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Das Speichermedium

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von Kassandra Schwämmle und Stefan Cernohuby

Das war es also, das große Wien. Hier sollte ich meinen Auftraggeber treffen.

Ich saß in einem der zahlreichen Cafés und ließ meinen Blick über die Barockfassaden schweifen, die den kleinen Platz säumten. Ein Blick auf meine Taschenuhr verriet mir, dass es nicht mehr lange bis zur vereinbarten Zeit war, zu der man mich abholen wollte. Komische Geheimnistuerei, aber da der Preis stimmte, war das zweitrangig. Ich wusste, dass es darum gehen sollte, ein seltenes Buch zu besorgen. Als weit bekannter Archivar und Schriftgelehrter sah ich darin keine große Sache. Ich hatte meine Kontakte, Mittel und Wege, das zu bekommen, was ich wollte. Aber ich war schon sehr gespannt, um was für ein Buch es sich handeln würde. Ich nahm einen Schluck Melange und schloss genießerisch die Augen.

Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich schaute blinzelnd auf.

„Dr. Archibald, Dr. Heinrich Wilhelm Archibald?”

Ein junger Mann war an meinen Tisch getreten. Seine eisblauen Augen musterten mich abwartend.

„Der bin ich”, antwortete ich.

„Ich habe etwas für Sie.” Aus seinem edlen Sakko förderte der Fremde einen Umschlag zutage und reichte ihn mir. Dabei blitzte ein Ring mit einem ungewöhnlichen blauen Stein an seinem kleinen Finger auf.

Ich öffnete den Umschlag und las die eine Zeile, die auf dem hochwertigen Büttenpapier geschrieben stand: Folgen Sie Herrn Huber und stellen Sie keine Fragen.

„Ich nehme an, Sie sind Herr Huber?”

Mein Gegenüber setzte ein unverbindliches Lächeln auf und bedeutete mir, ihm zu folgen. Rasch leerte ich den Kaffee und folgte ihm. Als wir den Ober passierten, drückte ich ihm das Geld für den Kaffee inklusive eines großzügigen Trinkgelds in die Hand und beeilte mich, meinem Begleiter zu folgen.

Wir ließen das Café und den Platz hinter uns und bogen in eine kleine Gasse ein. Die Häuser standen enger beieinander, sodass ein sanftes Zwielicht herrschte. Schließlich näherten wir uns einem schmucklosen Gebäude, das durch seine Schlichtheit hervorstach. Noch bevor Herr Huber klopfen oder klingeln konnte, wurde die Tür schon geöffnet und wir traten ein.

„Kommen Sie, Sie werden schon erwartet.” Herr Huber winkte mich weiter und so folgte ich ihm durch den von Kerzen erhellten Flur in einen Salon. Bücherregale säumten die Wände und der schwache Duft nach Papier und Pergament stieg mir in die Nase. Ein etwas rundlicher Mann erhob sich aus einem roten Samtsessel und trat mir entgegen.

„Dr. Archibald! Welch eine Freude, Sie persönlich kennenzulernen.” Er ergriff meine Hand und schüttelte sie kräftig. Auch er trug einen Ring mit einem blauen Stein, wie ich erstaunt feststellte. „Ich habe ein mächtiges Werkzeug für Sie, das Ihnen bei Ihrem Auftrag wertvolle Dienste leisten würde.” Er deutete auf einen kleinen Käfig in einer dunkleren Ecke des Raumes.


Es war furchtbar langweilig in meinem Quartier. Dort war ich eingesperrt, seit meinem letzten kleinen Malheur mit einer Gutenberg-Bibel. Und auf Diät. Ja, ich hatte mir die heutige Tageszeitung schon zu Gemüte geführt und war zumindest auf dem letzten Stand, was die weltpolitische Situation, die aktuelle Wirtschaftslage und auch den Klatsch und Tratsch am kaiserlichen und königlichen Hof anging. Hatte ich schon erwähnt, dass mir langweilig war? Alle zerrissen sich immer noch das Maul, weil sich die Kaiserin etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte, was Ungarn anging das war mir doch egal! Ansonsten hatte ich noch Romeo und Julia auf dem Dorfe intus, aber das war irgendwie lächerlich. Wer schrieb schon in einem Buch „plätscher, plätscher”, wenn es regnete? Ich hätte einiges dafür gegeben, endlich ein Ende meines Hausarrests, der ganzen Misere zu erleben. Und doch war ich etwas überrascht, als mein Gefängniswärter plötzlich mit einem Begleiter in meine Zelle kam.

„Ich habe ein mächtiges Werkzeug für Sie, das Ihnen bei Ihrem Auftrag wertvolle Dienste leisten würde.”

Werkzeug? Aber hallo … der würde doch nicht …

„Was für ein Werkzeug denn? Sie meinen doch nicht …”

„Doch, genau das meine ich. Nehmen Sie den Käfig. Machen Sie sich vertraut und glauben Sie mir, wenn ich sage, es gibt keinen besseren Freund, den Sie auf dieser Reise haben könnten.”

Man wollte mich einfach so weggeben. Irgendeinem dahergelaufenen Kerl und bezeichnete mich als Werkzeug. Das war doch die Höhe!

„Sie wissen, dass ich Experte für verschollene Schriften bin. Ein respektabler, in Fachkreisen hochangesehener Archivar und Schriftgelehrter?”, kam es empört von dem menschlichen Neuankömmling.

„Ja, natürlich.”

„Und das hier ist ein verdammter Hamster!“

Man könnte also sagen, unsere erste Begegnung stand nicht unbedingt unter dem besten Stern.


Mein Blick glitt über die kleinen Dörfer und Wäldchen, die unter mir vorbeizogen. Ich saß am Fenster eines der luxuriös ausgestatteten Luftschiffe der k. u. k. Staatsflotte. In wenigen Stunden würde ich Prag erreichen, das vorläufige Ziel meiner Reise. Und alles, was mir mein Auftraggeber mitgegeben hatte, um ein extrem seltenes Buch aus einer Privatsammlung zu besorgen, war ein Hamster. Ein Hamster? Was um alles in der Welt sollte ich denn nun mit einem Hamster anfangen? Auch wenn mein Auftraggeber mir versprochen hatte, das Tier sei etwas Besonderes und würde seinen Wert noch beweisen, war ich doch mehr als verwirrt. Mein Blick wanderte zu dem kleinen Käfig neben mir auf der gepolsterten Sitzbank. Das kleine, wenn auch putzige Nagetier hatte sich in einem Heuhaufen zusammengerollt und schien zu schlafen. Es trug kein Halsband mit so etwas wie einem Schlüssel oder einer Botschaft. Das goldbraune Fell wies keine Anomalitäten auf, es war dicht und glänzte seidig in den durch die Fenster einfallenden Sonnenstrahlen. Mein Auftraggeber hatte mir etwas Verpflegung für den Kleinen mitgegeben, doch auch daran hatte ich nichts Ungewöhnliches feststellen können. War er vielleicht als eine Art Suchhamster ausgebildet? Ich hatte davon gehört, dass man Hunde trainierte, aber noch nie von einem Hamster. Ich seufzte. Und wo war eigentlich meine Zeitung hin verschwunden? Ich hatte sie doch direkt neben den Käfig gelegt.

Es raschelte. „Jetzt mach mal nicht so ein langes Gesicht.”

Was war denn das gewesen? Ich blickte mich um, doch niemand befand sich in meiner Nähe. Die Passagierabteilung des Luftschiffes war nur spärlich besetzt und einer der in edle Uniformen gekleideten Bediensteten befand sich auch nicht in meiner Nähe.


Meine Güte. Der Kerl wirkte so verwirrt, als wäre er kein renommierter Archivar, sondern ein völlig weltfremder Bücherwurm. Ich hatte gerade die letzte Seite der Tageszeitung gehamstert, da rutschte mir der Kommentar einfach heraus. „Jetzt mach mal nicht so ein langes Gesicht.”

War das Gesicht vorher schon lang gewesen, nahm es jetzt schon beinahe Pferdecharakter an.

„Nein. Kalt. Eiskalt. Wärmer … nein, hier im Käfig!”

Als der Büchermensch seinen Kopf senkte, stand sein Mund so weit offen, dass ich ohne Probleme hineingepasst hätte.

„Ich sehe, du pflegst deine Zähne gut. Aber jetzt kannst du den Mund wieder schließen und wir können uns unterhalten. Gerne auch über tagesaktuelle Themen.”

Der Mann klappte den Mund zu.

„Tagesaktuelle Themen? So wie die kriselnde Stimmung in Ungarn?”

„Ich denke, die Zeitung übertreibt. Es gibt keine Geldgeber, die einen Aufstand anstacheln. Das schaffen die Beamten des Kaisers schon ganz allein.”

„Du hast die Zeitung gelesen?”

„Nein, nicht direkt”, antwortete ich. „Aber ich habe sie mir zu Gemüte geführt. Sozusagen.”

Da zuckte der Mann zurück, der auf den antiquierten Namen Dr. Archibald hörte.

„Ich fantasiere. Oder träume. Oder habe zu viel getrunken. Ich rede hier mit einem Hamster!”

„Unsinn. Zwei Fehler. Erstens rede ich mit dir. Und zweitens sollte dir längst klar sein, dass ich eine Hamsterdame bin, du ungehobelter Klotz. Mein Name ist Crice.”


Meine anfängliche Verwirrung wich einer eigentümlichen Faszination. Die Stunden flogen dahin, während wir uns austauschten. Der Hamster, pardon die Hamsterdame, so forsch und frech sie auch sein mochte, würde sich vielleicht doch noch als nützlich erweisen, vorausgesetzt es stimmte, was sie von sich gab. Sie erzählte mir, dass sie aus einer ungewöhnlichen Tierhandlung stammte. Den genauen Ort konnte sie mir nicht nennen, aber die Beschreibung der anderen Tiere erschien mir mehr als fantastisch. Wesen, die ich nur aus Geschichten und Legenden kannte, sollen dort untergebracht gewesen sein. Ich konnte mir nicht vorstellen, jemals einem brennenden Salamander zu begegnen, außer in Büchern natürlich. Doch die Kleine hatte mich zumindest ein wenig verblüffen können, so detailliert und glaubhaft schienen ihre Schilderungen. Allerdings stand der Test ihrer wirklichen Fähigkeiten, davon einmal abgesehen, dass sie sprechen konnte, noch aus.

„Meine sehr geehrten Damen und Herren!”, dröhnte die Stimme des Kapitäns aus den Lautsprechern. „Wir sind nun in den Sinkflug übergegangen und werden in Kürze Prag erreichen. Die Sonne scheint und die Windverhältnisse sind ruhig, es ist also nicht mit Turbulenzen zu rechnen, trotzdem möchte ich Sie bitten, sich nun auf Ihre Plätze zu begeben. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise mit der k.u.k. Prinz Eugen. Wir würden uns freuen, Sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen! An dieser Stelle verabschiede ich mich von Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in Prag.”

Ich nahm den Käfig und stellte ihn auf meinen Schoß.

„Ui, Prag! Ich war da noch nie!”, freute sich Crice.

„Ich würde dir vorschlagen, während der Zeit bis zum Hotel zu schweigen. Wir wollen nicht zu sehr die Aufmerksamkeit anderer auf uns ziehen.”

Sie warf mir noch einen etwas beleidigten Blick zu, wie es mir schien, und vergrub sich dann wieder in ihrem Heuhaufen. „Ich bin ohnehin müde“, murrte sie.

Wenig später verließ ich den Luftschiffhafen und winkte mir eine Droschke herbei, die mich in meine Unterkunft bringen sollte. Die Fahrt führte uns durch die halbe Stadt, über eine der zahlreichen Brücken über die Moldau. Sogar einen Blick auf die Prager Burg konnte ich werfen. Den Hamsterkäfig hatte ich auf das kleine Tischchen gestellt, das an der Seitenwand der Droschke angeschraubt war. Crice sollte auch etwas von der Fahrt haben und sich die Stadt anschauen können, wo sie sich doch vorher so gefreut hatte. Tatsächlich kam die Hamsterdame rasch wieder aus dem Heuhaufen herausgekrabbelt. Sie legte ihre Pfötchen um die Gitterstäbe und spähte neugierig hinaus.


„Wir sollten noch einen Abstecher machen, bevor wir ins Hotel fahren”, meinte ich, als die Kutsche über das Kopfsteinpflaster der Karlsbrücke ratterte. Unter uns floss die Moldau dahin. Sehr malerisch, fand ich. Vermutlich würde irgendwann jemand über sie ein Lied schreiben.

„Wohin denn?”, fragte Archibald.

„In die Nationalbibliothek. Ich glaube, wir sollten uns mit dem richtigen Wissen eindecken.”

„Klingt gut. Aber weißt du, wo die ist?”

„Natürlich. Ich habe noch im Zeppelin einen Stadtplan von Prag gehamstert. Sie ist direkt auf dem Weg und unmittelbar nach dieser Brücke. Glaubst du, dein Ruf ist gut genug, dass man dich hereinlässt? Mit Hamster?”

„Bücher über die Konstruktion und das Öffnen von Schlössern? Das ist, was wir deiner Meinung nach brauchen?”, fragte der Archivar reichlich verwirrt.

„Ich gehe davon aus, dass der Sammler seine wertvollsten Objekte sicher verwahrt hat. Das würdest du nicht anders machen. Und du bist derjenige, der ihn besser bequatschen kann, während ich die eigentliche Arbeit machen werde. Zusätzlich hätte ich gerne ein Buch, das die seltensten und wertvollsten Bücher im Besitz von Prager Sammlern listet. Das könnte dir dann einen Vorteil und Gesprächsstoff verschaffen.“

Nach einer Weile brachte mir Archibald die gewünschten Bücher und öffnete meinen Käfig. Dann sah er mich erwartungsvoll an.

„Umdrehen”, sagte ich. „Ich kann das nicht, wenn mir jemand zusieht.”

Archibald tat, wie ihm geheißen. Und ich gebe zu, das war mir sehr recht. Auch wenn meine Backen innen größer waren als außen, war die Hamsterei nicht sehr schön anzusehen. Das war eben der Preis für ein Dasein als tierisches Speichermedium.


Vorsichtig stellte ich den Hamsterkäfig auf den Mahagonitisch der Hotelsuite und setzte meine Tasche ab. Der Zimmerservice hatte auf meinen Wunsch auch schon eine kleine Erfrischung bereitgestellt.

„Ich würde vorschlagen, wir überlegen uns nun, wie wir weiter vorgehen.” Ich breitete eine Karte der Stadt auf dem Tisch neben dem Käfig aus.

„Würde es dir etwas ausmachen, mich rauszulassen?”, fragte die Hamsterdame, ihre Knopfaugen fest auf mich gerichtet. Ihre Backen waren zwar etwas größer als gewöhnlich, aber man würde nicht erwarten, dass sie drei ganze Bücher darin verstaut hatte.

„Läufst du mir auch nicht davon?”

„Jetzt denk mal nach, wenn ich dir nachher helfen soll, kannst du mich auch nicht die ganze Zeit im Käfig mitschleppen, oder was meinst du?” Es sah fast so aus, als ob sie ihre kleinen Pfötchen in die Seite stemmte.

Ein Seufzer entwich meinen Lippen. „Na gut.” Ich öffnete die Käfigtür und die Hamsterdame kam mit einem gemurmelten Danke herausgewuselt. Sie schnappte sich eine der Gurkenscheiben auf dem kleinen Teller.

„Hey, das ist mein Abendessen!”

„Hab dich nicht so, ich hab auch Hunger. Und ich kann so besser denken.” Mit der Gurkenscheibe in den Vorderpfoten lief sie langsam über die Karte.

Ich nahm mir eines der Canapés und ließ meinen Blick ebenfalls über die Karte gleiten.


„Also, wie du ja schon weißt, habe ich bereits eine Karte intus. Daher weiß ich, wo wir hinmüssen. Dort.”

Ich hinterließ einen etwas feuchten Pfotenabdruck. Die Gurke war saftig gewesen.

„Am besten wird sein, du trägst mich in deiner Westentasche hinein. Und ich werde mich dann an die Arbeit machen, wenn wir das Buch gefunden haben.”

„Klingt gut”, erwiderte Archibald.

Und dann stellte er die Gretchenfrage.

„Wo wir eigentlich gerade dabei sind. Was springt denn für dich bei der ganzen Sache heraus?”

„Was meinst du? Ich bin doch nur eine einfache, harmlose Hamsterdame mit einer Vorliebe für Bücher.”

„Sicherlich. Du bist Gefangene oder Angestellte einer geheimen Organisation, begleitest einfach den erstbesten Archivar und reist nach Prag, wo du dich in Gefahr begibst, nur um eine Handschrift des Rabbi Löw in die Finger zu bekommen. Sehr, sehr glaubwürdig.”

Verdammt. Der Mensch war schlauer, als er aussah.

„Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass ich einfach nur das ultimative Wissen erlangen will? Und das schaffe, indem ich die seltensten Bücher der Welt hamstere?”

„Nein, würde ich nicht.”

Ich seufzte. Als Hamster hatte ich das eine ganze Weile üben müssen, bevor es eindrucksvoll wirkte.

„Na gut, ich gebe mich geschlagen. Zuerst möchte ich dir eine Frage stellen. Wie viele sprechende und bibliophile Hamsterdamen kennst du?”

„Äh. Keine?”

„Abgesehen von mir, selbstverständlich nicht. Gibt es auch nicht. Also, die Sache ist die: Ich bin nicht von hier.”

Die Augen meines menschlichen Gegenübers weiteten sich ungläubig. „Was meinst du mit hier?”

„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich dir das begreiflich machen kann. Von diesem Planeten. Aus dieser Realität. Ich weiß es selbst nicht genau. Aber ich möchte dahin zurück, wo ich herkomme.”

„Also so etwas wie ein anderer Planet? Wie, um alles in der Welt, bist du dann hierhergekommen? Ich meine auf die Erde, in diese Dimension … Realität?“ Archibald wedelte unbestimmt mit seinen Händen.

Ich seufzte. „Das ist eine lange Geschichte, die ich dir bei Gelegenheit mal erzähle. Aber jetzt lass uns auf die Aufgabe vor uns schauen. Wir haben nicht viel Zeit.“ Etwas leiser fügte ich hinzu: „Und ein wenig Heimweh hab ich schon.“

Der Archivar schien zu zögern, doch dann sah ich ihn nicken. „Na gut, wie willst du es erreichen, wieder nach Hause zu kommen?”

„Ich hoffe, dass der Sammler ein Buch in seinem Besitz hat, das mir die Gelegenheit zur Rückkehr gibt. Möglich, dass ich dafür deine Unterstützung brauche. Und du brauchst Hilfe, das Manuskript von Löw zu besorgen. Helfen wir uns gegenseitig?”

Ich streckte ihm meine kleine Hamsterpfote entgegen.


Nach einer erholsamen Nacht und einem ausgiebigen Frühstück in der Suite, damit die Hamsterdame mir Gesellschaft leisten konnte, brachen wir auf. Vor den mächtigen, goldverzierten Flügeltüren des Hotels stand ich und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht, während ich auf die bestellte Droschke wartete. Ich spürte, wie sich die Hamsterdame in meiner Manteltasche bewegte und ebenfalls ihre Nase herausstreckte.

„Pass auf, dass dich niemand sieht”, murmelte ich leise.

„Jaha, ist ja schon gut”, kam es nur ein wenig beleidigt zurück.

Hufgetrappel näherte sich und eine schwarze Droschke mit zwei Rappen hielt vor uns an. Der in eine rote Uniform gekleidete Kutscher tippte sich grüßend an seinen Hut. „Dr. Archibald?”

„Der bin ich.” Ich nannte ihm eine Adresse und stieg ein. Wieder ging es ein Stück durch die Stadt, vorbei an der Moldau, bis wir unser Ziel erreichten. Crice, die aus meiner Tasche gekrabbelt war und die Aussicht genossen hatte, verschwand wieder. Ich bezahlte den Kutscher großzügig und er verschwand mit zum Gruß erhobener Hand. Mein Blick glitt über das stattliche Herrenhaus und den geschmackvoll angelegten Garten, ein hoher Zaun umgab das Gelände.

„Na, dann wollen wir mal.”

Das große eiserne Tor stand offen und so schritt ich den gepflasterten Weg bis zum Eingang hinauf. Mir war etwas mulmig zumute und ich zögerte kurz, ehe ich den großen Klopfer, ein Metallring im Maul eines Löwenkopfes, betätigte. Die Schläge schienen im Haus widerzuhallen. Nach kurzer Zeit, die mir jedoch viel länger vorkam, öffnete sich die Tür und ein älterer Mann im Frack spähte heraus. „Sie wünschen?”

„Guten Tag, ich bin Dr. Heinrich Wilhelm Archibald, Archivar.” Ich setzte ein gewinnendes Lächeln auf und fuhr fort: „Ich hatte mit Herrn Andriç schon einmal vor einiger Zeit schriftlich korrespondiert und dachte mir, es wäre DIE Gelegenheit, nun da ich für einen Auftrag in Prag bin, ihm persönlich zu begegnen.”

Der Bedienstete musterte mich von oben bis unten mit kritischem Blick. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Was, wenn er uns nicht vorlassen würde?

Doch meine Befürchtungen waren unbegründet. Er trat zur Seite und bedeutete mir mit einer einladenden Geste einzutreten. Mit gesenktem Haupt sagte er: „Willkommen, Dr. Archibald. Ich werde Magister Andriç Ihren Besuch melden. Machen Sie es sich in der Zwischenzeit doch bequem.” Er deutete auf eine gemütliche Sitzecke in der großen Eingangshalle.

Gemächlichen Schrittes ging ich hinüber und ließ meinen Blick durch die Eingangshalle gleiten. Eine große Treppe führte in die oberen Geschosse, vermutlich zu den Schlafgemächern und anderen privaten Räumen. Waren die Bibliothek und die kostbaren Bücher im Erdgeschoss?

„Ah, Dr. Archibald, welch eine Freude, Sie persönlich kennenzulernen.” Ein untersetzter Mann kam die Treppe herunter, die Arme ausgebreitet. „Was führt Sie in mein bescheidenes Heim?”

„Wie ich Ihrem Diener bereits berichtet habe, bin ich aus geschäftlichen Gründen in Prag und wollte die Gelegenheit für eine persönliche Zusammenkunft nutzen.”

Magister Thomas Andriç ergriff meine dargebotene Hand und schüttelte sie kräftig. „Oh, welch gute Idee, mein Bester!” Er legte einen Arm um meine Schulter und führte mich aus dem Empfangssaal.

„Kommen Sie! Mit einem Mann des Buches lässt es sich am besten in meinem Salon plaudern. Pawel, bringen Sie uns bitte ein paar Häppchen und eine Flasche des besten Rotweins!” Der Diener senkte den Kopf und verschwand.

„Ich habe Ihre Nachforschungen zu Ihrem letzten Projekt mit großem Interesse verfolgt und auch Ihre Arbeit dazu mit Begeisterung gelesen.”

Wir hatten die Bibliothek erreicht, die wir auf dem Weg zu unserem Ziel durchquerten.

„Faszinierend, ich hörte schon viel von Ihrer Sammlung”, brachte ich nur heraus. Alle Seiten des Raumes waren mit bis zur Decke reichenden Bücherregalen gefüllt. Einige Bücher und gar ein paar Schriftrollen und Tontafeln waren in speziellen Vitrinen untergebracht.

Ein breites Grinsen erschien auf Andriçs Gesicht. „Nur zu, Doktor, sehen Sie sich gern um.” Nur am Rande bemerkte ich, wie Pawel kurz den Raum betrat und ein Tablett in den angrenzenden Raum trug. Ich ging die Regale entlang und begutachtete hier und da einen der Folianten, mein Finger strich über die Buchrücken. „Sie haben eine wirklich außergewöhnliche Auswahl.”

„In der Tat, es hat lange gedauert, diese zusammenzutragen.”

„Fürwahr! Mein lieber Magister Andriç, Sie waren mir bei meinem letzten Projekt auch eine große Hilfe gewesen mit dem Material, das Sie mir zugesandt hatten. Vielen Dank nochmals dafür.”

Ich wandte mich einer der Vitrinen zu und beugte mich ein wenig herab, um das Buch darin zu betrachten. Ich merkte in meiner Tasche, wie sich die Hamsterdame bewegte. War das das gesuchte Buch?


Auch ich hätte mich gerne an den Erfrischungen gütlich getan, aber die Anwesenden hätten vermutlich nicht allzu angetan reagiert, wenn eine Hamsterdame sich am kalten Buffet bedient hätte. Aber zum Glück ließ Archibald das eine oder andere Gemüsestück in seine Westentasche plumpsen. So hatte ich genügend Häppchen, um mir die Zeit zu vertreiben, während die beiden Herren durch die Bibliothek spazierten und dabei platte Plattitüden über die Sammlung von Magister Andriç austauschten. Erst als ein ganz bestimmtes Buch zur Sprache kam, wurde ich plötzlich hellhörig.

„Ist das eine Handschrift von … Rabbi Löw?”, fragte Dr. Archibald. Meine Güte, das klang so gestelzt.

„Tatsächlich”, erwiderte der Mann. „Man sieht, Sie verstehen Ihr Fach. Ja, das sind seine persönlichen Aufzeichnungen. Einzigartig in der Welt. Unbezahlbar und … unverkäuflich.”

Er betonte das letzte Wort seltsam. Das nahm ich zum Anlass, mich äußerst dezent aus dem Staub zu machen. Vorsichtig krabbelte ich aus der Manteltasche. Als Archibald das bemerkte, drehte er sich zu einem der Regale, sodass ich unbemerkt darauf gelangen und hinter einem der Folianten in Deckung gehen konnte.

„Das ist sehr schade”, hörte ich die sich entfernende Stimme von Dr. Archibald. „Ich kenne einen Kurator in Wien, der eine geradezu unanständig hohe Summe zahlen würde, um das Werk in die Finger zu bekommen. Wo haben Sie es denn her?”

„Das kann ich mir sehr gut vorstellen”, hörte man Magister Andriç noch, als die beiden den Nebenraum betraten. „Ich habe eine geheime Bibliothek entdeckt, sehr abgelegen, sehr gut sortiert. Aber kommen Sie, lassen Sie uns darüber im Salon sprechen. Haben Sie irgendein Buch, in dem Sie gerne blättern würden?”

Dann waren die beiden weit genug weg. Endlich. Zeit, um an die Arbeit zu gehen.

Rasch kletterte ich seitlich an der Vitrine hoch und musterte das Glas. Drei Zentimeter dick. Das konnte ich nicht knacken. Auch das Schloss sah äußerst stabil aus. Egal. Derartige Vitrinen hatten eine andere Schwachstelle.

Ich ließ mich an der Rückseite herab und musste fast lachen. Spanplatten, kaum drei Millimeter dick. Also fasste ich in meinen Mund, wo ich neben dem Buch „Schlösser, Tresore und andere Sicherungen” auch ein kleines Werkzeugset gehamstert hatte. Es dauerte keine Minute, dann hatte ich auf der Rückseite ein kleines Loch geschnitten, groß genug für mich. Dann öffnete ich die Verriegelung der Vitrine von innen und kletterte zwei Etagen höher. Ja, da wurde es wirklich interessant.

Plötzlich hörte ich ein Fauchen und erstarrte. Das war ein Teil meines tierischen Ichs, den ich nie unter Kontrolle bekommen hatte.

Ich zwang mich, ruhig zu bleiben und wandte mich um.

Ein Kater. Grau gestreift, mit zerfetztem Ohr und riesigen Pranken. Und er sah mich direkt an. Noch einmal ließ er ein Fauchen ertönen, dann duckte er sich zum Sprung.

Ich reagierte blitzschnell, wirbelte herum, nahm das Werk von Rabbi Löw zu mir, nutzte meinen ganzen Schwung und spie es wieder aus.

Es gab ein Krachen, ein schmerzerfülltes Aufmiauen und dann war alles still.

Ich öffnete meine Augen wieder, die ich vor Angst geschlossen hatte, und sah die Katze unter dem Werk liegen. Ob tot oder ohnmächtig konnte ich nicht erkennen. Egal, ich hatte Wichtigeres zu tun. Die ganze Vitrine hatte die Beschriftung Mystische Werke getragen. Und ich war auf der Suche nach einem bestimmten.


Ein lautes Krachen und Knirschen ließ mich ebenso wie Magister Andriç herumfahren.

„Was war denn das?”, fragte mein Gastgeber beunruhigt. Er wollte in die Bibliothek zurücklaufen, doch da erschien wie aus dem Nichts Pawel. Seine Gesichtszüge schienen seltsam verzerrt, die Haut verfärbte sich schwarz und aus seiner Stirn sprossen kleine Hörner. Eisiger Schrecken packte mein Herz beim Anblick des ehemals menschlichen Dieners. Mein Verstand war seltsam leer, mein Körper wie gelähmt.

Das Wesen packte meinen Gastgeber am Hals und hob ihn mühelos in die Luft.

„Was … wer?”, krächzte Andriç, nach Luft ringend.

„Als du all die Bücher aus der Bibliothek von Celeano entwendet hast, haben wir das aus nur einem Grund zugelassen”, sprach es grollend. „Weil wir uns einen Vorteil davon versprachen, dass sie in deinem Besitz waren. Doch nun sind sie es nicht mehr.”

Der Magister gab gurgelnde Laute von sich und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Ohne Erfolg.

„Zeit, zu sterben, menschlicher Abschaum!”

Bevor ich irgendetwas tun, irgendwie reagieren konnte, brach das Genick von Andriç mit einem trockenen Knacken. Achtlos ließ das Wesen den leblosen Körper fallen. Der Kopf ruckte zu mir herum. „Nun zu dir.”

Endlich schaffte ich es, mich aus meiner Starre zu befreien. Schnell weg hier! Aber ich durfte den Hamster nicht zurücklassen. Ich musste in die Bibliothek zurück, direkt an diesem Ungeheuer vorbei. Ich spannte die Muskeln an und stieß das Wesen aus dem Weg. Rasch lief ich durch den Durchgang in die Bibliothek. Es herrschte ein großes Chaos. Die Vitrine mit der Handschrift Löws lag in Trümmern. Ein regloses und verdrehtes Fellbündel lag inmitten eines Scherbenhaufens daneben. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das Tier schien eine Katze zu sein. Was war mit Crice passiert?

Hektisch schaute ich mich um, konnte die Hamsterdame aber nirgends entdecken. „Verflixt”, entfuhr es mir. Ich würde sie auf keinen Fall zurücklassen. „Wo steckst du?” Hinter mir hörte ich die schweren Schritte des Wesens.

„Psst, hierher!” Die Hamsterdame war auf eines der Regale geklettert und begann Worte und Silben in einer fremden Sprache zu rezitieren. Gerade als die Luft zu flimmern begann, spürte ich, wie sich eine kalte Klaue um meinen Hals legte.


Tja, da waren die Aufzeichnungen von Löw am Boden gelandet. Egal, ich wollte sowieso keinen Golem bauen. Also kletterte ich weiter. De Vermis Mysteriis? Nein, ich wollte keinen Sternenvampir beschwören. Das Necronomicon in der lateinischen Übersetzung. Auch unbrauchbar. Aber da. Da waren sie, die Celeano-Fragmente. Nur mit ihrer Hilfe konnte es Andriç gelungen sein, die Grenzen zwischen den Welten zu durchbrechen. Also nahm ich all meinen Mut zusammen … und hamsterte das uralte Textfragment.

Mir wurde sofort schlecht, aber mir war nicht klar, ob es aufgrund des uralten Papiers oder doch wegen der düsteren Magie geschah, welche meine Backen von innen zu verätzen schien.

Aber ich sah. Ich verstand.

Ich kletterte auf eine Vitrine und begann die düstere Energie, die das Papier umgab, durch meine Pfoten strömen zu lassen. Als Archibald auftauchte, winkte ich ihn zu mir und begann, einen Spruch zu skandieren, der mich in meine Heimat bringen würde. Einen Planeten, am Ende des Universums.

Da wurde der Schriftgelehrte von hinten am Hals gepackt. Ich riss die Augen auf, während ich weiter einen Singsang von mir gab, der nicht für Hamsterstimmen erschaffen worden war. Ein Nightgaunt. Offenbar einer mit einer Spur von Intelligenz.

Blitzschnell überlegte ich. Ich konnte meinen Spruch beenden und mich aus dem Staub machen. Dann würde der gute Doktor hier zurückbleiben und sehr wahrscheinlich getötet werden. War ich ihm nicht etwas schuldig? Außer einer Gurkenscheibe und ein paar Snacks? Aber er hatte sich um mich gekümmert, war mir doch ans Herz gewachsen … zumindest ein wenig. Ich fluchte in einer Sprache, die ich vor wenigen Minuten noch nicht einmal beherrscht hatte und veränderte den Spruch, an dem ich gerade arbeitete. Die Energie zwischen meinen Pfoten veränderte sich.

Ein Portal materialisierte sich und trennte den Arm des Wesens direkt hinter dem Handgelenk ab.

„Komm schon!”, rief ich Archibald zu und hastete durch das Portal. Er stolperte hinterher. Dann waren wir hindurch. Ein weites Plateau. Zwei Monde.

Dann wurde es mir zu viel. Ich würgte das Fragment aus … und gleich noch drei andere Bücher, die ich gerade gehamstert hatte. Ade, Einbruchskünstlerin! Auf Nimmerwiedersehen, Gottfried Keller.

Das Portal kollabierte und auch ich sank ermattet zu Boden. Entkommen, aber wohin? Das war nicht mein Planet. Der Himmel war nicht orange.

Der Blick des Doktors fiel zuerst auf mich. „Was ist passiert, Crice? Dein Fell ist komplett weiß!”

„Die Verwendung dunkler Kräfte hat immer einen Preis. Weißes Fell ist da noch ein ziemlich geringer.”

Dr. Archibald stand auf und blickte sich um. „Wo sind wir hier?”, fragte er.

„Ich habe keine Ahnung”, antwortete ich und rappelte mich hoch, ganz die abenteuerlustige Hamsterdame. „Aber lass es uns herausfinden.”

Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt

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