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Kapitel 3

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Der Kreuzer der Hermes-Klasse, TKS Waterloo, materialisierte mit kurzem Lichtblitz im Lost-Hope-System und sendete sofort sein Identifikationssignal sowie seinen Autorisationscode, damit die automatischen Verteidigungsanlagen das Schiff nicht augenblicklich in Stücke schossen.

Als Antwort erhielt die Waterloo lediglich einen kurzen Funkimpuls, der ihr mitteilte, sie dürfe sich nähern. Der Kreuzer beschleunigte mit Höchstgeschwindigkeit ins innere System. Konteradmiral Okuchi Nogujama verbrachte die Fahrt in seinem persönlichen Shuttle im winzigen Beiboothangar der Waterloo. Für gewöhnlich reisten Admiräle ein wenig standesgemäßer, doch Schiffe der Hermes-Klasse gehörten zu den schnellsten der Flotte und Geschwindigkeit war diesmal von weitaus größerer Bedeutung als Bequemlichkeit.

»Admiral«, meldete sich der Captain der Waterloo wenig später. »Die Bodenkontrolle hat soeben die Starterlaubnis für Ihr Shuttle erteilt. Sie können los. Wir warten hier auf Sie.«

»Verstanden, Captain.« Er wandte sich an den Piloten. »Also los, Lieutenant.«

Der Pilot machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern begnügte sich mit einem angedeuteten Nicken über die Schulter, während er sich darauf konzentrierte, das Shuttle aus dem Hangar zu steuern.

Die Waterloo befand sich bereits auf einem Parkorbit, wodurch Nogujama sofort nach dem Start ein atemberaubender Blick auf den Planeten gewährt wurde. Lost Hope verfügte nur über den einen. Darüber hinaus war die Sonne des Systems bereits seit Jahrhunderten dabei, langsam zu erkalten. Dies hatte einen rapiden Klimawandel auf der Welt unter ihm ausgelöst und den Planeten in eine Schneekugel aus gefrorenem Eis verwandelt, die regelmäßig von verheerenden Schneestürmen heimgesucht wurde. Der rapide Temperatursturz hatte darüber hinaus dafür gesorgt, dass innerhalb nur weniger Jahrzehnte nahezu jede einheimische Flora und Fauna den extremen Minusgraden zum Opfer gefallen war. Bis auf einige wenige Klein- und Kleinstlebewesen, die es geschafft hatten, sich rasch genug anzupassen, um dem Massensterben zu entgehen.

Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass die Lebensbedingungen vor der Erkaltung der Sonne durchaus angenehm gewesen sein mussten. Doch das war lange vorbei. Die Umweltbedingungen auf dieser Welt waren nun extrem feindlich. Überleben konnte man nur in einer der unterirdischen Anlagen und selbst dann war es nicht gerade ein komfortables Leben, das man führte.

Es war der perfekte Standort für das strengste Hochsicherheits-Militärgefängnis, das es in dem von Menschen besiedelten Weltraum gab. Beide Nullgrenzen des Systems und die dazugehörigen Sprungpunkte waren durch Verteidigungssatelliten und automatische Abwehrstellungen gesichert. Passieren konnte nur, wer einen gültigen Code vorwies. Und der Code änderte sich wöchentlich.

Sobald man in den Orbit einschwenkte, wurde man von bodengestützten Raumabwehrwaffen erfasst, die das jeweilige Schiff nicht mehr aus der Zielerfassung ließen, bis es den Orbit wieder verließ. In der dünnen Lufthülle von Lost Hope patrouillierten regelmäßig Jagdstaffeln, die in der Lage waren, jeden Eindringling abzufangen, der es wagte, unangemeldet zu erscheinen. Oder – sollte es zu einem Gefangenenaufstand kommen – jedes nicht autorisierte Schiff, das abhob.

Die Wachmannschaft wurde von einer privaten Sicherheitsfirma gestellt. Also Söldner. Jedoch die besten, die es für Geld zu mieten gab. Ihre Stärke belief sich auf mehrere Tausend und sie ließen sich ihre Dienste gut entlohnen. Dennoch war es weit billiger, als eine reguläre Militäreinheit in derselben Stärke hier zu stationieren. Lediglich eine einzelne TKA-Kompanie war hier untergebracht, deren Befehlshaber sozusagen als Verbindungsmann zwischen der Sicherheitsfirma und dem Militär diente. Mit anderen Worten: eine Alibi-Kompanie.

In diesem Gefängnis saß der übelste Abschaum. Jeder Einzelne war ein Killer, Vergewaltiger, Drogenhändler, Mörder oder Sadist. Und darüber hinaus war jeder Einzelne auch noch Soldat. Die Männer und Frauen, die hier einsaßen, verkörperten alles, was am Militär faul war. Und man schickte sie hierher, damit die Menschheit vergessen konnte, dass es sie gab.

Lost Hope war die Endstation. Von hier gab es kein Entkommen. Hier erhielt man keine Bewährung wegen guter Führung. Und Freigang schon gar nicht. Eine Verlegung nach Lost Hope war so gut wie ein Todesurteil. Und trotzdem war er nun hier, um einem dieser Männer ein Angebot zu machen, bei dem ihm selbst die Galle hochkam. Doch er hatte keine andere Wahl.

Auf dem Flug fort von der Waterloo beobachtete der Admiral, wie ein Konvoi den Planeten erreichte. Insgesamt acht Schiffe. Sechs davon waren Großraumtransporter. Begleitet von zwei kleinen Zerstörern. Frischfleisch für das Straflager. Nogujama schüttelte bekümmert den Kopf. Vor dem Krieg wäre ein Konvoi diese Größe mindestens von Leichten oder sogar Schweren Kreuzern eskortiert worden. Nun war dies nicht mehr möglich. Die Anforderungen des Konvoidienstes mussten den Anforderungen des Krieges weichen. Alle größeren Kampfschiffe wurden dringend an der Front gebraucht.

Als das Shuttle tiefer in die Atmosphäre hinabstieß, bemerkte Nogujama einige Schatten in den Wolken unter ihnen, die ihnen folgten. Noch bevor er sich fragen konnte, was das war, schälten sich vier schnittige Arrow-Abfangjäger elegant aus dem dichten Wolkenvorhang.

»Personenshuttle XP-8801«, funkte der Staffelführer sie an. »Hier ist die Wachstaffel der Lost-Hope-Basis für diesen Quadranten. Folgen Sie uns. Wir eskortieren Sie zu Ihren Landekoordinaten.«

»Verstanden, Wachstaffel«, bestätigte sein Pilot ein wenig nervös.

Nogujama verfolgte die Jäger, so gut er es von seinem Sitz aus vermochte. Zwei der Arrows positionierten sich links und rechts des Shuttles. Die beiden anderen direkt dahinter. Bei dieser Art Aufmerksamkeit konnte er dem Piloten seine Nervosität nicht verdenken. Die Jäger würden, ohne zu zögern, schießen, sollten sie sich in irgendeiner Form verdächtig verhalten oder die Piloten sich bedroht fühlen. Lost Hope war definitiv keine Welt, auf der man uneingeladen erscheinen sollte.

Der Flug dauerte noch über eine halbe Stunde. Eine unangenehm lange Zeitspanne, wenn einem ständig bewusst wird, dass das eigene Leben von der Gnade zweier Piloten abhing, die nur einmal kurz mit dem Zeigefinger zucken mussten, um das eigene Schiff in eine Staubwolke zu verwandeln. Doch seine Ängste erwiesen sich als unbegründet und sie landeten planmäßig in einem kleinen Hangar in der nördlichen Hemisphäre des Planeten.

Die Rampe wurde herabgelassen und Nogujama betrat das Gefängnis. Es war seltsam. In seiner ganzen Dienstzeit als Chef des MAD hatte er vermutlich Hunderte von Männern und Frauen hierher geschickt, jedoch war dies das erste Mal, dass er diese Welt selbst betrat. Ein beklemmendes Gefühl.

Er wurde bereits von einem Mann mittleren Alters in der mattblauen Uniform der TKA empfangen.

»Willkommen auf Lost Hope, Admiral«, begrüßte ihn der Mann überraschend freundlich. »Ich bin Captain Devinger, der Kommandant des TKA-Kontigents auf Lost Hope. Der Gefängnisdirektor lässt sich entschuldigen, aber er hat einen sehr streng ausgearbeiteten Terminplan und …«

»Nur wenig Zeit für das Militär. Ich verstehe vollkommen, Captain.«

Nogujama reichte Devinger die Hand zu einem festen Händedruck, bei dem ihm bewusst wurde, dass der Mann ihn gerade testete. Dieses Verhalten imponierte ihm sogar irgendwie. Der Captain hatte also keinen Respekt vor einem Rang, aber vor Individuen, die seiner Meinung nach Respekt verdienten. Das versprach interessant zu werden.

Devinger löste den Händedruck als Erster und trat, offensichtlich zufrieden, einen Schritt zurück. »Wenn Sie mir bitte folgen würden.«

Nogujama nickte, als Devinger die Führung übernahm. Das Innere von Lost Hope war ein einziger Wirrwarr miteinander verzweigter Gänge und Tunnel mit daran angeschlossenen Zellen. Der Admiral war sich sicher, dass er alleine niemals den Weg zurück zum Hangar finden würde. Das Ausmaß des Gefängniskomplexes war schlichtweg deprimierend. Dass ein Militärapparat so viele Psychopathen hervorbrachte, sollte eigentlich zum Nachdenken anregen. Leider drehten sich Nogujamas Gedanken im Moment einzig und allein um das Problem, wie er den Mann, den er hier treffen wollte, zur Mitarbeit bewegen konnte.

Devinger führte den Admiral in einen Raum, in dessen Mitte ein kleiner Tisch und zwei Stühle standen. Ansonsten war das Zimmer vollkommen leer.

»Sie kennen die Regeln«, erklärte Devinger ruhig. »Sie berühren den Gefangenen nicht und geben ihm keine Gegenstände. Genauso wenig sind Waffen in diesem Raum erlaubt. Außer denen der Wachen selbstverständlich.«

»Ich bin nicht bewaffnet.«

»Ausgezeichnet. Warten Sie bitte hier.«

Devinger verließ ohne weitere Worte das Zimmer und ließ Nogujama allein. Der Admiral nutzte die Zeit, um sich mit der Umgebung vertraut zu machen. Die anfängliche Einschätzung erwies sich als nicht ganz richtig. Das Zimmer war bis auf Tisch und Stühle keineswegs leer. In jeder Ecke des Raumes waren Kameras, die keine toten Winkel zuließen. Der Admiral fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis bewaffnete Wachen hereinstürmten, falls es zu einem Notfall kam. Vermutlich nicht allzu lange.

Die Tür auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich und ein Mann betrat das Zimmer. Er war so groß, dass er sich ducken musste, um den Raum zu betreten. Er trug einen Gefängnisoverall, der im typischen Orange gehalten war. Seine bloßen Arme waren mit Tätowierungen bedeckt, von denen Nogujama wusste, unter der Kleidung bedeckten sie fast die Hälfte seines Oberkörpers.

Hände und Füße waren mit Ketten gefesselt, die so kurz waren, dass der Gefangene einen watschelnden Gang an den Tag legen musste, um überhaupt von der Stelle zu kommen. Das dunkelbraune Haar war bis auf wenige Millimeter kurzgeschoren, um Läusebefall vorzubeugen. Als die blauen Augen Nogujama in der Mitte des Raumes bemerkten, verengten sie sich zu wütenden Schlitzen.

»Hallo Alan«, begrüßte der Admiral den Neuankömmling.

»Ich habe Ihnen nichts zu sagen,« sagte der Gefangene und machte Anstalten, sich umzudrehen, um den Raum zu verlassen. Doch die vier Wärter, die hinter ihm durch die Tür drängten, verhinderten es. Sie umringten ihn im Halbkreis. Jeder mit einem Schlagstock in der einen und einem kleinen Sender in der anderen Hand. Nogujama wusste, über diesen Sender konnten die Fesseln unter Strom gesetzt werden. So, wie er seinen Gegenüber kannte, bezweifelte er aber, dass dieser sich dadurch würde stoppen lassen. Den unsicheren Mienen der Wächter nach zu urteilen, die sich immer wieder gegenseitig unschlüssige Blicke zuwarfen, teilten sie diese Ansicht.

»Setzen Sie sich, Alan«, forderte Nogujama den Gefangenen auf. »Bitte.«

Trotz seiner Fesseln und der Wachen wirkte der Mann kein bisschen eingeschüchtert oder weniger gefährlich als in Nogujamas Erinnerung. Tatsächlich machte er den Eindruck, sich der Aufforderung widersetzen zu wollen. Einer der Wächter trat einen Schritt näher. Offensichtlich mit der Absicht, den Gefangenen dazu zu zwingen, sich zu setzen. Ein einzelner Blick des Häftlings scheuchte ihn zurück. Nogujama fragte sich amüsiert, wer hier eigentlich Häftling und wer Aufseher war.

»Lassen Sie uns bitte allein«, forderte der Admiral die Wachen auf. Diese warfen ihm verdutzte Blicke zu, zogen sich dann aber achselzuckend durch die Tür zurück. Wenn der Admiral sich freiwillig umbringen wollte, war das schließlich seine Entscheidung. Die Tür schloss sich mit einem Knall hinter dem Quartett. Erst dann drehte sich der Gefangene zu Nogujama um.

»Mutig.«

»Sie werden mir nichts tun«, erwiderte der Admiral leichthin und fragte sich im selben Augenblick, ob er sich das leichte Zittern in seiner eigenen Stimme nur einbildete. Er setzte sich und legte die mitgebrachte Aktentasche vor sich auf den Tisch. Auffordernd sah er zu dem Mann auf. Dieser kam zu dem Schluss, dass er sich zumindest anhören könnte, was der Admiral von ihm wollte, da er sich auf den Stuhl gegenüber von Nogujama setzte. Seine Augen blickten immer noch wachsam und argwöhnisch. Aber auch neugierig.

»Alan Foulder«, begann Nogujama. »32 Jahre alt, ehemaliger Captain der Marines. Hochdekoriert und dreimal im Dienst verwundet. Im Jahre 2139 wegen Mordes an seinem vorgesetzten Offizier zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der Bewährung oder vorzeitigen Entlassung in der Lost-Hope-Strafanstalt verurteilt. Sie sitzen nun schon vier Jahre ein, Alan.«

»Das Gespräch fängt an, mich zu langweilen. Meinen Werdegang kenne ich selbst am allerbesten. Kommen Sie zur Sache oder lassen Sie mich wieder in meine gemütliche Zelle zurück.«

»Wir haben Schwierigkeiten.«

»Das ist schlecht … für Sie.« Foulder lehnte sich gemütlich zurück. Unter seinem gewaltigen Gewicht begann der Stuhl, unangenehm zu knirschen.

»Haben Sie davon gehört?«

»Schlechte Gerüchte verbreiten sich schnell. Vor allem an einem Ort wie dem hier. Die Ruul treten euch ziemlich in den Arsch.«

Nogujama verzog mürrisch das Gesicht. »Das ist eine unschöne, aber leider zutreffende Bemerkung.«

»Was hat das mit mir zu tun?«

»Wir brauchen Sie. Die Menschheit braucht Sie. Und ich auch.«

Foulder lachte bellend auf. »Das ist es? Deshalb sind Sie hier? Sie kommen den weiten Weg von der Erde her und besuchen mich in diesem Schließmuskel des Universums, um mir zu sagen, die Menschheit braucht mich? Vielleicht brauche ich aber die Menschheit nicht mehr.«

»Reden Sie kein dummes Zeug, zum Teufel.« Nogujama schloss die Aktentasche auf und holte einige Fotos und Scanneraufzeichnungen heraus und reichte sie wortlos an Foulder weiter. Dieser ging sie schweigend durch und mit jeder neuen Information, die er in sich aufnahm, wanderten seine Augenbrauen ein wenig mehr in die Höhe. Als er mit dem Studium der Unterlagen fertig war, pfiff er leise durch die Vorderzähne.

»Ihr habt ein ziemliches Problem. Ich verstehe nur nicht ganz, was das mit mir zu tun haben soll.«

»Es gibt einen Plan. Einen Plan, dieses Schiff«, er deutete auf die Fotos, »zu zerstören. Von innen.«

Foulder schnaubte erheitert auf. »Sie müssen schon sehr verzweifelt sein, um so etwas auch nur in Erwägung zu ziehen. Dieses Ding ist eine Festung. Was glauben Sie, wie viele ruulanische Soldaten in einem Schiff dieser Größe stationiert sind.«

»Wir gehen von mehreren Tausend aus.«

»Und Sie kommen zu mir, weil Sie denken, dass ich … was?«

»Weil ich immer noch der Meinung bin, dass Sie ein hervorragender Soldat sind, der diesen Einsatz leiten und zum Erfolg führen könnte.«

»Wohl eher, weil Sie sonst niemanden haben, der das durchziehen könnte.« Foulder setzte sein frechstes Grinsen auf, von dem Nogujama wusste, dass es dafür reserviert war, ihn zu reizen. »Und weil niemand so verrückt ist, es zu versuchen.«

»Ja, das auch«, gab er zu.

Foulders Grinsen verschwand schlagartig. »Denken Sie wirklich, ich habe vergessen – oder könne jemals vergessen –, dass Sie es waren, der mich hierher gebracht hat, Nogujama? Und jetzt haben Sie allen Ernstes die Stirn, hierher zu kommen und mich um so etwas zu bitten? Fahren Sie zur Hölle!«

»Dort werden wir bald alle landen, wenn Sie weiterhin so stur sind. Nicht ich habe Sie nach Lost Hope gebracht. Dieses Kunststück haben Sie ganz allein fertiggebracht. Sie sitzen nicht zu Unrecht hier. Schließlich sind Sie ein Mörder. Diese Tatsache ist unbestreitbar. Nicht einmal bei Ihrem Prozess haben Sie es bestritten.«

»Aber Sie wissen auch ganz genau, wieso ich das getan habe, und Sie taten nichts, um mir zu helfen. Nichts!«

»Es gab auch nichts, das ich hätte tun können. Verdammt, Alan! Sie hatten eine glänzende Karriere vor sich. Das alles haben Sie weggeworfen, in einem einzigen Augenblick unkontrollierter Wut.«

»Das Schwein hatte den Tod verdient.«

Nogujama schüttelte bekümmert den Kopf. »Das hatten nicht Sie zu entscheiden, doch ich bin nicht hier, um immer wieder das alte leidige Thema durchzukauen, Alan.«

Das überhebliche Grinsen kehrte auf Foulders Gesicht zurück. »Nein, Sie sind hier, weil Sie mich brauchen.«

»Ja, und Sie sollen es auch nicht umsonst tun. Als Gegenleistung für Ihre Hilfe biete ich Ihnen eine volle Begnadigung an und die Wiedereinsetzung Ihres Offizierspatents.«

Foulder schaute zur Decke und schürzte nachdenklich die Lippen. »Lassen Sie mich kurz Ihr Angebot in Worte fassen: Sie bieten mir an, mich zu begnadigen. Aber dafür soll ich erst ein schwer bewaffnetes Schiff mit Tausenden von Ruul stürmen und zerstören. Hört sich an, als würden Sie mir anbieten, lebenslange Haft gegen einen schnellen und sehr schmerzhaften Tod zu tauschen. Nicht sehr verlockend, wenn Sie mich fragen.«

»Und was wollen Sie stattdessen tun? Einfach hier sitzen, sich zurücklehnen und warten, bis die Ruul hier eintreffen, um diese ganze Schneekugel zusammenzubomben?«

»Klingt doch nach einem guten Plan«, erklärte Foulder gelassen, doch Nogujama glaubte, einen kleinen Kratzer in Foulders ansonsten aalglatter Fassade entdeckt zu haben.

»Das ist nicht Ihr Stil. Einfach dasitzen und nichts tun. Das war noch nie Ihr Ding, und das wird es auch nie sein. Sie waren schon immer ein Kämpfer, der sich lieber seinem Schicksal stellt. Sie werden sich nie ändern.«

»Zum Teufel mit Ihnen!«, fluchte Foulder erneut und stand ruckartig auf. »Nehmen Sie sich Ihren feinen Plan und schieben Sie ihn sich dorthin, wo die Sonne nicht scheint. Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Mit Ihnen bin ich fertig. Die Menschheit hat mich hier abgeladen wie Abfall. Das heißt, ich schulde ihr nichts. Und Ihnen schulde ich auch nichts.«

Foulder drehte sich um, ging zur Tür und hämmerte mit den gefesselten Händen dagegen. »Wachen! Aufmachen! Bringt mich gefälligst in meine Zelle zurück!«

»Alan«, hielt Nogujama ihn noch kurz zurück. »Denken Sie noch an eins: Dort draußen sterben Tausende junger Männer und Frauen. Und das jeden Tag. Menschen, die früher Ihre Kameraden waren. In früheren Zeiten hätten Sie mit Freunden Ihr Leben für diese Soldaten gegeben. Sie könnten das Sterben zumindest kurzzeitig beenden und uns eine Chance verschaffen. Früher hätte Sie das nicht kaltgelassen.«

Die Tür ging auf und die vier Wachen strömten wieder in den Raum. Als Foulder antwortete, blickte er lediglich über die Schulter. »Das waren noch andere Zeiten, Admiral.« Es war das erste Mal während des Gesprächs, dass er Nogujamas Rang benutzte. »Und ich bin auch ein anderer Mensch. Kommen Sie nicht wieder her. Ich könnte nicht dafür garantieren, dass ich Sie das nächste Mal ungeschoren gehen lasse.«

Bei dieser unverhohlenen Drohung spannten sich die Muskeln der Wachen bedrohlich an, doch dem Admiral fiel auf, keiner von ihnen machte eine schnelle oder ruckartige Bewegung, um den Gefangenen ja nicht zu provozieren.

Anders als die Wachen machte sich Nogujama keine Sorgen, Foulder könnte ihn angreifen. Denn etwas an dessen Haltung hatte sich geändert. Der Admiral konnte nicht mit Sicherheit sagen, was das war, aber vielleicht hatten ihn seine Worte erreicht oder an einem empfindlichen Punkt getroffen.

»Falls Sie es sich anders überlegen, mein Schiff wird noch zwei weitere Tage im Orbit sein. Länger kann ich auf Ihre Antwort nicht warten. Sollten Sie mit mir sprechen wollen, sagen Sie es einfach den Wachen. Man wird mich dann informieren.«

»Damit sollten Sie nicht rechnen.« Ohne weitere Umschweife wurde Foulder aus dem Raum geführt und die Tür schloss sich hinter den Männern wieder. Kaum war sie verriegelt, öffnete sich die andere und Devinger erschien.

»Nun, Admiral? War Ihr Besuch bei uns erfolgreich?«

Nogujama sammelte seine Unterlagen ein und packte sie frustriert zurück in seine Aktentasche. Sein Blick suchte die Tür, durch die Foulder soeben verschwunden war. Als könne er ihn durch das Metall hindurch immer noch wahrnehmen.

»Das werden wir sehen.«

Nogujamas Worte hatten Alan in der Tat tiefer getroffen, als dieser zuzugeben bereit war. Den ganzen Rückweg zu seiner Zelle musste er über das Gespräch nachdenken. Und die Aussicht auf Begnadigung hatte durchaus etwas Verlockendes. Das hatte er gegenüber dem Admiral nur nicht zugeben wollen. Auch wenn er sehr bezweifelte, dass er seine Freiheit wirklich würde genießen können. Die angesprochene Mission zu überleben, war schon mehr als zweifelhaft.

Als sich die verstärkte Eisentür seiner Zelle hinter ihm schloss, fühlte er sich erstmals seit vier Jahren allein und einsam. Die Freiheit war nur einen Steinwurf weit weg. Und auch wenn sie nur einige Tage dauern würde, nämlich bis die Ruul ihn umbrachten, so war er in dieser Zeit dennoch frei. Er legte sich mit dem Rücken auf die schmale Pritsche und starrte an die Decke.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Häftlingen hatte er dort keine Pin-up-Fotos vollbusiger mit Silikon vollgestopfter Frauen oder Aufnahmen der Familie angebracht. Stattdessen prangte dort seine Version eines Kalenders, der ihn ständig daran erinnern sollte, wie lange er schon einsaß. Die einzelnen Striche, die für Tage, Wochen, Monate und Jahre standen, hatte er mit dem angespitzten Stiel eines Löffels eingeritzt.

»Na? Primadonna?«, sprach ihn eine gereizte Stimme von rechts an. »Hattest du schönen Besuch?«

»Lass mich in Ruhe, Craig. Such dir diesmal jemand anderen zum Spielen. Ich muss nachdenken.«

»Oh, die Primadonna muss nachdenken«, höhnte sein Zellengenosse.

»Du fällst mir tierisch auf die Nerven, Arschloch.«

»Oh, das tut mir aber in der Seele weh, Primadonna.«

Primadonna war Alans Spitzname, den sich sein Zellengenosse Craig Hasker exklusiv für ihn ausgedacht hatte. Seit seiner Inhaftierung hatte er sich standhaft geweigert, einer der vielen Gruppierungen innerhalb des Gefängniskomplexes beizutreten. Das hatte ihm bei vielen das Manko der Arroganz eingetragen. Sie dachten, er hielte sich für etwas Besseres. Was sie nicht ahnten: Sie hatten recht.

In einem Punkt irrte sich Nogujama nämlich. Alan war kein ehemaliger Captain der Marines. Er war immer noch Marine. Das konnte ihm niemand nehmen, denn es war tief in seiner Seele verwurzelt. Durch harte Jahre des Dienstes und der Selbstaufopferung eingebrannt. Deshalb konnte man ihm seinen Rang auch nicht zurückgeben, denn niemand konnte ihm diesen nehmen. So etwas wie einen Ex-Marine gab es nicht. Einmal Marine, immer Marine. Das war es, was Menschen wie Nogujama nicht verstanden. Nicht verstehen konnten. Dass er damals seinen Vorgesetzten getötet hatte, war ebenfalls aus seiner ganz persönlichen Auffassung von Ehre geschehen. Nur verstanden das viele nicht. Und die meisten, die es verstanden, wollten es nicht eingestehen. Nicht mal vor sich selbst. Das Militärtribunal hatte ebenfalls anders darüber gedacht. Sollten sie doch alle zur Hölle fahren. Was kümmerte es ihn, wenn die Ruul sie alle umbrachten?

Aber es kümmerte ihn, wie er sich noch in derselben Sekunde eingesehen musste. Verdammtes Militär, verdammter Nogujama und verdammte Menschheit.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Craig sich unruhig auf seiner Pritsche bewegte. Dass Alan ihn ignorierte, reizte den Mann, machte ihn aggressiv. Er bezweifelte sehr, dass Craig seinem Unmut durch Handgreiflichkeiten Luft machen würde. Alan stand zwar in dem Ruf, arrogant zu sein, aber genauso stand er in dem Ruf, mit Angreifern ungnädig umzugehen. Das letzte Mal, als eine Gruppe Streithähne versucht hatte, ihn im Duschraum zu verprügeln, waren drei Mitgefangene anschließend im Lazarett aufgewacht. Einer von ihnen konnte jetzt nur noch Flüssignahrung zu sich nehmen.

Alan grinste. Das war ein schöner Tag gewesen. Endlich etwas Abwechslung in diesem eintönigen Laden. Nur leider hatte seitdem niemand mehr versucht, ihm etwas anzutun. Schade eigentlich. Etwas Training hätte er vertragen können. Man bekam hier sonst so selten Gelegenheit dazu.

Ach, zum Teufel!, dachte er und stand mit neuem Schwung auf. Irgendetwas zu tun war besser, als hier herumzuvegetieren. Wenigstens konnte er noch ein paar Ruul durch die Gegend scheuchen, bevor es zu Ende ging. Das war besser als nichts. Und mit Sicherheit war es besser, als in einer stinkigen Zelle die Jahre zu zählen und auf den Tod zu warten. Er hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür.

»Wachen! Ich will mit Nogujama reden! Sofort!«

Bereits fünf Stunden später stand er dem Admiral erneut gegenüber. Nur jetzt in Nogujamas Quartier an Bord der Waterloo. Alan trug noch immer die zweckmäßige Gefängniskleidung. Die Fesseln hatte man jedoch entfernt.

»Ich muss gestehen, ich bin überrascht«, eröffnete der Admiral das Gespräch. »Hätte nicht gedacht, dass Sie sich so schnell umentscheiden. Darf ich fragen, was der Grund ist?«

»Spielt das eine Rolle?«

»Eigentlich nicht.« Nogujama zuckte leichthin mit den Achseln. »Also schön, dann können wir ja …«

»… zu meinen Bedingungen kommen.«

»Wie bitte?«

»Meine Bedingungen. Dafür, dass ich an Ihrem kleinen Plan mitwirke.«

Nogujama konnte nicht anders und prustete lauthals los. »Sie sind wirklich ein Unikum, Alan. Ich biete Ihnen an, Ihr Leben zurückzugeben, und Sie stellen tatsächlich noch Bedingungen.«

»So, wie ich das sehe, brauchen Sie mich mehr als ich Sie. Falls Sie nicht interessiert sind, dann verfrachten Sie mich einfach zurück auf den Planeten. Das würde mich auch nicht stören.«

Nogujamas Lachanfall legte sich langsam wieder und er begutachtete den Mann vor ihm mit einem langen, intensiven Blick. »Das Schlimme ist, ich bin überzeugt, Sie meinen das wirklich ernst.«

»Oh, da können Sie Ihren knochigen Arsch darauf verwetten.«

Der Admiral ignorierte die Wortwahl und forderte ihn mit einem Wink auf weiterzureden.

»Erstens. Ich will, dass meine Bezüge für die letzten vier Jahre ausgezahlt und auf ein Konto auf der Erde überwiesen werden. Sollte ich diese Mission nicht überleben, soll das Geld meiner Familie ausgezahlt werden. Ebenso die übliche Hinterbliebenenpension. Alles soll sein, als wäre meine Haftstrafe nie geschehen.

Zweitens. Ich werde nachträglich um eine Rangstufe befördert. Das wäre der Rang, den ich jetzt normalerweise innehätte, wäre ich nicht verurteilt worden. Die entsprechenden Bezüge werden natürlich angeglichen und ebenfalls meinem Konto gutgeschrieben.«

»Ist das alles?«

»Noch nicht ganz. Drittens. Ich will mir das Angriffsteam selbst auswählen.«

Nogujama dachte ausgiebig über seine Worte nach, bevor er darauf einging. »Ganz schön frech, solche Forderungen zu stellen.« Als Antwort erhielt er nur ein überhebliches Grinsen. »Aber ich denke, zumindest die ersten beiden Punkte stellen kein Problem dar. Der dritte allerdings schon. Ich hatte eigentlich bereits ein Team ausgewählt.«

Alan schüttelte entschlossen den Kopf. »Entweder alle Punkte oder der Deal ist gestorben. Sie können entscheiden, was Sie wollen, aber von den Forderungen werde ich keinen Millimeter abweichen.«

»Hatte ich auch nicht erwartet. Einen Vorschlag zur Güte. Wir kombinieren das Team. Die Leute, die sie auswählen, und die Leute, die ich bereits ausgesucht habe. Einverstanden?«

»Das könnte aber ein ernstes Problem geben«, hielt Alan dagegen. »Beide Gruppen kennen sich nicht und haben noch nie zusammengearbeitet.«

»Trotzdem lasse ich Sie auf keinen Fall ohne meine Leute losmarschieren. Ende der Diskussion.«

Alan kannte Nogujama gut genug, um zu wissen, dass dieser in dem Punkt unnachgiebig sein würde. Er hatte bereits mehr erreicht, als er zu hoffen gewagt hatte. Es auf die Spitze zu treiben, wäre eine geradezu sträfliche Dummheit gewesen.

»Einverstanden«, gab er nach. Der ehemalige Gefangene kramte lautstark in seiner Tasche und förderte schließlich ein zusammengeknülltes Stück Papier zutage, das er vor Nogujama auf den Schreibtisch warf.

Der Admiral faltete es auseinander und fragte währenddessen: »Und was ist das?«

»Mein Team«, stellte Alan unumwunden fest. »Auf dem Zettel stehen fünf Namen von Leuten, die ich ausgewählt habe.«

»Hoffentlich sind sie nicht zu weit verstreut. Wir haben keine Zeit, sie aus allen Himmelsrichtungen zusammenzusuchen.«

Alan setzte erneut sein überhebliches Grinsen auf. »Oh, das ist das Beste daran. Das müssen wir gar nicht. Sie sind allesamt auf dem Planeten unter uns.«

Der Ruul-Konflikt 3: In dunkelster Stunde

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