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Der Traumbeutler

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Von Gerd Scherm

Sundance, der natürlich nicht so heißt, Manolito, der wirklich so heißt, und ich, der sich Cassidy nennt, hatten einen Job für den Sommer gefunden: Die Betreuung eines Bungalows am Strand von Santa Barbara in Kalifornien. Sollten wir das zur Zufriedenheit des Besitzers machen, so versprach er, gäbe er uns die Chance, in der nächsten Saison alle seine 20 Bungalows zu managen. Doch er erwartete von uns nicht nur einen Rund-um-die-Uhr-Service für seine Gäste, sondern auch ausgefallene Ideen, den Aufenthalt besonders angenehm und einzigartig zu gestalten. Denn sein Publikum sei anspruchsvoll und exzentrisch, Vorschläge wie Grillpartys oder freizügiger Eskortservice würden zu unserem sofortigen Rausschmiss führen.

So kam Sundance auf die Idee mit den Haustieren. Leute, die hier Urlaub machen, leisten sich als einziges „Bio-Spielzeug“ höchstens einen Chihuahua, der nur zum Fotoshooting und zum Pinkeln seine Taschenbehausung von Louis Vuitton verlässt. Zu allem anderen fehlen den Urlaubern die Zeit, die Lust und das Interesse. Es musste also schon etwas ganz Besonderes, etwas extrem Besonderes sein, um den Urlaub hier unauslöschlich ins Gedächtnis der Gäste zu brennen. Etwas, dass sie quasi süchtig macht, immer wieder hierher zurückzukommen und in einem der Bungalows unseres Auftraggebers zu wohnen.

Bei uns dreien gilt, wer einen Vorschlag macht, der muss ihn auch umsetzen. Also zog Sundance los, um in einer Zoohandlung geeignetes Material zu finden.

Viele unterschätzen unseren Freund Sundance, denken er sei einfältig und nicht besonders clever. Dabei folgt er nur seiner inneren, sehr geradlinigen Logik, die den meisten Menschen fremd ist. Seine Art zu denken ist, wenn wir besondere Haustiere suchen, dann müssen wir dahin, wo solche am wahrscheinlichsten angeboten werden. Deshalb ging er schnurstracks in den Laden ZOOSP – Zoo Sensational Pets nördlich des Golfclubs nahe der Küste.

Sundance war überrascht, denn von außen hatte der Laden gar nicht so groß ausgesehen. Er hatte Regale mit Futter, Pflegemitteln und Käfigen und Aquarien erwartet, doch vor ihm erstreckte sich ein riesiges Areal. Das war viel mehr als ein Shop, das war wirklich ein Zoo! Gehege reihte sich an Gehege, manche mit Absperrbändern, manche mit Gitterstäben, manche mit Sicherheitsglas. Das war kein Geschäft für niedliche Haustiere, das war ein Panoptikum mit allem, was kreucht und fleucht und läuft und schwimmt.

„Wonach steht dir der Sinn?“, riss ihn eine Stimme aus seinen Betrachtungen. Neben ihm stand ein freundlich lächelnder junger Mann, der laut Namensschild ZOOSP-Berater war und Mike hieß. Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er eine überschwängliche Geste mit beiden Armen und forderte Sundance auf, ihm zu folgen. Was der sah, ließ ihn staunen. Als eifriger Fantasy-Leser kannte er von Illustrationen und Geschichten das Aussehen und die Namen einer Menge mythischer Tiere – Greif, Einhorn, Drache, Basilisk, Chimäre, Zentaur, selbst Zerberus und Hydra waren ihm vertraut. All das war hier und noch vieles mehr. Das sprengte alles, was ihm bisher an fantastischen, magischen, mythischen Wesen in Literatur, Comics und Film je begegnet war.

Er wandte sich an den Verkäufer und sagte leise, als hätte er Angst, die Monster könnten beleidigt sein: „Sehr beeindruckend. Doch ich suche etwas Kleines, Kuscheliges. Das Tier sollte familientauglich sein, anschmiegsam, vor allem auch für Kinder geeignet.“

„Ich verstehe“, erwiderte Mike. „Da haben wir doch gerade etwas ganz Bezauberndes hereinbekommen. Du wirst es mögen.“ Der Verkäufer deutete auf ein kleines Gehege hinter Sundance, der sich sicher war, dass es vor einigen Sekunden noch nicht dort war. Den Bereich trennte nur ein niedriger Holzzaun vom Rest des Ladens, es war also ungefährlich, beruhigte sich Sundance. Darin lag ein Tier, flach, platt wie eine Flunder oder ein Rochen und von der Größe eines zu klein geratenen Gästehandtuchs.

„Was soll das sein? Ist das überhaupt etwas Lebendiges?“

„Durchaus, du wirst überrascht sein. Es ist das anschmiegsamste Wesen, das ich je gesehen habe. Und ich habe wirklich viele gesehen“, fügte er hinzu und machte eine vielsagende Geste, die den ganzen Raum hinter ihm mit all seinen Monstern umfasste. Er hob das Tier hoch und zeigte die Unterseite. Sundance war überrascht. Er sah ein süßes Babygesicht, das ihn an einen Delphin erinnerte. Darunter zeichnete sich schwach ein kleiner Körper ab, nicht größer als der Kopf. Außerdem hatte das Tier zwei dicke Beinchen. Es entsprach absolut dem Kindchen-Schema.

„Ich habe keine Ahnung, wo das Tier herkommt“, sagte der Verkäufer. „Die einen sagen aus der Nähe von Ayers Rock, die anderen aus irgendeinem Chemielabor in China.“

„Das heißt Uluru“, verbesserte Sundance.

„Du weißt, wie das Chemielabor heißt?“

„Nein, ich habe keine Ahnung von dem Labor. Aber der heilige Berg in Australien wird jetzt in der Sprache der Aborigines Uluru genannt. Aus Respekt vor den Ureinwohnern.“

„Ach so. Aber ist eh egal. Wichtig sind die Tiere. Fass den Kleinen mal an, streichle ihn!“

Sundance tat es und spürte sofort eine beruhigende Wirkung. Je länger er das kleine Etwas streichelte, desto wohler fühlte er sich. Es tat ihm gut, so gut. Am liebsten hätte er nie mehr mit dem Streicheln aufgehört.

„Willst du es kaufen?“, riss ihn die Stimme des Verkäufers aus seinem Tagtraum.

Der Rücksturz in die Realität war ein kurzer Schock, doch dann war Sundance wieder völlig klar.

„Was soll das Schätzchen kosten?“

„Wie wäre es mit hundert Bucks?“

„Nein. Das ist viel zu viel für so wenig Tier.“

„Okay, gib mir achtzig und es gehört dir.“

„Das kann ich mir nicht leisten. Da kann ich meiner Kleinen leider nur ein Plüschtier kaufen.“

„Es ist für dein Kind?“

„Ja, sie hat morgen ihren zweiten Geburtstag und ich wollte ihr etwas ganz Besonderes schenken. Dieses süße Tierlein wäre optimal.“

„Hm. Wie viel kannst du ausgeben?“

„Zwanzig.“

„Mein Chef tritt mich in den Hintern. Aber du scheinst ein netter Kerl zu sein. Gib mir dreißig und du kannst es mitnehmen.“

„Okay. Abgemacht. Wie nennt man diese Tiere eigentlich?“

„In den Papieren steht ‚Papatahi‘, aber frag mich nicht, was das bedeutet.“

Sundance grinste. „Da ich der Papa bin, nenne ich das kleine Wesen Tahi.“

Als er beim Bungalow ankam, grinste er immer noch. Der Vatertrick hatte ihm eine Menge Geld gespart.


„Dieses Tier ist besser als jeder Happymaker! Wahnsinn!“, rief Manolito begeistert.

„Genau, es ist wirklich verrückt. Man sagt ja, dass Hunde und Katzen streicheln beruhigt, aber hier läuft viel mehr“, pflichtete ich ihm bei. „Mann, fühle ich mich gut, ach was, sauwohl. Alles ist so easy.“

„Wir könnten das Tier doch stundenweise gegen Geld vermieten“, schlug Sundance vor.

„Nein, nein! Dieses Tierlein ist unsere Eintrittskarte für den Superjob. Wir werden nächstes Jahr 20 Bungalows managen und unheimlich viel Kohle abräumen. Zu all unserem Gehalt kommt bestimmt eine Menge Trinkgeld von den Besuchern. Wenn die das erleben, gehen ihnen die Herzen und Geldbeutel auf“, prophezeite ich.

„Lasst uns den Boss anrufen und ihm die frohe Botschaft verkünden.“

Während des Telefonats ruhte meine rechte Hand ständig auf dem Tier und das gab mir das Gefühl, dass nichts schiefgehen konnte. Ich erzählte dem Boss, dass wir etwas ganz Tolles für die Gäste gefunden haben, ein absolutes Wohlfühl-Tier. Er war neugierig, aber wie immer misstrauisch. „Klingt gut. Ich schicke morgen meine Assistentin Jane vorbei, die soll sich das mal ansehen.“ Und schon war das Gespräch beendet. Verheiratete Firmeninhaber haben wohl immer eine Assistentin, zu der sie sehr viel Vertrauen haben, sogar in geschäftlichen Dingen.


Am nächsten Tag, so gegen Mittag, ertönte ein lautes Hupen vor dem Bungalow.

Sundance, Manolito und ich stürmten aus dem Haus. Bisher kannten wir Jane nur vom Hörensagen und wir waren gespannt, wie sie aussieht. Und was soll ich sagen? Vor uns sahen wir eine Inszenierung, ein Arrangement aus den Glanzzeiten Hollywoods: Eine blonde, fantastisch gutaussehende junge Frau in Weiß, umrahmt von einem roten Austin Healey Cabrio Oldtimer aus den frühen 1960ern – ein filmreifer Auftritt, Marilyn Monroe ließ grüßen.

Nachdem sie uns einige Sekunden schweigend gemustert hatte, sagte sie: „Hi Boys! Ich bin Jane.“

Wir rannten alle drei gleichzeitig los. Es war sicher der kürzeste Wettlauf aller Zeiten und dennoch gewann Manolito mit merklichem Vorsprung. Er errang unangefochten den Siegespreis und durfte die ausgestreckte Hand freudig ganz sanft drücken. Nach einer gefühlten Ewigkeit durften auch wir Jane begrüßen und ich bat sie ins Haus. Dadurch lag der Vorteil nun bei mir. Aber nur kurz, denn nun übernahm Sundance, der das Tier ja besorgt hatte. Zähneknirschend überließen wir ihm den Vortritt.

„Das ist das Kuscheltier des Jahres!“, begann er euphorisch. „So etwas hat die Welt noch nicht gesehen, nicht einmal im Fernsehen.“

Jane betrachtete das leicht pelzige, flache Etwas skeptisch, räusperte sich und meinte schließlich: „Besonders attraktiv wirkt es aber nicht. Zumindest nicht auf den ersten Blick.“

Ich bewunderte sie für ihre Zurückhaltung. Im Prinzip hatte sie ja recht. Unser Tier sah auf den ersten Blick aus wie ein liegengebliebenes Gästehandtuch. Doch Sundance ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. „Setz dich in den Sessel, Jane“, forderte er sie auf. Dann legte er ihr das Papatahi auf den Schoss. „Leg deine Hände auf das Tier und schließ die Augen. Entspann dich!“

Ich konnte ahnen, was nun mit Jane geschah. Und ich sah in ihrem Gesicht, dass es gut war.

„Wir sollten sie in Ruhe lassen und nicht stören“, sagte Manolito und wir verließen den Raum.


Jane war irritiert. So putzig, wie sie erwartet hatte, sah das Tier nicht aus. Eher nichtssagend, unauffällig, unscheinbar. Doch die Berührung mit dem zarten Fell empfand sie als überaus angenehm. Fast automatisch begann sie das kleine Wesen zu streicheln. Wohlbefinden durchströmte ihren Körper und ihr Geist entspannte sich. Ihre Gedanken entfernten sich aus ihrer eigenen Welt, jener Welt, die am Jetset und an der High Society schnupperte. Immer knapp davor und doch stets Lichtjahre davon entfernt. Im Gegensatz zu ihrem Sugar Daddy Billy the Boss war jene Welt nicht ihr Ziel.

Billys Gesicht in ihrem Geist wurde mehr und mehr von Ornamenten in allen Regenbogenfarben überlagert. Sterne streuten sich darüber, ab und zu flitzte ein Komet vorbei, Jane fühlte sich gut. Sie bemerkte nicht, dass das Tier durch ihre Zuwendung immer größer wurde, zu einer Art Decke wuchs, die sich um sie schmiegte. Alles, was sie bemerkte, war, dass es ihr so gut ging wie noch nie zuvor in ihrem Leben.


Sundance kehrte als Erster in das Zimmer zurück, um ihre Einschätzung zu hören. Immerhin war sie es, die der Boss zur Besichtigung geschickt hatte. Von ihrem Urteil hing die Zukunft der drei Freunde ab.

Zu seiner Verblüffung war Jane nicht mehr da. Das konnte nicht sein. Das Zimmer lag direkt hinter dem großen Aufenthaltsraum, hatte nur diese eine Tür, durch die er es gerade betreten hatte. Jane konnte den Raum nicht unbemerkt verlassen haben. Angst stieg in Sundance auf und er rief die anderen.

Ich checkte das Fenster zum Garten, es war geschlossen und fest verriegelt. So konnte sie den Raum also nicht verlassen haben. Wir gingen nach draußen. Der rote Austin Healey Cabrio strahlte mit der Sonne um die Wette, Jane war also auf keinen Fall heimlich abgehauen.

Wir gingen in das Zimmer zurück, in dem sie sich zuletzt aufgehalten hatte. Plötzlich sagte Manolito: „Hey! Sagt mal, habt ihr nicht auch den Eindruck, dass das Tier ziemlich gewachsen ist?“

„Ja, genau“, sagte Sundance, „Das Tier ist größer geworden! Es ist schon fast so groß wie ein Bettlaken. Stellt euch vor, es vermehrt sich und die netten Kuscheldecken fressen dann alle Menschen.“

Das fand ich nun doch zu drastisch. „Wie kommst du darauf, dass das Tier sie gefressen hat? Das ist doch Unsinn!“

Was mich viel mehr umtrieb, war die Angst vor unserem Boss. Wie sollten wir ihm erklären, dass seine Freundin nur ein paar Meter von uns entfernt aus einem geschlossenen Zimmer verschwinden konnte? Wir wussten es ja selbst nicht. Ich musste herausfinden, was geschehen war.

Vorsichtig näherte ich mich dem Sessel, in dem Jane zuletzt gesessen war. Das Tier bedeckte inzwischen wie eine Tagesdecke das gesamte Möbel. Als ich es mit einer Hand berührte, stellten sich sofort wieder die angenehmen Gefühle ein, die ich bei der kleinen Version gespürt hatte. Vielleicht ernährte sich das Wesen von Zuneigung? Immerhin gibt es Pflanzen, die besser wachsen, wenn man freundlich mit ihnen spricht. Und dass sich Tiere wohler fühlen, wenn man sie gut behandelt, das weiß man seit Menschengedenken. Ich konnte nichts Negatives spüren, nur Wohlbefinden. War das eine Falle? So wie Insekten vom betörenden Duft fleischfressender Pflanzen angelockt werden? Ich beschloss, einen Selbstversuch zu machen. Langsam hob ich das Tier an einer Seite hoch und schlüpfte wie bei einer Decke teilweise darunter.


„Also entweder die beiden verarschen uns und sind gemeinsam abgehauen oder …“

„Oder was?“, fragte Manolito.

„Oder das Vieh hat die beiden gefressen.“

„Wie gefressen?“, argwöhnte Sundance. „Du meinst, einfach so, mit Haut und Haar und allen Knochen?“

„Was bleibt denn für eine andere Möglichkeit?“

„Das ist krass!“, rief Sundance. „Und mir hat er das Monster als Kuscheltier für meine kleine Tochter verkauft.“

„Du hast eine Tochter?“, fragte Manolito erstaunt. „Das wusste ich noch gar nicht.“

„Nein, ich hab keine Tochter. Das war nur mein Trick, um das Vieh billiger zu bekommen. Verdammt noch mal, ich will meine dreißig Dollar zurück!“

„Ich denke, wir haben ein größeres Problem als deine dreißig Bucks. Stell dir vor, das Vieh ist irgend so ein Alien! Ich bin mir zu Hundert Pro sicher, dass es nicht von dieser Welt stammt. Vielleicht ist es ein einzelner Forscher, der die Erde erkundet und die anderen kommen noch. Oder …“ Manolito brach seinen Satz ab.

„Was oder?“

„Oder die anderen müssen gar nicht kommen. Ein Monster reicht für die Invasion. Es hat Nahrung gefunden, die ihm schmeckt, es ist größer geworden und jetzt kann es sich vermehren. So könnte es doch sein, oder meinst du nicht?“

Sundance schüttelte den Kopf. „Wie soll sich das Ding denn vermehren, es hat doch niemanden zum Vö…?“

„Ich sage nur: Sex-Kannibalismus! Ich habe darüber eine Doku im TV gesehen. Das Vieh hier ist doch erst gewachsen, als es in Kontakt mit einer Frau kam. Vielleicht ist das seine Art von Schwangerschaft“, erwiderte Manolito.

„Du meinst, das Ding vermehrt sich durch den sexuellen Kontakt mit Menschen und dann frisst es sie auf?“

„Genau! So denke ich mir das.“

„Weißt Du, wovor ich mich im Moment am meisten fürchte, Manolito?“

„Dass dem Biest lange Beine wachsen, es uns jagt und frisst?“

„Nein. Am meisten habe ich Angst davor, dass der Boss hier auftaucht. Er wird denken, Cassidy sei mit Jane abgehauen und dann wird er sich an uns rächen.“

Beim letzten Wort fuhr er mit dem Daumen über seine Kehle.

„Wir sind geliefert“, jammerte Sundance. „Was auch immer passiert ist, wir sind im Arsch, wenn wir nicht schleunigst die Fliege machen! Und zwar subito, bevor uns das Monster oder der Boss erwischt.“

Manolito nickte nur und die beiden begannen, alles an Lebensmitteln und Brauchbarem aus dem Bungalow zusammenzuraffen. Dann warfen sie alles samt ihrer Habseligkeiten in das Cabrio und flohen mit Janes Wagen.

„Du weißt schon, dass wir gerade einen Oldtimer geklaut haben?“, fragte Manolito.

„Klar weiß ich das! Na und? Das sind doch Peanuts. Wenn Du die Wahl hast, von einem Alien gefressen oder von einem amoklaufenden Boss erschossen zu werden, ist die Entscheidung einfach: Nimm das Auto und hau ab!“, antwortete Sundance und drückte das Gaspedal durch.


Ich erwachte. Mit geschlossenen Augen überprüfte ich meinen Körper, checkte die Beweglichkeit aller Gelenke vom Kiefer bis zu den Zehen. Alles schien in Ordnung zu sein. Mehr als in Ordnung, ich fühlte mich gut. Es war, als erwachte ich aus einem erholsamen Schlaf. Ich setzte mich auf, dann erst öffnete ich die Augen, – um sie gleich wieder zu schließen. Nach einigen tiefen Atemzügen wagte ich einen zweiten Blick und betrachtete die Landschaft. Ich war auf keinen Fall in Santa Barbara. Und auch nicht irgendwo anders in Kalifornien. Eigentlich durfte es solch eine Gegend gar nicht geben. Ich sah Bäume mit blauen Strahlen, ich sah in allen Farben schillernde Pfade, die kreuz und quer durch die Landschaft führten und ich sah in der Ferne einen Berg mit einer roten Aura.

„Auch schon aufgewacht?“, ertönte eine Stimme hinter mir.

Ich erschrak. Erst nach einigem Zögern drehte ich mich vorsichtig um – hinter mir stand Jane.

„Schön, dass ich nicht mehr alleine hier bin. Du hast sicher auch keine Ahnung, wo wir sind?“

„Nein, definitiv nicht.“

„Woher kommt eigentlich dieses Wohlfühl-Kuscheltier?“, wollte Jane wissen.

„Von ZOOSP – Zoo Sensational Pets in Santa Barbara, nicht weit von der Küste“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Ja, und die Milch kommt aus dem Tetra Pak und das Steak vom Metzger! Ich will wissen aus welcher Gegend, welchem Land, welchem was-auch-immer dieses Tier kommt!“

Ich weiß nicht, ob ich rot geworden bin, aber meine unüberlegte Antwort war mir im Nachhinein ziemlich peinlich. Laut sagte ich: „Sorry, das hatte ich vergessen. Sundance erzählte, dass es entweder aus einem Labor in China oder vom Uluru in Australien stammt. In den Einfuhrpapieren stand die Bezeichnung ‚Papatahi‘.“

„Na geht doch! Man muss Dich nur nerven.“ Jane lachte.

Ich mochte dieses Lachen.

„Für ein verunglücktes Gen-Experiment halte ich das Tier nicht. Dazu ist seine Ausstrahlung viel zu positiv“, sagte sie. „Und nachdem ich beim exzessiven Streicheln und Kraulen eine Bauchtasche gespürt habe, bin ich mir absolut sicher, dass es aus Australien stammt.“

„Okay, klingt logisch und überzeugend. Aber wo sind wir? Nach Australien sieht die Gegend hier nicht aus.“

Ich deutete mit einer ausladenden Geste auf die bizarre Landschaft, die uns umgab.

„Real ist anders“, stimmte Jane mir zu. „Das ist wie auf einem LSD-Trip. Oder als ob man einen halluzinogenen Pilz gegessen hat.“

Ich wagte nicht zu fragen, woher sie wusste, wie LSD- oder Pilzvisionen aussahen.

Als langjähriger Phantastik- und Science-Fiction-Leser schlug ich eine drogenunabhängige Version vor: „Entweder sind wir auf einem anderen Planeten oder in einer Parallelwelt.“

Jane nickte. „Du hast doch mehr Grips, als ich von einem Bungalow-Aufpasser erwartet habe“, sagte sie anerkennend.

„Aber …“, setzte ich an, aber sie unterbrach mich sofort.

„Das war nicht böse gemeint. Ein Scherz. Sicher hast Du mehr in der Birne und jeder hat mal eine schlechte Phase im Leben und muss miese Jobs bei miesen Typen wie Billy machen. Für mich ist meine Anwesenheit bei ihm auch nur temporär.“

„Jetzt bist du ihm ja quasi durch einen Notausgang entkommen.“ Wir lachten beide. Dann schlug ich vor, einem der bunten Pfade zu folgen.

Nach einer Weile sahen wir in einiger Entfernung eine aufrechte Gestalt. Mutig gingen wir weiter auf sie zu. Sie hob den Kopf in unsere Richtung, blieb aber ansonsten unbeweglich stehen. Als wir nahe genug waren, um Details zu erkennen, rief Jane: „Das ist ein Känguru!“

Bald erreichten wir das Tier.

„Ihr seht mich also als Känguru? Interessant!“

Ich sah Jane fragend an, sie schüttelte den Kopf, ich zuckte mit den Achseln und wir wandten uns wieder dem sprechenden Tier zu.

„Es ist so“, erklärte es, „Die meisten sehen mich als Regenbogenschlange. Andere als Waran und wieder andere, so wie ihr, als Känguru. Das liegt aber nicht an mir, sondern an euch. Hat irgendetwas mit dem archaischen Gehirn zu tun, sind wohl frühe Prägungen durch eure Ahnen.“

Bei Regenbogenschlange regte sich etwas in meinen Erinnerungen und ich fragte mutig das Tier: „Du meinst, wir sind in der Traumzeit der Aborigines?“

„Mit Meinung hat das nichts zu tun. Das ist Realität, aber nicht in dem Sinn, wie ihr Realität definiert. Und Traumzeit ist auch nicht das, was sich die Weißen darunter vorstellen. Mit dem Träumen hat das nichts zu tun, sondern mit allem, was existiert hat, existiert und existieren wird. Hier ist die Quelle für alles, was entsteht und das Archiv für alles, was vergeht.“

Das Känguru schien eingeschnappt zu sein. Aber das war wohl zu menschlich von mir interpretiert. Das Wesen fuhr fort: „Ihr seid auf einer Songline, auf einem Traumpfad zu mir gelangt. Allein die Tatsache, dass ihr hier seid, beweist, dass es wichtig ist. Für das Gefüge, für die Ahnenwesen, für die Künftigen. Und natürlich für euch.“

„Das klingt aber sehr groß für zwei kleine Menschlein wie uns beide“, wandte Jane leise ein.

„Keiner ist klein und keiner ist groß! Jede und jeder ist wichtig. Die Traumzeit ist der Entstehungsort von allem und alles kehrt hierher zurück, um die Energie für Neues zu werden. Jeder eurer Atemzüge ist hier aufgezeichnet. Und alles, was noch kommen wird, hat hier seinen Ursprung. Seht diese Landschaft! Sie träumt. Sie ist die Verkörperung der mystischen Wirklichkeit“, erwiderte das Känguru, das die meisten als Regenbogenschlange sehen.

„Aber wir entstammen einer ganz anderen Kultur. Das ist alles so fremd“, versuchte ich mich zu rechtfertigen.

„Die Traumzeit ist mit allem und jedem verbunden. Es gibt in ihr kein fremd. Was sich auf der Erde bewegt, was kreucht und fleucht, alles hat eine Verbindung hierher. Auch ihr beide. Ihr habt zwei Möglichkeiten: Die eine, ihr bleibt hier und findet heraus, warum ihr hier seid. Ihr hättet die Chance, das Prinzip zu erkennen und zu verstehen. Oder ihr geht zurück in das, was ihr Realität nennt. Ich habe die Macht, euch das Tor zu öffnen. Die Entscheidung liegt bei euch!“

Das Wesen schaute Jane und mir lange in die Augen.

Jane ergriff meine Hand. „Lass uns bleiben“, flüsterte sie.

Und ich sagte: „Ja, wir bleiben.“

Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt

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