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DRITTES KAPITEL Volk, Nation Typologie der Nationsbegriffe

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Im vorangegangenen Abschnitt wurde die Rolle von Volk und Nation im Denken der Rechten ins Blickfeld gerückt, allerdings erst von einer Seite her. Diese Einseitigkeit ist jetzt zu korrigieren und die ganze Breite des Bedeutungsspektrums ins Auge zu fassen. Dabei kann an einen vergleichsweise hohen Grad der typologischen Durchdringung angeknüpft werden, der sich in so bekannten Dualen wie Staats- und Kulturnation, objektivem und subjektivem, westlichem und östlichem, rationalem und romantischem Nationsbegriff niedergeschlagen hat.1

Die hier zugrunde gelegte Typologie kombiniert zwei Duale. Sie unterteilt die Nationsbegriffe einmal nach der Art und Weise, wie die Mitgliedschaft aufgefaßt wird – als Zugehörigkeit zum territorial bestimmten politischen Verband oder als Zugehörigkeit zur ethnischen Gemeinschaft, die sich im wesentlichen über kulturelle Gemeinsamkeiten sowie durch die Gemeinsamkeit der Abstammung konstituiert (Smith 1991, 82ff.). Zum andern orientiert sie sich daran, wie das Verhältnis von Ganzem und Teilen gedacht wird. Nationen können im Sinne der frühneuzeitlichen Sozialvertragstheorien als Produkt handelnder Individuen aufgefaßt werden, als durch Vertrag gestifteter body politick. In diesem Fall kann man von einem individualistischen Nationsbegriff sprechen. Sie können aber auch als vorgängiges Ganzes gedacht werden, als Kollektiv oder Körperschaft, das mehr ist als die Summe der Teile.2 In diesem Fall hat man es mit einem holistischen Nationsverständnis zu tun.3 Kreuzt man diese beiden Duale, wie dies Liah Greenfeld vorgeschlagen hat (Greenfeld 1992, 9ff.), so ergeben sich vier Kombinationen, von denen allerdings eine in sich widersprüchlich ist und deshalb entfällt. Die drei übrigen Kombinationen lauten: individualistisch-territorial, holistisch-territorial, holistisch-ethnisch.

Bei der Anwendung dieser Typologie ist zweierlei zu beachten. Erstens handelt es sich um Idealtypen, nicht um praktische Wertungen. Gewiß lassen sich Gründe dafür angeben, weshalb der erste Typ den beiden anderen vorzuziehen sei, doch beruhen diese auf normativen, d.h. kontrafaktischen Erwartungen. Idealtypen dagegen beziehen sich auf empirische Geltung, auf einen „Komplex von faktischen Bestimmungsgründen realen menschlichen Handelns“ (Weber 1976, 181); und was diese betrifft, so ist keineswegs ausgemacht, ob nicht der Übergang vom individualistischen Typus zu den holistischen Typen einem säkularen Strukturwandel der episteme korrespondiert: dem Übergang von einer Ordnung des Wissens, die um handelnde Subjekte zentriert ist, zu einer Ordnung, in der, mit Foucault zu reden, Arbeit, Leben und Sprache die Funktion von Transzendentalien besitzen, von übersubjektiven Bedingungen, „die die objektive Erfahrung der Lebewesen, der Produktionsgesetze und der Formen der Sprache ermöglichen“ (Foucault 1971, 301). Ein Argument gegen die praktische Präferenz für den individualistisch-territorialen Typ wäre dies nicht. Wohl aber eine Erklärung dafür, weshalb die beiden anderen Typen im 19. Jahrhundert wachsende Zustimmung erfahren, und dies keineswegs nur in Deutschland.

Zweitens ist die Reifizierung der Typen zu vermeiden. Den deutschen Diskurs über die Nation pauschal dem holistisch-ethnischen Typ zuzuschlagen, wie das etwa Liah Greenfeld tut, ist nicht nur für Deutschland insgesamt falsch,4 es trifft nicht einmal für die deutsche Rechte zu, wie im folgenden gezeigt werden soll. Auch wenn dort der individualistisch-territoriale Typ überwiegend dem westlichen Nationsverständnis zugeordnet und entsprechend abgelehnt wurde, besaß der holistisch-ethnische Nationsbegriff doch einen starken Rivalen im holistisch-territorialen Konzept, und wiewohl sich nicht bestreiten läßt, daß der erstere dem letzteren seit der Jahrhundertwende den Rang abzulaufen begann, so war dies doch das Ergebnis einer Konkurrenz, bei der keineswegs von vornherein ausgemacht war, welches Konzept am Ende siegreich sein würde.

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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