Читать книгу Ehefrau. Mutter. Sexsüchtig. Erotischer SM-Roman - Starla Bryce - Страница 6
Оглавление4. Der ganz normale Alltag
Die Felder zogen an Monika vorbei, während sie in ihrem Fiat Panda in Richtung des Kindergartens Die Tobemäuse fuhr. Im Radio lief Einmal von Mark Forster. Monika wusste, dass sie bereits all die großen Momente im Leben, von denen sie als kleines Mädchen geträumt hatte, erlebt hatte. Sie waren vorbei und kamen nie zurück. Führerschein machen und das erste Auto kaufen. Der erste Job. Der Verlobungsantrag ihres Mannes, der so rumgedruckst hatte wie noch nie zuvor. Die Hochzeit, die für Monikas Geschmack viel zu pompös gewesen war. Anstatt des champagnerfarbenen Ballkleides wäre ihr ein schlichtes Spitzenkleid im 70er-Jahre-Hippie-Stil lieber gewesen. Und anstatt der Feier im gemieteten Saal eine Trauung am See – nur Clemens, sie und der freie Prediger. Doch Rückgrat war etwas, das Monika erst im Laufe der letzten Jahre entwickelt hatte. Entwickelte. Allmählich wagte sie es, ihrer Schwiegermutter die ehrliche Meinung zu sagen. Die Geburten ihrer beiden Kinder, die, nebenbei bemerkt, nicht so unkompliziert gewesen waren, wie Monika es sich immer vorgestellt hatte. Der Bau des eigenen Hauses, das Monika nie gewollt hatte. Aber für Clemens musste es immer mehr sein. Seitdem er vor einigen Jahren diesen Job als Wirtschaftsingenieur bei einem großen Automobilhersteller ergattert hatte, hatte sich die Veränderung nach und nach vollzogen.
Jeder Tag der letzten Monate, Jahre, hatte sich gleich angefühlt. Es war nicht schön, aber zumeist in Ordnung gewesen. Bis jetzt. Nun war Frank in ihr Leben getreten und hatte Monika aufgezeigt, was das Leben zu bieten hatte. Monika war sicher gewesen, dass sie niemals fremdgehen würde. Sie dachte an die klebrige Flüssigkeit, die sie eben nach Feierabend an der Fahrertür ihres Autos vorgefunden hatte. Das war sicher kein Vogel gewesen. Monika war beinahe sicher, dass Frank auf ihr Auto gespritzt haben musste. Sie hatte sich gerade noch davon abhalten können, die Flüssigkeit, die sie für Franks Sperma hielt, zu probieren. Der Gedanke hatte ein Prickeln zwischen ihren Schenkeln heraufbeschworen. Was war passiert? Wieso hatte sie sich von ihrem Auszubildenden, den sie heute zum ersten Mal gesehen hatte, ihr Höschen runterziehen und sich lecken lassen? Immerhin hatte sie danach die Courage gefunden, ihm klarzumachen, dass so etwas nie wieder vorkommen würde. Monika hatte mit ihrem Kollegen Martin abgeklärt, dass er Frank an den Nachmittagen, wenn Monika bereits Feierabend hatte, in seine Obhut nahm. Für Notfälle hatte sie Frank ihre private Handynummer gegeben. Wohl war ihr nicht dabei gewesen, doch war es sicherer, falls Frank sich beispielsweise krankmelden musste oder Fragen hatte. Monika versuchte ihre zitternden Finger zu ignorieren. Das heute war ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Keine Affäre, wie Clemens sie im vergangenen Frühjahr gehabt hatte. Sie hatte ihren Fehler noch rechtzeitig eingesehen. Um vierzehn Uhr einundzwanzig parkte Monika auf dem bereits überfüllten Parkplatz vor dem Kindergarten. Sie gehörte meist zu denen, die auf die letzte Sekunde kamen. Die ersten waren die Supermuttis, wie Monika sie in Gedanken nannte. Einige von ihnen arbeiteten nicht, weil sie sich, wie sie bei einem Gespräch angegeben hatten, in den ersten Jahren vollkommen auf ihre Kinder konzentrieren wollten. Monika war der leise Vorwurf in Stimme und Blick nicht entgangen. Ja, sie fühlte sich manchmal schlecht, weil sie bereits ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes wieder arbeiten gegangen war. Doch noch einmal hatte sie nicht in eine solche Depression rutschen wollen, wie nach der Geburt ihrer Tochter. Es war Monika sehr schwergefallen, ihren Job zu pausieren und plötzlich nur Hausfrau und Mutter zu sein. Zwar hätte sie nicht arbeiten gehen müssen, da ihr Mann genug verdiente, doch nur zu Hause zu sein war nichts für sie. Beim zweiten Kind hatte sie sich getraut, mehr an sich zu denken. Sie wollte sich ein Stück Unabhängigkeit bewahren. Soweit dies möglich war.
Monika wartete im Auto, bis der Großteil der Mütter im Kindergarten verschwunden war. Nach Sprüchen oder auch nur nach verachtenden Blicken der Supermuttis war ihr heute nicht zumute. Am liebsten hätte sie sich eine kuschelig-warme Decke geschnappt und sich darunter verkrochen. Doch die Show musste weitergehen. Als Mutter durfte sie ihren Gefühlen nicht mal eben freien Lauf lassen.
Um Punkt halb drei stieg Monika aus dem Auto und betrat den Kindergarten. Aus verschiedenen Räumen drangen Kinderstimmen. Vor Vergnügen kreischend. Lachend. Einige wütend oder schrill weinend. Monika bog um die Ecke, vorbei an der großen Holzmaus mit Sattel, auf der man wie auf einem Pferd reiten konnte, bis sie vor dem Raum der Mäusezähne angekommen war. Die Tür war geöffnet und einige Kinder begrüßten bereits ihre wartenden Mütter.
»Mama!« Constantin rannte aus dem Gruppenraum und fiel Monika, die bei seinem Anblick in die Hocke gegangen war, um den Hals. Er war ebenso rothaarig wie seine Mutter.
»Hallo mein Schatz, wie war dein Tag?« Monika drückte ihrem Vierjährigen einen Kuss auf die Wange. Noch freute er sich über körperliche Bezeugungen ihrer Mutterliebe. Monika war gespannt, wie lange es dauerte, bis er ihr eines Tages vorwarf: »Lass das! Was sollen denn meine Freunde denken?« Dass Kinder schnell älter wurden, sah sie an ihrer mittlerweile achtjährigen Tochter.
»Mein Tag war toll!«, sagte Constantin und lächelte Monika an. In solchen Momenten vergaß sie, dass er ein ziemlicher Dickkopf sein konnte. Typisch Widder!
»Was habt ihr Schönes gemacht?«
»Wir haben Heidelbeeren im Garten gepflückt. Jonas hat mir eine gemopst, aber ich habe ihn nicht gehauen!« Constantin schaute seine Mutter an, als erwartete er einen Begeisterungstaumel.
»Das ist gut, mein Schatz!« Constantins Drang, jedem, der ihm etwas wegnahm, zu hauen oder zu beißen, besserte sich allmählich.
Monika nahm Constantins Jacke vom Haken sowie den kleinen Rucksack mit Conni-Motiv. Ihren Sohn an der kleinen Patschehand gefasst, lief sie nach draußen.
»Tschüss, Maja!«, rief Constantin seiner Kindergartenfreundin zu, die bereits von ihrer Mutter im Kindersitz des Autos angeschnallt wurde. Monika winkte kurz, ehe sie den Fiat Panda aufschloss, um Constantin sowie Rucksack und Jacke im Auto zu verstauen. Die Fahrt nach Hause wurde von einem Conni-Hörspiel begleitet. Seitdem Monika ihrem Sohn vor geraumer Zeit eine Geschichte mit der blonden Kinderbuchfigur vorgelesen hatte, war Constantin absoluter Fan. Monika hätte lieber weiterhin Radio oder eine ihrer CDs von Michelle gehört, doch wie sonst auch gab sie den Wünschen ihres kleinen Sohnes den Vorzug. Heute war sie froh, dass Constantins Geplapper und die Erzählstimme, die aus den Lautsprechern drang, sie ablenkten und das Zittern ihrer Hände allmählich schwächer wurde.
Monika fuhr in einen Kreisel und nahm die erste Ausfahrt. Neider hätten diese Gegend als Bonzenecke betitelt. Und tatsächlich sagten die Häuser hier vor allem eines aus: Unsere Besitzer haben Geld! Viel Geld!
So auch das Haus, in dem Monika lebte. Es war weiß mit dunkelblau gedecktem Dach. Die Haustür wurde von zwei Säulen eingerahmt, die einen Balkon stützten. Der große Garten lag in Richtung der Straße, wurde jedoch von einer Thuja-Hecke und einem hohen Metallzaun mit geschwungenen Bögen eingerahmt, sodass es vorbeigehenden Leute schwer gemacht wurde, einen Blick auf die spielenden Kinder oder das Geschehen der sommerlichen Grillparty zu werfen. Die lange Einfahrt des Einfamilienhauses in der Elisenstraße, in deren Boden Lampen eingelassen waren, war noch leer. Natürlich war Clemens noch nicht zu Hause.
»Machst du heute Waffeln, Mama?«
»Waffeln?« Monika strich sich eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte, hinters Ohr.
»Jaaa! Du hast gesagt, dass du mal wieder Waffeln backst!«
Wann hatte sie das gesagt? Monika konnte sich nicht erinnern, doch wenn Constantin das sagte, musste es wohl stimmen. Er vergaß so etwas nicht.
Monika stieg aus dem Auto und antwortete ihrem Sohn mit »Heute nicht, Schatz.«
»Ich will aber Waffeln!«
Typisch: Da dachte man, die Trotzphase sei überstanden und dann kam der altbekannte Ton, der Monika schon so einige Nerven geraubt hatte.
»Es gibt heute keine Waffeln«, sagte Monika so ruhig wie möglich.
Constantin schüttelte den Kopf. »Ich will Waffeln essen!« Kein Zweifel: Der Wutanfall stand in den Startlöchern. Während Monika ihren Sohn abschnallte, strampelte dieser mit den Füßen und schrie in gleichbleibendem Rhythmus: »Waffeln! Waffeln! Waffeln!«
»Es gibt keine Waffeln, Constantin. Ich kann dir einen Obstsalat machen. Und heute Abend, wenn Papa da ist, gibt es Spätzlepfanne mit Erbsen und Champignons.«
»Nein!«
Ruhig atmen!, sagte sich Monika. »Wir können morgen Waffeln machen. Am Freitag. Bis dahin ist es nicht mehr lange.«
Einen Flunsch ziehend kletterte Constantin aus dem Kindersitz. »Aber dann machst du ganz, ganz viele Waffeln, ja?«
Monika nickte, nahm Jacke und Rucksack von der Rückbank und schloss die Haustür auf. Der Geruch des Aprikosenraumsprays, das alle paar Minuten automatisch seinen Duft aussprühte, zog ihr in die Nase. Das Haus war schön, keine Frage. Doch trotz der vielen persönlichen Fotos an der Wand strahlte es für Monika schon lange nicht mehr die Geborgenheit aus, die ein Haus für sie zum Zuhause machte.
Während Monika auf der großen Arbeitsplatte der bordeauxfarbenen Küche Champignons schnippelte und Wasser für die Spätzle aufsetzte, war Constantin die Treppe hochgegangen und zum Spielen in sein Zimmer verschwunden.
Monika pfiff die Melodie von Vielleicht irgendwann von Juliane Werding. Wann war sie zum unglücklichen Klischee-Hausmütterchen verkommen? Zwar arbeitete sie, doch es brachte ihr nur kurzzeitig Ablenkung von der Tatsache, dass Monika ihr Leben schon lange nicht mehr selbst bestimmen konnte. Wie eine Marionette hatte sie sich nach den Dingen zu richten, die jeden Tag anfielen. Jeden Tag derselbe Ablauf: Aufstehen, sich selbst waschen und anziehen, die Kinder für Schule und Kindergarten fertigmachen, an die Brote denken, die Monika oft bereits am Abend zuvor zubereitete, dann Constantin wegbringen, während ihre Tochter in der Nähe des Hauses vom Schulbus eingesammelt wurde, anschließend die Arbeit. Und dann ging es weiter, ohne Pause. Kochen, Hausaufgaben kontrollieren, mit Constantin spielen oder ihn zu Kindergartenfreunden bringen, den Haushalt machen. Am späten Nachmittag oder frühen Abend Clemens mit einem liebevollen Lächeln empfangen und zu versuchen, nicht ganz so fertig auszusehen. Lange hatte sie ihre Wünsche nach mehr Aufregung, mehr Lust unterdrücken können. Monika löste die Spange, um ihre Haare zu ordnen und erneut hochzustecken. Sie gab die Spätzle aus dem Kühlschrank ins kochende Wasser und verschwand kurz auf der Toilette des geräumigen Badezimmers mit dem glänzenden Marmorboden im Erdgeschoss. Ein sehnsüchtiger Blick traf die weiße Eckbadewanne, auf deren Rand ein Tablett mit Vanille-Duftkerze, Badezusätzen und künstlichen weißen Rosen stand.
Nachher, sagte sich Monika und versuchte, die Stiche in ihrem Kopf zu verdrängen. Während sie den Urin fließen ließ, dachte sie an Frank. Sie war nicht bereit, noch mehr ihrer Nerven an einen Typen wie ihn zu verlieren! Sie wollte die nächste Woche abwarten – und sollte ihr Frank noch mehr auf die Nerven und an die Unterwäsche wollen als heute, würde sie ihrem Chef klarmachen, dass er sich einen anderen Babysitter suchen konnte.
Um kurz vor vier Uhr wurde die Haustür aufgeschlossen und Monikas Tochter Mariella betrat die Küche.
»Hallo Mami!«, sagte Mariella mit heller Stimme, die in Kontrast zu ihrem völlig schwarzen Outfit stand. Prinzessinnen und Pferde hatten Mariella noch nie interessiert. Stattdessen stand sie total auf Batman und interessierte sich brennend für Fledermäuse.
»Hallo, Schätzchen! Wie war die Schule?« Monika drückte ihrer Tochter einen Kuss auf ihr blondes Haar, in dem sich ein Stich Rot wiederfand.
»Gut«, antwortete Mariella. »Wir haben heute in Sachkunde gelernt, wie viele Tage die Monate haben.«
»Toll!«, gab Monika zur Antwort und goss die dampfenden Spätzle durch das Sieb. Anschließend bereitete sie aus zwei Bananen, einer Mango, einem grünen Apfel, zwei Mandarinen und drei Zwetschgen einen Obstsalat zu. Monika dachte an Mariellas Klassenlehrerin, die es nicht mehr lange bis zum Ruhestand hatte und entsprechend wenig Mühe darauf verwendete, den Kindern ordentlich etwas beizubringen.
Der Nachmittagssnack, den sie im Essbereich des Wohnzimmers einnahmen, verlief wie immer: Constantin, in seinem Kinderstuhl sitzend, hatte viel Redebedarf, während Monika am liebsten die ganze Zeit aus dem Fenster in den Garten gesehen und geschwiegen hätte. Mariella mäkelte rum, dass sie viel lieber Erdbeeren haben wollte, und aß nicht ein Stück Zwetschge von ihrem Teller. Nach dem Essen räumte Monika das Geschirr in die Spülmaschine und setzte sich dann zu ihrer Tochter an den Esszimmertisch, um ihr bei den Hausaufgaben zu helfen. Constantin holte seine Eisenbahn aus dem Zimmer, um im Wohnzimmer damit zu spielen. Mehrmals forderte Monika ihn auf, etwas leiser »Tuut-tuut-tuut!« zu machen, damit sich Mariella besser auf die Aufgaben in ihrem Rechenheft konzentrieren konnte. Und mehrmals antwortete Constantin: »Es muss sich echt anhören! Hast du schon mal einen leisen Zug gehört? Ich nicht!«
Kurz nach sieben ertönte erneut das Geräusch eines sich umdrehenden Schlüssels. Sogleich sprang Constantin vom schwarzen Teppich, der auf dem grau-weißen Laminat lag, auf, und lief zur Tür.
»Papaaa!«, hörte Monika ihren Jüngsten rufen.
Es dauerte nicht lange, dann betrat Clemens das ausgedehnte, in Weiß und Grau gehaltene Wohnzimmer. Monikas Ehemann war einen Meter sechsundneunzig groß, achtundvierzig Jahre alt und besaß breite Schultern, die nicht vom Trainieren, sondern von einem allgemein breiten Körperbau kamen. Sein Bauch hingegen war nicht angeboren, sondern ein Zeichen, dass er fettiges und fleischreiches Essen bevorzugte. Clemens´ Haare waren von einem Blond, das schwer erkennen ließ, dass der Farbton allmählich einem Grau wich. Clemens trug, wie an jedem Tag in der Woche, einen Anzug. Heute in einem unaufdringlichen Hellblau. Er begrüßte Monika mit einem »Hallo!« und gab ihren Lippen einen Kuss. Trocken wie die Zitrone, die Monika um die Adventszeit gekauft und dann vergessen hatte, zum Plätzchenbacken zu benutzen.
»Hallo Papa!«, rief Mariella und umarmte ihren Vater. Obwohl Clemens wenig Zeit mit seinen Kindern verbrachte, vergötterten sie ihn. Monika hatte dieses Phänomen nie verstanden. Sie schenkte ihren Kindern so viel Zeit und Energie wie möglich, und trotzdem war sie oft diejenige, die als »blöd« oder »gemein« betitelt wurde. Clemens setzte sich zu Monika und Mariella an den Esstisch, während Constantin sein Eisenbahnspiel nun zu Füßen seines Vaters weiterführte.
»Wie war dein Tag?«, fragte Monika. Es waren die üblichen Floskeln, die dafür sorgten, dass sie miteinander kommunizierten. Wieder zitterten Monikas Hände leicht. Hörte sie sich an, wie sonst auch oder nahm Clemens etwas in ihrem Ton wahr, das ihn misstrauisch werden ließ? Monika war keine gute Lügnerin und konnte Unehrlichkeit nicht ausstehen. Sie hätte sich am liebsten selbst dafür geohrfeigt, sich auf Frank eingelassen zu haben.
»Hätte besser sein können«, murrte Clemens. »Es läuft ganz und gar nicht gut, seitdem wir den neuen Vorstand haben. Nur sinnlose Änderungen! Lessner hat einiges versaubeutelt, das ist klar. Aber ich darf es nun wieder ausbügeln, indem ich sämtliche Produkte auf ihre Wirtschaftlichkeit überprüfe! Kosten sparen ist ja gut, aber dieser Neue übertreibt es maßlos! Wo man nicht mehr einsparen kann, geht es eben nicht! Und glaub mir, wir sind schon ganz vorne, wenn man sich die Bilanz unserer Mitstreiter ansieht!«
Monika hörte Clemens zu, der von seinem Tag berichtete. Hier und da nickte sie oder setzte an den passenden Stellen ein »Wirklich?« oder »Super!« ein. Nicht selten fühlte sie sich wie eine Laienschauspielerin, die ihren Text ganz passabel beherrschte. Aber für die große Bühne reichte es nicht.
»Wie war es bei dir?«, fragte Clemens. Jeden Tag dieselbe Frage. Und jeden Tag gab Monika dieselbe Antwort: »Gut.« Details ersparte sie Clemens. Seine Arbeit war trocken und kompliziert genug. Und von der Tatsache, dass Monika nun einen Auszubildenden hatte, wollte sie ihrem Mann nicht erzählen. Nicht heute. Sie wusste, würde sie Frank mit einem Wort erwähnen, würde sie sich verhaspeln oder rot werden oder sich sonst irgendwie verraten. Wenig später setzte Monika hinzu: »Hast du Hunger?«
Clemens nickte bejahend. Es war nicht selbstverständlich, dass er direkt nach der Arbeit etwas zu essen haben wollte. Oft aß er in einem Restaurant oder Imbiss zu Mittag. Monika rückte mit ihrem Stuhl nach hinten, um das vorbereitete Abendessen warm zu machen. Sie hatte ihren jetzigen Ehemann mit einundzwanzig Jahren kennengelernt. Damals hatte Ira, Monikas beste Freundin, noch in der Stadt und nicht weit weg in Salzburg gewohnt und die beiden auf ihrem Geburtstag miteinander bekannt gemacht. Nun waren Monika und Clemens bereits seit elf Jahren verheiratet. Und, so sehr es Monika auch bedrückte, dies zuzugeben, das Wahre war die Beziehung schon lange nicht mehr. Sie trafen Absprachen, was die Erziehung ihrer gemeinsamen Kinder betraf. Aber wirkliche Nähe, ob körperlich oder emotional, war mit der Zeit rar geworden. Nicht zuletzt durch Clemens´ Affäre mit der neuen Buchhalterin, die im letzten Frühling Thema gewesen war. Monika war nicht mehr wütend darüber. Aber die Traurigkeit, dass er mit einer anderen Frau in diesem Zeitraum mehr Sex als mit ihr gehabt hatte, war noch immer da. Doch das mit dem Sex war nicht das Schlimmste: Hatte er der anderen Frau womöglich mehr von seinen Gedanken und Sorgen anvertraut als ihr? Manchmal kam es Monika so vor, als würde sie ihren eigenen Mann nicht mehr kennen. Hatten sie sich auseinandergelebt, wie vor ihnen schon so viele Paare? Sie hatten genau zwei Themen, die immer wieder an der Tagesordnung waren: Kinder und Arbeit. Ab und zu kamen solche nebensächlichen Fragen wie Ist morgen Papiermüll dran? oder Kam letzten Sonntag eigentlich wieder die Zeitung? zur Sprache.
»Dafür hast du einen gut!«, hatte Clemens zu Monika gesagt, als sie – wie klischeehaft! – Lippenstiftspuren am Kragen seines weißen Hemdes gefunden hatte. Nun hatte sie ihren Freifahrtsschein eingelöst. Unverhofft. Und mit dem miesen Beigeschmack des schlechten Gewissens, das mehr und mehr Platz in ihrem Kopf einnahm. Stimmte es, dass guter Sex in einer langjährigen Ehe meist Mangelware war? Fiel ein Paar automatisch in die Alltagsfalle, wenn Kinder ins Leben traten? In kinderlosen Zeiten hatten Monika und Clemens zusammen lachen können, zu nächtlichen Stunden spontan Sex an ihrem Stammplatz am See gehabt und vor allem hatte Geld nicht ihr ganzes Leben dominiert. Clemens war keinen Mercedes CLS gefahren, sondern einen Opel Astra. Doch die Atmosphäre der guten Laune, die das alte Auto erfüllt hatte, war im Mercedes noch nie zu spüren gewesen.
Nachdem Monika ihrer Tochter eine Superheldinnen-Geschichte vorgelesen und ihrem Jüngsten das Lied Die Blümelein, sie schlafen vorgesungen hatte, brach nun die Zeit des Tages an, die Monika so sehr herbeigesehnt hatte. Freizeit. Entspannung. Abschalten. Bevor sie jedoch zum Ausklang des Tages in die Wanne stieg, wollte sie mit Clemens sprechen. Es war an der Zeit, etwas zu ändern. Ansonsten würde sie womöglich nicht stabil genug sein, um Frank ein weiteres Mal – zumindest halbwegs - zu widerstehen.