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PITERAQ

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NAME KAPITÄN KARL FRIEDHELM VON STAA SCHIFF TRAWLER SEEGEBIET OSTKÜSTE GRÖNLAND DATUM 17. NOVEMBER 2002


Als ich diese Welle sehe, ist es zu spät. Ich kann nicht reagieren. Ich kann nichts mehr tun.

Die Welle ist fünfundzwanzig Meter hoch, vielleicht ist sie auch höher, schwer zu sagen. Sie ist jedenfalls deutlich größer als die anderen großen Seen, die seit vielen Stunden auf unseren Trawler zurollen. Wir sind vor der Ostküste Grönlands und Gefangene in diesem Sturm. Seit zwei Tagen kommt er mit Windstärke 11-12 und mehr aus Nordost.

„Piteraq“, so nennen die Inuit einen außergewöhnlichen starken Orkan. Dieser Wind tritt an der ostgrönländischen Küste auf. Beim Piteraq handelt es sich um einen sogenannten katabatischen Wind. Das Wort Piteraq stammt aus der grönländischen Sprache. Es bedeutet so viel wie: „das, was einen überfällt“.

In einem solchen Piteraq stecken wir nun. Das Tief hatte sich nahe der Südspitze Grönlands am Kap Farvel gebildet und sich in der Dänemarkstraße, also der Meerenge zwischen Island und Grönland, intensiviert. Wie ein gewaltiges Gebläse peitscht es die kalte Luft über das Inlandeis an die Ostküste. Der Windmesser an Bord zeigt einen Mittelwind von 54 m/s (194 km/h). In Böen sind es sogar 60 m/s. Dies entspricht einer Windgeschwindigkeit von 216 km/h.

An der Ostküste von Grönland gibt es wenige Fjorde, in denen wir Unterschlupf finden könnten. Die wenigen Fjorde, die in Frage kommen, sind im November vereist, oder sie sind gar nicht ausgelotet. Somit besteht die Gefahr, auf eine unbekannte Untiefe zu laufen und leck zu schlagen. Also sind wir draußen auf See, in dieser Landschaft aus Wut und Grau, um den Sturm abzureiten. Dass der Orkan solche Ausmaße annehmen könnte, hatten wir im Wetterbericht nicht kommen sehen. Wegfahren ist keine Option mehr, und kommt für Fischer ohnehin nur selten in Frage. Wir sind auf dem Fangplatz Fylkir, um zu arbeiten.

Von meinem Sohn Sascha, 1. Offizier an Bord unseres Trawlers und Wachhabender auf der Brücke in der Nacht, habe ich an diesem Morgen die Wache übernommen. Unser Schiff ist 66 Meter lang, 12,60 Meter breit und hat 8,00 Meter Tiefgang und ist hochmodern ausgerüstet. „Einige richtige Koffer unterwegs“, hatte Sascha bei der Ablösung gesagt. Obwohl wir weit östlich von der Fischkante in der Tiefsee gegenan liegen, um die gefährlich hohen und spitzen Wellenberge in dem relativ flachen Bankgewässer zu vermeiden. Die Sichtweite: keine 100 Meter. Er wirkte erschöpft. Es ist anstrengend, den Trawler bei diesem Wetter zu steuern. Besonders in der Dunkelheit. Man sitzt im Stuhl, der an das Modell in einer Zahnarztpraxis erinnert und starrt auf das Radar. Kaffee ist wichtig in diesen Stunden. Kaffee hält wach. Man hält das Schiff steuerfähig und mit dem Joystick wird der Kompasskurs gehalten und man hofft, dass kein Growler1 oder Eisberg vor den Steven kommt.

Die Crew schläft bei diesem Wetter, liegt in den Kojen oder sieht fern. Nur die Wachhabenden und das Kombüsenpersonal sind auf ihren Stationen. Es ist schwer möglich, sich auf den Beinen zu halten. Unruhe gibt es dennoch keine an Bord. Erfahrene Fischer. Jeder weiß, was kommt, wenn man im Spätherbst vor Ost-Grönland arbeitet. Das ist Alltag.

Kapitäne!

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