, / in welchen Oceanus die Fesseln der Elemente / lockern und ein ungeheures Land sich ausbreiten / und Tethys neue Erdkreise bloßlegen / und unter den Ländern nicht mehr Thule das Äußerste sein wird.
Seneca, Medea 375–379, übers. Thomann 1961, 267
Tethys war im griechischen Mythos die Tochter der Erde und die Schwester und Frau des Oceanus und die Mutter der Flüsse und der Meeresnymphen; Thule war das nördlichste Land, das den Griechen und Römern bekannt war, und ist vielleicht mit Skandinavien oder Island zu identifizieren. Erst mit den Reisen von Columbus und seinen Nachfolgern im 15. und 16. Jahrhundert n. Chr. sollte sich Senecas Prophezeiung erfüllen und die Globalisierung auf die gesamte Welt ausdehnen. Bis dahin blieben die Grenzen der bekannten Welt weitgehend so, wie sie im Jahr 300 n. Chr. waren, und es war für die Menschen in ganz Afro-Eurasien möglich, die Geographie des alexandrinischen Gelehrten Claudius Ptolemaios aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. zu konsultieren, sofern Kopien verfügbar waren, um eine maßgebliche Zusammenfassung des aktuellen Standes des geographischen Wissens zu erhalten.