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Das Zimmer

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Langsam ging die Sonne über der erwachenden Großstadt auf. Im oberen Teil eines alten und verkommenen Plattenbaus erfüllte die Morgenröte mehr und mehr eine anscheinend verlassene Wohnung mit Licht.

Nun war es endlich wieder hell.

Hastig pickte Paul vermeintlich essbare Krümel vom Teppichboden seines Zimmers, um sie umgehend in seinen kleinen Mund zu stopfen.

Der Hunger hatte ihn wieder mal nicht schlafen lassen. Geduldig hatte er in einer Ecke, in der verdreckte Klamotten aufgehäuft waren, gewartet, bis es so weit war.

Nun konnte er auch die kleinsten Brösel auf dem Teppich erkennen und auflesen.

Er liebte den Sonnenaufgang und verweilte jeden Morgen vor der Glastür des Balkons. So konnten die ersten Sonnenstrahlen auch seinen frierenden Körper wärmen.

Hier saß er die meiste Zeit des Tages und beobachtete, was draußen geschah.

Da die Scheiben von seinen kleinen Händen schon ganz verschmiert waren, lutschte er sich mit der Zunge ein Guckloch frei.

Paul hatte von hier aus eine gute Sicht auf viele andere Fenster. Menschen in den gegenüberliegenden Wohnungen zu beobachten, war seine Lieblingsbeschäftigung. Er schaute hinaus, bis es wieder dunkel wurde. Er schaute den Menschen zu, wie sie umhergingen, kochten und aßen, Zeitung lasen oder telefonierten.

Manchmal konnte er auch andere Kinder erkennen, die ihm sogar ein paar Mal zuwinkten. Dann freute sich Paul und winkte, so gut er konnte, zurück. Vor Freude juchzte und lachte er auf, doch hören konnte ihn niemand. Alle Fenster seines Zimmers waren, so lange Paul zurückdenken konnte, immer verschlossen gewesen.

Hin und wieder kam ein Vogel geflogen und setzte sich auf das Geländer des Balkons. Dann klopfte Paul mit aller Kraft an die Scheibe, um ihn zu verscheuchen. Er hatte mal mit ansehen müssen, wie einer der Vögel vom Boden des Balkons etwas Essbares wegpickte, das seine Mama dort achtlos hatte fallen lassen. Tagelang hatte er immer wieder danach geschaut und gesehen, wie es nach und nach weniger wurde.

Und nun setzte ihm der Hunger erneut zu. Es gab im Zimmer nichts mehr, was er nicht schon zu essen versucht hatte.

Aufmerksam lauschte er auf jedes Geräusch hinter der verschlossenen Zimmertür. Irgendwann würde seine Mama wiederkommen und ihm etwas zu essen bringen. So lange musste er noch durchhalten.

Es wurde wieder dunkel. Erschöpft krabbelte Paul in seine Ecke zurück, um dort erneut auf den Sonnenaufgang zu warten.

Paul - Wir haben ihn kaputt gemacht

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