Читать книгу Hey, dein Körper spricht! - Stefan Verra - Страница 7
1 Hören Sie auf Ihre Augen!
Оглавлениеoder Der Eingang zum Hirn sind unsere fünf Sinne
Wir Menschen sind recht filigrane Wesen. Nur unter eng begrenzten Umweltbedingungen ist unser Überleben möglich. Das Leben – in unserer Form – ist ausschließlich in der dünnen Schicht zwischen der Erdoberfläche und wenigen 1000 Metern darüber gesichert. Nur da stimmen die Parameter wie Luftdruck, Sauerstoffgehalt, Temperatur, Niederschlagsmenge etc. Aber selbst wenn diese Parameter stimmen, müssen wir uns schützen, um unser Überleben zu sichern. Harte mechanische Schläge, zu grelles Licht, Bakterien, Viren … all das birgt potenziell Gefahr für unser Dasein. Im Klartext: Minus 90 Grad oder ein Klavier am Kopf – und schon sind wir tot.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ob einer von uns blind wird, weil er zu lange ins gleißende Sonnenlicht geschielt hat, ist für die Entwicklung des Homo sapiens vollkommen irrelevant. Aber wenn das uns allen passiert wäre, der Säbelzahntiger hätte leichtes Spiel gehabt. Damit wären wir evolutionär kein Erfolgsmodell geworden. Das heißt, in uns muss sich ein Mechanismus herausgebildet haben, der automatisch reagiert, sobald zumindest einer der Parameter gestört ist. Ein wichtiger Teil dieses Schutzmechanismus ist unser Gehirn. Es ist ständig damit beschäftigt, die äußeren Parameter zu überprüfen. Und sobald sich etwas verändert, startet es automatisch jene Maßnahmen, von denen es sich die größten Überlebenschancen verspricht.
Ausschlaggebend dabei ist, dass diese Maßnahmen ruckzuck in die Wege geleitet werden. Denn sowohl bei der Abwehr von Gefahren als auch bei der Nahrungssuche mussten wir vor Hunderttausend Jahren die Situation schnell erfassen und sofort handeln. Die Fast-Food-Ketten standen erst ganz am Anfang ihrer Expansion … Und natürlich mussten wir auch bei der Fortpflanzung Blitzüberreißer sein. Damals gab es ja nur auf den wenigsten Waldlichtungen Bars und Aufrisshütten, wo Sie schnell mal hätten auf Abschlepp gehen können. Um den passenden Paarungspartner zu finden, mussten wir also immer aufmerksam sein und schnell reagieren, sobald einer in Sichtweite kam. (Jungs, das könnt ihr bis heute als Ausrede verwenden.) Auch dieses Wahrnehmen von Signalen, die zur Fortpflanzung dienen, übernimmt unser Hirn. Kurz gesagt: Alles, was für unser Überleben und damit für das Überleben der Art Mensch entscheidend ist, ist für unser Hirn besonders von Bedeutung.
Wenn sich in der Umwelt etwas verändert, gelangen diese Signale der Veränderung sofort an die sensorischen Areale des Hirns. Die verarbeiten das Signal und schicken dann über Umwege einen Befehl an die motorischen Zentren. Beispiel: Zuerst sehen Sie das Klavier vom Himmel fallen (sensorische Verarbeitung) – und dann rennen Sie (motorische Verarbeitung dieses Signals aus der Umwelt).
Unser Hirn ist ständig in Bereitschaft
Auf jede Umweltveränderung reagiert das Gehirn, indem es den Körper bestmöglich darauf einstellt.
Da sich die Umwelt ständig ändert, ändert sich somit ständig der Körper.
Woher kommen all die Informationen?
Das Gehirn muss also ständig Entscheidungen über die aktuelle Situation treffen, in der wir uns befinden. Als Grundlage seiner Entscheidungen braucht es Informationen – also Daten – aus seiner Umwelt. Da unser Gehirn diese Daten aber nicht direkt aus der Umwelt aufnehmen kann, ist es auf eine Verbindung zur Außenwelt – eine »Schnittstelle« würden Computerfuzzis sagen – angewiesen. Diese Schnittstelle, über die sämtliche Daten ihren Weg in unseren Kopf finden, teilt sich in fünf spezialisierte Kanäle auf – unsere Sinneskanäle: Augen, Ohren, Mund, Nase und Haut. Sie sind die Bindeglieder zwischen uns und unserer Umwelt. Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: Alles, was Sie wissen, beruht auf diesen Informationen. (Und lassen Sie sich von Ihrer Frau nicht einreden, sie hätte einen sechsten Sinn – nur weil sie Sie regelmäßig beim Schwindeln ertappt. Sie benutzt dazu keinen zusätzlichen Sinneskanal. Sie ist beim Wahrnehmen über ihre Sinnesorgane nur geschickter als Sie beim Kontrollieren Ihrer Körpersprache. Und bevor Sie fragen: Tipps dazu kosten extra!)
Das, was die fünf Sinne aufnehmen, geben sie ans Gehirn weiter. Dieses urteilt entsprechend der Daten und löst Körperreaktionen aus.
Also:
1. Daten aus der Umwelt,
2. eine Körperreaktion darauf,
3. Punkt. So funktioniert es.
Ich probiere es noch einmal anschaulich: Da wir nur fünf Möglichkeiten haben, mit unserer Umwelt in Kontakt zu treten, kann keiner von uns mit absoluter Sicherheit sagen, wie die Welt »an sich« ist. Wir können nur das Abbild erkennen, das unsere fünf Sinne erfassen, aufnehmen und an unser Hirn weiterleiten – wie Platon übrigens schon vor 2500 Jahren in seinem »Höhlengleichnis« beschrieben hat. Platon meinte, dass wir die Welt gar nicht in ihrer Vollständigkeit und Gänze wahrnehmen können. Er verglich uns mit Menschen, die in einer Höhle leben. Unser Blick ist aber nicht nach außen, Richtung Höhleneingang, gerichtet, sondern wir schauen ins dunkle Ende der Höhle. Hinter uns strahlt ein helles Feuer, wir sehen die Schatten der Außenwelt an der Höhlenwand. Aber eben nur den Schatten der Welt und nicht die Welt an sich. Denn wir sind auf die Wahrnehmung mit unseren fünf Sinnen limitiert. Alles, was wir über die fünf Sinne nicht wahrnehmen können, ist für uns nicht existent. Und es bedarf großer Anstrengung, um uns selbst eines Besseren zu belehren.
Wir können also Information nur in Form von Bildern, Geräuschen, Gerüchen, Druck und Temperatur sowie Geschmack aufnehmen. Jegliche Information, die nicht diesen Parametern entspricht, können wir (ohne Hilfsmittel) nicht wahrnehmen. So gelangen Gefahren, die nicht über die fünf Sinne wahrgenommen werden, nur über den Vernunftverstand (Neocortex) an unser Hirn. Und es ist verdammt schwer, über diesen Kanal eine Ad-hoc-Reaktion beim Menschen zu evozieren. Ein Atomunfall wird erst durch dramatische Medienberichte für uns zur Gefahr, ebenso wie das Ozonloch eine abstrakte Gefahr für uns bleibt. Ganz einfach, weil wir keinen Sensor haben, um radioaktive Strahlung oder UVA- und UVB-Strahlen zu erkennen.
Was uns zu einer wichtigen körpersprachlichen Grundlage führt:
Unser Hirn kann Umweltdaten nicht direkt aufnehmen. Es braucht dafür Zugangskanäle. Das sind die Sinneskanäle.
Zwei Richtungen der Kommunikation
Das Gehirn benutzt zur Kommunikation im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Es sagt entweder: »Das tut uns gut, ich will mehr davon«, oder aber: »Das gefährdet uns, das will ich von mir fernhalten.«
Um nun zu erkennen, ob unser Hirn bzw. das Hirn des Gegenübers mehr oder weniger Daten von der aktuellen Situation haben will, reicht es, die Sinneskanäle zu beobachten.
Will es mehr Daten, so öffnet es sämtliche Zugangskanäle, wendet sie also der Quelle zu. Genau das Gegenteil macht es, wenn Gefahr oder Unangenehmes lauert. Es wendet sich ab und verschließt alle Eingangskanäle. Das heißt, Augen, Haut, Ohren, Nase und Mund werden nach Möglichkeit geschlossen oder abgewendet.
Vor Kurzem habe ich das erste Mal beobachtet, wie mich mein fünfjähriger Sohn angelogen hat. Was war passiert? Ihm war sein Ball auf die andere Straßenseite gerollt. Ich hatte ihm eingebläut, dass er nur ja nicht über die Straße dem Ball nachlaufen solle, da ein Auto ihn übersehen könnte. Ich war mir nicht sicher, ob jemand den Ball für ihn zurückgeholt hatte oder ob doch er selbst ihm über die Straße nachgelaufen war. Auf meine Frage insistierte er beständig: »Nein, ich nicht.« Aber ich hatte das Gefühl, dass er nicht die Wahrheit sagte. Ich blieb anschließend lieber in seiner Nähe, um den Ball das nächste Mal für ihn zu holen.
Woher ich ahnte, dass er mich angelogen hatte? Ganz einfach: Er hatte es bei der entscheidenden Frage, »Bist du über die Straße gelaufen?«, nicht ausgehalten, mich anzuschauen. Mir war sehr schnell klar, welche Show sein Gehirn hier abzog: »Der Alte nervt mich – also aus den Augen, aus dem Sinn mit ihm.« Ich versuchte, seinen Neocortex (das »Vernunfthirn«) dazuzuschalten und bat ihn mit ruhiger Stimme, mich bei der Antwort anzuschauen. Bis kurz davor schaffte er es auch, doch bei der Antwort selber fielen ihm seine Augenlider immer wieder nach unten. In diesem Fall ist hoch wahrscheinlich, dass sein Hirn bei der Lüge den Anblick seines Vaters (diese ganz spezielle Umweltinformation) nicht haben wollte.
Wenn ich ihn nicht sehe, ist er vielleicht gar nicht da?
Bitte lesen Sie die folgenden Zeilen jetzt ganz genau und auch gern zweimal: Wenn der Blick gemieden wird, heißt das in erster Linie, dass das Gehirn in diesem Moment die visuelle Information, die das Gegenüber immer automatisch aussendet, nicht haben will. Es bedeutet nicht automatisch, dass der andere lügt!
Geneigter Leser, Sie sind in Sorge. Das spüre ich. Sie sind in Sorge um meine Kinder. »Wie kann dieser Körperspracheheini nur so herumdoktern bei seinen sicherlich unschuldigen Kindern?!« Bleiben Sie ruhig hierhergeneigt. Es ist nämlich nicht so, wie Sie denken. Meine Kinder sind das gewohnt. Schließlich habe ich früh damit begonnen, ihre Körpersprache zu analysieren. Um genau zu sein, schon kurz nach ihrer Geburt habe ich mich mit der Sprache ihres Körpers beschäftigt. Aber ansonsten sind wir eine ganz normale Familie! Ich schwörs.
Ob das Hirn mehr oder weniger Informationen braucht, zeigen einem die Sinnesorgane
Die Augen
Die Augen sind in vielen Bereichen der entscheidendste Kanal.
Der Spruch »Aus den Augen, aus dem Sinn« trifft zu. Wenn unser Hirn eine Information ablehnt, reagieren unsere Augen sofort. Sie verschließen sich. Manchmal ganz eindeutig und wortwörtlich, meist aber sehr subtil.
Vor einigen Jahren ist im Zielschuss der weltbekannten Skiabfahrt in Kitzbühel ein Skirennfahrer schrecklich zu Fall gekommen. Direkt vor der Zuschauerarena, wenige Meter vor der Ziellinie, blieb er nach einem Sturz mit über 100 km/h bewusstlos liegen. Sein Körper zitterte und zuckte von oben bis unten. Keiner wusste im ersten Moment, ob hier ein fataler Unfall passiert war (was zum Glück nicht der Fall war). Als die Kamera die Reaktionen der Zuschauer einfing, hielten viele Augen, Mund und Ohren, manche sogar das ganze Gesicht mit den Händen verdeckt. Der Anblick war so unerträglich, dass das Gehirn schlicht den Befehl gegeben hat: Diese Information will ich nicht haben.
Der Fußballer verdeckt seine Augen nach verschossenem Elfmeter, ebenso die Fans.
Das darf nicht wahr sein! Elfmeter verschossen!
Verliebte können nicht genug vom Anblick des anderen bekommen und versinken mit ihren Augen regelrecht in der geliebten Person. Über die Jahre ändert sich das schleichend. Und irgendwann ist die Zeitung am Morgen visuell attraktiver als … ach, lassen wir das besser.
Beim Quiz, wenn einem die Antwort auf der Zunge liegt, kommt es vor, dass manche Menschen ihre Augen fest verschließen. Das Hirn ist in dem Moment so sehr mit Erinnern beschäftigt, dass es zusätzliche visuelle Informationen nicht gebrauchen kann. Beobachten Sie im nächsten Meeting, wenn der Chef seine Reden schwingt, doch mal Ihre Kolleginnen und Kollegen. Vielleicht schaut der eine verstohlen auf sein Handy, überfliegt die andere die Agenda zum x-ten Mal und blickt ein anderer geistesabwesend in die Luft? Ganz einfach: Die visuelle Erscheinung des Vortragenden ist für das Hirn nicht relevant genug. Noch deutlicher wird es, wenn der Chef ein Thema anspricht, das auf Ablehnung trifft. In diesem Moment werden Sie Zeuge, wie die Augen von einigen Mitarbeitern seinen Blick gezielt meiden und stattdessen den Blickkontakt zu Kollegen suchen werden (»Ich will diese Info vom Chef nicht haben, viel wichtiger ist mir jetzt zu sehen, wie die anderen darüber denken«).
Wenn Sie ein Geschäft betreten und »nur mal schauen«, von der Verkäuferin also in Ruhe gelassen werden wollen, können Sie an sich selbst beobachten, wie Sie ihren Anblick eher meiden. Benötigen Sie dann aber doch Hilfe, da Sie etwas in Ihrer Größe nicht finden können, werden Sie wahrscheinlich als erste körpersprachliche Reaktion mit Ihren Augen eben diese Mitarbeiterin suchen. Und Sie kennen das, wenn Politikerinnen und Politiker vor Wahlen Tausenden Menschen die Hand schütteln. Während sie die Hand einer Person schütteln, ist ihr Blick schon weitergeschweift.
Das Vermeiden von Augenkontakt ist auch ein Zeichen von: »Ich will oder brauche diese Information nicht. Sie ist mir im Moment nicht relevant genug.« Zumindest die visuelle. Oft passiert das Verschließen der Augen auch in Nuancen. Wenn sie zu Schlitzen geformt werden, wirkt das auf uns meist skeptisch. Dabei geht das Hirn in diesem Moment einfach sehr selektiv mit Informationen um und verengt die visuellen Eingangstore, um genau zu überprüfen, ob es die Information durchlassen will oder nicht. Auch das Fokussieren bei schlechter Sicht ist im Grunde nichts anderes, als alle irrelevanten Informationen vom Blickfeld auszuschließen. Information wird nur ausgewählt durchgelassen.
Zunahetreten – Selbstversuch, die Erste
Kommen Sie einer Person unerwartet zu nahe. Gehen Sie Schritt für Schritt auf sie zu. So nah, dass nur mehr wenige Zentimeter zwischen Ihnen sind. Da Sie zu weit in den persönlichen Bereich der Person eingetreten sind, wird ihr Körper sofort reagieren. Zuerst werden Sie nur subtile Bewegungen über die Körpersprache erkennen. Je näher Sie aber kommen, desto mehr wird Ihr Gegenüber sich körperlich verändern. Vielleicht macht es einen Schritt zurück, wendet sich ein wenig ab oder hält die Tasche schützend vor sich. Wahrscheinlich ist eines der ersten Signale, die die andere Person aussenden wird, das Meiden des Augenkontakts. Ihr Kopf wird sich nach links oder rechts wenden. Der Blick kann auch schon mal gen Himmel gerichtet sein. Vor dem Abwenden des Blicks erhöht sich die Blinzelfrequenz und die Zeit, die das Auge geschlossen ist, verlängert sich. Das Gehirn will ganz einfach ausblenden.
Die Haut
Die Haut ist unsere schützende Hülle. Diese Membran bildet unseren großflächigsten Kontakt zur Außenwelt. Deswegen gehen wir – unbewusst – sehr selektiv mit ihr um. Natürlich kann sich die Haut nicht abwenden oder verschließen, denn wir sind ja vollständig von ihr umgeben. Aber unsere Haut ist nicht überall gleich sensibel. Die Rezeptoren, die die Information ans Hirn weiterleiten, sind höchst unterschiedlich auf ihr verteilt: Die Außenseiten der Arme sind weniger sensibel als die Innenseiten. Ebenso verhält es sich mit Handrücken und Handflächen und mit Nacken und Hals, Oberschenkelaußen- und -innenseite, Rücken und Bauch.
Als Daumenregel gilt: Stellen Sie sich vor, Sie formen sich zu einer Kugel. Das Äußere der Kugel ist unempfindlicher als das Innere.
Und genau über diese Differenz offenbaren wir uns. Fühlen wir uns in einer Situation wohl, fällt es uns leichter, unsere sensiblen Stellen zu zeigen: Handflächen werden in entspannten Situationen eher geöffnet, es fällt uns leichter, den Arm über die Stuhllehne zu legen, und beim Fernsehen zu Hause öffnen wir eher unsere Oberkörpervorderseite und lümmeln schon mal breitbeinig auf der Couch.
In Stresssituationen fühlen wir uns meist besser mit einer verschlossenen Körperhaltung. Sie erscheint uns dann sogar »natürlicher«. Im Wartezimmer des Arztes verschränkt man eher die Hände oder Arme vor dem Rumpf. Wohingegen beim Popkonzert in der ersten Reihe wohl nur die wenigsten verschränkte Arme als angemessene Haltung empfinden würden. Ganz so, wie wir bei Kälte, Wind und Regen unsere sensiblen Stellen verstecken, machen wir das in jeder Situation, in der wir uns unsicher fühlen. Je unwohler wir uns fühlen, desto mehr formen wir uns zu einer Kugel.
Der Mund
Neben der Haut ist der Mund schon seit Urzeiten unser wichtigster Zugangskanal. Denn Orientierung und Nahrungsaufnahme passiert seit Millionen von Jahren genau über diese zwei Kanäle. Um zu überleben, nehmen die meisten Lebewesen die Umwelt über den oralen Kanal auf: Über den Mund nehmen sie Nahrung und Sauerstoff auf und erspüren Oberflächen.
Wir Menschen haben uns da nur wenig weiterentwickelt. Auch Babys und Kinder erfahren ihre Umwelt phasenweise sehr stark über den Mund.
Auch hier gilt: Wenn das Hirn mehr Umweltdaten will, zeigt es das auch über den Mund. Beobachten Sie Kinder beim Fernsehen. Wenn sie etwas wirklich Spannendem folgen, schauen sie nicht nur mit großen Augen, sondern auch mit geöffnetem Mund in die Glotze. Wenn aber der Bösewicht die Szene betritt, klappt der Unterkiefer nach oben – der Mund wird verschlossen. Und wenn es ganz hart kommt, werden Mund und Augen schon mal mit einem Kissen verdeckt.
Hören wir jemandem ganz gebannt zu, tun wir das auch oft mit leicht geöffnetem Mund. Es bleibt uns »vor Staunen der Mund offen stehen«.
»Da bleibt mir vor Staunen der Mund offen stehen«
Das Hirn hat mehr Informationsbedürfnis und öffnet deswegen alle Schleusen. Allerdings fällt es uns dann schwerer, hoch konzentriert zu arbeiten. Wenn das Hirn mit einer Sache vollauf beschäftigt ist, schließt es andere Informationen weitestgehend aus, um nicht abgelenkt und überfordert zu werden. So fällt es uns übrigens schwerer, eine Rechnung im Kopf zu lösen, wenn der Mund geöffnet ist. Probieren Sie es mal aus!
Ablehnung geht bisweilen mit dem Gegenteil einher: Das starke aufeinanderpressen der Ober- und Unterlippe ist wohl kein Zeichen von Aufnahmebereitschaft. Die sprichwörtliche Schmallippigkeit hat da ihren Ursprung.
Hoch konzentriert bleibt der Mund fest verschlossen – das Gehirn ist mit dem Denken ausgelastet: Kein Platz für weitere Infos
Deswegen sind für Werbeposter und Wahlplakate die abzubildenden Personen stets angehalten, den Mund leicht zu öffnen. Das wirkt aufnahmebereiter und offener auf den Betrachter.
Die Hand vor dem Mund, flach oder als Faust geballt, manchmal auch nur ein Finger auf die Lippen gelegt, kann auch ein Zeichen in Richtung Verschlossenheit sein. Oder Nachdenklichkeit, weil man geistig so beschäftigt ist, dass neue Informationen keinen Platz haben.
Auch an der Zunge können wir Ablehnung erkennen. Wenn Babys an der Brust der Mutter trinken, können sie verbal noch nicht mitteilen, wann sie genug haben. Sie müssen es körpersprachlich zeigen. Deswegen drängen sie die Brustwarze mit ihrer Zunge aus dem Mund heraus. Das Gleiche machen sie, wenn sie den Schnuller nicht mehr wollen und ihn mit den Händen noch nicht loswerden können. Mit ein paar Jahren tun sie genau das Gleiche, wenn ihnen das Essen nicht schmeckt. Sie stoßen ihre Umwelt weg, indem sie die Zunge aus dem Mund schieben und gleichzeitig »Wäääh!« schreien. Im Erwachsenenalter fällt das »Wäääh!« meist weg. Das kurzzeitige Herausschieben der Zungenspitze kann(!) aber ein Signal in dieselbe Richtung sein.
Doch wir verschließen den oralen Kanal nicht nur, wenn wir etwas nicht aufnehmen wollen, das für eben diesen Kanal bestimmt ist. Unser Hirn verschließt ihn ebenso, wenn wir ein Wort hören, das uns missfällt, eine Beleidigung oder etwas Vulgäres. Auch bei hässlichen Bildern verziehen wir den Mund, als würden wir etwas Übelkeiterregendes essen.
Die Ohren
Die Ohren sind eine Herausforderung, gerade wenn es darum geht, sie zu verschließen, da wir die Ohren nicht bewegen können. Ebenso fällt es dem Gegenüber schwer, zu erkennen, ob sie verschlossen sind oder offen. Wir sind dabei auf die Rundummuskulatur angewiesen. Sie gibt uns indirekt Aufschluss: Ist jemand interessiert, auditive Information aufzunehmen, kommt er oft mit dem ganzen Kopf näher. Bisweilen wird der Kopf geneigt oder seitlich gedreht: Der Zuhörer »schenkt« der Informationsquelle »ein Ohr«. Wenn wir eine leise Tonquelle gut hören wollen, legen wir die Hand außen um das Ohr herum und vergrößern damit unsere Ohrmuschel. Noch öfter führen wir das in subtiler Form aus, indem wir eine Hand nur in die Nähe des Ohres bringen.
»Ich bin ganz Ohr« – wir öffnen unseren Sinneseingang so weit es geht, wenn wir besser hören wollen
Bei extremem Lärm verziehen viele Menschen das Gesicht zu einer Grimasse. Dabei werden die Wangenmuskeln nach hinten gezogen. Auch der Augenringmuskel wird aktiv und formt die Augen zu Schlitzen. Mithilfe dieser Muskelanspannung wird der Gehörgang ein wenig geschützt – eine Reminiszenz an jene Urzeiten, in denen die Ohren unserer Vorfahren noch beweglich waren, wie es heute noch bei Hunden und Katzen der Fall ist. Die gleiche Grimasse können Sie übrigens erkennen, wenn jemand ein Wort oder ein unangenehmes Geräusch nicht hören will. Wir versuchen dann schlicht, die Lauscher abzuwenden.
Zu laut, zu hell, zu viel? Sichtbar werden verschlossen: Augen und Mund; unsichtbar: die Ohren, mithilfe der Muskelanspannung
Die Nase
Auch dieser Kanal geht mit seinen Signalen subtiler um. Vor wirklich unangenehmen Gerüchen schützen wir uns, indem wir einfach den Naseneingang mit den Fingern verschließen. Im Alltag äußert sich ein Unwohlsein jedoch manchmal bloß über ein wiederholtes Streichen über das Organ, als wolle man etwas Störendes wegwischen. Wie auch beim Gehörgang verziehen wir unser ganzes Gesicht, um die Nase so weit es geht zu verschließen. Wir »rümpfen unsere Nase« – auch über Dinge, die gar keinen Geruch aussenden, wie zum Beispiel ein missliebiges Argument, weil unser Gehirn den Befehl des Verschließens an möglichst viele Eingangskanäle aussendet.
»Mir stinkts« – durch das Rümpfen verschließen wir so weit es geht unsere Nase
Auch streichen wir uns manchmal mit der Hand über die Nasenlöcher, obwohl gar kein Popel daran hängt … Früher lasen wir vieles vom Boden auf, von dem wir uns ernährt haben. Bevor wir hineinbissen, mussten wir aber prüfen, ob die Frucht oder das Obst oder der Pilz vielleicht verdorben war: Wir haben es also zur Nase geführt und daran gerochen, um zu erfahren, was wir davon zu halten hatten. Um heute zu wissen, was wir von einer Idee halten sollen, machen wir eine ähnliche Geste: Wir streichen uns mit der Hand über die Nasenlöcher, ganz so, als wollten wir an unserem Handrücken riechen.
Und wenn wir uns unsicher fühlen, führen wir eine ganz besondere Geste aus: Wir suchen nach dem, was uns am Allervertrautesten ist. Uns selbst. Wir können uns selbst »gut riechen«, sozusagen. Da führen wir schon mal die Handfläche Richtung Nase, sodass wir unseren Eigengeruch am intensivsten aufnehmen können. Wir fühlen uns übrigens auch am sichersten an den Orten, die nach uns selbst riechen: das eigene Bett und insgesamt unsere eigenen vier Wände.
Die Körperhaltung
Die Körperhaltung ist natürlich kein Sinneskanal, aber sie erlaubt uns als Ganzes Einblicke in die Befindlichkeit von Menschen. Je mehr Informationen wir haben wollen, desto näher bringen wir all unsere Eingangskanäle an die entsprechende Quelle heran, von der wir sie erfahren können. In Gesprächen ist es darum nützlich und wichtig, die Bewegungen des Gesprächspartners zu verfolgen, wollen wir ihn uns gewogen machen. Bei Interesse lehnt er sich vor, wendet uns den Kopf zu, rückt mit dem Stuhl näher. Vielleicht stützt er sich sogar auf dem Tisch auf. Damit er so nahe kommt, wie er nur sein kann.
Das Gegenteil ist der Fall, wenn das Gegenüber das Gespräch als unangenehm empfindet: Die Person wird sich zurücklehnen, vielleicht das Gesicht verziehen, die Arme unterschlagen. Wenn Sie solche Signale nicht beachten, erkennen Sie im schlechtesten Fall zu spät, dass Sie Ihr Gegenüber vielleicht negativ erreicht haben und Ihren Gesprächspartner eventuell für diese Unterhaltung »verloren« haben.
Also Augen und Ohren offen halten! Und am besten auch noch Mund, Nase und Haut.
Die Sinnesorgane sind der Zugang unseres Gehirns zur Umwelt. An ihren Reaktionen erkennen Sie, ob Ihr Gehirn oder das Ihres Gegenübers mehr oder weniger von der Umgebung erfahren will.
Haben Sie immer alle Sinneskanäle im Blick. Es kommt vor, dass das Hirn nicht den Zugang verschließt, an den sich die Information eigentlich richtet, aber dafür alle anderen Kanäle.