Читать книгу Kapitäne! - Stefan Kruecken - Страница 22

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Die Matrosen schärften mir ein: „Das ist ein gefährliches Pflaster! Moses, du gehst auf keinen Fall alleine an Land.“ Die Decksmannschaft musste noch die Luken zum Beladen vorbereiten, und so fand ich niemanden, der mich begleiten konnte. Nach dem Frühstück war die Neugierde zu groß. Ich stieg um kurz nach halb neun auf eine der Barkassen, die Seeleute von den Schiffen auf Reede an Land brachten, und sah mich im alten Teil der Stadt um. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen, zum ersten Mal Südamerika. Ich kam mir ein wenig wie der Entdecker Kolumbus vor: ein kleiner Deckjunge, weißes Hemd, weiße Hose, eine Kamera um den Hals, Armbanduhr am Handgelenk, einen Geldbeutel in der Tasche.

Mein Spaziergang durch das Viertel dauerte nicht lange. Ich wurde von einer Gruppe Jugendlicher umringt und spürte die Spitze eines Messers im Rücken. Ich war Kamera, Armbanduhr und Geldbeutel los. Zum Glück hatte sich Kolumbus, der Entdecker, das Ticket für die Barkasse in die Brusttasche des Hemdes gesteckt. Um kurz nach zehn Uhr schlich ich zurück an Bord, zur Schadenfreude der Matrosen. Sie verspotteten mich, denn sie hatten ja vorhergesagt, wie der Landgang für mich enden würde. Ich schämte mich, die Tränen liefen, und ich schloss mich in meiner Kammer ein. Es dauerte nicht lange, bis an die Tür gehämmert wurde. „Moses, komm raus!“ Für mich war das Kapitel Ecuador beendet, ich mochte nicht. „Siehst du jetzt zu, dass du rauskommst?“, riefen die Matrosen. Im Interesse einer harmonischen Heimreise folgte ich.

Es wurde ein wunderbarer Ausflug. Wir besichtigten eine alte Kirche und einen südamerikanischen Friedhof mit den überirdischen Gräbern. Nach dieser Sightseeing-Tour gingen wir essen. Zum ersten Mal in meinem Leben aß ich Shrimps und fand es köstlich. Hinterher ging es dann noch in die „Alte Anita Bar“, eine bekannte Seefahrerbar. Die Matrosen hielten mich frei. Sie wollten, dass ich die Reise in guter Erinnerung behalte. Sie haben mir einen Weg in die weite Welt gezeigt. Und eine Kameradschaft, wie ich sie immer wieder auf See erlebt habe. Auch deshalb mag ich meinen Beruf.

Nach dem Studium konnte ich als Dritter Offizier bei einer Tankerreederei anmustern. Und den Tankern blieb ich treu. Es ist ein anspruchsvoller Beruf. Auf allen Tankern, egal, welche flüssige Ladung transportiert wird, beschäftigt sich die gesamte Mannschaft immer mit der Ladung. Die Tanks müssen vor dem Beladen sauber sein. Ladungsreste müssen aus den Tanks, den Leitungen, Filtern und Entlüftungsmasten gewaschen werden. Die Ladungsrückstände und das Waschwasser werden in Sloptanks aufbewahrt und im nächsten Hafen entsorgt. Die Kontrollen sind engmaschig und sehr genau. Sollten wir beispielsweise Flugzeugkerosin laden, kam eine Spezialfirma zur Überprüfung der Tanks vor der Beladung an Bord. In den Tanks wurden mit Wattebauschen Proben an den Wänden genommen. Die kleinste Verunreinigung bedeutete mächtig Ärger und im schlimmsten Fall, dass ein anderes Schiff den Zuschlag bekam.

Während der Reisen wurde die Ladung sowie die Temperatur kontrolliert.

Damals musste alles noch per Hand und vielen Tabellen berechnet werden.

Auch dies mochte ich an meinem Beruf. Der größte Tanker, auf dem ich fuhr, hatte eine Länge von 325 Metern bei einer Breite von 49 Metern, der maximale Tiefgang betrug 22 Meter. Auf Tankern bin ich auf fast allen Weltmeeren gefahren.

Schlechtwetter gibt es überall, doch berüchtigt ist unter Seeleuten die Nordsee. Warum, das sollte ich mal auf dieser Reise mit der Leng erfahren. Als wir die Küste Norwegens verließen, setzte Schneetreiben ein, gefolgt von starkem Regen. Der Wind nahm immer weiter zu. Mit dem Leitenden Ingenieur und dem Ersten Offizier besprach ich, was zu tun war. Zur Sicherheit schalteten wir den Wellengenerator ab und schlossen die Hilfsdiesel ans Stromnetz an.

Der Sturm drehte immer weiter auf, als schiebe man den Regler einer großen Turbine immer weiter bis an den Anschlag. Das Barometer fiel auf 962 Millibar. Am frühen Abend maßen wir Orkanstärke 12. Die Sicht: null. Es war schwierig, den Bug im Chaos aus Wellen und Gischt auszumachen. In diesen Stunden hörten wir den lokalen Wetterbericht einer Ölplattform. Dort wurden Wellenhöhen von 23 Metern gemessen. Dies entspricht der Höhe eines Hauses mit acht Stockwerken. Solche Monsterwellen kommen öfters vor. Schottische Forscher haben auf der Bohrinsel „Draupner E“ innerhalb von zwölf Jahren 466 Riesenwellen registriert. In der Neujahrsnacht 1995 donnerte ein Wellenberg von 26 Metern Höhe unter der Bohrinsel durch.

Jetzt rollten die riesenhaften Seen in Abständen von knapp zweihundert Metern heran, was einem das Gefühl gab, in einem großen Aufzug unterwegs zu sein. Der Autopilot hatte in der schweren See große Probleme, den Kurs zu halten. Ich schaltete die Automatik ab und setzte einen Matrosen ans Ruder.

Weil ich auch die Maschinendrehzahl der See anpasste, setzte ich mich schließlich selbst ans Ruder. Unterstützt wurde ich von den Offizieren, unter anderem mit Kaffee. In solchen Situationen ist das ständige Auffüllen der Mug von entscheidender Wichtigkeit.

Mit langsamer Fahrt ging es die Wellen hinauf. Auf der Spitze stellte ich den Hebel auf „Null“, um mit möglichst wenig Fahrt ins Wellental einzutauchen. Bei einer zu hohen Geschwindigkeit besteht die Gefahr, dass der Steven nicht wieder hochkommt oder Schäden auf der Back entstehen. Um das Stampfen in der haushohen See zu reduzieren, kantete ich die Leng ein wenig an. So kam die See etwa zehn Grad von der Seite. Wir rollten zusätzlich noch ein wenig.

Höchste Konzentration. Höchste Anspannung. Immer die Kompassrose, den Umdrehungsanzeiger und das Radargerät im Blick, und dabei versuchen, irgendetwas voraus zu erkennen. Als Kapitän trägt man die Verantwortung für die Leben an Bord und selbstverständlich auch für das Schiff.

Wir haben es geschafft, auch durch diesen Sturm.

Den Heiligen Abend verbrachten wir im Firth of Forth. Bei ruhiger See, aber ohne Festtagsbraten. In der rauen See hatte der Schiffskoch die Zutaten nicht vorbereiten können.


KAPITÄN MICHAEL NICOLAYSEN


Jahrgang 1952, kam in Hamburg-Altona auf die Welt. Mit 16 Jahren fuhr er erstmals zur See und durchlief die Karriere vom Schiffsjungen zum Kapitän. 1990 wurde er Mitglied der Lotsenbrüderschaft Elbe. Er ist seit 2017 pensioniert. Zurzeit ist er ehrenamtlich als Kapitän auf der „Bleichen“ aktiv, einem wunderbar restaurierten Stückgutfrachter, der im Hamburger Hansahafen seinen Liegeplatz hat. Michael Nicolaysen lebt mit seiner Ehefrau in Hamburg.

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