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Die Intellektuellen im Zeitalter des Feudalismus

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Die Intellektuellen haben in der Geschichte revolutionärer Umwälzungen eine führende Rolle gespielt. In der Französischen Revolution verkörperten sie das treibende Element, das sowohl der Mittelklasse eine revolutionäre Ideologie lieferte, mit deren Hilfe diese den radikalen Umsturz der Gesellschaft rechtfertigen konnte, als auch die Unterklasse mit revolutionären Schlagworten verführte. Die Anstrengungen der Intellektuellen führten jedoch nicht zu einer eigentlichen Machtübernahme, dazu war die Zeit noch nicht reif. Obwohl es das Besitzbürgertum war, das die Erbschaft des Feudaladels antrat, konnten die Intellektuellen ihre Position in der gesellschaftlichen Hierarchie wesentlich verbessern. Die Gründung eines demokratischen Parlaments eröffnete ihnen neue Entwicklungsmöglichkeiten. In diesem Forum konnten die Intellektuellen aufgrund ihrer Redegewandtheit die Gesetzgebung in eine für sie günstigen Richtung lenken. Bis auf weiteres begnügten sich die Intellektuellen mit der Rolle als Diener des kapitalistischen Bürgertums, jedoch jederzeit bereit, auftretende Schwächen in den Reihen der besitzenden Schicht zum eigenen Vorteil auszunutzen.

Überraschenderweise schlugen die Intellektuellen zuerst in Russland zu. Die Oktoberrevolution von 1917 wurde zum Wendepunkt in der Weltgeschichte. Hier gingen die besitzlosen Vertreter der Wissenschaften zum ersten Mal in der Geschichte des Klassenkampfes als Sieger aus dem Kampf mit der Kapitalmacht hervor. Systematisch und mit hoher Effektivität festigten die Intellektuellen die Diktatur, mit deren Hilfe sie skrupellos ihre Interessen durchsetzten, wobei sie vorgaben, im Sinne des Proletariats zu handeln. Die Machtübernahme durch die Intellektuellen muss als eine einmalige Tat in der Geschichte, gesehen werden.

Welchen Veränderungen unterlag dagegen die Gesellschaftsstruktur im Westen? Wie verlief die Entwicklung für das kapitalistische Bürgertum seit der Französischen Revolution und welche Machtposition eroberten sich die Intellektuellen?

Die entscheidende Veränderung in der Geschichte des 20. Jahrhunderts besteht wohl darin, dass die Besitzer von Produktionsmittel und die Repräsentanten des Kapitalismus ihre soziale Macht verloren und die Intellektuellen einen sozialen Aufstieg erlebten, indem sie endgültig die kapitalistische Weltordnung mit ihrer untergrabenden Wirksamkeit besiegten. Seit dem Zweiten Weltkrieg befindet sich die intellektuelle Klasse im Vormarsch, während sie die alte Führungsschicht in die zweite Reihe verwies. Die Macht des Wissens hat die Macht des Kapitals abgelöst. Der Sieg des Intellektualismus und damit der Untergang des Kapitalismus sind unabwendbar.

Wie verlief der historische Prozess, in dem das Kapital gestürzt wurde und die Intellektuellen als Sieger hervorgingen? Welche Entwicklungstendenzen begünstigten die gesellschaftliche Machtübernahme durch die Intellektuellen? Und nicht zuletzt, über welche Eigenschaften und Qualifikationen verfügt diese Klasse, der es gelang» die kapitalistische Ordnung zu stürzen?

Um diese Frage zu beantworten ist eine kurze Beschreibung der gesellschaftlichen Rolle der Intellektuellen in der Geschichte notwendig. Aus praktischen Erwägungen wurde die Entwicklung in Dänemark gewählt.

In primitiven Gesellschaften existierte keine Klasse, die ausschließlich aus Intellektuellen bestand. Klassen- und Arbeitsteilung waren in den Urgesellschaften nicht zu finden. Alle Mitglieder einer Gruppe oder eines Stammes beteiligten sich am Produktionsprozess. Vollständige Gleichheit hat es jedoch nie gegeben, da die persönlichen Eigenschaften der einzelnen Stammesmitglieder unterschiedliche Formen von sozialem Prestige hervorbrachten. Soziales Ansehen war an die besonderen Fähigkeiten von Individuen geknüpft und nicht an Besitz von Reichtum. Die in primitiven Gesellschaften existierende materielle Gleichheit war weniger einer unverdorbenen Gutherzigkeit dieser Menschen als vielmehr dem beständigen Kampf ums Überleben zuzuschreiben. Einen unproduktiven gesellschaftlichen Überbau konnten sich diese Gesellschaften nicht leisten.

Sobald die Entwicklung der Produktivkräfte jedoch ein bestimmtes Niveau erreichte, war auch eine Teilung der Gemeinschaft in Klassen und die Bildung eines Überbaus zu beobachten. Eine mehr oder weniger systematische Ausbeutung begann. Die Entstehung von Ungleichheiten zwischen einzelnen Stammesmitgliedern stand in der Regel mit dem Übergang von der Jagd- und Sammeltätigkeit zum Ackerbau in Zusammenhang. Unter günstigen Bedingungen konnte die Produktivität so weit erhöht werden, dass eine Gruppe der Gesellschaft von der Arbeit einer anderen Gruppe leben konnte. War dieses Entwicklungsstadium erreicht, bildete sich der eigentliche Überbau heraus und die Flucht vor der körperlichen Arbeit setzte ein. Zu diesem Zeitpunkt nahmen nicht mehr alle am Produktionsprozess teil und die Unterdrückung begann.

Auf einer relativ hochentwickelten Kulturstufe bildete sich der Adel. Seine Entstehung beruhte hauptsächlich auf Unterwerfungs- und Eroberungsaktionen. Kriegsadel und Priesteradel begannen sich herauszukristallisieren. Bemerkenswert ist, dass sich eine Priesterschaft erst lange Zeit den Medizinmännern und Geisterbeschwörern bildete. Letztgenannte gehörten zu den Gesellschaften der Jäger, Sammler und Nomaden. Ihre Lebensweise glich im wesentlichen derjenigen aller anderen Gesellschaftsmitglieder, und sie waren auch am Produktionsprozess beteiligt.

Die intellektuelle Klasse hat ihren Ursprung in der Priesterschaft. Um ihre Funktion als Diener Gottes erfüllen zu können, verfügten die Priester über beachtliche Kenntnisse. Diese schienen die Voraussetzung dafür zu sein, komplizierte Rituale zu beherrschen, mittels derer die Diener mit den Göttern Kontakt aufnehmen und im besten Fall göttliche Gunst erheischen konnten. Die priesterliche Tätigkeit entwickelte sich in kurzer Zeit zu einer Beamtenstellung. Intellektualismus und Beamtentum sind sozusagen die zwei Seiten einer Medaille. Nicht überall in der Welt verfügten die Priester über den gleichen materiellen Reichtum oder die gleiche politische Macht. Während sich der Priesterstand stellenweise zu einer Klasse von Müßiggängern, Bettlern und Schmarotzern entwickelte, nahmen die Priester anderenorts aktiv am politischen Leben und an militärischen Aktionen in zum Teil hohen Rängen teil. Die wohl höchste gesellschaftliche Rangstufe besetzten die Priester in Indien, in dessen Kastensystem die Brahmanen die oberste Kaste verkörperten. Im Norden Europas traten die Intellektuellen als Stand erst mit der Etablierung des Christentums zu Beginn des Mittelalters in Erscheinung. Aber auch hier existierte eine Verbindung zwischen der Herausbildung einer Priesterschaft und der Intellektuellen, während Klassenhierarchie schon lange vor der Einführung des Christentums bestand. Die verschiedenen Formen der Grablegung sind jedenfalls Zeugen dafür, dass die Bevölkerung seit dem Ende der Steinzeit in soziale Schichten geteilt war. Zur Zeit der Wikinger hatte die Gesellschaft ein so hohes Produktivitätsniveau erreicht, dass sich eine untätige Klasse herausbilden konnte. Selbst in dem recht primitiven isländischen Staat, den die Sagaliteratur wiedergibt, existierte eine Oberklasse, die nicht am Produktionsprozess teilnahm. Die Mächtigen hatten ihren Reichtum aber nicht durch Arbeit erworben, sondern durch Raub. Die Anwendung von Gewalt genoss höheres Ansehen als die Arbeit. Die Räubermentalität der Oberklasse wurde zur herrschenden Denkart innerhalb der Gesellschaft, Plünderer wurden geradezu bewundert. Eine Art geistige Klasse war in der Wikingerzeit jedoch nicht zu finden.

Die im Mittelalter erzielte hohe Produktivität in der Landwirtschaft und die zunehmende Handelsaktivität waren die notwendigen Voraussetzungen für die gesellschaftliche Etablierung der Intellektuellen. In der Landwirtschaft wurde mit immer effektiveren Gerätschaften und Anbaumethoden gearbeitet, die Erfindung der Wassermühle und des Räderpfluges, die Verbesserung des Sielengeschirrs und der Übergang zur Dreifelderwirtschaft trugen zur Steigerung der Produktivität bei. Das Vorhandensein größerer Nahrungsmittelmengen führte zu einer starken Bevölkerungszunahme, was wiederum Anstoß zur Gründung neuer Dörfer und zur Urbarmachung bisher ungenutzter Areale gab.

Aufgrund des materiellen Fortschritt veränderten sich die sozialen Schichten, was zu einer strengeren Abgrenzung der Stände führte. Obwohl es zu einer zunehmenden Arbeitsteilung kam, stand die Art und Weise der Erwerbung des Lebensunterhalts nicht im Zusammenhang mit einer Unterschiedlichkeit der Menschen. Neue Erwerbsmöglichkeiten entwickelten sich, und die gesteigerte Produktion in der Landwirtschaft bildete die Grundlage für den Ausbau von Handel und Handwerk in größerem Maßstab. Im zu Ende gehenden Mittelalter war der bürgerliche Stand zu einem politischen Faktor geworden, der nicht ignoriert werden konnte. Das Zahlungsmittel Geld gewann langsam an Bedeutung, doch die Naturalwirtschaft war bis auf weiteres im Norden vorherrschend. Es ist nicht unwichtig, sich zu vergegenwärtigen. dass es ein marktwirtschaftliches System in heutigem Sinne erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts existiert. Dessen ungeachtet hat die Verbreitung des Geldes im Mittelalter entscheidend dazu beigetragen, dass sich der Beamtenapparat der Katholischen Kirche zu einem europäischen Machtfaktor entwickeln konnte.

Die Landbevölkerung in Dänemark konnte auch nicht länger als Einheit betrachtet werden, zwischen dem Bauernstand und dem Adel verlief eine scharfe Demarkationslinie. Während die Bauern das Land selbst bestellten, ließ der Adel andere dies für sich besorgen. Die Landaristokratie hatte außerdem Aufgaben im Staatsdienst übernommen und trug die Verantwortung für die Sicherheit des Reiches. Der Bauernstand geriet mehr und mehr in die Abhängigkeit des Adels, was zu wesentlichen Veränderungen der Grundbesitzverhältnisse führte.

Doch nun zur Stellung der Intellektuellen in der Gesellschaft. Wie schon erwähnt, stellten die Priester in der heidnischen Zeit keinen eigenen Stand dar. Priesterliche Funktionen waren nicht institutionalisiert, sondern wurden von Königen. Häuptlingen und Grossbauern ausgeübt. Mit der Christianisierung veränderten sich die Verhältnisse grundlegend. Die Institutionalisierung der christlichen Lehre erfolgte nach den damals fortschrittlichsten Organisationsprinzipien. Auf Grund des schwer verständlichen Inhalts und der komplizierten Rituale des Katholizismus konnten Gottesdienste nicht länger von Laien ausgeführt werden. Eine spezielle dafür ausgebildete Klasse musste sich gezwungenermaßen dieser Aufgabe annehmen. Die Existenz einer neuen Klasse ließ sich nun rechtfertigen.

Im Mittelalter spielten die geistlichen Intellektuellen eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft. Worauf gründete sich ihre Macht? Man kann annehmen, dass sich ihre Macht auf Wissen und Fertigkeiten begründete, über welche andere Bevölkerungsgruppen nicht verfügten. Mit der Ausbreitung des Christentums und der Herausbildung der Geistlichkeit wurde die Kunst des Lesens und Schreibens verbreitet. Auch wenn Runensteine heute von der Existenz einer Schriftsprache im Norden vor der Christianisierung zeugen, kann kein Zweifel bestehen, dass die Schriftsprache erst mit der Etablierung der Kirche gesellschaftliche Bedeutung erlangte. Die Schriftmächtigen und wissenden Intellektuellen wurden mit der Zeit unentbehrlich für den Staat, der ständig neue Aufgaben übernahm. Beispielsweise wurde die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu einem öffentlichen Anliegen. Der Staat begann das Erwerbsleben zu regulieren. Auch der Handel mit dem Ausland musste teilweise über staatliche Behörden abgewickelt werden. Eine regelmäßige öffentliche Verwaltungstätigkeit wurde zur Notwendigkeit. Während der König die Hauptverantwortung für diese staatlichen Aktivitäten trug, wurden die Beamten jedoch zum größten Teil aus den Reihen der Geistlichkeit rekrutiert. Vor der Reformation kamen so gut wie alle untergeordneten Beamten aus geistlichen Kreisen.

Der Priesterschaft gelang es jedoch, nicht nur mit Hilfe von Sachbearbeitern und Schreibern, in der zentralen Administration Fuß zu fassen. Der Kanzler zum Beispiel war in der Regel ein Bischof. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Sprache der Diplomaten Latein war, eine Sprache, die fast ausschließlich von Geistlichen beherrscht wurde. Hinzu kommt, dass administrative Stellungen als politische Werkzeuge benutzt wurden. Die Beamten fühlten sich als Vertreter ihrer Standesgenossen. Obwohl die ranghöchsten Administratoren offiziell den Status von Reichsbeamten hatten und damit das ganze Reich repräsentieren sollten, waren sie in Wirklichkeit Sprachrohr für die eigenen Standesinteressen.

In politischen Gremien verschafften sich die kirchlichen Intellektuellen ähnlichen Einfluss. Die Landsting, gesetzgebende und rechtssprechende Versammlungen freier, waffenführender Männer, Bauern und Bürger, verloren nach und nach an Bedeutung. Am Königshof bildete sich unterdessen eine Art Reichsbehörde heraus, die sich der Gesetzgebung bemächtigte. Später entwickelte sich diese zum Danehof, einer Reichsversammlung von Adligen und Geistlichen, und schließlich zu Beginn des 15. Jahrhunderts zum Reichsrat. Im Gegensatz zu den Landsting waren die späteren Institutionen reine aristokratische Versammlungen. Die Macht des Volkes war ausgeschaltet, obwohl der Reichsrat beanspruchte, Repräsentant des ganzen Volkes zu sein.

Im Reichsrat waren die Geistlichen das vorherrschende Element. Alle Bischöfe verfügten über einen Sitz im Rat, der Erzbischof fungierte als Präsident. Andere Intellektuelle im Reichsrat waren Domkapitulare und Klostervorsteher. Auf offiziellen Dokumenten werden Geistliche zuerst genannt, was als Ausdruck für ihre vorrangige Stellung gelten kann.

Die Geistlichen entwickelten ihre Macht im Mittelalter nicht zuletzt durch Beeinflussung und Manipulation.. Die Furcht der Menschen zu jener Zeit vor Gott und dem Teufel kann nicht genug hervorgehoben werden. Die Geistlichen lenkten den Glauben der Menschen auf das Leben im Jenseits, so dass diese ihr Erdendasein als beschwerliche Prüfungszeit betrachteten. Mit Wort und Schrift und vor allem mit grauenerregenden bildlichen Darstellungen von Tod und Höllenqualen erschütterten sie das Selbstvertrauen der Bevölkerung, deren Widerstandskraft gegenüber den ambitiösen Plänen des intellektuellen Standes auf diese Weise gelähmt wurde. Der Geistlichkeit gelang es fast vollkommen, die Menschen in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zur Kirche zu bringen. Die Priesterschaft hatte deutlich genug zu verstehen gegeben, dass nur die katholische Kirche Erlösung erwirken kann.

Zur Manipulation des menschlichen Bewusstseins standen den Geistlichen noch weitere Möglichkeiten zur Verfügung. Die Informationsmacht jener Zeit lag in ihren Händen, und sie waren die Träger der Kultur. Die lateinische Sprache war ihre gewaltige Waffe. Das Kommunikationsnetz innerhalb des Machtapparates der katholischen Kirche war für die damalige Zeit außerordentlich effektiv ausgebaut. In Europa fast das gesamte Wissen in den kirchlichen Institutionen konzentriert. Unter dem Druck religiöser Dogmen stagnierte die wissenschaftliche Entwicklung, gab es doch außerhalb des kirchlichen Hoheitsgebiets keine Alternative. Neue Erkenntnisse, die den autorisierten Wahrheiten widersprachen, wurden von der Inquisition bekämpft. Die katholische Kirche besaß aber nicht nur alles Wissen, sie verbreitete dieses auch.

In Dänemark oblag die Lehrtätigkeit in den Schulen der Kirche. Im späten Mittelalter wurden zwar einzelne Schulen, die nicht von Geistlichen geleitet wurden, gegründet, aber nur mit Erlaubnis der Kirche und zu deren Bedingungen. Schulen wurden in unmittelbarer Nähe großer Kirchen und Klöster errichtet. Im Bereich der mächtigen Domkapitel entstanden sogenannte Kathedralschulen, in denen Priester unterrichteten. Auf diese Weise sollte die Rekrutierung neuer Mitglieder für den geistlichen Stand gesichert werden. Nebenbei wurden auch Küster, die den Priestern mit Hilfeleistungen im Gottesdienst beistanden, ausgebildet. In Klosterschulen fand auch in geringem Umfang Schulunterricht mit allgemeinem Inhalt statt. Das faktische Monopol der Intellektuellen auf jegliche Unterweisung und Erziehung diente als wirkungsvolle Plattform zur Verbreitung ihrer Klassenideologie. Um die Jahrhunderte andauernde Stärke der Römischen Kirche zu verstehen, muss man die Rekrutierung ihrer Priester betrachten. Mit Hilfe des Zölibats konnte sich die katholische Kirche eine ständige Erneuerung des Priesterstandes mit frischen, begabten Kräften aus dem Volk sichern. Außerdem hatte die Geistlichkeit jederzeit Einblick in die Psyche und Denkweise der Volksmassen. Diese Aktiva kompensierten ohne Zweifel die Schäden, welche der katholischen Kirche von der weltlichen Macht von Zeit zu Zeit, wenn sich diese in die Besetzung von hohen geistlichen Ämtern einmischte, zugefügt wurden.

Wie auch in anderen Ländern wurde der geistliche Stand im mittelalterlichen Dänemark von der europäischen Mutterkirche unterstützt. Die Kirche war multinational und älter als Staaten. Die Organisation der dänischen Kirche war seit 1104 eine Provinz der katholischen Kirche. Die Ideologie der päpstlichen Kirche lieferte der dänischen Geistlichkeit die geistige Munition. Das Verhältnis der Kirche zum weltlichen Staat erklärten die frühen Kirchenväter damit, dass sowohl die Kirche als auch der Staat die Aufgabe hatten, dem Reich Gottes zu dienen. Natürlich war es die Kirche, die definierte, was das Reich Gottes von beiden erwartete. Die Gestaltung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat wurde wie bekannt Gegenstand vieler Streitigkeiten, die hier nicht behandelt werden sollen. Es ist allerdings wichtig zu bemerken, dass die geistlichen Intellektuellen eine von der weltlichen Macht unabhängige Existenz erstrebten. Unter dem gebieterischen Erzbischof Eskil wurde der Kirche im 12. Jahrhundert dann auch de jure eine Unabhängigkeit zuerkannt.

Die Unabhängigkeit der Kirche kam beispielsweise auf dem Gebiet des Rechts zum Ausdruck, wo sie rasch ihr eigenes Rechtssystem entwickelte. Dieses hatte größeren Einfluss im Lande als das dänische Recht. Die Kirche verfügte über Gerichtsbarkeit, und in ihren Gerichten konnten straf- und verwaltungsrechtliche Prozesse geführt werden. Selbst in gewissen zivilrechtlichen Fällen, z.B. in testamentarischen und Eheangelegenheiten, konnten die kirchlichen Richter Recht sprechen. Die Geistlichkeit beeinflusste auch die weltliche Rechtspflege, waren die Bischöfe doch Mitglieder im Reichsrat und damit mitbestimmend bei der Gestaltung des weltlichen Rechts. Viele Geistliche hatten zudem eine juristische Ausbildung, die ihnen in ihrer Tätigkeit in den königlichen Kanzleien zugute kam.

Das kirchliche Recht beruhte auf dem kanonischen Recht, das, obwohl von außen kommend, das dänische Recht mit der Zeit in seinen Grundlagen beeinflusste. Das kanonische Recht wiederum basierte in seinen Grundzügen auf dem römischen Recht, das zu jener Zeit eine höhere Entwicklungsstufe erreicht hatte als das dänische. Das betraf sowohl inhaltliche als auch technische Aspekte. Die altnordische Rechtstradition nahm es nicht so genau mit der Schuldfrage, es ging vielmehr darum, zwischen den streitenden Parteien einen Vergleich zu schließen. Mit der Einführung des kanonischen Rechts erhielt der Beweis im Gerichtsprozess einen zentralen Platz. Die Kirche führte außerdem ein, dass die Bürde der Beweisführung dem Ankläger und nicht dem Angeklagten zukam. Der Zeugenaussage wurde größerer Bedeutung beigemessen. Es wurde verboten, dass der Angeklagte mit Hilfe von Männern, die seine Unschuld beeideten, freigesprochen werden konnte. Die Geistlichkeit sorgte auch dafür, dass der Feuerprobe die Beweiskraft abgesprochen wurde. Zusammenfassend kann man sagen, dass das Rechtsverständnis den Interessen der Geistlichen und der christlichen Weltanschauung angepasst wurde.

Wie schon angeführt, strebte die Kirche nach Unabhängigkeit von der Staatsmacht. Ihre Immunität war schließlich älter als die des Adels. Die Geistlichkeit konnte sogar verhindern, dass der Kirche von den weltlichen Behörden Steuern oder andere Lasten auferlegt wurden. Als ideologische Rechtfertigung für dieses Privileg diente ihr die Behauptung, für das geistige und soziale Wohlergehen der Bevölkerung zu sorgen. Die steuerfreie Klasse scheute aber nicht davor zurück, selbst als Steuereintreiber zu wirken. Eine nicht so seltene Kombination in der Geschichte. Wahrscheinlich wurde der Zehnt bereits Ende des 11. Jahrhunderts in Dänemark eingeführt. Ab 1135 jedenfalls wurde diese Steuer im ganzen Reich erhoben. Wie es der Priesterschaft gelungen war, die bisher steuerfreien Bauern dieser Sklaverei zu unterwerfen, ist nicht bekannt. Vielleicht stand dies im Zusammenhang mit den Missernten in den Jahren um 1090. Soziale Not wurde zu allen Zeiten von den privilegierten Klassen zum eigenen Vorteil ausgenutzt. Wesentlich daran ist, dass sich die Intellektuellen von Anfang an als strenge Steuereintreiber erwiesen.

Das damalige Einkommen der Intellektuellen beruhte unterdessen nicht allein auf Steuereinkünften. Die Geistlichkeit verfügte zudem über riesigen Grundbesitz. Vor der Reformation war die Kirche der größte Grundbesitzer. Ein Drittel des dänischen Lands war im Besitz der Bischöfe, Domkirchen, Klöster und Priester. An der dominierenden Rolle der geistlichen Intellektuellen im Mittelalter kann daher kein Zweifel bestehen. Sie machten ihre Moralauffassung, ihr Verständnis von Mensch und Gesellschaft, zur Richtschnur für die einzig richtige Lebensführung. Gelingt es einer bestimmten Gruppe, der übrigen Bevölkerung ihre Ideale aufzuzwingen, ist das ein sicherer Beweis für deren Herrscherposition. Mit Hilfe der Kunst, der Geschichtsschreibung, des Schulunterrichts und der Gerichte waren die Intellektuellen in der Lage, ihre Interessen durchzusetzen.

Die Machtbasis der damaligen Schriftgelehrten ist nicht identisch mit derjenigen der Intellektuellen unserer Tage. Im Mittelalter waren Bildung und Wissen allein nicht ausreichend, um Einfluss ausüben zu können. Die Macht beruhte zu gleichen Teilen auf Bildung und Grundbesitz. Dies bestätigte die Reformation, die die gesellschaftliche Machtposition der Geistlichen dramatisch verringerte.

Als die Reformationsbewegung nach 1520 das Land ergriff, verlor die Kirche ihre materiellen Bastionen. Ohne Grundbesitz war unter den gesellschaftlichen Verhältnissen jener Zeit keine souveräne Machtausübung möglich.

Die Reformation schwächte die Macht der Geistlichen wesentlich, zerschlug die europäische Glaubensgemeinschaft und beraubte die Kirche ihres multinationalen Einflusses. Die Niederlage des Katholizismus war gleichzeitig ein sozialer Rückschlag für die Intellektuellen als Klasse. Erst mit der Einführung des Absolutismus im Jahre 1660 gewannen die Intellektuellen erneut bedeutende soziale Macht. Ihren wiedergewonnenen und wachsenden Einfluss auf das gesellschaftliche Leben übten sie jedoch nicht im Rahmen der Kirche aus, sondern innerhalb des aufsteigenden Bürgertums.

Die Kirche hatte während der Reformation den größten Teil ihres Grundbesitzes verloren, und die Kirchenfürsten waren aus ihren weltlichen Stellungen verdrängt worden. War die Kirche bisher ein Staat im Staate, so wurde sie nun wie die Schulerziehung und die soziale Fürsorge dem Staat unterstellt. Sie verlor außerdem ihre Jurisdiktion. Nur vereinzelte Fälle wurden von gemischten geistlich-weltlichen Gerichten behandelt. Die Reformation wurde zur Zäsur in der Rechtsgeschichte, das kanonische Recht und verschiedene kirchliche Rechtsordnungen verloren ihre Gültigkeit.

Obwohl der Adel aus diesen kirchlichen Veränderungen gestärkt hervorging, konnte er seine Machtposition nicht mehr lange halten. Sowohl die militärische als auch ökonomische Entwicklung verlief gegen die Interessen des Adelsstandes. Die Zukunft gehörte dem Bürgertum.

Kurzfristig gesehen bedeutete der Fall der katholischen Kirche eine spürbare Verschlechterung der sozialen Position der intellektuellen Klasse. Natürlich konnte sich eine Anzahl von Intellektuellen ihren Lebensunterhalt in der reformierten Kirche verdienen. Auch in dem reorganisierten staatlichen Sozial- und Schulwesen fanden viele eine Anstellung. Man darf ebenfalls nicht übersehen, dass die Intellektuellen recht schnell in der zentralen Administration, die die Verwaltungstätigkeit der katholischen Kirche ersetzte, heimisch wurden. Insgesamt aber war die politische Macht verringert und das soziale Ansehen des gelehrten Standes gesunken. Der Verlust an materieller und geistiger Unterstützung der unermesslich reichen katholischen Kirche ließ sich nicht unmittelbar mit neuen Positionen in dem erstarkten weltlichen Staat aufwiegen.

Die Intellektuellen haben unterdessen schnell erkannt, dass ihre Zukunft im Staatsdienst lag. Als sachkundige Beamten versuchten sie, die ehemaligen Machtpositionen zurückzuerobern. Die Einführung absolutistischer Verhältnisse bot ihnen ausgezeichnete Möglichkeiten, ihren Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaft zu verstärken. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, kann man die Umwälzungen in der Staatsführung im Jahre 1660 als einen Versuch der Intellektuellen werten, ihre in der Reformation von 1536 verlorene gesellschaftliche Position wiederzugewinnen. Absolutismus bedeutete zentrale Staatssteuerung und Zentralismus wiederum schuf Bürokratie, ein weites Betätigungsfeld für die Intellektuellen. Auf längere Sicht gesehen sollte sich die Bürokratie als ein solideres Fundament für eine effektive Machtausübung erweisen als religiöse Dogmen und Besitz an Grund und Boden.

Der Bürokratisierungsprozess verlief erstaunlich schnell. Noch Mitte des 17. Jahrhunderts war die zentrale Administration dem König und dem Reichsrat unterstellt und bestand aus nur einem Kontor, der Kanzlei. Wenige Jahre nach Einführung des Absolutismus war der Reichsrat und damit der adlige Einfluss außer Kraft gesetzt. Die Kanzlei wurde aus einer Anzahl sogenannter Kollegien, die man als Vorläufer der späteren Ministerien auffassen kann, gebildet. Die adligen Kanzlisten wurden von bürgerlichen professionellen Bürokraten verdrängt. Das System der Kollegien entsprach vollends dem Absolutismus. Auf Grund der fachspezifischen Einteilung der Kollegien erhielten adlige Gutsbesitzer keine Stellungen, diese waren ausgebildeten Fachleuten vorbehalten. Nur sie konnten die ständig wachsenden Anforderungen in der Amtsführung erfüllen. Die talentierten Söhne des aufsteigenden Bürgertums waren auf diese Aufgaben vorbereitet, ihr Ziel war die Erlangung des Beamtenstatus. Der an der Spitze des absolutistischen Systems stehende Monarch hatte ebenfalls erkannt, dass das Bürgertum eine aufsteigende Klasse darstellte, welche die Zukunft in ihren Händen hielt. Die unvermeidliche Rivalisierung zwischen einigen Kollegien verstand der König geschickt auszunutzen.

Auch das lokale Verwaltungssystem wurde revolutioniert, das Prinzip der territorialen Einteilung durch Fachbereiche ersetzt. Bisher hatte sich der Lehnsmann aller administrativen Aufgaben in seinem jeweiligen Lehnsgebiet angenommen. Das Lehnssystem wurde nun von dem Amtssystem abgelöst. In den neuen Ämtern wirkten vom König ernannte Beamten, die nach und nach die lokale Verwaltung vollkommen kontrollierten. Da es nicht die Erfordernisse des Volkes waren, die zur Schaffung der Ämter geführt hatte, mussten die Beamten auch nicht der Bevölkerung für ihren Lebensunterhalt danken. Ihre Machtposition beruhte einzig und allein auf dem Wort des Königs. Sie waren abhängig vom König und den zentralen Verwaltungsorganen. Es hatte keine Konsequenzen für sie, sich von der breiten Bevölkerung zu distanzieren. Sie fühlten sich als Repräsentanten des absolutistischen Systems. Es lag in ihrem Interesse, sich solidarisch und loyal gegenüber den zentralen Behörden zu verhalten. Indem sie die Macht des Staats stärkten, festigten sie ihre eigenen mächtigen Stellungen.

Die Beamtenschaft kann man als das Rückgrat der absolutistischen Monarchie bezeichnen. Das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen beiden Seiten bestand, kommt am deutlichsten in der Symbiose von Priesterschaft und Monarchie zum Ausdruck. Die reformierten Prediger wurden für den König zu einem nützlichen Werkzeug zur Verbreitung der absolutistischen Ideologie. Die Auffassung des Volkes von König und Obrigkeit war fast ausschließlich von den Predigern geformt. Für diese war leicht, von der Kanzel herab Gehorsam vor Gott und dem König zu fordern. Als Gegenleistung unterstützte der König ihren Wünsch nach mehr Unabhängigkeit gegenüber dem Adel und dem Volke. Die Geistlichkeit konnte beispielsweise erwirken. dass das Priesterwahlrecht der Gemeinde modifiziert wurde. Ein Empfehlungsschreiben des Königs war in einzelnen Fällen ausreichend. um das Amt eines Priesters zu erhalten. Die gute Zusammenarbeit mit dem König hatte nicht nur ökonomische Vorteile, sie trug auch zur Erhöhung des sozialen Ansehens bei. Insgesamt konnten die Priester ihre Machtposition in der Bevölkerung wesentlich festigen.

Der innere Elan einer Klasse war zu jeder Zeit ausschlaggebend für den Erfolg ihrer Bestrebungen. Das ehrgeizige Streben der Beamten nach sozialer Anerkennung war eine wichtige Ursache für die erfolgreiche Etablierung des Beamtensystems in der ersten Zeit des Absolutismus. Die Ideale der Sekretäre, Vogte, Gerichtsschreiber, Priester, Offiziere und Amtmänner waren eine sichere Anstellung, hohes soziales Ansehen und ausgedehnte Befugnisse. Der soziale Aufstieg einer Klase ist natürlich auch von materiellen Voraussetzungen abhängig. Bis zu einem gewissen Grad kann eine Klasse die notwendigen Bedingungen selbst schaffen. Aber auch Faktoren, welche die aufsteigende gesellschaftliche Macht nicht beeinflussen kann, greifen in die Entwicklung ein.

Die gesellschaftliche und staatliche Entwicklung in der Zeit des Absolutismus begünstigten den Aufstieg der Intellektuellen. Eine große Flotte, der Aufbau eines Reichsheeres und der Ausbau des Post-, Zoll- und Finanzwesens erhöhten den Bedarf des Staates an Spezialisten. Diese Expansion verschlang enorme Geldsummen, weshalb das System der Steuerausschreibung und -eintreibung effizienter gemacht werden musste: Die örtlichen Steuereinnehmer wurden einer strengeren Kontrolle unterzogen und ihre Anzahl erhöht.

In der vom Katholizismus beherrschten Zeit hatten die machtvolle Geistlichkeit und der weltliche Adel gemeinsame Interessen, waren beide doch Grundbesitzer, Gesetzgeber und Richter. Nach der Reformation alliierte sich der gelehrte Stand mit dem Bürgertum und der Monarchie. Gemeinsam versuchten die neuen Verbündeten, die Position des Adels als Oberklasse zu untergraben und dessen Platz in der Gesellschaft zu besetzen. Interne Streitigkeiten, Vergnügungssucht, Anzeichen von Dekadenz und eine zunehmend schlaffere und unentschlossenere Regierungsführung schwächten den Adel und erleichterten den Aufstieg der Mittelklasse. Die Oberklasse begann ihre Regierungsfähigkeit in Frage zu stellen und verlor das Vertrauen zum eigenen Verwaltungsapparat, dessen Reorganisation vom Feind übernommen wurde. Sie versuchte nicht länger. die Verbreitung der Ideologie der Mittelklasse zu verhindern. Der König. die Bürger und die Gelehrten waren in der Ideologie der absolutistischen Monarchie vereint. Diese Ideologie wurde im damaligen Europa als Inbegriff des Fortschritt und der Vernunft aufgefasst. Sowohl in den progressivsten als auch mächtigsten Kreisen wurde das System von einem Gott, einem Glauben und einem Herrscher gepriesen. Selbst jüngere Adlige konnten sich diesem Gedankengang nicht entziehen, ungeachtet dessen, dass das absolutistische Ideal die Machtposition des Adels untergrub und die Zersplitterung in den eigenen Reihen vorantrieb.

Die gesellschaftlichen Konsequenzen des zentralistischen Gedankens von einem Gott, einem Glauben und einem Herrscher waren weitreichender als die einfachen Schlagworte unmittelbar verkündeten. Der revolutionären Parole folgte eine alles umfassende Zentralisierung. Der Wunsch der aufsteigenden Mittelklasse war eine auf Kollektivismus beruhende Gesellschaft. Es lässt sich nicht leugnen, dass kollektive Kraftanstrengungen ein sicheres Mittel sind, die existierende Oberklasse zu vernichten. Die Machtbasis des Feudaladels lag in den ländlichen Gebieten, diejenige der aufsteigenden Klasse in den Städten. Das 17. Jahrhundert wurde für die Landwirtschaft zu einer langen ökonomischen Talfahrt. Die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse fielen unablässig, während Seefahrt und Kolonialhandel einen beständigen Aufschwung erlebten, was die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung der Städte hervorhob. Diese Entwicklungstendenzen, die dem Adel schadeten und für den Bürgerstand von Vorteil waren, begünstigten das Vordringen des Kollektivismus.

Der zur absolutistischen Ideologie gehörende Zentralismus umfasste auch das Wirtschaftsleben. Bereits in den Jahren vor 1660 wurde eine neue ökonomische Politik, die allgemein unter der Bezeichnung Merkantilismus bekannt ist, eingeführt. Das Wesentliche dieses ökonomischen Systems bestand darin, dass der Staat die Lenkung der Wirtschaft übernahm. Im Mittelalter herrschte eine dezentralistische Ökonomie, die Wirtschaft unterlag der lokalen Kontrolle. Nun beaufsichtigte der Staat das Wirtschaftsleben. Er begann nicht nur, Produktion und Handel zu regulieren. sondern führte neue Produktionen ein und wurde selbst zum Unternehmer. Die Anhänger des merkantilistischen Systems vertraten die Vorstellung, dass die Reichtümer der Welt in einer bestimmten Menge vorhanden seien. Wohlstand ließe sich daher nur auf Kosten anderer erzielen. Das ökonomische Ziel war eine positive Handelsbilanz, wodurch ein Überschuss an Edelmetallen gesichert werden sollte. Die Produktion im eigenen Lande musste unter allen Umständen gesteigert werden, beispielsweise mit staatlicher Unterstützung. Auch wenn die natürlichen Voraussetzungen zur rentablen Herstellung einer Ware nicht gegeben waren, wurde diese produziert. Das führte zu Preissteigerungen und Qualitätsverschlechterung. Der Staat gründete zahlreiche Manufakturen und förderte die nationale Seefahrt und handelskoloniale Bestrebungen. Unter größten Anstrengungen wurde der Export erhöht und gleichzeitig der Import von Fertigwaren vom Staat begrenzt. Schutzzölle und Importverbote sollten ein ungehindertes Wachstum der eigenen Produktion garantieren.

Hinter diesen wirtschaftlichen Aktivitäten verbarg sich eine veränderte Auffassung vom Profit. Profitstreben galt im Katholizismus als Sünde. Historisch gesehen wurde dem Gewinn relativ spät gesellschaftliche Anerkennung zuteil. Reichtum und Habgier sind unterdessen in der Geschichte seit langem bekannt. Die meisten Kulturen betrachten jedoch die Personen, die mit diesen Begriffen in Verbindung stehen, als Abschaum und bestimmt nicht als gesellschaftliche Stützen. Selbst das Leben auf Erden wird nach katholischer Auffassung als Probezeit für das ewigen Leben angesehen. Eine solche Ideologie trug nicht gerade zur Förderung unternehmerischer Aktivitäten bei. Man sollte allerdings nicht vergessen. dass die katholischen Ideologen vorsorglich zwischen privater Gewinnsucht und kollektiver Bereicherung unterschieden. Der Reichtum der Kirche wurde selten verurteilt, diente dieser doch der Ehre Gottes.

Mit dem Niedergang des Katholizismus entstand eine neue religiöse Bewegung. Die religiösen Dogmen bekamen eine mehr irdische Ausrichtung. Der erhobene Zeigefinger der katholischen Geistlichen wies zum Himmel, während die protestantischen Kollegen ihr Augenmerk mehr auf die Welt lenkten. Bestimmte Richtungen des Protestantismus betonten eine ökonomische Ethik, die Arbeitsdisziplin, Fleiß, Sparsamkeit und vernünftige Lebensführung würdigte. Ökonomischer Erfolg konnte sogar als Zeichen göttlichen Wohlgefallens interpretiert werden, Reichtum fast als Gnadenbeweis. Ökonomische Aktivität wurde dadurch ideologisch legitimiert. Das Ansehen des Unternehmers stieg, und die Interessen des Bürgertums und die protestantische Religion standen nicht weiter im Gegensatz zueinander, sondern bildeten eine Einheit. Die neuen religiösen Dogmen bewahrten die fleißigen Bürger vor Gewissensqualen, wenn diese ihr Kapital auf weniger christliche Weise arbeiten ließen.

Es ist wichtig zu erkennen. dass die merkantile Denkweise ein zentraler Punkt der absolutistischen Ideologie ist und sich im Angriff auf die verunsicherte Oberklasse als wirkungsvolle Waffe erwies. Die Entwicklung vom Lehnswesen zur Beamtenherrschaft, von der mittelalterlichen Feudalökonomie zum Merkantilsystem, war das Ergebnis des Klassenkampfes zwischen Adel und Bürgertum. Die Uhr des Adels lief ab, die bürgerliche Mittelklasse stand parat zur Ablösung. Dieser revolutionäre Prozess folgte dem klassischen Modell. Im Zuge der staatlichen Umwälzung von 1660 verbündete sich der Mittelstand mit der Unterklasse. Mit Hilfe der breiten Unterschicht beraubte das Bürgertum die Oberklasse ihrer wichtigsten Privilegien, der Steuerfreiheit und des Vorrechts auf die höchsten militärischen und administrativen Posten. Die Unterklasse war nur ein Werkzeug in den Händen der vorwärtsstürmenden Mittelklasse. Die Lebensbedingungen der Bauern hatten sich nicht verbessert, sie verblieben in der Rolle der Unterklasse. Die Umwälzungen hatten an der klassischen sozialen Struktur nichts verändert. Der absolutistische Verwaltungsapparat und das Merkantilsystem dienten den Interessen der bürgerlichen Gewerbetreibenden, der Kaufleute und Reeder, aber auch der intellektuelle Teil des Bürgertums profitierte von diesem System. In der reorganisierten Administration mussten zahlreiche machtvolle Ämter besetzt werden. Der Klassenkampf hatte nicht nur ein neues ökonomisches System, sondern auch einen neuen Verwaltungsapparat hervorgebracht. Die dem Merkantilsystem wesenseigne Autarkiepolitik erwies sich als vorteilhaft für die Intellektualisten. In den staatlichen Planungsorganen verschafften sie sich Geltung und in den großen Handelshäusern wirkten sie als tüchtige Buchhalter und juristische Experten. Zur herrschenden Klasse waren sie noch nicht avanciert. Dieser Triumph war dem besitzenden Teil des Bürgertums vorbehalten. Die folgenden Jahrhunderte sollten der Kapital- und Geldmacht gehören. Erst 300 Jahre nach den Ereignissen von 1660 standen die Intellektuellen als Sieger auf dem Schachfeld des Klassenkampfes. Die Adligen waren in der Zwischenzeit ausgestorben, und auch die Kapitalmacht war auf dem Schutthaufen der Geschichte gelandet.

Unsere neue Herrscherklasse

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