Читать книгу Dorin, der Erdwichtel - Stefan Wichmann - Страница 11
4. Der geheime Stein
ОглавлениеEin Abenteuer ...
... ist das Ergebnis schlechter Planung!
Colonel Blatchford
Dorin lauschte. Er lag auf seiner Schlafstatt im dunklen Teil der kleinen Behausung und spitzte sein kleines spitzes Ohr das, wie üblich bei kleinen Wichteln, weit abstand. Auf dem anderen Ohr lag er drauf. Das drückte ihn zwar ein wenig, aber so schlief er immer. Aber jetzt schlief er ja nicht, sondern er tat nur so, als schliefe er. Und er lag auf der Seite. Mit Absicht. Nur so konnte er leicht in das Innere des Raumes blicken. Es war verwinkelt. Rechts von Dorin lag in einer kleinen Grube gedörrtes Gemüse als Notration. Es war noch vom Winter übrig geblieben. Seine Eltern hatten die Mulde mit dem Arbeitsgerät abgedeckt. Sie nutzten Schüsseln und Pfannen zum Kochen und zum Aussieben edler Metalle. Dorin’s Blick schweifte weiter durch den Raum, vorbei an der kleinen Schlafstätte seiner Großeltern mütterlicherseits und gleich daneben väterlicherseits. Wichtel lebten immer in Großfamilien zusammen. Seine eine Oma schlief bereits. Sie war immer müde. Die andere Oma hatte eine dieser Dochtkerzen entzündet. Der Docht, der in einer flachen Schale mit Öl lag, gab ein spärliches Licht im Raum ab. Sie nähte. Beide Großväter waren wohl am Lagerfeuer, dort wo auch er endlich hinwollte, um den alten Abenteuern zu lauschen. Ungeduld nagte an Dorin. Sehnsüchtig schaute er auf die Schlafstätte seiner Eltern. Wenn sie doch endlich schlafen gingen!
Dorin wartete.
Sein Vater hatte links von seiner Schlafstatt einen Spaten und eine Harke untergebracht. Scharfkantige Klingen zum Bearbeiten von Holz und Erde standen dort auch. Seine neueste Errungenschaft waren ein Speer und ein Messer, um Felle zu gerben. Nein, sie töteten keine anderen Tiere, sie nutzten das, was die Natur ihnen freiwillig gab. Der Speer allerdings war alt und sorgsam in eine Decke gehüllt. Wie sollten damit Felle geschabt werden, fragte Dorin sich insgeheim, doch er würde keinesfalls seine Eltern fragen. Womöglich lief er Gefahr dann dieses Werkzeug für eine unliebsame Arbeit nutzen zu müssen und arbeiten wollte er nicht. Er wollte Abenteuer!
In der Mitte der Behausung, die aus Zweigen und losem Allerlei des Waldes aufgetürmt war, befand sich die kleine Feuerstelle. So konnte der Rauch leicht durch die kleine Öffnung im Dach abziehen. Das Dach bestand derzeit aus einer alten Baumrinde, die sie zusammen mit den anderen Wichteln des Dorfes mühsam dort hingeschoben hatten. ‚Hebelkraft‘ hatte der schlaue Dorfälteste Grumdin erläutert und Dorin hatte gut zu geschaut, als sie starke Zweige unter die Rinde geschoben hatten und diese Stück für Stück an die richtige Stelle platzierten. Vielleicht konnte er die ja mal gebrauchen, die Hebelkraft. Drei dieser flachen Rindenstücke hatten sie für das Dach benötigt und diese so übereinandergelegt, dass das kleine dreieckige Loch in der Mitte frei blieb. Bei Regen tropfte es natürlich hinein, aber jetzt regnete es ja nicht. Das Feuer flackerte kurz auf und erhellte die Gesichter seiner Eltern. Auch ihre Ohren standen spitz vom Kopf ab so wie seine und zwischen den Ohren waren Haare. Aber es waren nur wenige Haare zu sehen, weil Wichtel immer den Kopf bedecken. Seine Mutter trug auf dem Kopf wie immer einen Schlauch aus Stoff. An einer Seite hing eine Spitze bis auf den Rücken herab. Im Winter schlang sie sich diese einfach um den Hals, um sich zu wärmen. Sein Vater sagte immer, sie habe eine hübsche Nase und braune, liebevolle Augen und einen großen schön geschwungenen Mund. Sie sagte so etwas nie zu ihm. Sie strich ihm über den Bauch, den sie viel zu groß und dick fand und dann über seine Wange. Sein Gesicht war etwas kantiger als das ihre, aber insgesamt erschien auch er eher in einem bräunlichen Ton, so wie es bei Erdwichteln üblich war. Auch er trug eine Kopfbedeckung wie sie. Manchmal steckte er seinen Kopf auch in einen Gugel. Ein Gugel ist ein Stoff der Kopf und Schultern umschließt, um den Träger zu wärmen. Beide trugen ein langes blattbraunes Hemd, das mit einem dunkelbraunen Stoffgürtel zusammengerafft war. Als Dorin’s Mutter aufstand, raschelte ihre Tunika und sie zupfte sie zurecht, bevor sie sich mit ihren nackten Füßen leise und vorsichtig in Richtung von Dorin’s Bett aufmachte. Ihre Füße gingen oft schnell, denn Zeit war wichtig und aus diesem Grund waren ihre Zehenspitzen nur die Hälfte der Hälfte so lang wie ihr ganzer Fuß. Um mehr Standfestigkeit zu haben, grub sie ihre Zehen oft in die Erde, so wie alle Wichtel es gerne tun. Deshalb rochen ihre Füße auch immer nach warmer, feuchter Erde. Ein herrlicher Geruch. Jedenfalls für Erdwichtel. Und das waren sie. Erdwichtel. Sie waren keine Steinwichtel oder Baumwichtel und auch keine Gelbwichtel, Schwarzwichtel oder womöglich Koboldwichtel! All diese Völker und noch viel mehr gehörten zum Volk der Wichtel.
„Erdwichtel.“
Dorin flüsterte den Namen seiner Rasse lautlos. Er steht für ein eher friedliebendes Volk mit eher dicken Bäuchen und einem Bart, denn Wichtel gehören zum Volk der Zwerge und die haben ganz oft einen Bart. Dorin freilich hatte noch keinen. Vielleicht hatte er ein bisschen Bart. Was er aber ganz sicher nicht hatte, das war ein dicker Bauch.
„Wichtel der Veste Coburg.“
Ja, etwas stolz schwang in seiner Stimme mit, das die vollständige Bezeichnung seiner Dorfgemeinschaft den Begriff ‚Festung‘ enthielt. Nun, er hatte diese Festung noch nie gesehen, aber sie musste ja wohl da sein. In der Nähe. Irgendwo!
Er blinzelte hinüber zu seiner Mutter, die schnell näher kam.
Er hörte bereits ihren Atem und versuchte selbst, möglichst gleichmäßig und unauffällig zu atmen.
Er lauschte dem Rascheln ihrer Tunika, als sie sich bückte. Sanft strich sie ihm über die Haare:
„Schlaf schön mein Kleiner“. Dann blieb sie noch einen Moment gebückt stehen und richtete sich auf. Ja, geh jetzt, dachte Dorin ungeduldig. Doch seine Mutter blieb noch stehen. Offensichtlich ließ sie ihren Blick über sein Reich schweifen. Er hörte sie seufzen. Dorin kannte sie. Mit geschlossenen Augen sah er sie buchstäblich vor sich, wie sie jetzt seinen Vater heranwinken würde.
„Komm doch mal“, raunte sie.
Bestimmt verdrehte sein Vater jetzt die Augen. Dorin hörte sie murmeln.
„Wie zusammengekuschelt er da liegt! Meinst du, er braucht mehr Platz, mehr Reisig?“
Sein Vater bückte sich über Dorin.
„Wenn er etwas braucht, wird er sich schon melden. Nichts passiert von allein.“
Dorin dachte über die Worte nach. Als er hörte, wie sie sich leise entfernten, öffnete er seine Augen. Sehnsuchtsvoll schielte er zum Ausgang. Dann drehte er sein Ohr langsam und mit einem Blick auf seine Eltern lauschte er nach draußen. Die Wände aus Holz und Reisig. Sie hielten Geräusche eben so wenig ab wie die noch anhaltende Nachtkälte. Ein Holzscheit knackte laut am Lagerfeuer des Dorfplatzes und vermengte sich mit dem fröhlichen Lachen der alten Wichtelmänner, die um die Feuerstätte des kleinen Dorfes saßen. Seine Neugier wurde größer als die Angst vor der Schelte seiner Eltern. Warum sollte er warten, bis sie schliefen? Er konnte doch auch durch die aufgeschichteten Zweige nach draußen kriechen. Wozu gab es denn in jedem Bau drei Fluchtwege? War dies nicht der Grund dafür, dass seine Schlafstatt nicht neben den der Anderen lag? Es hatte sich nicht ergeben, neben den drei Schlafplätzen einen weiteren Fluchtweg zu bauen. Das Haus wäre zu instabil geworden! Es musste leicht sein, sich zwischen den Zweigen einen Weg zu bahnen! Unwillkürlich fragte er sich, warum ihm das nicht bereits früher eingefallen war.
Er schaute sich noch einmal zu seinen Eltern um. Beide waren mit dem Verbessern der Waschschüssel beschäftigt. Er wusste, dass sie tagsüber damit nach gelben Steinen suchten. Die waren zwar nicht bekömmlich wie die leckeren Beeren des Waldes, die die Eltern seines besten Freundes besorgten, jedoch war es als einziges Metall beständig gegen Rost. Er fand die Schmuckstücke, die seine Eltern daraus fertigten langweilig, wie alle aus seinem Volk, aber andere waren ganz vernarrt in dieses
„Gold“ und in kunstvoll gefertigte Dinge, die sie dann auch noch um den Hals hängten. Zwerge schürften sogar tief in den Stollen der Berge nach dem Metall und drangen sogar in das verbotene Land zum Volk der Menschen vor. Manche Zwergenvölker waren so viel größer als Wichtel, doch er wusste, es sollte noch größere Wesen in Menschengestalt geben. Ein Volk der Menschen! Das mussten wahre Riesen sein! Angeblich sollten die ihre Füße in Stoffe oder gar in die Haut getöteter Tiere wickeln! Ekelig! Ihn schauderte. Unwillkürlich schüttelte Dorin den Kopf.
Er warf einen letzten Blick auf seine Eltern und auf die Kochstelle. Das wärmende Feuer war fast heruntergebrannt und warf nur noch ein spärliches Licht in den Raum, sodass seine Schlafstatt endlich gänzlich im Dunkeln lag. Dorin bemühte sich, kein einziges Knacken zu verursachen, als er sich nach draußen durchschlängelte. Er schob erst vorsichtig den Kopf unter den ersten Ästchen hindurch, erkannte den als Fluchtweg gebauten Gang und schlängelte sich zwischen Zweigen und kleinen Ästen bis zum Rand der Behausung vor. Er liebte die Harztaschen an den Zweigen des Nadelholzes. Vor allem pikste er diese kleinen Erhebungen gern an und roch an dem austretenden Harz, das klebrig war und von seinen Eltern Baumpech genannt wurde. Doch heute interessierte ihn nicht das Harz, das an manchen Stellen in dicken Tropfen aus dem Holz hervorquoll. Zwischen den Zweigen lugte er in die umliegende Gegend. Sein Blick flog über weitere Holzhügel, die auf den ersten Blick wie zufällig verstreut angeordnet schienen. Aus den meisten drang eine kleine Rauchsäule. Langsam tasteten seine bernsteinfarbenen Augen die Wiese ab. Hier war immer viel los, denn die vielen kleinen Grashalme und Wiesenblumen brauchten Kraft um das Wasser aus dem Boden zu ziehen. Dies ging nicht allein. Nichts ging allein. Nur wo Kraft hineingesteckt wird, kann sich auch etwas entwickeln, fiel ihm der Lehrsatz aus der Schule ein. Sein Blick blieb an einer Graselfe haften, die um diese Zeit noch tätig war. Sie flog immer wieder vom Boden bis zur Spitze der Grashalme und putzte und ordnete diese, sodass tagsüber die Wärme der Sonne an die Halme gelangen konnte. So wurde durch die Wärme das feuchte Nass aus dem Boden bis in die Spitze hinaufgesogen. Morgens leuchten die Elfen schöner, dachte Dorin und kniff die Augen zusammen, als er eine Elfe sah, deren Leuchtkraft nur noch matt war. Wie müde musste sie sein! Wenn er Glück hatte, konnte er die wahre Gestalt der Elfe sehen, sie sollten so ein schönes Gesicht haben und natürlich spitze Ohren. Doch sie zeigte sich ihm nicht in ihrer wahren Gestalt und eigentlich interessierten ihn diese kleinen Graselfen und Blumenelfen nicht, die sich um die Pflege der Pflanzen kümmerten. Er lächelte. Bei jedem Problem rannten sie zu einer der großen Elfen, den Deva‘s, um Rat zu erfragen oder weitere Anweisungen zu erhalten.
Er beobachtete, wie eine Blumenelfe vorsichtig die Blüte einer noch jungen Margerite schloss. Dann schwebte sie müde mit den anderen Elfen hinter der größeren Deva her. Langsam ging sein Blick hoch zum Baum. Manchmal saß eine der Wachen dort. Sein Blick wanderte noch höher zu den Sternen, die er so liebte, und ging dann hin zu den Alten, die jetzt dort am großen Lagerfeuer saßen. Sie erzählten sich etwas. Sie schnitzten an Stöcken und stellten die schönsten Gegenstände zum Tauschen her. Sie brauchten es nicht wirklich. Hatte jemand Hunger, so gab man ihm zu essen, bat jemand um Hilfe, so half man ihm. Aber sie hatten das Tauschen bei den Zwergen beobachtet und diese bei den Menschen. Wichtel fanden es lustig, andere nachzuahmen.
Dorin schlüpfte vollends unter dem Holzstapel hindurch und schlich sich vorsichtig an das Lagerfeuer heran.
Als ein Frosch vom nahen Teich leise quakte, erstarb das Zirpen der Grillen und schnell stimmten andere Frösche in das Rufen ein. Die Töne schwollen unwillkürlich zu einem wahren Organ von lauten Tönen an und Dorin war dankbar für die unerwartete Hilfe. Er nickte den Mädchen vom Volk der Undine zu, die sich um das Wohlergehen der Frösche kümmerten und diese lächelten zurück. Der Geräuschpegel machte es ihm leicht, unbemerkt über den Boden zu robben. Genauso plötzlich, wie die Frösche mit dem Quaken begonnen hatten, verstummten sie jedoch und er hielt erschrocken und mitten in der Bewegung inne. Hilfe suchend sah er sich zu den Undinen um. Udoni, eines diese Naturwesen vom Volke der Udine stand mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Augen bei den Fröschen. Sie starrte ernst aber nicht feindselig zu Dorin. Der hob entschuldigend die Arme. Ja, er hatte kürzlich seinen Schabernack mit einem dieser Frösche getrieben!
Ja, er würde sich entschuldigen, aber nicht jetzt! Ihn trieb die Neugier weiter, denn die Alten am Lagerfeuer hatten immer Neuigkeiten oder alte spannende Geschichten zu erzählen. Es drängte ihn, schnell und nahe genug an das Lagerfeuer zu gelangen, um endlich die Worte verstehen zu können. Er hoffte, dass es sich lohne, sich der Gefahr auszusetzen, erwischt zu werden.
Hoffentlich erzählte nicht Furgil wieder einer von seinen neuen persönlichen Erfolgen, von fremden Völkern oder Kaufleuten. Er war der Sohn des Schamanen und eigentlich zu jung für diese Runde. Dessen Erfolge waren nicht nur für Dorin langweilig und von Kaufleuten hörte er schon alles in der Schule. Dorin hoffte vielmehr auf die Themen, die in Anwesenheit von Kindern immer ausgelassen wurden. Manchmal sprachen die Alten von den früheren Kriegen zwischen Trollen, Elfen und Wichteln! Die Funken des Feuers stoben wunderbar hoch in die laue Nachtluft. Sterne blinkten in der Ferne und in das Knistern der Holzscheite hörte Dorin wieder das Zirpen von Heuschrecken. Ein Lachen drang zu ihm herüber und dann die erschreckte, laute Stimme von Furgil: „Sonnenlicht der anderen Welt ist gefährlich, sie macht uns zu Stein?“ Wieder lachten die Alten. Ungeduldig kroch er auf allen vieren ein Stück über den Boden. Ihn kümmerte nicht der Sand, der an seinem jungen Körper haften blieb. Den würde er nachher einfach abklopfen, bevor er in sein Bett zurückkehren würde. Was für eine andere Welt? Warum sollten Wichtel zu Stein werden? „Trolle versteinern“, murmelte Dorin. Wahrscheinlich machten sich die Alten mit Furgil einen Spaß, anders konnte es sich Dorin nicht erklären. Er war jetzt nah genug, denn langsam wurden auch die leisen Stimmen verständlicher:
„... Seitdem ist der Stein nicht mehr benutzt worden“, hörte er gerade einen bärtigen Alten sagen.
„Der Stein liegt da, mitten im Wald und alles, woran man erkennen kann, dass er ein Geheimnis birgt, ist ...“
„Pssst!“, machte ein anderer.
„Rede doch nicht so laut! Umso weniger von dem Stein wissen, desto besser, oder hast du das Abkommen von Reykjavic und die Huldufólk's vergessen?“
Dorin spitzte die Ohren. Das war genau das, was er so interessant fand und wofür es sich lohnte, Ärger zu riskieren.
„Mich hört doch keiner!“, antwortete ärgerlich der Erste.
Trotzdem senkte er die Stimme, sodass Dorin noch näher an das Feuer heranschleichen musste, zumal er die Stimme des alten Schamanen Lenguja erkannte. Sein Herz pochte vor Aufregung.
„Also, er führt direkt zu den ...“
Ein verdorrter Zweig knackte unter dem Knie von Dorin. Verkrampft erstarrte er mitten in der Bewegung. Jetzt raste sein Herz. Regungslos, bis seine Muskeln nicht mehr mitspielten, hielt er die Position. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Langsam und vorsichtig tastete er sich vorwärts. In einer relativ bequemen Lage blieb er einfach liegen. Eine Fee schwirrte langsam heran, umkreiste ihn und verschwand kopfschüttelnd wieder. Offensichtlich war der Ast vollständig vertrocknet, sonst hätte sie ihn womöglich noch lauthals ausgeschimpft!
„Da war doch ein Geräusch“, rief einer der Alten.
Lenguja stupste ihn gegen die Schulter und lachte:
„Ja, und jetzt stehst du auf und schaust nach, wer uns da belauscht?“
Dorin hielt die Luft an. Einen Moment lang war es still, dann begehrte der andere Wichtel auf:
„Wir müssen vorsichtig sein mit den alten Geschichten!“
Er war drohend aufgestanden, doch Lenguja lachte. Dorin sah, wie der Wichtel Lenguja noch kurz anstarrte, sich vollends umdrehte und einen Schritt in Dorin's Richtung tat, doch Lenguja hielt ihn am Arm zurück.
„Bleib hier, da ist nichts“.
Seine Stimme war resolut. Seine Hand ruhte auf dem Arm des Alten.
Bereit zur Flucht hatte sich Dorin leicht aufgerichtet, schon als der Alte aufgestanden war. Sein Rücken schmerzte von der ungewohnten Lage und er biss sich vor Anstrengung auf die Lippen. Erleichtert sah er, dass der Alte sich wieder bequem auf dem umgestürzten Baum zurechtrückte. Der dicke Hintern streifte beim Setzen einen kleinen grünen Spross, der aus dem alten Baumstumpf wuchs. Ein kleiner Baumelf lief aufgeregt hin und her, starrte immer wieder zu dem kleinen Spross hin und hielt sich vor Schreck den Kopf. Der Hintern des Alten knickte den kleinen grünen Spross fast ab! Als ein Ast im Feuer laut knackte, zuckte Dorin heftig zusammen. Trotzdem schob er sich näher heran und bedeutete dem Baumelfen, ihn nicht zu verraten. Der hatte jedoch keinerlei Sinn für Dorin. Sorgenvoll beäugte er das kleine Pflänzchen und den dicken Hintern des kleinen Wichtels. Bedrohlich nah war der an den Spross herangerutscht! Der Baumelf tat Dorin leid. Sein Leben lang war dieser mit der Pflege von jungen Baumsprösslingen verbunden. Dieser Baum hatte noch Leben in sich und würde bestimmt weitere Sprösslinge austreiben, aber er lag auch auf der Seite und bot ein jämmerliches Bild. Irgendwann würde er als Bank für das Lagerfeuer ausgedient haben. Spätestens dann musste der Baumelf über das verbliebene Wurzelwerk eine Möglichkeit finden, sich zu einem jungen Pflänzchen zu retten, das der Obhut der Feen entweichen wollte, um zu einem stattlichen Baum heranwachsen zu können. Dorin beobachtete den kleinen Baumgeist, der jetzt um die Alten herumflitzte und aufpasste, dass nicht allzu viel von der Rinde abbrach. Passierte es doch, dann stach er mit einem Holzstöckchen durch die Kleidung in den betreffenden Hintern. Dies war nicht immer von Erfolg gekrönt, denn je nachdem wie dick der Wichtel angezogen war, trug er noch einen Winterumhang oder bereits ein dünneres Blätterhemd. Auch wenn die Älteren eher froren, so kleideten sie sich immer noch gerne so, wie ihre unmittelbare Umgebung es ihnen vormachte. Hier ahmten sie selbst die Natur nach. Dorin war nah genug herangekommen, um die Worte klar hören zu können. Ein Stein drückte ihn, doch er verharrte in der unglücklichen Position und lauschte angestrengt den Worten.
„Der Gang ist lang und dunkel ...“, hörte er Lenguja leise erzählen. Dorin konnte die Position nicht halten. Zu unbequem war seine Lage. Er wagte es, sich erneut zu rühren. Langsam schob er sich noch näher heran. Als wieder ein Knacken eines Astes das Gespräch kurz zum Verstummen brachte, schob sich Dorin langsam von dem Feuer zurück.
„Das war nur das Holz im Lagerfeuer“, hörte er Lenguja kichern.
„Sei doch nicht so nervös, wenn ich von den alten Dingen erzähle!“ Dorin verharrte wieder regungslos in seiner Position. Sollte er noch länger zuhören? Wenn nur die Frösche wieder quaken, oder wenigstens die Grillen zirpen würden! Er blickte sich um und sah Udoni, die immer noch mit verschränkten Armen zu ihm hinüberstarrte. Zum Glück war sie ein Wassergeist und kein Wichtel, sonst hätte sie sich eher noch einen Spaß mit Dorin erlaubt und ihn womöglich verraten! Kein Geräusch half ihm. Und bei Udoni hatte er sich ja auch noch nicht entschuldigt, so dass sie gar nicht daran dachte, ihm zu helfen. So wagte er sich nur sehr langsam zurück zu seiner schützenden Behausung.
„Also, der Gang ist dunkel und der Weg ist sehr schmal ...“
Das interessierte ihn natürlich nicht. Er würde schon sehen, wie der Gang ausschaut, wenn er ihn erst einmal gefunden hatte. Wieder schob sich Dorin vorsichtig ein Stück zurück. Er wusste, dass ein erneutes Geräusch unweigerlich zu seiner Entdeckung führen würde. Mit Schaudern dachte er an seine letzte Bestrafung durch seine Eltern:
„Wer Zeit hat, Unfug zu treiben, der hat auch Zeit mitzuarbeiten“, hatten sie gesagt. Tagelang hatte er Wasser von einem nahen Tümpel geholt und an Fellen geschabt, um diese haltbar zu machen. Mittlerweile konnte er die Worte nicht mehr verstehen, die am Lagerfeuer gesprochen wurden:
„... doch wer einen Feuerstein in dem dunklen Gang benutzt, um sich den Weg zu beleuchten, wird riskieren, dass ein Feuergeist die Gase entzündet und der Gang einstürzt!“
Eine ärgerliche Stimme mischte sich ein:
„Rede doch nicht so einen Quatsch! – Feuergeist! Das sind Gase, die sich entzünden!“ Jetzt stritten die Alten am Lagerfeuer über die richtige Art, einen Weg zu beleuchten. Dorin hatte mittlerweile sein Bett erreicht und schlief sofort ein ohne sich den Staub abzuklopfen.