Читать книгу Kapitäne! - Stefan Kruecken - Страница 13

Оглавление

Die letzte Überzeugungsarbeit lieferten die Groschenromane von Jerry Cotton, in denen ich Anzeigen für die Hochseefischerei entdeckte: „Die letzten Wikinger fahren in der Hochseefischerei“. Ich meldete mich in Cuxhaven und kam auf den Seitenfänger Minden. Ich war zwar erst 18, doch harte Arbeit kannte ich von meiner Lehrzeit auf dem Fluss.

Viele Jahrzehnte lang war ich auf dem Nordatlantik unterwegs. Grönland, Island, Spitzbergen, zwischendurch fuhr ich für eine Reederei auf den Färöern. Auf diesem Trawler-Purse Seiner (Ringwaden) gab es sogar eine Orgel an Bord, weil die strenggläubigen Inselbewohner auf Kirchenmusik standen. In Alaska und Kamtschatka habe ich auch gefischt, das war mein Abstecher auf den Pazifik.

Was ich von alten Kapitänen lernte und mir abschaute, war ihre Disziplin. Wer später etwas wurde, der ging nach der Wache nicht gleich in die Koje, sondern notierte noch, was er wo in welcher Tiefe fing. Eine persönliche Landkarte, wo man Fisch findet. Diese Aufzeichnungen sind bares Geld wert. Ich habe daheim ein ganzes Regal mit Notizheften und handgefertigten Seekarten.

Informationen auf See zu erhalten, das kann man vergessen. Fischer lügen wie gedruckt, über Funk sowieso. Das ist gar nicht böse gemeint, das ist einfach so. „Mensch, hier ist gar nix los“, kann bedeuten, dass die Hols kaum an Bord zu bekommen sind. Gibt jemand durch, dass er zufrieden ist, werde ich auch misstrauisch. Unter befreundeten Kollegen hilft man sich, keine Frage. Dann hatte man vor einer Reise am Tresen einer Hafenkneipe bestimmte Codes ausgemacht. An einen erinnere ich mich noch: „Fritz schlägt Emil“ bedeutete, dass es ein gutes Revier war.

Im Laufe der Jahre erlebt man auch Dinge, die für Adrenalinschübe sorgen. Auch das gehört zum Beruf. Einmal habe ich einen Helikopter aus der See gefischt, das ist kein Seemanngarn. Das Ding war in der Nordsee abgestürzt, nahe der norwegischen Egersund-Bank und fiel keine 200 Meter entfernt an meiner Backbord-Seite ins Wasser. Alle Passagiere und der Pilot überlebten und wurden von einem norwegischen Fischer, der dicht neben mir fischte, gerettet. Ich habe, nachdem ich den Fang an Deck gehievt hatte, eine Schwimmtrosse um den treibenden Helikopter ausbringen lassen. Mein Gedanke: eventuell eine Bergungsprämie für das Objekt kassieren.

Was sollte ich damit tun? Ich rief den Reeder an.

„Behalte den erstmal“, sagte er.

Nach ein paar Stunden habe ich den Beifang dann an ein norwegisches Küstenwachboot abgegeben. Der mögliche Havarielohn stand in keinem Verhältnis zu den Verlusten, die wir wegen entgangener Fangerlöse zu erwarten hatten.


Über die Gefahren auf See macht man sich als Fischer keine Gedanken. Man schiebt sie weg. Natürlich hat man von den Unglücken im Nordatlantik gehört. Von den gesunkenen Trawlern. Von Unglücken wie auf dem Fischereimotorschiff Teutonia, das im Mai 1968 auf dem Rückweg von einer Fangreise südwestlich von Island von einer großen Welle getroffen wurde. Wie ein Vorschlaghammer schlug ein Kaventsmann die Brücke ein. Drei Fischer starben. Oder der Untergang des Heckfängers München, der im Juni 1963 in schwerer See langsam volllief, weil die Speigatten defekt waren. 27 Fischer ertranken oder erfroren in den Rettungsinseln. Mehr als tausend Fischer, so die Schätzungen, kamen unter Island ums Leben. Ihnen hat man in Vík auf Island ein Denkmal gesetzt.

In kritischen Momenten kommt es darauf an, eine gute Mannschaft zu haben. Am 14. Mai 2000 gab es einen solchen Moment. Wir fischten mit einem Fangfabrikschiff, der 68 Meter langen Hannover, schwarzen Heilbutt unter Grönland. Auf der Gauss-Bank, in 1030 Meter Wassertiefe, um genau zu sein. Mein Bestmann stürzt auf die Brücke, außer Atem.

„Feuer! Wir haben ein Feuer an Bord!“

Der Brand war im Maschinenleitstand ausgebrochen. Wenige Momente später heulten die Sirenen. Rauch drang ein. Wir stellten die sogenannte Verschlussrolle her und der Feuerstoßtrupp begann − unter schwerem Atemschutz − mit den Löscharbeiten. Als ich die Reederei informierte, trug ich schon eine Atemschutzmaske. Beißender Qualm und Dämpfe waberten durch die Kabelkanäle, die damals noch nicht vergossen waren, und verteilten sich im gesamten Schiff. Windstärke sieben bis acht Beaufort, ruppige Seen aus Nordost. Zweimal meldete der Stoßtrupp: „Offenes Feuer gelöscht!“ Doch hinter den Verschalungen und Schaltschränken setzte sich ein Schwelbrand fort. Ich entschied sofort, den Stoßtrupp aus dem Maschinenleitstand abzuziehen, und flutete diesen mit CO2, damit sich der Brand nicht weiter ausbreiten konnte. Die Hauptmaschinen wurden abgestellt.

Meine Crew aus 21 Mann musste von Bord, das war klar. Ich setzte ein „Mayday“ ab. Wir hatten Glück. Ein grönländischer Trawler, die Polar Nattoralik, befand sich in der Nähe und erreichte uns nach knapp zwei Stunden. Später kamen uns zwei weitere Trawler zur Hilfe. Meine Männer kletterten über pendelnde Jakobsleitern von Bord und fuhren mit Schlauchbooten rüber zu den Kollegen, was angesichts der schweren See gar nicht so einfach war. Ich blieb an Bord. Das Fanggeschirr, das noch am Meeresgrund war, hielt das Schiff mit dem Heck in Wind und See, quasi wie vor einem Anker. Ich verlasse mein Schiff nicht, solange es Möglichkeiten gibt. Zur Herstellung eines Schleppgeschirrs kamen später sieben Mann der Besatzung zurück auf die Hannover.

Polar Nattoralik nahm unseren Trawler auf den Haken. Wir kappten die Schleppdrähte (Kurrleinen) des Fanggeschirrs und setzten die sieben Seeleute wieder auf Polar Nattoralik ab. Dann liefen wir Richtung Island. Im Schiff und auf der Brücke standen giftige Dämpfe. Dort konnte ich mich nicht aufhalten. Aber der Überlebensanzug, den ich trug, war bequem und sorgte für Wärme. Ich habe in diesen Nächten gut geschlafen, auf einem Haufen Netzen in einer Ecke an Deck. Man brachte mir Essen und Getränke mit dem Rescue Boat und es war gut auszuhalten. Ich wollte nicht, dass der Vorgang als „Bergung“ deklariert wird. Nicht für mich, nicht für die Reederei, auf die enorme Kosten zugekommen wären. Eine Frage der Ehre.

Am zweiten Tag, der Wind nahm mittlerweile auf sechs Beaufort ab, brachte man mir eine Nachricht von der Brücke des grönländischen Trawlers. Ich sollte das Schiff verlassen, Anweisung meines Reeders, was ich zunächst nicht glauben mochte. Erst, als man mir beim nächsten Besuch ein Telex mitbrachte, auf dem die Anweisung des Eigners deutlich formuliert war, willigte ich ein. Zu diesem Zeitpunkt war mein Job erfüllt, denn das Schleppen galt nicht mehr als volle Bergung, sondern nur als Hilfeleistung. Am dritten Tag ließ ich mich, mit ein paar Leuten meiner Crew, wieder auf mein Schiff übersetzen. Nach einem Kontrollgang durch das Schiff konnte man vermuten, dass das Feuer erloschen war. Am 17.05. um 10:50 Uhr Ortszeit erreichten wir Reykjavík.

Die Feuerwehr von Reykjavík öffnete den Verschlusszustand und bestätigte: „Feuer gelöscht“. Keine sechs Wochen später waren wir wieder draußen auf dem Fangplatz. Das zuvor gekappte Fanggeschirr konnten wir mit einem Suchanker wieder auffischen, gleich beim ersten Versuch. Somit hatten wir rund 200.000 D-Mark „gerettet“. Die Seeämter in Reykjavík und später auch in Emden, die den Unfall untersuchten, sprachen uns korrektes Verhalten und gute Seemannschaft aus.

In Reykjavík gab es noch eine Überraschung. Die Cuxhavener Bundestagsabgeordnete Annette Faße (SPD) überreichte mir einen persönlichen Brief. Von Bundeskanzler Gerhard Schröder, persönlich. „Ich bin erleichtert über die Rettung aller Besatzungsmitglieder“, schrieb er. Offenbar hatte er sich erinnert: Als er noch Ministerpräsident von Niedersachsen war, hatte Schröder unseren Trawler einmal besucht. Der Name der Landeshauptstadt hatte uns Glück gebracht.

Zuletzt wurde am 23. November 2015 Tasiilaq, ein Ort an der Ostküste Grönlands, von einem Piteraq „überfallen“. Zwischen 7 und 8 Uhr (MEZ) erreichte der Mittelwind 32 m/s (115 km/h) mit Böen bis zu 53 m/s (191 km/h). An einer Wetterstation sollen sogar 70 m/s (252 km/h) gemessen worden sein. Die Schäden waren umfangreich.


KAPITÄN KARL FRIEDHELM VON STAA


Jahrgang 1949, kam in Oberhausen auf die Welt. Von 1975 bis 1977 machte er sein BG-Patent in Cuxhaven. In seiner Freizeit segelt er gerne. Sein Sohn Sascha ist ebenfalls Kapitän. Von Staa lebt in Cuxhaven.

1 Growler sind große Stücke, die von einem Eisberg abgebrochen sind.

2 Vergleichbar mit dem „Bootsmann“ in der Handelsfahrt, also der Boss an Deck.

Kapitäne!

Подняться наверх