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Kapitel 4

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Es war erstaunlich, wie weit die Vorbereitungen im Fortress-System schon waren. Das abgestellte Pioniercorps hatte den aufgegebenen Stützpunkt in Beschlag genommen, Bunker für die Stationierung von Raumabwehrwaffen und Flaks gegraben, unterirdische Bunker für Nachschublager angelegt, diese durch Tunnel miteinander verbunden und Standorte für mehrere provisorische Flugfelder mit Planierraupen eingeebnet. Im Moment waren sie damit beschäftigt, ein Netz miteinander verbundener Schützengräben um den eigentlichen Hauptstützpunkt anzulegen. Nur für den Fall, dass es die Ruul bis zur Oberfläche schafften. Woran eigentlich niemand zweifelte. Die Frage war nicht ob, sondern wann die Ruul landeten.

Als Alan das Shuttle verließ, schüttelte er verwundert den Kopf.

Hätte es nie für möglich gehalten, dass ich Lost Hope vermissen könnte. Gott, ist diese Landschaft vielleicht deprimierend.

Ähnlich wie das Lost-Hope-System hatte auch das Fortress-System nur noch einen einzigen Planeten. Wobei man in diesem Fall nur sehr großzügig von einem Planeten sprechen konnte. Wo die Gefängniswelt eine Schneekugel im All war, war Fortress nur ein trostloser Felsbrocken. Wohin man auch sah, es gab nur Felsen und Steine, die sich abwechselten mit … oh Wunder … Steinen und Felsen.

Die Bunker, Tunnel und Schützengräben hatte man mit Hochleistungsbergbaulasern in den nackten Felsen brennen müssen. Dieser Umstand machte die Leistung der Pioniere in der relativ kurzen Zeit nur um so beeindruckender. Die Lufthülle des Planeten war so dünn, dass man außerhalb von Gebäuden eine leichte Atemmaske über Mund und Nase tragen musste, deren Vorrat für etwa drei Stunden ausreichte. Durch den dichten Eisenkern des relativ kleinen Planeten betrug die Schwerkraft zum Glück Erdnorm, sodass sich die Arbeiter und Truppen nicht umstellen mussten. Allerdings wäre eine geringere Schwerkraft auch nicht schlecht gewesen. Er hätte nichts dagegen gehabt, hier ein paar Kilos weniger zu wiegen.

»Geh aus dem Weg, Primadonna.«

Eine unsanfte Hand drückte ihn grob zur Seite und ein schlecht gelaunter, mürrisch dreinblickender Craig Hasker schob sich an ihm vorbei. Die Narbe, die sich von Craigs Stirn bis hinunter auf seine linke Gesichtshälfte erstreckte und das Lid seines linken Auges herunterzog, wirkte bei Tageslicht sogar noch bösartiger. Alan hatte gute Lust, ihm etwas Manieren beizubringen, verkniff es sich aber. Sie mussten noch zusammenarbeiten und da hatte es keinen Sinn, wegen einer Nichtigkeit einen Streit mit seinem ehemaligen Zellengenossen vom Zaun zu brechen.

Warum er ausgerechnet ihn ausgewählt hatte, war ihm immer noch nicht so ganz klar. Vielleicht lag es daran, dass der wegen Mordes verurteilte Craig Hasker einer der besten Sprengstoffexperten war, den das Militär derzeit hatte oder jemals haben würde. Die Insassen der Militärgefängnisse mitgerechnet. Auch wenn seine Art dem ehemaligen Sergeant Major nicht gerade viel Freunde bescherte.

Nach und nach kam jetzt der Rest von Alans Team aus dem Shuttle. Unter den wachsamen Augen von einigen MAD-Soldaten, deren Hände sich nie weit von ihren Waffen entfernten. Na ja, wenn es ihnen Spaß machte. Er hatte die Männer und Frauen seines Teams genauso geködert wie Nogujama ihn. Mit dem Versprechen der Freiheit.

Die braunhaarige, etwas pummelige Erin Seekton torkelte mitgenommen aus dem Shuttle. Ehemals Major bei der Flotte. Lange Flüge waren dennoch nicht so sehr ihr Ding. Jedenfalls nicht, wenn sie nicht selbst am Steuerknüppel saß. Sie war eine ausgezeichnete Pilotin. Eigentlich kein Wunder, dass sie wegen Fahnenflucht verurteilt worden war. Hatte sie doch versucht, sich mit einem Zerberus-Jäger abzusetzen, um ein Leben fernab des Militärs zu führen. Weit war sie jedenfalls nicht gekommen, aber der Versuch zeugte doch von einer Kühnheit, die man einfach bewundern musste. Dass sie zusätzlich noch wegen Befehlsverweigerung und Angriffs auf einen vorgesetzten Offizier schuldig gesprochen worden war, war eher unter ferner liefen abzulegen.

Hinter ihr schob sich Eleanore Bimontaigne ins schwächer werdende Licht der Fortress-Sonne. Sie sah auf den ersten Blick unscheinbar und hilflos aus. Dürr und kreidebleich, wie sie immer war. Doch die ehemalige MAD-Offizierin hatte auf dem Flottenstützpunkt New Born ein ausgeklügeltes Netzwerk aufgebaut, das praktisch den gesamten Drogenhandel des Systems kontrolliert hatte. Bis sie zu gierig geworden war.

Zusätzlich zu ihrem florierenden Drogengeschäft hatte sie versucht, einen Prostitutionsring aufzubauen, indem sie drogensüchtige Offizierskollegen beiderlei Geschlechts, die bei ihr Kunden waren, mit eben diesem Wissen um ihre Drogenprobleme zur Mitarbeit erpresste. An diesem Punkt war man ihr schließlich auf die Schliche gekommen, noch bevor ihr neuer Geschäftszweig richtig etabliert war. Das war es dann auch mit ihrer kriminellen Karriere. Der MAD hatte sie kurzerhand verhaftet und sie war im Schnellverfahren abgeurteilt worden. Es gab Gerüchte, sie sei so schnell verurteilt und nach Lost Hope geschickt worden, weil einige hochrangige Generäle und Admiräle zu den Kunden ihres neu aufgebauten Prostitutionsrings zählten und diese sie schnellst möglich aus dem Weg haben wollten. Wenn man bedachte, dass sie im Knast nicht weniger als fünf Anschläge auf ihr Leben und drei angezettelte Messerstechereien überlebt hatte, konnte man durchaus zu der Meinung gelangen, dass etwas dran sein musste.

Das war aber noch längst nicht das einzige Gerücht, das die Frau betraf, die früher einmal Captain gewesen war. Man munkelte heute noch, sie habe die Dienste ihrer eigenen Prostituierten und Callboys selbst in Anspruch genommen. Die Frau galt als zügellos.

Und als unverbesserlich obendrein. Die Behörden auf Lost Hope hatten in den acht Jahren ihrer Gefangenschaft nicht weniger als neun Versuche zerschlagen müssen, ein kriminelles Netzwerk aufzubauen.

Fachlich gesehen war sie eine 1-A-Infiltrationsexpertin mit dem Spezialgebiet ruulanische Schiffe. Sie würde sich auf der bevorstehenden Mission als sehr nützlich erweisen. Sofern sie sie nicht alle umbrachte, nur weil ihr gerade danach war.

Der Nächste im Bunde war Jakob Olafsson. Ehemals TKA. Ehemals Lieutenant. Und immer noch ein Gauner und Schlitzohr. Groß, blond, schlank und sehr von sich eingenommen. Er war sozusagen die Kuriosität unter den ehemaligen Häftlingen, da er der Einzige war, der eigentlich gar nicht nach Lost Hope gehört hätte. Der Mann war so etwas wie ein Beschaffungsspezialist. Jakob konnte einfach alles besorgen, und das zu jeder beliebigen Zeit. Er nannte das kreative Materialwirtschaft. Der vorsitzende Richter hatte es Diebstahl und Hehlerei genannt.

Eigentlich Haarspalterei und Jakob hätte vermutlich keine allzu harte Strafe zu erwarten gehabt. Hätte ihm nicht ein Missgeschick ein Bein gestellt. Kurz vor seiner Verhaftung hatte er nämlich eine kleine Spritztour mit dem Hover-Car seines Generals unternommen. Und der Tochter des Generals auf dem Rücksitz.

Alan fragte sich, was den General wohl mehr gestört hatte. Die Sache mit dem Wagen oder seiner Tochter. Wie dem auch sei, war Jakob sein Glück bei den Frauen in die Quere gekommen und der General hatte einige Kontakte spielen lassen. So war Jakob schließlich in der Lost-Hope-Strafkolonie gelandet. Pech für ihn. Gut für die vor ihnen liegende Aufgabe.

Der Letzte aus Foulders Auswahl war Michael Yates. Der hatte früher vielleicht eine gute Figur gehabt, aber inzwischen war der Mann nur noch fett. Ein echtes Kunststück, wenn man den Gefängnisfraß bedachte. Leider war der ehemalige TKA-Captain der beste Codeknacker, den man finden konnte. Und ebenso wie Craig und er selbst ein verurteilter Mörder.

Das war also sein Team.

Na wenn das mal gut geht, dachte er kopfschüttelnd, als er seinen Leuten hinterherging. Immer darauf bedacht, dass sie keinen Ärger machten.

Er zupfte die Sauerstoffmaske auf seinem Gesicht zurecht, während er auf dem Weg zum Hauptgebäude müßig dahinstapfte. Ein Schatten, der geschmeidig über ihn hinwegzog und für eine Sekunde den Himmel verdunkelte, lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Er beschattete seine Augen mit der rechten Hand und verfolgte die Flugbahn des Objekts. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Es war kein Zerberus- und auch kein Arrow-Jäger. Es war viel größer und beide Jägertypen hätte er allein an ihrer jeweiligen, charakteristischen Form sofort erkannt. Dieses Flugzeug war anders. Seine Spannweite musste an der breitesten Stelle bestimmt fünfundzwanzig Meter betragen. Wenn nicht sogar mehr. Es hatte sehr breite Tragflächen, aber nur ein einzelnes leistungsfähiges Triebwerk am Heck. Das Cockpit saß fast an der Bugspitze des Jägers. Dadurch hatte es nur eine sehr kurze Schnauze von vielleicht einem halben Meter. Alan vermutete aufgrund der Größe der Cockpitkanzel, dass es zwei Mann Besatzung hatte. Unter den Tragflächen hingen an mehreren Aufhängungen verschiedene Arten von Raketen. Außerdem waren in den Tragflächen Zwillingslaser eingelassen und unter der Schnauze hing etwas, das entfernt einem Maschinengewehr ähnelte, aber unmöglich eins sein konnte.

»Beeindruckend, nicht wahr?!«

Alan fuhr überrascht herum. Dass sich jemand genähert hatte, hatte er gar nicht bemerkt. Das seltsame Flugzeug hatte ihn ganz in seinen Bann geschlagen.

Hinter ihm stand eine schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren, die im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Sie war Ende zwanzig oder Anfang dreißig und trug die mattschwarze Uniform des MAD mit den Rangabzeichen eines Majors am Kragen.

»Allerdings«, stimmte er ihr zu. Er drehte sich wieder zu dem Jäger um, der gerade erstaunlich geschmeidig auf einem nahen Flugfeld aufsetzte. Genau zwischen zwei anderen Flugzeugen desselben Typs. »Was ist das? Ich dachte, ich hätte schon alles gesehen.«

»Das ist unsere neueste Errungenschaft. Diese Babys heißen Spectre.«

Spectre, überlegte er. Schreckgespenst. Ein passender Name.

»In dem Ding stecken drei Jahre harte Entwicklungsarbeit. Es handelt sich um einen schweren, bodengestützten Angriffsjäger oder vielmehr einen Kampfbomber. Nicht so schnell wie Zerberusse und nicht so wendig wie Arrows, aber wesentlich schwerer bewaffnet und gepanzert als beide zusammen. Die Spectre können mächtig austeilen. Vor allem, wenn sie im Verband operieren.«

»Und sie sind verdammt groß.«

»Das ist einer der Gründe, weshalb man sie nicht auf Trägern oder Schlachtträgern einsetzen kann. Sie würden einfach zu viel Platz wegnehmen. Ein weiterer Grund ist der enorme Treibstoff- und Munitionsbedarf. Allerdings sind sie für Stützpunkte wie die Fortress-Basis perfekt geeignet.«

»Munitionsbedarf?«

»Ist Ihnen die Kanone unter dem Cockpit aufgefallen?«

Alan nickte. »Ich hielt es anfangs für ein Maschinengewehr. Aber das kann unmöglich sein. In einem Raumjäger wären Maschinengewehre in etwa so sinnvoll wie ein Schminkspiegel.«

Die Frau setzte sich wieder in Bewegung und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Gemeinsam setzten sie den Weg Richtung Hauptgebäude fort. »Sie lagen fast richtig. Es ist kein Maschinengewehr, sondern eine Maschinenkanone. Eine Projektilwaffe. Unsere Antwort auf die mit Schilden ausgerüsteten Schiffe der Ruul. Schutzschilde sind dafür da, Energiewaffen oder übergroße Projektile wie Torpedos beziehungsweise Raketen abzulenken oder deren Auswirkungen zu schwächen. Eine großkalibrige Maschinenkanone hingegen …«

»… geht möglicherweise direkt durch die Schilde und hämmert sofort auf die Panzerung ein«, beendete er den Satz für sie.

»Das ist unser gedanklicher Ansatz«, stimmte sie ihm zu. »Die Ruul haben mit Projektilwaffen, vor allem im Raumkampf, keine Erfahrung. Wir hoffen, dass diese Taktik eine Überraschung für sie darstellen wird.«

»Wir können auch jeden Vorteil gut gebrauchen.«

»Da hören Sie von mir keinen Widerspruch.«

»Wie viele von diesen Spectre haben Sie hier?«

»Dreihundert. Und die anderen Stützpunkte bei Starlight und Serena wurden ebenfalls mit ihnen ausgerüstet. Ich hoffe nur, es reicht, um die Ruul aufzuhalten.«

Das Hauptgebäude wurde langsam vor ihnen größer und Alan nutzte die kurze Pause in ihrem Gespräch, um seine Begleiterin näher in Augenschein zu nehmen. Sie sah unglaublich gut aus und war darüber hinaus auch noch genau sein Typ. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er schon seit Ewigkeiten nicht mehr dem Single-Markt zur Verfügung gestanden hatte. Schon so um die vier Jahre etwa. Selbst wenn die Frau nicht derart gut ausgesehen hätte. In seiner derzeitigen Verfassung hätte er vermutlich sogar einen Toaster besprungen.

»Sind Sie fertig?«

Seine Gedanken kehrten mit einem plötzlichen Ruck viel zu abrupt ins Hier und Jetzt zurück. »Wie bitte?«

»Ob Sie fertig sind? Mich zu begaffen?«

Er dachte kurz über ihre Worte nach und gestand sich ein, dass er sie wohl tatsächlich angestarrt hatte. Aber um Himmels willen. Vier Jahre im Gefängnis. Das musste doch jeder einsehen, oder?!

»Entschuldigen Sie«, gestand er ein wenig kleinlaut. »Ich dachte nur gerade …«

»Ich weiß genau, was Sie gerade dachten.« Ihre Stimme hatte einen kühlen Unterton angenommen. Nicht feindselig. Nur … nicht interessiert.

Trotzdem entschloss er sich, noch einen Vorstoß zu wagen. Marines gaben schließlich nicht so schnell klein bei.

»Vielleicht kann ich mein Verhalten wiedergutmachen? Mit einem gemeinsamen Mittagessen in der Offiziersmesse. Sobald meine erste Einweisung beendet ist. Was halten Sie davon?«

Sie blieb stehen und drehte sich ihm frontal zu. Musterte ihn von oben bis unten.

»Das hätte ich wohl erwarten müssen bei jemandem, der im Gefängnis gesessen hat«, sagte sie leichthin.

Na ist doch meine Rede, schmunzelte er in sich hinein. Bis ihm auffiel, was an dieser Aussage nicht stimmte. Da verging ihm das Lachen.

»Woher wissen Sie, dass ich gesessen habe? Ich habe nichts in dieser Richtung erwähnt und ich bin mir ziemlich sicher, wir sind uns noch nie begegnet.«

»Sind wir auch nicht, aber ich habe Ihre Akte gelesen.«

»Sie haben meine …« Es geschah ja wirklich nicht oft, doch er war nah dran, dass es ihm die Sprache verschlug. »Darf ich vielleicht auch den Grund Ihres gesteigerten Interesses an meiner Person erfahren?«

»Vielleicht sollte ich mich zunächst vorstellen.« Sie hielt ihm die Hand hin. »Major Rachel Kepshaw. Admiral Nogujama dürfte es Ihnen gegenüber eigentlich bereits erwähnt haben. Ich befehlige den zweiten Teil des Einsatzteams.«

Der Besprechungsraum roch muffig. Das lag zum einen an der abgestandenen und immer wieder aufbereiteten Luft des völlig überlasteten Lebenserhaltungssystems und zum anderen an den mehr als hundert Offizieren, die gespannt auf den Beginn der Einweisung warteten. Die meisten Anwesenden waren untereinander in unterdrückte, meist hitzige Diskussionen vertieft, die den ganzen Raum als Hintergrundwispern durchdrangen.

Alan saß in der ersten Reihe und war sich unangenehm der Nähe dieser Rachel Kepshaw bewusst. Die Eröffnung, sie würde ebenfalls am Einsatz teilnehmen, hatte ihn gelinde gesagt ein wenig aus dem Konzept gebracht. Dass eine Frau dabei war, störte ihn nicht. Immerhin hatte er selbst zwei ausgewählt. Aber musste sie so verdammt gut aussehen? Eines musste man sagen: Nogujama hatte Sinn für Humor.

Die Tür ging auf und schlagartig verstummten alle Geräusche, als vier Admiräle und ein General der Marines den Raum betraten. Die Männer und Frauen sprangen wie auf Kommando auf und nahmen Haltung an. Bis auf vier Männer und zwei Frauen in der ersten Reihe, die eher lässig auf ihren Stühlen saßen.

Kepshaw warf ihm von der Seite einen missbilligenden Blick zu und zog ihre Stirn in Falten. Verdammt. Selbst wenn sie sauer war, sah sie sexy aus. Eigentlich sogar noch mehr als zuvor.

Der führende Admiral, ein grauhaariger Kauz, trat an das Rednerpult, während die anderen vier Offiziere hinter ihm Aufstellung nahmen. Er würdigte die Respektlosigkeit, mit der die ehemaligen Häftlinge aufwarteten, mit keinem Blick.

»Sie dürfen sich setzen«, verkündete er mit tiefer Stimme. Er wartete, bis sich das allgemeine Stühlerücken gelegt hatte, bevor er fortfuhr.

»Für alle unter Ihnen, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Vizeadmiral Dennis Hoffer.« Er deutete der Reihe nach auf die Offiziere, die mit ihm den Raum betreten hatten. »Das ist Vizeadmiral Johannes Malkner, General Markus Berg von den Marines, Konteradmiral Laurence Kehler und Konteradmiral Okuchi Nogujama vom MAD dürften eigentlich hinreichend bekannt sein.«

Er räusperte sich, aber Alan gewann den Eindruck, er mache dies nur, um Zeit zu gewinnen und den Blick über die versammelte Runde schweifen zu lassen. In diesem Moment erkannte er, dass, egal was Hoffer zu sagen hatte, es vermutlich niemandem im Raum oder auf dem ganzen Planeten gefallen würde. Während er sprach, bauten zwei Lieutenants im Hintergrund ein Stativ auf und befestigten daran eine alte Sternenkarte.

Der Hauptkomplex des Stützpunkts befand sich noch im Bau und verfügte noch nicht über die modernen Hologrammprojektoren, die andere Basen oder moderne Raumschiffe ihr Eigen nannten. Die Karte war sehr rudimentär, dürfte aber ihren Zweck erfüllen.

»Die Lage ist verzweifelt«, eröffnete Hoffer die Besprechung ohne lange Umschweife. Unterdrücktes Keuchen ging durch den Saal. Alan fragte sich, warum alle so überrascht waren. Dass sie mit dem Rücken zur Wand standen, sollte eigentlich kein Geheimnis mehr sein.

»Die Evakuierung der Kolonien zwischen der Fortress-Linie und den vorderen Angriffsspitzen der Ruul verlaufen planmäßig und es werden alle Transportkapazitäten eingesetzt, die man aufbringen kann. Die Fluchtschiffe werden zum Glück von feindlichen Schiffen nur sporadisch behelligt. Doch die Ruul rücken schneller vor als erwartet und ihre Erfolge stellen unsere schlimmsten Befürchtungen weit in den Schatten.«

Hoffer drehte sich um und wechselte einen schnellen Blick mit Kehler und Malkner, bevor er fortfuhr. »Wir haben soeben die Nachricht vom Fall der Mekong-Kolonie erhalten. Das heißt, die Ruul sind inzwischen weniger als hundert Lichtjahre von Fortress entfernt. Unsere Zeit läuft ab.« Sein scharfer Blick wanderte in die Ecke des Raumes, in dem die Offiziere der Pioniere saßen. »Für Sie bedeutet das, es muss noch schneller vorangehen, den Stützpunkt gefechtsbereit zu machen.«

Alan konnte die gedämpfte Antwort, die zurückkam, nicht verstehen, aber Hoffer nickte zufrieden. Er deutete auf die Karte hinter sich.

»Wir haben einen Plan ausgearbeitet, der uns die größtmöglichen Erfolgsaussichten bieten könnte. Aber ich muss gleich vorneweg sagen, es ist kein perfekter Plan. Er hat seine Schwächen, aber in unserer derzeitigen Lage dürfen wir nicht wählerisch sein. Das Glück gehört schließlich immer noch den Tapferen.«

Er nahm einen Zeigestock vom Pult und wandte sich nun ganz der Karte zu. Seine Zuhörer beugten sich interessiert vor, um auch ja nichts zu verpassen. Alan ertappte sich dabei, wie er ihrem Beispiel folgte. Und selbst seine abgebrühten ehemaligen Mitgefangenen waren dagegen nicht gefeit.

»Wir unterscheiden drei Angriffsspitzen, mit denen die Ruul in den menschlichen Raum eingedrungen sind. Jede der Spitzen scheint von den anderen beiden vollkommen autonom zu operieren, verfügt über starke Raum- und Bodenstreitkräfte, eigene Reparatureinrichtungen und sogar über so etwas wie ein eigenes Oberkommando. Ihre Taktik ist dabei relativ einfach. Erreicht eine der Spitzen ein System, dringen starke Kampfverbände ein und kämpfen den örtlichen Widerstand im Raum nieder, bevor die Hauptflotte in das System springt. Anschließend landen Truppen, die die Verteidiger am Boden überwältigen. Je nachdem, wie stark die Verteidiger im Weltraum sind und mit welcher Stärke die Ruul angreifen, kann ein Bodenangriff auch schon während der Raumschlacht beginnen.

So haben sie es gemacht, als Ursus angegriffen wurde. Kolonien, die mit der Stoßrichtung der drei Flotten nicht direkt in Konflikt geraten, werden von den Ausläufern der ruulanischen Angriffsspitzen sozusagen im Vorbeiflug erobert. Und so erschreckend das alles auch ist, die Taktik funktioniert.«

Der Zeigestock fuhr etwas in den Norden der Karte hinauf. Zu einer Kolonie, die Alan sehr gut kannte. »Das bringt mich auch schon zu unserem eigentlichen Problem und dem Grund, aus dem wir uns hier eingefunden haben.

Das Hauptproblem sind nicht Stärke und Taktik der drei Angriffsflotten, die tief in unser Hoheitsgebiet eingedrungen sind. Das eigentliche Problem ist eine vierte, sehr starke Flotte, die hier bei New Born Stellung bezogen hat. Bei dieser Flotte befindet sich ein riesiges Schlachtschiff, das wir inzwischen zweifelsfrei als das ruulanische Flaggschiff identifiziert haben. Dieses Schiff koordiniert die Invasion und lässt die drei Angriffsspitzen als Einheit kämpfen. Man könnte sagen, es dient als Verbindungsstück aller drei Invasionskorridore. Dieses Schiff müssen wir unter allen Umständen ausschalten. Alles andere, was wir ab jetzt besprechen, dient nur der Ablenkung und soll die Ruul verwirren, damit sie unserer eigentlichen Absicht nicht auf die Schliche kommen. Bis es zu spät ist. Admiral Kehler bitte.«

Hoffer trat beiseite und überließ Kehler das Pult.

»Gegen die linke und rechte Angriffsspitze, die sie auf der Karte sehen, können wir nichts unternehmen. Sie zielen direkt auf die Systeme Starlight und Serena. Die Flotten- und Truppenkontingente, die man dort zusammengezogen hat, sind gewarnt und erwarten die Ruul bereits, um ihren Vormarsch zu stoppen. Aber auch wenn sie siegen, wird das nichts nützen, falls wir versagen. Das Fortress-System muss ebenfalls standhalten, denn die mittlere Spitze der ruulanischen Invasion zielt auf uns. Das ist einer der Gründe, warum dieses System als Teil der Verteidigungslinie ausgewählt worden ist.

Admiral Malkner übernimmt das Kommando über die Orbitalverteidigung, ich selbst das über die Raumflotte des Systems. Wie sie sicher bereits bemerkt haben, legen wir umfangreiche Verteidigungsanlagen am Boden an. Wir gehen davon aus, dass es den Ruul innerhalb von fünfzehn bis zwanzig Stunden nach Beginn des Angriffs gelingen wird, eine große Streitmacht zu landen. General Berg übernimmt daher das Kommando über die Bodentruppen.«

Ein Lieutenant Colonel hinter Alan meldete sich zu Wort und Kehler nickte ihm freundlich zu. Der Mann stand auf, damit ihn jeder sehen und vor allem hören konnte. »Das ist ja alles schön und gut, Admiral. Aber das erklärt noch nicht, wie sie mit dem ruulanischen Flaggschiff fertig werden wollen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist es ausgeschlossen zu siegen, solange dieses Schiff existiert.«

»Eine gute Frage«, kommentierte Malkner und der Marine-Colonel setzte sich wieder. »Dazu komme ich jetzt. Unsere Analyse der vorhandenen Daten hat ergeben, ein direkter Großangriff auf das feindliche Flaggschiff wäre Selbstmord und hätte zwangsläufig eine große Opferzahl auf unserer Seite zur Folge. Daher haben wir uns für eine etwas elegantere Vorgehensweise entschieden. Ein Einsatzteam, das aus eigens hierfür ausgesuchten Spezialisten besteht, wird in das Schiff eindringen und es von innen heraus zerstören.«

Aufgeregtes Murmeln brandete auf, als alle Offiziere gleich welcher Rangstufe wild durcheinanderredeten und spontane Diskussionen ausbrachen. Malkner hatte alle Mühe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

»Bitte! Setzen Sie sich alle wieder hin und hören Sie zu. Ich bin noch nicht fertig. Ruhe bitte.«

Ein Captain der Flotte meldete sich zu Wort und begann ohne Aufforderung, zu sprechen. »Entschuldigen Sie, Admiral, aber ich halte das nicht für durchführbar. Sie sagten selbst, das Flaggschiff wird von einer ganzen Flotte verteidigt und hat selbst so viel Feuerkraft wie eine Flotte. Wie sollte ein Team überhaupt in das Schiff gelangen?«

»Das Wie spielt eigentlich keine große Rolle«, erwiderte Kehler gepresst. »Wir haben diesbezüglich schon die eine oder andere Idee. Was die Flotte betrifft, die das Flaggschiff umgibt, die muss vor dem Einsatz weggelockt werden.«

»Weggelockt?«, fragte eine anonyme Stimme aus den hinteren Reihen.

»Ja. Die vom Feind besetzte Welt, die dem Flaggschiff am nächsten ist, ist die Ursus-Kolonie. Aufzeichnungen kürzlich entsandter Spionagesonden zeigen, dass die Ruul dort nur einige wenige Schiffe zum Schutz ihrer Bodenoperationen zurückgelassen haben. Der Plan sieht vor, dass Admiral Hoffer mit der Hälfte unserer Schiffe nach Ursus fliegen und den Feind dort angreifen wird. Die Ruul werden um Hilfe rufen und die nahe Flotte des Feindes wird reagieren, um ihn wieder zu vertreiben. Unsere Analytiker haben eine achtzigprozentige Chance berechnet, dass die Ruul sich sicher genug fühlen werden, um ihr Flaggschiff vorübergehend allein zu lassen.

Anschließend wird das Kampfteam eingeflogen, um das ruulanische Schiff zu infiltrieren. Admiral Hoffer wird die feindliche Flotte bei Ursus lange genug beschäftigt halten, bis das Team seinen Auftrag ausgeführt hat.«

Alan beugte sich zu Kepshaw hinüber und flüsterte ihr leiste zu: »Bin ich eigentlich der Einzige, der diese Mission für absoluten Schwachsinn hält?«

»Warum haben Sie sich dann freiwillig gemeldet?«, flüsterte sie zurück.

»Zwei Gründe. Erstens: Ich hatte noch keine Ahnung über die Einzelheiten dieses sogenannten Planes.«

»Und zweitens?«

»Sagen wir mal so: Nogujama hat mir ein Angebot gemacht, das ich unmöglich ablehnen konnte.«

»Dann war es doch immer noch Ihre Entscheidung.«

»Mehr oder weniger«, schmunzelte Alan leicht.

»Ich weiß, ich weiß«, fuhr Kehler fort. »Wie Admiral Hoffer bereits sagte, ist der Plan alles andere als perfekt, aber etwas anderes haben wir nicht. Außerdem gibt es noch etwas zu bedenken.«

Alle hörten gespannt zu, was nun noch kommen sollte.

»Bei der Evakuierung von Ursus blieben Zehntausende Zivilisten und Tausende von Soldaten zurück, für die an Bord der Fluchtschiffe kein Platz mehr war. Auf Bitten von Lieutenant Colonel Justin Hazard von der TKA« – ein Offizier in der zweiten Reihe nickte Kehler dankbar zu, die Rangabzeichen an seinem Revers wirkten so neu und glänzend, dass Alan sofort erkannte, dass der Mann frisch befördert worden war und vor Kurzem noch Major gewesen sein musste – »werden wir die Gelegenheit nutzen und die Evakuierung von Ursus abschließen. Die entsprechenden Transportschiffe wurden bereits angefordert und werden hoffentlich rechtzeitig eintreffen. Diese Menschen haben ehrlich gesagt nicht die oberste Priorität. Diese liegt ganz klar in der Zerstörung des ruulanischen Flaggschiffs mit der dortigen Führung des Feindes. Aber wenn wir es schaffen, diese Menschen aus der Hölle zu holen, zu der Ursus geworden ist, und sie den Slugs vor der Nase wegzuschnappen, dann ist das noch das Tüpfelchen auf dem i. Und ich denke, wir sind uns alle einig, wenn ich sage, das ist es wert, dafür zu kämpfen. Der Codename für die Flottenoperation bei Ursus lautet »Blackout«, für die Bodenoperation »Sibirischer Winter«. Wegtreten!«

»Wie konnte ich nur so dämlich sein?«, sagte Craig erneut. Alan hatte aufgehört zu zählen, wie oft er das schon gesagt hatte. »Ich könnte jetzt in meiner gemütlichen kleinen Zelle sitzen. Besser noch, ich könnte dort ALLEIN sitzen, da du ja so bescheuert warst, dich freiwillig zu melden. Aber nein, ich habe mich breitschlagen lassen, bei einem verdammten Himmelfahrtskommando mitzumachen.«

»Du wusstest, worauf du dich einlässt, Craig, also halt einfach die Klappe«, fuhr Alan ihn an, dem das Genörgel gehörig auf die Nerven ging.

»Falls es Ihnen nicht passt, kann ich es arrangieren, dass Sie auf dem schnellsten Weg zurück in Ihre Zelle verfrachtet werden«, schloss sich Nogujama Alans Ausführungen an. Diese Aussicht reichte, um Craig zum Schweigen zu bringen. Vorerst. Alan beäugte ihn misstrauisch aus dem Augenwinkel. Mit dem würde es noch Ärger geben. Das war schon vorprogrammiert.

Nachdem die Besprechung offiziell für beendet erklärt worden war, hatte sich der Saal in Windeseile geleert. Außer dem Admiral, Rachel Kepshaw und den Häftlingen waren nur noch fünf andere Soldaten anwesend. Allesamt in MAD-Uniformen gekleidet.

Nogujamas prüfender Blick glitt von einem zum anderen auf der Suche nach weiterem Widerspruch. Als keiner kam, nickte er zufrieden.

»Es wird Zeit, dass sie den Rest des Angriffsteams kennenlernen. Dort sitzen sie.« Er nickte in Richtung der fünf MAD-Soldaten.

Eleanores Augenbrauen zogen sich drohend über der Nasenwurzel zusammen. »MAD? Warum ausgerechnet MAD? Warum müssen wir mit diesen kleinkarierten Versagern zusammenarbeiten?«

»Versager?«, hielt Nogujama dagegen. »Der MAD war immerhin gut genug, um Sie hinter Gitter zu bringen, Eleanore. Und glauben Sie mir, dass Sie jetzt hier sind, war sicher nicht meine Idee.« Er warf Alan einen kurzen, missmutigen Blick zu, den dieser schulterzuckend erwiderte.

»Na also schön. Dann stelle ich Ihnen Ihre Teamkollegen vor. Da hätten wir zunächst Lieutenant Dean Bonatelli, Ihr Sanitäter.« Bonatelli nickte den Häftlingen freundlich zu. Er schien der Einzige zu sein, der sich nicht übergeben musste bei der Aussicht, mit Strafgefangenen zusammenarbeiten zu müssen. Der Mann hatte einen dunklen, südländischen Hautteint und kurze, lockige schwarze Haare. Außerdem ein schmales Oberlippenbärtchen, an dem er fortwährend zupfte.

»Lieutenant Renée Jonois ist ihre Linguistikexpertin. Sie hat die Sprache der Ruul in den letzten Jahren gründlich studiert und dürfte an Bord des feindlichen Flaggschiffs von großem Wert sein.« Die Frau mit den nackenlangen, brünetten Haaren und der schlanken, athletischen Figur gab mit keinem Muskel zu erkennen, dass sie die Häftlinge überhaupt wahrnahm.

»Captain Eric Lopez. Einer der besten Scharfschützen, die der MAD hervorgebracht hat. Lopez hätte sogar zu den ROCKETS wechseln können, doch er zog es vor, weiter beim MAD zu dienen.«

»Wofür zum Teufel brauchen wir an Bord eines Raumschiffs einen Scharfschützen?«, witzelte Craig streitsüchtig.

»Das Schiff, von dem wir hier reden, ist riesig«, erläuterte Nogujama geduldig. »Niemand kann wissen, was sie brauchen oder nicht brauchen werden. Ich ziehe es vor, alle Eventualitäten in Betracht zu ziehen. Gut möglich, dass sie tatsächlich sein Können in Anspruch nehmen müssen.« Er wandte sich dem nächsten MAD-Soldaten zu.

»Captain Harry Chen. Spezialist für schwere Waffen. Er wird ihrem Team an Bord des feindlichen Flaggschiffs den nötigen Rückhalt geben. Außerdem kennt er sich hervorragend mit allen Arten von Sprengstoff aus.« Chen war ein schmächtiger Chinese mit bronzefarbener Haut und schrägstehenden, mandelbraunen Augen. Er nickte den Häftlingen eher neutral zu.

Der letzte MAD-Offizier war ebenfalls Asiate, aber sein Hautteint war ein wenig blasser als in Chens Fall. Sein Haarschnitt war militärisch korrekt und er wirkte überaus adrett. Das Auffallendste an ihm war das japanische Langschwert, das an einer Scheide auf seinen Rücken geschnallt war. Das Katana wirkte alt, aber gepflegt. Und äußerst gefährlich. Der Mann ließ die Häftlinge zu keinem Zeitpunkt aus den Augen.

»Und das ist Major Isoru Kazumi. Spezialist für Kampfsport und unbewaffneten Nahkampf.«

Alan ließ sich die ungleiche Mischung des Teams durch den Kopf gehen und musterte die MAD-Soldaten auf die gleiche Weise, wie Nogujama zuvor die Häftlinge gemustert hatte.

Das dürfte interessant werden, dachte er bei sich.

Der Ruul-Konflikt 3: In dunkelster Stunde

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